Report - Bundestagswahlen
Dreht die Politik am Rad oder am Rädchen?
Aus Sicht des ADFC ist das Fahrrad vor der diesjährigen Bundestagswahl stärker in den politischen Fokus gerückt. »Das Thema Fahrrad spielt im Wahlkampf eine deutlich wichtigere Rolle als noch vor vier Jahren«, sagt ADFC-Pressesprecherin Stephanie Krone. »Die krasse Vertrauenskrise, in der Autoindustrie und Aufsichtsbehörden gerade stecken, befeuert natürlich die Debatte um die Zukunft der Mobilität und die Alternativen zum Autofahren. Schlimm, dass es erst soweit kommen musste – gut, dass die Debatte jetzt extrem breit geführt wird.«
Dennoch hat die Debatte noch nicht das gesamte politische Spektrum erreicht: Zwei Parteien, die derzeit nicht im Bundestag vertreten sind, können sich Umfragen zufolge durchaus große Hoffnungen machen, dies im Herbst zu ändern: FDP und AFD. Auf Fahrradthemen setzen sie dabei nicht. Beide Parteien gehen in ihren Wahlprogrammen mit keinem einzigen Wort darauf ein. Das sieht bei den aktuellen Bundestagsparteien schon anders aus.
Viel Fahrrad im Grünen-Programm
Es ist keine Überraschung, dass Bündnis 90/Die Grünen dem Fahrrad im Rahmen ihrer Vorstellungen zu einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Verkehrspolitik am meisten Platz in ihrem Wahlprogramm einräumen. »Immer mehr Menschen nutzen das Rad, weil es schnell, preiswert und bequem ist«, heißt es dort. Die Ideen der Grünen zur Radverkehrsförderung sind recht konkret, ohne dabei auf Budgets einzugehen. Dabei müsse auch der Bund mehr Verantwortung übernehmen. Mit folgenden Maßnahmen will die Partei »die Infrastruktur für Fahrräder deutlich verbessern«: »Gemeinsam mit Ländern und Kommunen bauen wir Radschnellwege und ein bundesweites Netz von hochwertigen Radfernwegen. Wir wollen die Fahrradmitnahme in allen Zügen durchsetzen. Wir werden Kaufanreize einführen, denn elektrisch unterstützte Lastenräder haben im Lieferverkehr großes Potential. In der Straßenverkehrsordnung schaffen wir fahrradfreundliche Regeln wie den »Grünpfeil« für Radfahrerinnen und Radfahrer.«
In der Bundestagsfraktion ist Matthias Gastel bei den Grünen für Radverkehrsthemen zuständig. Für ihn sei die Leichtigkeit des Radfahrens in den Niederlanden ein Vorbild, wie er kürzlich verriet. Radfahren müsse Spaß machen, einfach und sicher sein. In deutschen Kommunen sei dies oft nicht der Fall. Für die Zukunft müsse Deutschland die Angebote im Umweltverbund verbessern, dabei sei ein zentraler Baustein eine gute Infrastruktur für den Radverkehr.
Nicht ganz so ausführlich wie die Grünen geht die Linke in ihrem Wahlprogramm auf das Fahrrad ein. Dabei positioniert sich die Partei allerdings recht deutlich: »Fuß und Fahrrad vor! Wir wollen Radfahren und Zufußgehen im Alltag attraktiver und sicherer machen: Mehr Platz auf den Straßen, mehr sichere und intakte Rad- und Fußwege und mehr Fahrradabstellanlagen sind nötig. Dafür muss der Bund ausreichend zweckgebundene Mittel für die Kommunen bereitstellen. Wir wollen die Straßenverkehrsordnung fahrradfreundlicher gestalten.«
Positionspapier der Linken
ADFC-Sprecherin Krone lobt die Vorstöße der kleineren Bundestagsparteien: »Grüne und Linke betonen als einzige, dass das Rad mehr Platz im Straßenraum braucht – das ist ein wichtiger Punkt.« Wie das aus Sicht der Linken konkret aussehen soll, legt die verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion im Bundestag, Sabine Leidig, in einem Positionspapier zu bundespolitischen Maßnahmen für den Fahrradverkehr dar. Dabei geht sie zunächst auf die Finanzierung ein: »Die Linksfraktion setzt sich dafür ein, die für die Fahrradinfrastruktur aufzuwendenden Bundesmittel schrittweise auf mindestens 300 Mio. Euro jährlich zu verdreifachen, finanziert durch Umschichtungen innerhalb des Verkehrsetats«, heißt es in dem 12-seitigen Positionspapier. Außerdem setzen sich die Linken für die Einrichtung eines »Verkehrswendefonds« ein. Dieser solle großzügig mit Finanzmitteln des aktuellen Bundesverkehrswegeplans (BVWP) gefüllt werden, die bislang für den Straßenbau reserviert seien.
