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Wie sieht ein Fahrradladen in zehn Jahren aus?
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Umfrage - Zukunft des Handels

Wie sieht ein Fahrradladen in zehn Jahren aus?

Der Versuch, in die Zukunft zu blicken ist naturgemäß ein undankbares Unterfangen. In einer Branche, die so starken Veränderungen ausgesetzt ist, wie aktuell die Fahrradwelt, fallen Vorhersagen noch etwas schwerer. Das bedeutet aber nicht, dass die Branchenteilnehmer ihre Augen vor der Zukunft verschließen würden. Wir haben ganz unterschiedliche Akteure gefragt, wie ein typischer Fahrradladen in zehn Jahren aussehen wird.

Mitte bricht weiter weg

Ich glaube nicht, dass es ›den‹ Radladen geben wird, so wie es ihn auch heute nicht gibt. Es gibt massive Unterschiede von Nord nach Süd, zwischen Großstadt und Land. Es wird in zehn Jahren weiterhin viele verschiedene Radläden geben, bloß nicht mehr so viele unterschiedliche Ausprägungen wie heute. Auf der einen Seite wird es die Konzentration mit großen Flächenläden geben und auf der anderen Seite kleine und kleinste Läden, die für Service und Ersatzteile zur Verfügung stehen. Die Mitte bricht weiter weg. Dieser Trend wird mit Sicherheit weitergehen. Die Vielfalt in den Nischen wird dabei wohl verloren gehen. Spannend wird es mit den inhabergeführten, alteingesessenen Traditionsbetrieben. Da bin ich mir nicht so ganz im Klaren darüber, wie sich das entwickeln wird. Eigentlich sind diese Läden sehr krisenresistent, andererseits tun sie sich derzeit schwer damit, Nachfolger zu finden. Entscheidend wird für die meisten Läden sein, wie sie die Anbindung zu den diversen Angeboten im Internet darstellen können. Das wird meiner Einschätzung nach nur in Kooperation mit starken (Marken-) Herstellern und/oder Verbänden gehen.
{b}Andreas Lübeck, LBU Unternehmensberatung{/b}

Off- und Online

Die sich aktuell abzeichnende Konvergenzbewegung von Off- und Online wird zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein. Eine Reinform einer der beiden Kanäle ist dann die Ausnahme. Der stationäre Fahrradfachhandel hat sich stark verändert, ist jedoch allen Unkenrufen zum Trotz noch da und erlebt eventuell sogar ein nicht geglaubtes Revival. Auf jeden Fall ist er deutlich digitaler und effizienter. Nicht nur im Thema eCommerce, sondern vor allem in der Nutzung der Digitalisierung für die tägliche Arbeit im stationären Shop: digitalisierte Arbeitsprozesse von der digital unterstützen Beratung, über die Bestellung und Sortimentsverwaltung bis hin zur Serviceannahme und dessen Abwicklung. Für Händler wird es völlig selbstverständlich sein, Kunden nicht vorhandene Produkte digital zu präsentieren und zu verkaufen (InStore eCommerce). Daher werden digitale Angebote einen ähnlich hohen Stellenwert und eine ähnlich hohe Präsenz einnehmen wie die Produkte selber. Vernetzte Warenwirtschaftssysteme werden für einen deutlich verbesserten Warenfluss und somit höhere Verfügbarkeit sorgen, hocheffiziente Logistikketten für eine sehr zeitnahe Lieferung in den Shop oder zum Kunden. Dadurch wird der Händler sich tendenziell auf ein Kernsortiment fokussieren können, wodurch mehr Raum für Inszenierung des Einkaufs- und des immer wichtiger werdenden Service-Erlebnisses bleiben wird. Die Arbeit ohne digitale Helfer wird dann kaum mehr vorstellbar sein.
{b}Alex Thusbass, Designer{/b}

70 bis 80 % E-Bikes

Nach wie vor wie eine große Halle mit viel Fläche. Es werden im Tourenbereich 70 oder 80 % E-Bikes sein und der Rest normale, muskelbetriebene Räder. Das wird vielleicht das Bild der Warengruppe verändern, aber der Laden selbst zeigt immer noch Räder, wird eine Teileabteilung haben und wird auch eine Ausstellung haben für Bekleidung und Co..
{b}Jonas Scholz, Flizz Eurobike{/b}

