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Wirtschaftlicher Abschwung in Deutschland

Fahrradbranche sieht sich für die kommenden Aufgaben gerüstet

Selten zuvor war die wirtschaftliche Entwicklung so schwierig zu prognostizieren wie in diesem Jahr. Da macht auch eine Prognose der Perspektiven in der Fahrradbranche keine Ausnahme. Eine abflauende Wirtschaft mit einem Verlust von Arbeitsplätzen wird negative Einwirkungen auf den privaten Konsum haben, da sind sich Vertreter aus Fahrradindustrie und Händlerverbänden in einer aktuellen Umfrage von velobiz.de einig. Bislang sei davon zwar noch wenig zu spüren, doch die Rezession wird sich auch im Fahrradverkauf bemerkbar machen. Wenn auch nicht so stark wie in anderen Branchen: „Bei normalen Wetterbedingungen wird sich die Jahresabsatzmenge nur geringfügig ändern“, meint beispielsweise Derby-Cycle-Chef Mathias Seidler. Auch Giant-Deutschland-Frontmann Oliver Hensche geht im schlimmsten Fall von einem Rückgang des Marktvolumens im einstelligen Prozentbereich aus. Trotzdem, so ist zwischen Zeilen zu lesen, wird man den Markt genau beobachten und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen einleiten.

Oliver Hensche, Giant Deutschland

Erstens erwarten wir eine sinkende Nachfrage auf Endkundenseite. Zur Jahresmitte wird der Arbeitsmarkt auf die Krise reagieren. Die abgezogene Kaufkraft wird im Handel spürbar. Die verbleibende Kaufkraft wird eher für Ersatzinvestitionen eingesetzt. Geplante Neuanschaffungen werden auf später verschoben. Um diesen Effekt so gering wie möglich zu halten, werden wir in Kürze mit unseren Handelspartnern regionale Abverkaufsprogramme auflegen.
Zweitens haben Hausbanken die Kapitalbeschaffung für Geschäftskunden wesentlich restriktiver gestaltet. Dies wird Auswirkungen auf die Liquidität im Handel haben. Als Folge dieser Finanzierungslücke steigt die Gefahr von Insolvenzen. Hier greift unser Konzept der Planungsorder, welche dem Handel auch während der laufenden Saison eine stetige Anpassung an die Marktverhältnisse ermöglicht.
Zusätzlich drückt die Wechselkursproblematik auf bestehende Preisgefüge, so dass spätestens für die kommende Saison Preiserhöhungen realisiert werden.

Wir haben uns auf verschiedene Szenarien eingestellt und die entsprechenden Maßnahmenpakete erarbeitet. Im „worst case“ gehen wir von einem Rückgang des Marktvolumens im einstelligen Prozentbereich aus. Im Wesentlichen geht es uns um Absicherung und Förderung.
Absicherung gegenüber finanziellen Risiken auf Handelsseite – dies geschieht unter anderem durch eine stetige Anpassung der Planungsorder an die tatsächlichen Marktverhältnisse. Hiermit können hohe Lagerbestände im Handel vermieden werden. Zudem machen wir uns selbst „wetterfest“, indem z.B. einzelne Investitionen zurückgestellt bzw. konservativer geplant werden. Keine Einschränkung machen wir in der Fortführung unserer Shop-in-Shop-Strategie. Hier wird weiter expandiert.

Förderung: Hier geht es um die Belebung der regionalen Nachfrage. Gemeinsam mit unseren GSI-Partnern werden „Konjunkturpakete“ geschnürt, die ihre Wirkung kurzfristig entfalten müssen. Wie das im Einzelnen aussieht, wird im Rahmen der anstehenden Händler-Stammtische erarbeitet.
Gerade unter diesen Vorzeichen benötigt der Handel einen stabilen und starken Partner. Die finanzielle Stärke und die globale Präsenz von Giant werden dem Handel zugute kommen.

