"We are family": Die Lenker-Dynastie an der Ruhr
Humpert: Wie der Spätzünder zum Branchen-Primus wurde
Wenn in den letzten zwei Jahrhunderten an bestimmten Orten Deutschlands Zentren der Fahrradindustrie entstanden sind, hatte dies meist eine Vorgeschichte. In Bielefeld war es beispielsweise die dortige Textilindustrie, die Hersteller von Näh- und Webmaschinen anlockte, die wiederum um die vorletzte Jahrhundertwende mit der Produktion von Fahrrädern starteten.
Das Ruhrstädtchen Wickede hingegen ist traditionell ein Standort der Stahlrohrindustrie. Und aus deren Rohrresten bediente sich in den letzten rund hundert Jahren eine zeitweise florierende Fahrradteileindustrie. Bis zu elf Hersteller von Fahrradlenkern und Sattelstützen zählte Wickede noch bis vor ein paar Jahrzehnten, darunter bekannte Namen wie Friko und Ruhrwerk. Geblieben ist nur ein Name: Humpert.
Dabei stand das Familienunternehmen in seiner Geschichte auch das eine oder andere Mal wirtschaftlich auf der Kippe. Etwa am Übergang von den Sechziger in die Siebziger Jahre. Willi Humpert II stand zu dieser Zeit schon über 30 Jahre an der Spitze des Familienunternehmens; sein unternehmerischer Elan war in Folge wohl schon etwas erschöpft. Zudem war das Werk in der Ortsmitte von Wickede für weiteres Wachstum zu klein und zudem veraltet.
Die Zeit war reif für einen Generations- und Ortwechsel. Der vor wenigen Jahren verstorbene Willi Humpert III und sein Bruder Wolfgang übernahmen 1972 die Lenkung des Unternehmens. Zudem versüßte die Gemeinde den Standortwechsel an den Ortsrand mit Umzugshilfen.
Nach dem Neuanfang ging es rasch wieder aufwärts. Um das Wachstum zu bewerkstelligen, musste die Werksfläche schon bald nach dem Umzug mehrfach um einige tausend Quadratmeter erweitert werden. Platz genug war ja nun nach dem Umzug vorhanden.
Doch es sollte noch einige Jahre dauern, bis der zunehmende Absatzerfolg von Humpert auch zu einem selbstbewussteren Auftreten im Markt führte. Eine erste Idee vom künftigen Weg der Firma Humpert konnte man 1983 gewinnen, als der Designer Colani beauftragt wurde, neue Konzepte für Fahrradlenker zu zeichnen. Dessen damalige Zeichnungen sind heute noch in der Humpert-Zentrale ausgestellt. Sie zeigen viele Ideen, die heute Standard am Fahrrad sind – etwa ergonomische Lenkergriffe und Vorbauten mit positivem Winkel (statt der bis dahin üblichen abfallenden Rennradvorbauten). Doch die Entwürfe mit den für Colani typischen organischen Formen waren mit den damaligen Fertigungsmöglichkeiten bei Humpert, aber wohl auch insgesamt in der Fahrradindustrie, noch nicht umsetzbar.
Erst ein paar Jahre später machte man sich bei Humpert wieder an innovative Lenkerentwürfe: Als das Unternehmen 1986 erstmals auf der IFMA ausstellte, war im Gepäck nicht nur ein neuer Markenauftritt, sondern auch ein (Lenker-)Beitrag zum damaligen Design-Projekt „Das Fahrrad 1986“: der Kunststoff-ummantelte Lenker Biowing und dazu passend der erste Vorbau mit zweigeteilter Klemme. Zwei Jahre später ging daraus der mittels hydrostatischer Verformung hergestellte Lenker Aerowing hervor - Produkte, mit denen Humpert nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch insgesamt in der Branche ein modernes Lenkerzeitalter einläutete.
Der aus heutiger Sicht aber wohl wichtigste Wandel im Unternehmen fand noch ein paar Jahre später statt: 1992 brach Wolfgang Humpert zusammen mit seinem Neffen Willi Humpert IV zur ersten Taiwan-Reise auf. Ziel der Reise war, die Chancen zur Zusammenarbeit mit den dortigen Mitbewerbern zu sondieren. Ein bemerkenswerter Schritt: Für die deutsche Fahrradteileindustrie war Taiwan zu dieser Zeit Feindesland, eine Kooperation mit der asiatischen Konkurrenz bis dahin undenkbar.
