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Läuft!
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Report - Roland Werk

Läuft!

Den Namen Roland Werk kennen manche Endverbraucher aus dem Anhänger-Bereich, Händler vor allem aus dem Laufrad-Sektor.

Heinrich Kalkhoff wurde 1903 geboren. Mit 16 Jahren, noch als Briefträger, gründete er 1919 ein nach seinem Namen benanntes Unternehmen in Cloppenburg. Produziert oder vertrieben wurden von Kalkhoff anfangs Fahrradteile, ab 1926 auch Fahrräder. Nach dem Krieg erlebte die Fahrradproduktion dort ihren Höhepunkt – das Unternehmen wurde zu einem der wichtigsten Fahrradproduzenten Europas: Bis zu 5.000 Rahmen täglich wurden schon in den Fünfzigerjahren produziert. Die drei Söhne Berthold, Heinz und Karl übernahmen 1968 die Geschäftsleitung, 1972 wurde das fünfmillionste Fahrrad gefeiert. Anfang der Achtziger schließlich bewegte sich die Jahresproduktion auf die Ein-Millionen-Grenze zu. Doch mit dem größten Fahrradhersteller Deutschlands ging‘s in den Folgejahren bergab. Aus vielerlei Gründen – sicher hat der sich anbahnende Wechsel der Hersteller nach Asien Anteil an der allgemeinen Krise der Fahrradindustrie und die Tatsache, dass Made in Germany bald als zu teuer angesehen wurde. Jedenfalls musste die Firma Insolvenz anmelden, die Marke Kalkhoff ging schließlich über an den Derby-Konzern, unter deren Dach es die Marke heute noch gibt. Die Nachkommen des Gründers haben nichts mehr mit diesem Nachfolgeunternehmen zu tun. Der Name Kalkhoff aber ist in der Branche immer noch mit einem gewissen Mythos verbunden.

Den Bedarf an Laufrädern decken

Wieso wir das hier voranstellen? Weil das porträtierte Unternehmen Roland Werk seit 2007 von Thomas Kalkhoff, einem Enkel des Kalkhoff-Gründers geleitet wird. Sitz ist in Garrel, einer Kleinstadt bei Cloppenburg. Das Unternehmen war 1976 als Roland Werk Metallwaren GmbH von Heinz Kalkhoff und seiner Schwester gegründet worden – hatte also schon damals nicht unmittelbar mit den Kalkhoff-Werken selbst zu tun. Der zunehmende Bedarf an Laufrädern bewog Heinz Kalkhoff zur Geschäftsgründung. Man wollte vor allem den Aftermarket bedienen; damals gab es etwa noch 150 Großhändler. In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts hatte das Unternehmen eine bewegte Geschichte, die teilweise auch die der Fahrradwirtschaft in diesen Jahren widerspiegelt. 2007 wurde ein neuer Geschäftsführer gesucht. Und Josef Ostermann, ein früherer Geschäftsführer und damals schon pensioniert, wandte sich an Thomas Kalkhoff. »2007 war ich 50 Jahre alt und selbstständig, in einer ganz anderen Branche unterwegs – eigentlich wollte ich mit der Fahrradbranche gar nichts zu tun haben«, erinnert der sich. Doch die Herausforderung reizte ihn. »Und Ostermann war für mich fast so etwas wie ein väterlicher Freund. Dazu kommt: Mir waren die Menschen, mit denen ich arbeite, immer schon sehr wichtig.« Und in Garrel ging es auch um 30 Angestellte, die teilweise schon lange für Roland Werk arbeiteten. Außerdem gibt es nun mal gute Zeiten und schlechte Zeiten.

