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Beim Projekt SkyCycle soll der Radschnellverkehr von der Straße entkoppelt auf bis zu 15 Meter breiten Radweg-Trassen über Schienen­strecken verlaufen.
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Report - Radschnellwege

Radwege nehmen Fahrt auf

Wer aktuellen Medienberichten folgt, könnte den Eindruck gewinnen, dass demnächst überall Radschnellwege, Fahrradautobahnen oder Cycle Highways gebaut werden. Tatsächlich sind schnelle Fahrradstraßen ein Thema, das inzwischen von vielen Politikern und Planern ernst genommen wird.

Mit der Gestaltung der Zukunft tut sich die Politik oft schwer. Für Helmut Kohl war zum Beispiel die Datenautobahn während seiner Amtszeit ein noch unbekannter Begriff. Straßenbau, so ließ der Altbundeskanzler 1995 in einer Fragerunde sinngemäß wissen, sei Ländersache. Für NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gehören Fahrradautobahnen, respektive Radschnellwege dagegen zum festen Repertoire. So ändern sich die Zeiten. Erste Leuchtturmprojekte werden inzwischen auch bei uns in Deutschland auf den Weg gebracht.

Fahrrad braucht Infrastruktur

Über Jahrzehnte wurden Fahrräder in Europa als Verkehrsmittel kaum wahr- und erst recht nicht ernst genommen. Das hat sich bis heute in vielen Regionen nicht geändert. Fahrradfahrer müssen sich vielerorts genauso wie Fußgänger mit Restflächen begnügen. Oft irgendwo zwischen Auto-, Park- und Lieferverkehr, eingequetscht zwischen Bussen und LKWs und immer konkurrierend mit der Bestuhlung von Straßencafés, Werbetafeln, Müllbehältern und sonstigen Hindernissen. Von schlechten Straßen- und Radwegbelägen, Wurzelwerk und vom Winterdienst unbeachteten Wegen ganz zu schweigen. Mehr sicherer und komfortabler Radverkehr? Das wäre wünschenswert. Angesichts einer oft schlechten und vielfach schon jetzt überlasteten Radinfrastruktur sowie der laut ADFC Fahrrad-Monitor 2013 festzustellenden Stagnation bei der Radnutzung bleibt es vorerst ein frommer Wunsch.

Fahrräder und E-Bikes ­werden als Verkehrsträger entdeckt

Wenn Fahrradfahren über das Freizeitvergnügen entlang gut ausgebauter Radrouten oder die Fahrt zum Bäcker hinausgehen soll, wenn Fahrräder wie in den Niederlanden zu echten Verkehrsträgern werden sollen, dann braucht es sicher ganz andere, neue Ansätze. Und es gibt kaum einen ­Zweifel, dass Fahrräder und E-Bikes künftig als ernst zu nehmender Verkehrsträger benötigt werden. Nicht aus ideologischen oder Umweltschutzgründen, sondern ganz pragmatisch, weil die Bevölkerungszahl in den Städten weiter wächst, weil sich der ÖPNV auf dem Land aus der Fläche zurückzieht und weil die Verkehrsinfrastruktur bereits heute weitgehend über­lastet ist.
Das Beispiel Köln macht deutlich, vor welchen Herausforderungen Städte und Gemeinden aktuell stehen: Bis 2020 wird die Bevölkerung in der Rheinmetropole voraussichtlich um 50.000 Einwohner steigen. Bis dahin werden 30.000 neue Wohnungen benötigt. Und die müssen bezahlbar sein und über eine gute Anbindung an die Innenstadt inklusive Universität verfügen, da der Zuwachs vor allem aus der Generation der 18- bis 30-Jährigen kommen wird. Verschärft wird die Situation dadurch, dass immer mehr Menschen pendeln. Jeden Tag fahren rund 299.000 Menschen zur Arbeit nach Köln. Das entspricht 44,1 Prozent aller Erwerbstätigen in der Stadt. Ein neuer Rekordwert. Da macht es Sinn, wenn die Stadt sich am Wettbewerb des Landes NRW für einen Radschnellweg beteiligt, der die Kölner Innenstadt und die Universität mit Neubaugebieten im Umland verbinden und stetig verstopfte Verkehrswege entlasten soll.