Konkrete Vorschläge enthält das Positionspapier in Bezug auf eine Reform des Straßenverkehrsrechts: So soll die Radwegebenutzungspflicht abgeschafft werden. »Gute, sinnvoll designte Radverkehrsinfrastruktur benötigt keine Benutzungspflicht, die Radfahrerinnen und Radfahrer nutzen sie von sich aus«, begründet Leidig diesen Vorstoß. Neben der Radwegebenutzungspflicht soll auch das Rechtsfahrgebot für Radfahrer abgeschafft oder zumindest entschärft werden, um Unfällen mit Autotüren und zu engem Überholen durch Autos ohne Spurwechsel entgegenzuwirken.
Fortschritte bei den großen Parteien
Anders als Linke und Grüne streifen die Parteien der Großen Koalition in ihren Wahlprogrammen den Radverkehr nur am Rande. Aus Sicht des ADFC bedeutet das schon einen Fortschritt: »Die SPD hat die Fahrradförderung erstmals ausdrücklich im Programm, das ist gut. Die CDU hat es mehr als bisher«, so Krone, die zudem als Erfolg des ADFC verbucht, dass alle im Bundestag vertretenen Parteien Radschnellwege fördern wollen. Die SPD hat außerdem sichere Abstellanlagen und E-Bike-Ladestationen auf dem Programm. Stefan Zierke, Radverkehrsexperte der SPD-Fraktion verweist zudem auf unterschiedliche Rahmenbedingungen im städtischen und ländlichen Raum. Wichtigstes Ziel der Radverkehrspolitik müsse sein, alle Bürgerinnen und Bürger abzuholen und insbesondere den bisher skeptischen Menschen die Angst vor dem Fahrrad zu nehmen.
Erster Fahrradkongress der Unionsfraktion
Die Unionsfraktion veranstaltete im Sommer sogar erstmals einen Fahrradkongress zum Thema »Radfahren in der Stadt – Möglichkeiten urbaner Verkehrspolitik«. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hielt die Eröfnungsrede: »Fahrradfahren ist modern«, liest er dabei vom Manuskript ab, ohne dabei allzu überzeugt zu wirken. »Es ist kein Nischenthema, sofern es überhaupt jemals eines war.«
Mit der Veranstaltung in Berlin nehme man den 200-jährigen Geburtstag des Fahrrads zum Anlass, »um die unterschiedlichen Dimension des Radfahrens zu würdigen«, erklärt Kauder. Es bahne sich seinen Weg in die politische Agenda, insbesondere auf kommunaler Ebene: »Kommen Investitionen in Radwege zuerst oder die Umgebungsstraße für Autos?«, fragt Kauder. »Ich glaube, dass in einer modernen Großstadt das Rad ein ganz natürlicher, selbstverständlicher Bestandteil der Fortbewegung ist.« Dies gelte sowohl für den Weg zur Arbeit als auch für die Freizeit und zur »körperlichen Ertüchtigung«.
Norbert Barthle, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, liegt das Thema Radverkehr deutlich näher als dem Fraktionsvorsitzenden Kauder. »Wer sich heute in einer Stadt von A nach B bewegen will, ist gut beraten, das Fahrrad zu nehmen«, sagt Barthle. Der Bund habe in der zu Ende gehenden Legislaturperiode mehr für den Radverkehr getan als in den Jahren zuvor. So verweist er auf die Fördersumme von jährlich 3,2 Mio. EUR, die in Forschungsprojekte im Zusammenhang mit dem Fahrradverkehr fließen. Dabei handelt es sich allerdings ausschließlich um »nichtinvestive Maßnahmen«, wie es Barthle in Politiker-Deutsch ausdrückt.
Für die künftige Radverkehrspolitik hat der Staatssekretär bereits konkrete Vorstellungen. So soll die genannte Fördersumme aufgestockt werden. Gleichzeitig wünscht sich Barthle, dass das Bundesverkehrsministerium auch investive Mittel einsetzen darf, um Leuchtturmprojekte zu fördern und die Infrastruktur im Sinne aller Verkehrsteilnehmer zu verbessern.