E-Bike-Boom bringt ­Bewegung

Wie auch immer: Thomas Kalkhoff stieg in das Unternehmen ein. Als erstes holte er sich einen Berater hinzu. Dann fuhr er los: »Die ersten eineinhalb Jahre war ich fast nur unterwegs – Kunden besuchen, die Roland verloren hatte, oder potenzielle, die ich bekommen wollte.« Und auch sonst sollte sich einiges ändern, auch in der Branche: Der E-Bike-Boom startete 2007. Vor allem die Front- und Heckmotoren sollten damals ihren Weg ins Rad finden. Das ging wegen der flachen Winkel, die die Speichen bei den großen Naben einnehmen müssen, selten maschinell. Also konnte ein guter Laufradbauer schnell neue Kunden gewinnen. Zum Beispiel einen der größten deutschen Fahrradhersteller, der früh voll auf E-Bike setzte. »2008 ging es richtig los, und ich habe nach langem Überlegen und Rechnen die Maschinen gekauft, die eben solche Motoren einspeichen konnten,« erzählt Kalkhoff. »Wir haben uns darauf spezialisiert, der Industrie gerecht zu werden.« Bis 2011 machte man mit dem Unternehmen ein gutes Geschäft – 150.000 Laufräder im Jahr kamen oft alleine damit zustande. Dann der Paradigmenwechsel zum Mittelmotor. Der Fahrradhersteller entwickelt selbst einen solchen Antrieb – und das externe Einspeichen ist Vergangenheit. Für Roland Werk entfiel ein großer Kunde – wieder ist Umdenken gefragt, Kundenakquise. Die Spezialrad-Nische kommt noch mehr ins Blickfeld. Doch auch heute sind noch viele E-Bike- und Motorenhersteller Kunden von Roland Werk; Hersteller wie Go Swissdrive, Bionx oder Alber gehören dazu. Die Kunden kommen mit dem Wunsch nach dem passenden Laufrad und werden bei Roland Werk beraten, in puncto Einsatzbereich und Belastung des Laufrads und der daraus resultierenden optimalen Komponenten-Zusammenstellung. Apropos Belastung: »Eine ganz wichtige Sache ist für uns der Lastenrad-Trend. Hier können wir das Know-how und die praktische Erfahrung voll einbringen«, sagt Kalkhoff. Die Teilnahme an der European Cycle Logistic Conference diesen März war in diesem Zusammenhang für ihn selbstverständlich.

Jeder Auftrag individuell

Auch wenn die Nabenmotoren nicht mehr im Fokus sind: Heute stehen im Roland Werk neun Produktionslinien. Alle arbeiten mit hochwertigen Maschinen von Holland Mechanics. Ein großer Teil des Umsatzes wird auch mit Spezialgrößen gemacht: Hersteller aus der Liegerad-, vor allem aber auch der Spezialrad- und Reha-Branche. Bei zwölf bis 20 Zoll wird fast grundsätzlich per Hand gearbeitet. Natürlich abhängig vom jeweiligen »Rezept« für das zu backende Laufrad, das Roland mit dem Kunden zusammen erarbeitet.
Aber auch die Hersteller von Highend-Rädern ohne Motor mit normalen Laufradgrößen lassen gern in Garrel arbeiten: »Wer beispielsweise ein Rad mit Rohloff-Nabe für 1.000 Euro kauft, der will, dass es auch optisch perfekt ist. Und das wird es manchmal nur bei Handarbeit.« Maschinen hinterlassen beim Einfädeln nämlich gelegentlich haarfeine Kratzer auf der Felge – das kann man beim händischen Einspeichen verhindern. »Bei Herstellern im mittleren und unteren Preissegmenten ist das wie in der Automobilindustrie«, erklärt der Unternehmer. »Wenn die Stückzahlen wachsen, kaufen sie oft auch selbst Maschinen, um Geld einzusparen.«

Was ist Qualität im ­Laufradbau?