Doch selbst wenn die ersten Verhandlungen mit den Taiwanern mangels Sprachkenntnissen auf beiden Seiten noch überwiegend mit Händen und Füßen geführt wurden, war für die Humperts schnell klar: Als Unternehmen können wir nur mit, nicht gegen Asien überleben. Sie sollten Recht behalten: Das Trading mit Asien macht heute über Tochterunternehmen in Taiwan und China rund 40 % des Gesamtumsatzes von Humpert aus. Daneben hat das Unternehmen aber auch selbst als Hersteller überlebt: Zwar ist das einstige Produktionsvolumen von jährlich 4,5 Millionen Lenkern auf inzwischen 2,5 Millionen zurückgegangen, doch damit ist Humpert wohl der einzige verbliebene Lenkerhersteller dieser Größenordnung in Europa. Wenn heute etwa ein niederländischer Fahrradhersteller einen Hollandrad-Lenker mit angelötetem Schaft in Europa beschaffen will, kommt er an Humpert kaum vorbei. Selbes gilt auch für andere klassische Lenker-Formen, wie NSU- und Toulouse-Bügel, Stuttgarter- oder Diamant-Lenker.
Generation IV und viele neue Ideen
Der Erfolg von Humpert lässt sich aber auch nicht alleine an der Öffnung Richtung Asien fest machen. Die prägende Figur im Unternehmen war in den letzten Jahren Willi Humpert IV, der nach Studium, „Lehrjahren“ bei einem Automobil-Zulieferer und Diplom-Arbeit beim benachbarten Unternehmen Union Fröndenberg 1993 ins Unternehmen einstieg und 1998 die Geschäftsführung sowie auch die Mehrheit der Gesellschaftsanteile übernahm. Mit einem dafür gewährten Existenzgründerdarlehen konnten damals dringend notwendige Investitionen zum Ausbau der Fertigungskapazität getätigt werden.
Der Urenkel des Firmengründers brachte jedoch nicht nur frisches Kapital in das Unternehmen, sondern auch neue Ideen und moderne Management-Methoden. Das eine oder andere Mal werden sich die verschiedenen Generationen in der Familie Humpert dabei auch aneinander gerieben haben. Überliefert ist beispielsweise die Auseinandersetzungen mit den Eltern zur Frage, ob der Geschäftsführer des Unternehmens eine Assistentin benötigt. Willi Humpert jun. setzte sich durch und warb die Chefsekretärin seines früheren Arbeitgebers Union Fröndenberg ab. Aus der zunächst nur beruflichen Liaison entwickelte sich übrigens bald auch eine private Verbindung: Inzwischen sind Willi und Sonja Humpert seit über zehn Jahren verheiratet.
Mehr noch als an Personalfragen dürften die Meinungen jedoch bei der Marktpositionierung des Unternehmens auseinander gegangen sein. Wer sich mit Willi Humpert über diese Zeit unterhält, hört zwischen den Zeilen, dass es manchmal wohl mühsam gewesen ist, Eltern und Onkel von mutigeren Wegen bei Vertrieb und Marketing zu überzeugen. O-Ton Willi Humpert: „Es ist nicht gerade einfach, einen Familienbetrieb zu führen.“ Doch schlussendlich setzte sich die jüngste Humpert-Generation mit ihren Vorstellungen durch, die das heutige modernde Bild des Unternehmens prägen.
Mut zu neuen Wegen
Zum Bild der Firma Humpert in der Fahrradbranche zählen vor allem auch innovative Produktneuheiten, wie das mehrfach verstellbare Lenkersystem AHS. Eine wichtige Triebfeder im Unternehmen für diese und andere Entwicklungen ist Rolf Häcker, der 2001 als technischer Leiter von Shimano-Importeur Paul Lange zu Humpert wechselte und seitdem im in Stuttgart gegründeten Entwicklungszentrum regelmäßig innovative Ideen in neue Produkte umsetzt. Zudem ist Häcker auch bei den Trading-Aktivitäten involviert, insbesondere wenn ausgefallene Komponenten für europäische Kunden in Asien realisiert werden sollen.
Eine weitere wichtige Strategie, die der vierte Humpert an der Unternehmensspitze einleitete, war auch, die Abhängigkeit von der Fahrradbranche durch neue Aktivitäten zu verringern. Vor allem die Lohnoberflächenveredelung ist hier zu einem wichtigen Standbein geworden. Geleitet wird dieser Bereich von Willi Humperts Bruder Ralf. Sein Hauptkunde ist die Automobilindustrie.