Mathias Seidler, Derby Cycle Werke

Die Fahrradbranche in Deutschland hat sich in den letzten acht Jahren von der generellen Einzelhandelsentwicklung relativ stark abgekoppelt. Die volkswirtschaftlichen Prognosen für den Konsum sind auch verhalten positiv im Gegensatz zu negativen Vorzeichen im Export. Auch in rezessiven Jahren haben wir Umsatzsteigerungen erzielt wie z.B. in 2003. Grundsätzlich ist für das Outdoorprodukt Fahrrad das Wetter entscheidender als die Konjunktur, die eher einen Einfluss auf den Durchschnittspreis hat. Bei normalen Wetterbedingungen gehen wir davon aus, dass sich die Jahresabsatzmenge in Deutschland nur geringfügig ändert, der Hochpreisbereich aber eventuell stärker als andere Preise betroffen sein wird.
Wir haben die Prognose für die Nachlieferungen im zweiten Quartal etwas angepasst und die Vorratshaltung im Teilebereich ebenso reduziert. Weitere Maßnahmen werden nur getroffen, wenn wir wirkliche Nachfragereduzierungen feststellen. Im Moment ist dies noch nicht der Fall.

Markus Lehrmann, VDZ

Die "Krise" wird bisher nur prognostiziert, der Zweiradhandel ist noch unbeeinflusst. So sind die Umsatzzahlen im Zweiradhandel in den letzten Monaten im Vergleich zum Vorjahr eher durch den scharfen Winter beeinflusst, als durch die Rallye der schlechten Nachrichten. Das Weihnachtsgeschäft lief zufriedenstellend. Damit wird deutlich, dass die Psychologie trotz der belastenden Nachrichtenlage nicht über den Zustand der Geldbörse siegen konnte. Das ist bemerkenswert, war doch in den vergangenen Jahren die Geizwelle stärkster Bremsschuh für den Konsum. Diese Feststellung ist sehr erfreulich und hilft dem Zweiradhandel derzeit über die Wintermonate. Wir hoffen von diesem Rückenwind noch lange profitieren zu können.

Damit sieht die Branche dem Frühjahr 2009 optimistisch entgegen. Die konjunkturellen Auswirkungen werden den Handel erst spät treffen, sodass das erste Halbjahr im Zweiradhandel unserer Einschätzung nach erfolgreich verlaufen wird. Erst in der zweiten Jahreshälfte wird sich der Absatz voraussichtlich abkühlen. Die Intensität ist derzeit noch nicht seriös abschätzbar.

Die Zweiradhändler sollten kritisch prüfen, welche Rationalisierungsmöglichkeiten im Verkauf und Service möglich sind. Zudem sollten alle Möglichkeiten der Kundenbindung genutzt werden. Vor allem aber sollten Service und Beratung groß geschrieben werden. Nur wer seine Kunden emotional und fachlich erreicht, wird zufriedene Kunden erleben, die auch in schwierigen Zeiten konsumieren. Denn zum "Return on invest" gehört immer auch ein "Return on emotion".

Alber Herresthal, VSF

Grundsätzlich halte ich die von der Finanzblase ausgelöste aktuelle Wirtschaftskrise für gravierend. Selten wurden die grundlegenden Defizite unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems so offenkundig.
Zugleich erwächst daraus die Chance für Kurskorrekturen. Das aktuelle Konjunkturprogramm II lässt allerdings massive Zweifel (siehe Abwrackprämie für Altautos) am Weitblick unserer Regierung aufkommen.

Alle Prognosen zur weiteren Entwicklung der Finanzkrise - von Steinbrück bis Ackermann - haben sich bisher als falsch heraus gestellt. Deshalb wird sich der VSF mit allzu Prophetischem zurück halten. Wir sind und bleiben aber recht entspannt.

Mögliche Maßnahmen für den Handel: Eigenkapitalquote nach Möglichkeit erhöhen, ggf. durch private Kredite, um mehr Spielräume gegenüber den Banken zu gewinnen.