Natürlich fängt es mit den Materialien und der Qualität der Komponenten Felge, Nabe, Speichen an. Die Auswahl ist groß. Doch in Sachen Speichen arbeitet man in Garrel nur mit einem zusammen: Sapim – eine Änderung, die Kalkhoff 2007 eingeführt hatte. Zum einen geht es hier um hohe Qualität – »ich habe da einfach auch meine Perfektionsansprüche«, meint er. Zum anderen können hier, wie oft im Geschäftlichen, auch persönliche Beziehungen wichtig sein. Mit Sapims Verkaufsleiter läuft die Zusammenarbeit einfach sehr gut. »Wir geben die Laufräder auch zu Sapim ins Labor, wenn der Kunde die Belastung der Räder testen lassen will. Das ist vor allem auch bei Lastenrädern oft der Fall.« Auch ein Grund für Sapim als Wunschpartner.
Sind besonders hochwertige Räder gefragt, werden im Sportbereich auch Offset-Felgen verwendet, also asymmetrische Felgen, die eine erhöhte Speichenspannung erlauben und so verwindungssteifer sind. Das betrifft auch die hauseigene Laufrad-Marke Cito – quasi eine Wiederaufnahme der ruhmreichen Kölner Fahrradmarke. Das sind Mountainbike- und Rennrad-Laufräder im gehobenen Qualitätssegment. Die CP1 Racing für ein Fahrergewicht bis 85 Kilo gibt es ab 1.331 Gramm pro Laufrad-Satz. Im Vorderrad drehen sich 20, hinten 24 Speichen – die heute klassische Zahl. »Diese Räder haben wir vom Prüfinstitut Zedler zertifizieren lassen«, erklärt Kalkhoff. Aber auch für Fahrer bis 125 Kilo finden sich Räder im Cito-Programm.

Maschinen optimal ­einsetzen

Noch ein Qualitätsmerkmal: »Selbst, wenn bei der Produktion die gleichen Maschinen genutzt werden«, so Kalkhoff, »kommt es darauf an, wie die Maschine arbeitet. Bei unseren Programmen, die die Maschinen durchlaufen, braucht ein Laufrad mal länger als zwei Minuten, um fertig zu werden. Kommen die Räder aus der Maschine, werden sie auf Kundenwunsch per Hand abgedrückt und nochmals kontrolliert beziehungsweise händisch nachzentriert. Aus der Maschine beträgt der Höhenschlag maximal 0,3 Millimeter, nach dieser Prozedur sind wir bei maximal 0,2 Millimeter.«
Ein anderer wichtiger Punkt: die Speichenlänge. Üblich sind die Längen der Speichen in 2-Millimeter-Schritten. Bei Roland werden Speichen in 1-Millimeter-Schritten verbaut. Schließlich entstehen bei den unterschiedlichsten Nabe-Felgen-Speichenkombis die unterschiedlichsten Anforderungen und feine Längenunterschiede. Da ist schon mal die 280er zu kurz und die 282er eigentlich zu lang. Der Nippel soll ja das Speichengewinde genau umschließen. Ist das nicht der Fall, kann die Haltbarkeit leiden.
»Oft ist es so, dass Kunden zu uns kommen, wenn sie bei anderen Anbietern nicht weiterkommen – oder niemanden finden«, erzählt Kalkhoff. So kam Roland Werk auch zur Produktion der Laufräder für die ersten Smart-E-Bikes, die zum Anfang der E-Bike-Welle für Furore sorgten. Durch eine besonders smarte Konstruktion sollten die Speichennippel komplett in den Felgen verschwinden. Das machte die Laufradherstellung aufwendig und teuer, da es von außen überhaupt keinen Zugriff auf die Nippel gab. Maschinen, die diese Laufräder zentrieren konnten, gab es bis dato nicht. Also wieder ein Fall für Roland Werk. Dort wurden die Laufräder der ersten Serie von Smart-E-Bikes von Hand aufgebaut. Später blieb der Kontakt zu Bionx, dem Motorenzulieferer von Smart. Für ihn kümmert man sich in Garrel um den europäischen Ersatzmarkt. Ausgetauschte oder reparierte Motoren werden hier neu eingespeicht.