Klare Design-Linie

Multichannel wird relevanter werden. Also hier bestellen, da abholen. Wir werden viele Kunden haben, die ihre Order beim Hersteller platzieren und im Laden abholen. Diese werden nicht mehr so gruschig sein, wie es viele Kollegen noch sind. Sie werden eine klare Design-Linie des Herstellers haben und als Marken- bzw. Showroom dienen. Ich sehe keine Monomarkenstores, so weit ist die Branche noch nicht. Die Werkstätten werden deutlich heller, lichtdurchfluteter und transparenter arbeiten und besser dokumentieren. Die Kunden sehen, wie am Rad gearbeitet wird und bekommen hinterher eine Auswertung und Rechnung, wo nachvollziehbar draufsteht, was getan wurde. Oder dich gibt es nicht mehr.
{b}Andreas Ehrhardt, Die Radgeber{/b}

Fahrrad erleben

Das Fahrrad und die Elektromobilität gewinnen in der urbanen Welt immer mehr an Relevanz. Aufgrund des beratungsintensiven Produktes Elektrofahrrad wird das Gespräch mit dem Kunden und die Produktpräsentation im Laden als Kern des Einkaufserlebnisses rund ums Fahrrad wichtiger und intensiver. Der Kunde möchte sein Traumfahrrad vor dem Kauf erleben können und mit der Unterstützung unseres Fachpersonals sicher sein, dass er das für sich beste Produkt bekommt.
{b}Caroline Elleke, Zweirad Stadler{/b}

Meeting-Point

In den kommenden zehn Jahren wird der stationäre Handel mit dem Online-Commerce noch weiter miteinander verschmelzen. In unserem Flagshipstore in Bocholt, der Rose Biketown, haben wir die Ära des Zusammenspiels von On- und Offline bereits eingeläutet: Der Kunde kann vor Ort gemeinsam mit einem Bike-Berater sein Rad individuell zusammenstellen und das Ergebnis auf einem der drei Konfigurationswände in Lebensgröße betrachten. Die Besonderheit ist dabei, dass die individuelle Zusammenstellung des Bikes an jedem beliebigen Punkt der Customer Journey und in jedem beliebigen Kanal begonnen, bearbeitet und beendet werden kann. So kann der Kunde beispielsweise die Konfiguration, die er am Laptop zuhause begonnen hat, mit dem Rose-Mitarbeiter in der Biketown weiterführen. Auch der Kauf individueller Produkte wie Sättel oder Schuhe wird dank modernster Technik zum Kinderspiel. Mithilfe der Vermessungsstationen im Laden können Daten zu Sitzknochen und Füßen ermittelt und im Kundenkonto gespeichert werden. Neben allen technischen Entwicklungen wird ein Radladen auch in zehn Jahren noch sozialer Treffpunkt für Radbegeisterte sein. Kunden betreten den Laden, um sich Trends anzusehen, Räder Probe zu fahren, Produkte anzufassen und sich mit Fachberatern oder mit anderen Kunden bei einem Kaffee auszutauschen. Das Thema Fahrrad ist und bleibt ein emotionales Thema, der Radladen wird somit auch noch in zehn Jahren Meeting-Point der Community sein.
{b}Anatol Sostmann, Rose-Versand{/b}