Adrianus Roest, Biretco

Fest steht wohl, dass das Jahr 2009 ein Jahr der Stagnation werden wird. In enger Zusammenarbeit werden nicht nur die europäischen Länder, sondern weltweit alle Länder Maßnahmen ergreifen müssen: z.B. zur Stimulierung der Wirtschaft die Zinsen senken und die Banken dazu bewegen, die benötigen Kredite, insbesondere für den Mittelstand zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist hier, dass der Händler rechtzeitig die Bilanz und einen fundierten Unternehmerplan vorlegen kann. Denn viele Händler wissen nicht mal, wie gut oder wie schlecht sie dastehen.

Die Grundursache der Finanzkrise ist darin zu suchen, dass zu viele schlecht abgesicherte Darlehen vergeben wurden, ganz extrem in Amerika, und durch die ganzen Vernetzungen und Teilungen der diversen Fonds etc. auf unsere Banken diese auch auf uns Einfluss hat. Das muss in der kommenden Zeit korrigiert worden. Das Reparieren der Bank-Bilanzen wird Zeit kosten und trägt bereits jetzt dazu bei, dass die Banken nicht großzügig bei der Vergabe von Krediten in Richtung Industrie und sicherlich nicht des Einzelhandels sind. Der Endverbraucher wird unsicher, der Unternehmer wird seine Investitionen herunterschrauben, Arbeitsplätze sind dadurch gefährdet. Das alles führt zu einer Negativspirale.

Für Deutschland erwarte ich eine mildere Rezession, weil der Durchschnitts-Deutsche nicht so verschuldet ist wie zum Beispiel der Amerikaner. Für die Fahrradbranche speziell sehe ich trotz Finanzkrise positive Tendenzen.

Die heute ältere Generation hat häufig noch ein gut gefülltes Sparkonto und diejenigen, die ihren Job haben und behalten, werden durch die Finanzkrise weniger berührt, voraussichtlich etwas vorsichtiger einkaufen.

Radfahren ist in guten Zeiten notwendig für die Gesundheit und Freizeitspaß. In schlechteren Zeiten ist Radfahren die Kosten sparende Alternative zum Auto und öffentlichen Nahverkehr. Das Auto wird immer schwieriger zu benutzen in den Innenstädten, auch aus ökologischen Gründen. Die Infrastruktur für die Radfahrer wird mehr und mehr ausgebaut, was die Attraktivität des Fahrrades weiter steigert. Wichtig ist, dass die Fahrradlobby auf Investitionen in diesem Bereich hinweist, da dieses Arbeit mit sich bringt und zum Wirtschaftswachstum beiträgt

Nach wie vor werden auch im kommenden Jahr Fahrräder verkauft, die Frage ist wo der Endverbraucher sein Rad kauft. Ich bin überzeugt davon, dass der Fachhändler, der sein Geschäft als der Fahrradspezialist vor Ort zu promoten weiß und das auch in seinem Erscheinungsbild darstellt, letztendlich das Rennen machen wird.

Der Fachhändler, der in Chancen denkt und nicht in Bedrohungen, wird auch diese Situation meistern. Nur aus Problemen entstehen die Lösungen. Wir als Biretco werden unsere angeschlossenen Händler in dieser schwierigen Zeit mit notwendigen Maßnahmen auch im Marketingbereich unterstützen.

Generell gilt: Händler sollten gut auf ihr Sortiment achten - manchmal ist weniger mehr, das heißt nicht zu viele Lieferanten und eine möglichst hohe Umlaufgeschwindigkeit der Waren realisieren. Es ist manchmal billiger, etwas nicht zu verkaufen als alles führen zu wollen.

Sicher ist, dass eine Reihe Federn lassen müssen, aber auch dieser Krise geht vorbei und hinterher wird die Branche stärker weiter gehen können.

26. Januar 2009 von Jürgen Wetzstein

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