Engpässe in der Material­versorgung

Was genau auch immer es sein soll: Roland fertigt grundsätzlich auftragsbezogen und arbeitet eng mit Großhandel und kleinen OEMs zusammen. Da muss natürlich das Lager gut bestückt sein. »Das ist heute gar nicht so einfach. In China und Taiwan, wo ein großer Teil der Komponenten herkommt, haben Bestellungen aus Europa derzeit geringe Priorität, weil dort pro Monat etwa eine Million neuer Fahrräder produziert werden«, so Kalkhoff. Vor allem Leihfahrräder – dort hat man die Umweltprobleme und deren Lösungen nicht nur erkannt, man arbeitet auch an den Lösungen.
»Doch dadurch ist die Materialversorgung katastrophal. Das bedeutet für uns lange Wartezeiten. Bevorratung ist da enorm wichtig.« In der Fertigungshalle laufen die Maschinen; man hört die Motoren brummen, die Hydraulik ploppen, die Speichen klimpern.
Seine Kunden schätzen es, wie individuell das Unternehmen auf spezielle Vorstellungen eingeht, erklärt Kalkhoff; und das geht bis zur Verpackung: Die fertigen Laufräder können zum Beispiel auch papierfrei auf Reise gehen.
Gut 33 Mitarbeiter arbeiten hier. Auch der Erhalt der Arbeitsplätze ist ein Argument, um hochwertige Laufräder zu fertigen, die ihren Preis haben, wie der Unternehmer betont. »Als ich 2007 hier anfing, waren viele sehr skeptisch. Die meisten kannten mich nicht, wussten aber, dass ich nicht aus der Branche komme. Ich habe versucht, die Mitarbeiter zu halten.« Das hat geklappt. Seine Führungsstrategie: »Ich habe gelernt, die Talente der Menschen zu erkennen«, sagt er. »Ich nerve die Leute nicht mit ihren Schwächen, sondern versuche, ihre Stärken zu potenzieren.« Er selbst, der noch vor 10 Jahren wenig Lust auf die Branche hatte, arbeitet jetzt aktiv an ihrer Zukunft mit – nicht nur als Produzent: Er ist Mitglied des DIN-Normen-Ausschusses »Sport- und Freizeitgeräte, Arbeitskreis Transport- und Lastenfahrrad.«

Stabile Hinterherläufer

Das zweite Standbein, die Anhängersparte, die seit 40 Jahren Programm ist, macht etwa 20 Prozent des Umsatzes aus. Der Klassiker heißt wie das Unternehmen: der Roland.
Der Jumbo, der größte Anhänger im Angebot, hat Seitenwände aus Siebdruckplatten und kann mit 25 Kilo Eigengewicht 200 Kilogramm Ladung fassen. Im Programm findet man aber auch Reiseanhänger wie den Carrie S., auf dessen Kunststoff-Bodenplatte man sowohl die große Ortlieb-Tasche mit Clips als auch eine Reling befestigen kann. Oder der Carrie M.e: Er ist der erste tatsächlich als E-Bike-Trailer zertifizierte Anhänger. Getestet bei Velotech.de von Ernst Brust. »Wir haben nämlich festgestellt, dass feine Schwingungen, die von einem E-Motor ausgehen können, die Aufhängung des Hängers auf Dauer beschädigten«, so der Geschäftsführer. Alle Modelle gibt es in mehreren Deichselversionen wie Hochdeichsel oder Tiefdeichsel und Deichsel mit klassischer Weberkupplung. Fast immer sind die Hänger modular aufgebaut und um viel Zubehör ergänzbar. Und: Sonder- und individuelle Anfertigung ist Trumpf! So entwickelte ein Ingenieur im Auftrag von Roland Werk einen Anhänger-Riesen mit 150 Kilogramm Tragkraft speziell für die Abfallwirtschaft – im Handbetrieb kann er sogar bis zu 300 Kilogramm tragen. Wichtigstes Feature neben dem stabilen Stahlrahmen und der Ladefläche von knapp zwei Metern: die Auflaufbremse, die über die Deichsel ausgelöst wird. Sie dient auch als Feststellbremse und öffnet die Bremsbacken an den beiden Scheiben erst, wenn Zug auf der Deichsel ist. Kinderanhänger baut Roland nicht, aber das Ad+Bike: Ein Anhängerrad zum Mittreten, das am eigens dafür entwickelten Gepäckträger befestigt wird.
Gewerkelt wird an allen Ecken und Enden. Kalkhoff und sein Team arbeiten mit Energie und Kreativität daran, das individuelle Laufrad zu perfektionieren – in die Richtung, wie der Kunde es braucht. Hochwertige Qualität kostet, das wird der Unternehmer nicht müde zu sagen. Aber es lohnt sich, davon ist er nach wie vor überzeugt.

9. Oktober 2017 von Georg Bleicher

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