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Custom Made mit der Marke Velo de Ville ist für AT Zweirad ein wichtiges Standbein.
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VOM GROSSHÄNDLER ZUM CUSTOM-MADE-HERSTELLER

AT-ZWEIRAD: MÜNSTERLÄNDER MIT EXPANSIONSPOTENZIAL

In der Nachbarschaft der bekanntesten Fahrradstadt Deutschlands sitzt ein Unternehmen, das 25.000 Räder jährlich produziert und in der Branche durchaus bekannt ist. In der Öffentlichkeit wird es bislang wenig wahr genommen. Letzteres soll sich jetzt ändern.

Custom Made mit der Marke Velo de Ville ist für AT Zweirad ein wichtiges Standbein.4000 qm stehen am aktuellen Standort zur Verfügung. Nun wird im expandierenden Unternehmen über eine Erweiterung nachgedacht.Volker Thiemann, Sohn von Firmengründer Albert Thiemann, führt das Unternehmen seit 1993.Die Installation einer eigenen Pulveranlage war 1998 ein wichtiger Wegbereiter für das Custom-Made-Geschäft.12 Mitarbeiter fertigen am Band die Custom-Made-Fahrräder.Rund 25.000 Fahrräder verlassen in Altenberge jährlich die Werkshallen.Andreas Kiefer kümmert sich als Produkt-Manager auch um den reibungslosen Ablauf der Just-in-Time-Fertigung.

„Persönlich und einzigartig“ titelt der aktuelle Katalog von Velo De Ville. Individualisierung ist heute ein Punkt, der für viele anspruchsvolle Radkäufer immer wichtiger wird: Vorlieben für bestimme Komponenten, spezielle ergonomische Technik, die eine rundum harmonische Beziehung zwischen Bike und Biker versprechen.
Viele Endkunden lernen die Custom-Made-Marke aus dem Münsterland gerade erst kennen. In der Branche ist der Hersteller dagegen schon seit langem bekannt: Die AT-Zweirad GmbH gibt es seit 45 Jahren – auch wenn damals in Altenberge alles noch ganz anders aussah. „Eigentlich sind wir zum Custom-Made-Fahrradbau gekommen wie die Jungfrau zum Kinde“, sagt Volker Thiemann, einer der zwei geschäftsführenden Gesellschafter von AT-Zweirad. „Am Anfang war der Fahrrad-Großhandel meines Vaters, 1966 gegründet, damals noch in Kooperation mit einem Partner, der aber in den 70-ern ausstieg.“ Der Vater hieß Albert, womit auch der Name der Firma schnell geklärt war. Vater Thiemann baute 1982 am heutigen Standort eine neue Werkshalle mit etwa 2000 Quadratmetern Fläche. Das Geschäft lief, bislang war man in Altenberge der Großhandelspartner für den klassische Wald- und Wiesen-Sektor und freute sich über Handelskontakte weit über das Münsterland hinaus. Jetzt sollte AT wachsen. Die Geschäftsidee dazu: Selbst zum Hersteller werden und Fahrräder in feiner gestaffelten Rahmengrößen als bislang üblich anbieten. Als Partner im Rahmenbau boten sich etwa deutsche Schmieden wie Jäckel und Heidemann an. Thiemann setzt sich mit Händlern zusammen: Worauf kommt es ihnen an, was wollen die Kunden genau? So entstehen bei AT-Zweirad die ersten Händlermarken.