Digitale Tools

Erfreulich ist zunächst, dass es mittlerweile unstrittig zu sein scheint, dass es in zehn Jahren den Fahrradfachhandel noch geben wird. Daran hatten ich und die BICO als Verband des Fahrradfachhandels allerdings auch nie Zweifel. Der »Radladen« wird sich den Bedarfen der Endverbraucher entsprechend wandeln, d. h. er wird insbesondere dem sich verändernden Informationsverhalten und dem Servicebedarf der Konsumenten gerecht werden müssen. Der Informationsprozess beginnt schon jetzt außerhalb der Ladengeschäfte und diese Entwicklung wird sich sicher weiter verselbstständigen. Das Fahrradgeschäft der Zukunft wird sich, seine Leistungen und Sortimente also nicht nur lokal und physisch darstellen, sondern den Eintritt in den Laden schon online ermöglichen – nichts Neues. Im Umkehrschluss ist damit bei Eintritt des Konsumenten in den Laden aber auch schon so manches des heute noch typischen Beratungsprozesses bereits erfolgt, sprich die Betreuung durch den persönlichen Berater im Shop beginnt an einer Stelle, an der der Konsument schon sehr tief im Thema ist. So manche Verkaufsprozesse werden sich im Extremen auf das Herausgeben und Kassieren der Ware am click-and-collect-Schalter reduzieren.
Der Berater ist nun also gefordert sehr viel individueller auf sein Gegenüber ­einzugehen und muss zudem mit den vom Konsumenten gewohnten Instrumenten transparent und nachvollziehbar arbeiten können.
Wie also wird der Fahrradladen in zehn Jahren aussehen?
Die Präsentation der Produkte wird aufgeräumter, großzügiger, professioneller und ergänzt um digitale Elemente und Tools sein.
Insbesondere die individuelle Anpassung und Ergänzung des Fahrrades als zentraler Punkt des Interesses wird Raum in den Läden einnehmen. Dies gilt für ergänzende Produkte, aber auch für Servicedienstleistungen. Auf smarte Weise werden Zusatzverkäufe und Zusatzleistungen beraten werden. Die Beratungsprozesse werden individueller, umfassender und damit komplexer. Damit wird sich auch das Bild des »Verkäufers« verändern. Es wird einen click-and-collect-Bereich und nicht zuletzt Teststrecken in- oder outdoor geben, denn Probefahrten sind virtuell nicht wirklich sinnvoll.
Ergänzend und vorrausichtlich separiert wird sich der technische Service darstellen. Auch hier wird die zunehmende Nachfrage nach Reparaturleistungen in Verbindung mit der immer höher werdenden technischen Komplexität der Produkte zu einer deutlichen Professionalisierung der Prozesse und des Auftretens des Service­bereiches führen. Der Auftritt und die Prozesse werden auch im Reparaturbereich online vorbereitet und angestoßen sein. Online-Terminvereinbarung, Hol- und Bringservice, Abgabe und Abholung außerhalb der Ladenöffnungszeiten wird es geben. Damit wird eine Entzerrung der Stoßzeiten entstehen und das Servicepersonal bekommt die Freiräume, bedarfsgerecht und kompetent den Kunden beraten zu können. Hier sehe ich eine große Chance gerade für kleinere Betriebe.
So erwarten wir die Entwicklungen im Fahrradfachhandel, allerdings erfordert das große Anstrengungen im Digitalisierungsprozess und im Bereich der Quali­fizierung des Personals. Die BICO und ihre Partner arbeiten daran.
{b}Jörg Müsse, Bike&Co{/b}

Genauso wie heute

Ich hoffe, unser Radladen sieht dann genauso aus wie heute. Wir haben den Vorteil, dass wir sehr ­spezialisiert sind und uns unsere Nischen gesucht haben. Ich glaube, wenn man sich da nicht sein Standbein schafft, wird es schwer. Wir haben uns ganz stark auf Reise- und Tourenräder konzentriert. Dabei kombinieren wir gute Produkte mit einer guten Werkstatt. Es wird immer Kunden geben, die ungewöhnliche Räder wünschen. Ich kenne Kollegen, die fast keine Fahrräder mehr verkaufen und nur noch reparieren. Wir haben immer zwei bis vier Wochen Vorlauf in der Werkstatt, was auch daran liegt, dass wir ein Einzugsgebiet für unsere Produkte von 100 Kilometern um Mannheim herum haben. Aber wenn man nur repariert, muss man das in der hoch technisierten, professionellen Version machen. Das gilt zumindest in Stadtnähe, auf dem Land mag das noch mal ganz anders aussehen.
{b}Lars Vogel, Der Radladen Mannheim{/b}

21. August 2017 von Daniel Hrkac
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