Überzeugungsarbeit ist nötig

Vor diesem Hintergrund, der sich in ganz ähnlicher Form in vielen anderen Regionen wiederfindet, scheint sich die vielfach noch vorgebrachte Frage, ob und wenn ja, wie viele Radfahrer denn tatsächlich diese neuen Routen nutzen werden, zu erledigen. Trotzdem stehen Argumente und Befürchtungen, dass es sich bei Radschnellwegen lediglich um grüne Prestigeobjekte handele, die in Kürze verwaisen, natürlich im Raum. Und auch das Aufrechnen der nicht unerheblichen Kosten gegen Investitionsstaus an anderer Stelle kann man nicht einfach beiseitewischen. Denn gegen den Willen der Bevölkerung oder wichtiger Entscheider lassen sich selbst die besten Pläne nur schwer oder gar nicht durchsetzen.
Kontraproduktiv ist in diesem Zusammenhang auch der vielfach von den Medien genutzte und aus dem englischen Sprachgebrauch abgeleitete Begriff »Fahrradautobahn«, der zusammen mit den Attributen mehrspurig, Radschnellverkehr und E-Rad ein Bild im Kopf entstehen lässt, das zu Gegenwehr und Widerspruch geradezu einlädt. Dabei steht die konkrete Ausgestaltung der Radschnellwege, die es als »Fietssnellweg« in den Niederlanden und in Belgien bereits seit den 1980er-Jahren gibt, noch gar nicht genau fest.

Von der lokalen Fahrradstraße zum SkyCycle

Schaut man sich bestehende Projekte und neue Entwürfe und Konzepte für Radschnellwege an, ergibt sich ein sehr differenziertes Bild mit völlig unterschiedlichen Ansätzen. Die reichen vom kommunalen Radschnellweg, der auch ein breiter markierter Radstreifen sein kann, bis hin zu hochfliegenden Projekten, wie dem SkyCycle-Projekt, das ein Team rund um den Visionär und Star-Architekten Sir Norman Foster entwickelt hat. Gerade letzteres fordert natürlich zu Diskussionen heraus. Andererseits: Wann hat sich das letzte Mal ein ähnlich renommiertes Büro einem Radweg angenommen und solche Projektkosten (für den ersten Bauabschnitt von 6,5 Kilometern Länge veranschlagen die Planer nach Medienberichten rund 240 Millionen Euro) aufgerufen? Gegen den Entwurf von Foster + Partners mit zehn High-Speed-Routen, einer Gesamtstreckenlänge von 220 Kilometern und 200 Zugängen spricht nach Meinung von Experten neben den Kosten vor allem, dass er Alltagsmobilität und kurze Wege nicht ausreichend wahrnimmt.
Genau diese Kritik berücksichtigen die Konzepte der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e. V. (AGFS), die sich national und international als Avantgarde moderner Verkehrspolitik und kompetenter Ansprechpartner einen exzellenten Ruf erworben hat. So sind hier neben regionalen Radschnellwegen auch kommunale Schnellwege vorgesehen. Beide Netztypen sollen sich ergänzen und neue Reichweiten, neue Räume und neue Zielgruppen und damit neue Potenziale erschließen. Dabei richtet sich der regionale Radschnellweg neben Berufspendlern auch an Tourismus- und Freizeitradler. Kommunale Radschnellwege sind laut AGFS nicht nur aus Gründen der Kontinuität erforderlich, sondern sie sollen darüber hinaus künftig als eigenständige Netzelemente das Rückgrat des kommunalen Radverkehrs bilden. »Sie erfüllen insbesondere in hoch verdichteten, urbanen Räumen die strategisch wichtigste Funktion, hinsichtlich Führung, Bündelung und Beschleunigung von massenhaftem Radverkehr. Sie sind multifunktional und gleichermaßen relevant für Pendler, Einkauf, Ausbildung, Freizeit und nicht zuletzt eine ‚erweiterte‘ Option als Zubringer zum ÖPNV«, heißt es bei der AGFS.

Titel Zukunft Fahrrad­infrastruktur

Angesichts der aktuellen Probleme sind die geplanten Radschnellwege zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Andererseits wird hier zum ersten Mal in größeren Dimensionen gedacht, was nicht nur angesichts der stark wachsenden Verbreitung von E-Bikes dringend nötig zu sein scheint. Jetzt wird es darauf ankommen, den Projekten die richtige Richtung zu geben und nicht nur die spezifischen Qualitätskriterien für Radschnellwege zu erfüllen, sondern wichtige Zielgruppen, wie zum Beispiel Alltags- und Freizeitradler ebenso wenig auszuschließen wie Fahrer von S-Pedelecs. Dabei gilt es gleichzeitig einen verträglichen Ausgleich mit den Raum- und Nutzungsansprüchen anderer Verkehrsträger zu finden, denn die »Implantation« von Radschnellwegen im bestehenden Straßenraum ist eine neue Herausforderung für die kommunale Verkehrsplanung. Die politische Relevanz erfordert, dass administrative und politische Entscheider, Bürger, lokale Wirtschaft sowie Verbände und Institutionen von Anfang an in Informations- und Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Die Kommunikation hat hier eine wichtige Schlüsselfunktion und die Aufgabe, Funktion und Nutzen zu verdeutlichen, für die Akzeptanz der infrastrukturellen Veränderung zu werben und eine offene Diskussion über die Zukunft anzustoßen.

16. April 2014 von Reiner Kolberg
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