Neue Ausgangsbasis, neue Möglichkeiten

1993, nach dem BWL-Studium, tritt der Sohn Volker ins Unternehmen ein. Ab jetzt wird der Großhandel nach und nach zurückgebaut. Mehr Fertigungstiefe, heißt die Devise für das Unternehmen. Mittlerweile wachsen die Hallen auf etwa 4000 Quadratmeter an. „Ein enorm wichtiger Schritt zum eigentlichen Fahrrad-Hersteller war für uns aber die Anschaffung einer Pulverbeschichtungsanlage 1998“, erzählt Volker Thiemann. Aus 14 Farben kann der Kunde derzeit wählen.
Der zweite wichtige Schritt hin zu Custom Made war die Übernahme des Herstellers und früheren Partners Recker im Jahr 2000. Der hatte vorher Süddeutschland beliefert, während AT auf den Norden beschränkt war. Nun wurde der Grundstein gelegt für eine Ausweitung des Geschäftes nach Süden. Heute gibt es auch einige gute Handelsverbindungen ins europäische Ausland.
Die mittlerweile aus Taiwan und seit einigen Jahren auch aus China kommenden Rahmen sind chromatiert, haben also bereits eine Anti-Korrosions-Schicht als Grundlage für die weiteren Farbschichten und werden hier aufwändig gepulvert und anschließend komplettiert. Bis zu 180 Fahrräder verlassen täglich die Firma per Spediteur. Produktmanager Andreas Kiefer erklärt: „Wir arbeiten hier ohne Lager, die Räder werden auf einen fixen Liefertermin hin produziert und gehen dann direkt raus.“ Die Just-in-Time-Produktion spart Platz und Zeit und damit natürlich auch Kosten.

Montage: Alles in Fluss

Dazu muss der Produktionsablauf noch reibungsloser ablaufen als bei vergleichbaren Systemen, die mit flexibler Lagerung arbeiten. Auch wer sich damit nicht auskennt, sieht schon beim Gang durch die Halle: Hier herrscht eine durchdringende Organisation, alles ist ganz akkurat genau da, wo es hingehört, dunkle Ecken mit vermeintlich „Zwischengelagertem“ gibt es nicht. Alles ist dort, wo es sein soll, schließlich gilt es den neudeutschen „Workflow“ einzuhalten. Das ist ohne Fließbänder bei dieser Produktionsmenge nicht mehr zu machen: Auf einem drehen sich die nackten Rahmen nacheinander um die Pulverbeschichtungsanlage, die sie, je nach Aufwendigkeit der Lackierung, dreimal passieren. Dann geht’s erst einmal runter vom Band, die Dekors werden aufgeklebt, danach geht der Rahmen zum einziehen der Kabel und Züge und in die Vormontage. Die Laufräder werden nach dem Vorspeichen per Hand vom Automaten zentriert. Wenn Sie am Rad sind, kommt das Ganze wieder auf ein Montageband: Alle restlichen Komponenten werden „im Vorbeifahren“ von den 12 speziell geschulten Monteuren und Monteurinnen, die rings um das Band stehen, angebracht. Dabei baut jeder Mitarbeiter immer die gleichen Komponenten-Typen – zum Beispiel den Sattel – aufs Rad. Hier sind die Sorgfalt und die genaue Beachtung des Laufzettels, den jedes Rad mit sich führt, besonders wichtig. Bei den Custom-Rädern von Velo De Ville gleicht kaum ein Rad dem anderen, Montageroutine kann sich also gar nicht einstellen. Jeden bei Velo De Ville erhältlichen Sattel muss also der Sattel-Monteur in ausreichender Menge verfügbar haben – in den Regalen hinter dem Band ist entsprechend immer Bewegung; fehlt eine Komponente, kommt das Band ins Stocken.
Nach der Kontrolle warten die Rad-Kartons und an der Rampe steht bereits der Container zur täglichen Versendung.

Näher an den Endkunden

Etwa 50 Prozent der 25.000 in Altenberge jährlich montierten Räder fallen auf die Marke Velo De Ville, die andere Hälfte trägt Händlerlabel oder ist für Verleiher bestimmt – auch letztere sind ein wichtiges Standbein für AT-Zweirad (Lesen Sie dazu auch den kommenden Beitrag in veloTouristik.biz 2/2011). 70 Mitarbeiter braucht AT-Zweirad für diese Produktion in der Hochsaison.