Wenn man Ralf Humpert fragt, ob er den Einstieg ins automotive Business heute noch mal wagen würde, kommt die Antwort erst mit Verzögerung. 2005 wurde ein galvanisches Werk im nahe gelegenen Iserlohn übernommen, um von dort die Kunden in der Automobilindustrie zu bedienen. Inzwischen werden dort täglich rund 25.000 Kopfstützenbügel verchromt, vor allem für Audi aber auch für BMW/Mini, Kia, Ford und Opel. Doch der Weg dahin war steinig und teuer. Zum einen, weil die Qualitätsansprüche von Firmen wie Audi oder BMW extrem hoch sind, zum anderen aber auch weil Verhandlungen und Kundenbeziehungen mit diesen Abnehmern um einiges schwieriger sind als in der Fahrradindustrie.
Die finanziellen Belastungen beim Aufbau des neuen Standbeins als Automobil-Zulieferer waren hoch. Doch schlussendlich habe sich dieser Schritt wohl gelohnt: Rund 25 % des gesamten Umsatzes erwirtschaftet Humpert inzwischen mit dem Bereich Lohngalvanik. Und es gibt noch einen Nebeneffekt: „Wenn wir potenziellen Kunden sagen, dass wir für Audi verchromen, erübrigen sich alle weitere Fragen über unser Qualitätsniveau“, erklärt Willi Humpert.
90 Jahre - und kein bisschen leise
Wenn Ursula und Wolfgang Humpert in wenigen Tagen mit rund 300 Gästen das 90ste Firmenjubiläum und ihren Abschied aus der aktiven Unternehmensführung feiern, hinterlassen sie ein Unternehmen, das in Deutschland zu einem exklusiven Kreis zählt. Nämlich zu jenem Kreis deutscher Fahrradteilehersteller, dem es gelungen ist, sich mit Innovationen und gelungener Vermarktung in einem immer schwierigeren Markt erfolgreich zu behaupten.
In die Fußstapfen von Wolfgang Humpert wird Jens Stahlschmidt treten, der schon seit einigen Jahren die Bereiche Key-Accounts und Einkauf als Prokurist zusammen mit Humpert lenkt. Und in die Rolle des Vertriebsleiters ist schon im vorigen Jahr der von Grofa kommende Thomas Stagat geschlüpft.
Auch für Ursula Humpert und die von ihr verantworteten Bereiche Finanzen und Controlling konnte ein kompetenter Nachfolger gefunden werden: Hier wird künftig Sven Jenner die Aufgaben übernehmen, der nach Stationen bei Mifa, in der Automobilindustrie und bei Point Anfang des Jahres zu Humpert wechselte.
Und auch für die vierte Humpert-Generation gehen die Aufgaben nicht aus. Auf der To-Do-Liste von Willi Humpert steht etwa eine neue Organisation der Lenkerproduktion mit kürzeren Wegen und einem effizienteren Personaleinsatz. Zudem verlangen die Aktivitäten im Ausland mehr Aufmerksamkeit: Die Wachstumsmöglichkeiten in den traditionellen Absatzmärkten in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Skandinavien sind weitgehend ausgereizt. Nun sollen die Fühler über die eigenen Tochterunternehmen in Asien auch Richtung Amerika ausgestreckt werden. Und auch beim Einkauf brechen die Humperts zu neuen Ufern auf: Willi Humpert ist beispielsweise gerade erst von einer Reise nach Vietnam zurückgekehrt, um dort die Standortbedingungen zu prüfen.
Und dann ist da noch die erst im vergangenen Herbst vereinbarte Zusammenarbeit mit dem italienischen Mitbewerber Modolo, dessen sportliche Produkte noch etwas mehr Glanz und Gloria ins bisher eher konservative Humpert-Sortiment bringen sollen.
Das Motto der Feierlichkeiten zum 90sten Jubiläum lautet: „We are family“. Wer das Unternehmen näher kennen lernt, weiß, dass damit nicht nur die Familie Humpert im engeren Sinn gemeint ist.
Fakten zu Humpert
Das Familienunternehmen Humpert macht keine Angaben zum Umsatz. Er dürfte jedoch insgesamt bei knapp über 20 Mio. EUR liegen.
Den größten Umsatzanteil (rund 40 %) erzielt Humpert mit dem Import von Handelsware aus Asien. Diese Produkte werden unter den eigenen Marken X-Tas-Y und X-Act im Aftermarket sowie als OE-Ware an Fahrradhersteller vertrieben.
Je 25 % des Umsatzes erzielt Humpert mit der Lohngalvanik sowie mit der eigenen Herstellung von Fahrradkomponenten.
10 % des Umsatzes werden mit der Herstellung von Rohrkomponenten u. a. für die Möbel- und Ladenbau-Industrie erwirtschaftet.
Der Exportanteil am Umsatz beträgt rund 40 %.
Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 160 Mitarbeiter, davon 110 in Wickede, 40 in Iserlohn, 5 in Taiwan und 3 in einem QS-Büro im Shenzhen.
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