Der ADFC hat natürlich ebenfalls Forderungen für die Bundestagswahl aufgestellt, die erwartungsgemäß über die Vorstellungen aller Parteien hinausgehen. »An unseren Forderungen zu ,Fahrradland Deutschland. Jetzt‘ kann sich keine der Parteien messen«, betont Krone. »Wir fordern ja erheblich höhere Finanzmittel des Bundes, verbindliche Qualitätskriterien für den Radwegebau und eine echte Priorisierung von Rad, Fuß und ÖPNV vor der Förderung des Autoverkehrs. So weit traut sich keine Partei aus dem Fenster.« Der ADFC setzt auch auf die Koalitionsverhandlungen: »Wahlprogramme sind aber bestenfalls Indizien – die echte Arbeit kommt nach der Wahl. Da werden wir versuchen, das Maximum unserer Forderungen durchzusetzen, egal mit wem«, verspricht Krone. Am Ende seien einzelne starke Köpfe entscheidend. »Die CSU hat mit Joachim Herrmann einen wichtigen Vorkämpfer für das Rad, die Grünen mit Winfried Hermann, die SPD hatte es mit Michael Groschek.«
Unterschiede auf Länderebene
Jener Groschek übernahm nach der SPD-Wahlniederlage den Parteivorsitz in Nordrein-Westfalen. Vom Koalitionsvertrag der neuen Regierung im bevölkerungsreichsten Bundesland zeigt sich der ADFC enttäuscht: CDU und FDP sprechen darin von »ideologiefreier Verkehrspolitik« in der »die Menschen frei von staatlicher Bevormundung selber entscheiden können, welches Verkehrsmittel für sie das geeignete ist«. Krone findet das »schade, denn die Menschen entscheiden sich in vielen NRW-Städten permanent gegen das Rad, weil das Infrastruktur-Angebot und das Verkehrsklima unter aller Kanone sind«.
Besser sehe es in den anderen Bundesländern, die dieses Jahr bereits ihre Landtage gewählt haben, aus: »CDU und SPD beschreiben im Saarland das Fahrrad als wichtiges Verkehrsmittel, wollen Netzlücken schließen, den Radverkehrsanteil steigern und die Verkehrssicherheit verbessern. Das ist ausbaufähig, aber immerhin ein klares Bekenntnis«, urteilt ADFC-Sprecherin Krone. Schleswig-Holstein geht noch weiter: Gut ausgebaute Radwege, Radschnellwege, mehr Abstellmöglichkeiten, Verbesserung der Fahrradmitnahme, Fahrrad-Wegweisung und Entwicklung eines Gesamtkonzepts stehen auf dem Programm der Koalition aus CDU, FDP und Grünen. »Schleswig-Holstein will aus Landesmitteln zusätzlich 10 Mio. EUR für den Radwegeausbau zur Verfügung stellen. Ein guter Plan!«, lobt Krone.
Der ADFC ist natürlich nicht der einzige Lobbyverband, der sich für Radverkehrsthemen stark macht. ZIV und VSF haben bereits zu Beginn des Jahres gemeinsam mit dem ADFC Forderungen für die Bundestagswahl formuliert. Dass sich aber ausgerechnet auch der ADAC durchaus eingehend mit dem Fahrrad auseinandersetzt, kommt doch ein wenig unerwartet. In der Juni-Ausgabe der Mitgliederzeitschrift »Motorwelt« waren anlässlich des 200-jährigen Jubiläums sogar mehr Seiten dem Fahrrad gewidmet als dem Auto. Doch beschränken sich die Auto-Lobbyisten bei ihrem Einsatz für das Fahrrad nicht nur auf eine Magazin-Ausgabe. »Evolution der Mobilität gestalten – Impulse des ADAC für 2017–2021« heißt das Positionspapier des Automobilverbands zur Bundestagswahl. Darin regt der ADAC an, Radwege und Radfahrstreifen »dem wachsenden Bedarf« anzupassen und Radschnellwege zu fördern. »Der Radverkehr ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen und leistet einen wachsenden Beitrag für eine gesunde, umweltfreundliche Mobilität«, begründet der ADAC seine Position. Wenn die Politik also wie so häufig der Autolobby folgt, wäre es diesmal auch ein kleiner Fortschritt für das Fahrrad.
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