Mit dem Namen Velo De Ville, der ursprünglich ein Antriebskonzept von Thun benennen sollte, will man in Zukunft stärker ins Bewusstsein der Endkunden rücken. „Bisher haben wir die Marke in den vier bis fünf Jahren ihrer Existenz kaum beworben“, so Thiemann. Das ändert sich jetzt. Anzeigen in Fachzeitschriften und mehr Marketinganstrengung sollen den klangvollen Namen weiter bekannt machen. „Schließlich sehen wir uns damit in einer besonderen Nische: Wir machen echte Custom-Bikes zu einem ungewöhnlich günstigen Preis“, erklärt der AT-Chef das Alleinstellungsmerkmal von Velo De Ville. Und das kann sich sehen lassen, wie auch der umfangreiche Konfigurator im Internet zeigt: Jugend-, City-, Trekking-, Reise-, Trekking- und Sporträder lassen sich hier in fast unzähligen Wunschvarianten zusammenstellen; ein eigener Unterpunkt „Beratung“ mit einem Glossar klärt dazu alle wichtigen Fragen zu den einzelnen Komponenten und deren Auswirkungen aufs neue Bike. „Manche Kunden kommen schon mit dem Ausdruck des fertig konfigurierten Rads zum Händler“, erzählt Thiemann. „Aber grundsätzlich ist ja der Händler auch dafür da, in Sachen Komponenten zu beraten.“

Lifestyle und Leasing

Auch in den Cross-Bereich ist AT-Zweirad jetzt vorgestoßen. Und in Zukunft könnte es vielleicht auch Mountainbikes geben – allerdings nicht unter dem Label Velo De Ville; der Name ist vor allen den genannten, nicht so stark dem modischen Wandel unterliegenden Fahrradklassen vorbehalten. Dass Lifestyle bei Velo De Ville trotzdem schon eine wichtige Rolle spielt, erkennt man wenn man die aktuellen Kataloge durchblättert; Wellness, Genießen und gesundes Leben bestimmen hier die Bildersprache.
Neben der heute schon verbauten Elfgang-Alfine wird es 2012 auch Räder mit Nuvinci-Nabe von Velo de Ville geben, kündigt der Produktmanager an – zu sehen vielleicht schon auf der Eurobike 2011, wo Velo De Ville zum zweiten Mal vertreten sein wird.

Zunehmend wichtiger werden auch Pedelecs: Schon haben gut ein Sechstel der 25.000 abgesetzten Räder elektrischen Rückenwind – wenn auch im Vorderrad. „Ohne E-Bikes geht es gar nicht mehr“, weiß man bei Velo De Ville. Bisher konnte man sich ein Sport-, City- oder Trekkingrad mit Frontmotor zusammenstellen. „Bei uns ist eher die Rücktritt-Fraktion am E-Bike interessiert“, sagt Thiemann, „daher die Lösung mit Frontmotor von TranzX.“ Ab nächstes Jahr soll es aber auch Modelle mit Mittelmotor geben – wahrscheinlich von Bosch. Außerdem denkt man in Altenberge darüber nach, auch Verleihern die Vorzüge der Motorunterstützung nahe zu bringen. Hier könnte Leasing, vielleicht mit einem speziellen Leasing-Fachpartner, eine günstige Möglichkeit sein.

Kein Wunder, dass Thiemann über eine neuerliche Erweiterung der Hallenfläche nachdenkt. Die Zeichen stehen auf Expansion: Während AT-Zweirad mit Händlermarken, Verleih-Partnern und der Marke Velo De Ville gerade in der Mitte und dem Norden Deutschlands schon recht gut vertreten ist, bemüht man sich gerade, in Süddeutschland noch weiter Fuß zu fassen. Und der Fahrradtrend inklusive E-Bikes wird weitergehen, da ist Thiemann sicher. Wer in der Nähe von Münster lebt, bekommt schließlich ständig vor Augen gehalten, wie gut das Verkehrsmittel Fahrrad funktioniert, wenn die Infrastruktur stimmt.

20. Mai 2011 von Georg Bleicher

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