Verkehrsexperte Linder beim ZIV:
Demografie bereitet den Fahrrad-Weg zur Nahmobilität
Als Vordenker der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Städte NRW (AGFS) und als Berater vieler Städte und Kommunen ist Franz Linder mit seiner Agentur P3 ganz nah dran, wenn es um die Frage der verkehrspolitischen Zukunft des Fahrrads geht. Und die sieht der Kölner sehr positiv: „Die Wissenschaft ist sich darin einig, dass es in Deutschland durchaus machbar ist, den Radverkehrsanteil auf 20 % zu steigern“, sagte Linder seinen Zuhörern vom Zweirad-Industrie-Verband. Zum Vergleich: Gegenwärtig liegt der Anteil des Fahrrads an den Verkehrswegen hierzulande bei zehn Prozent.
Die Zuversicht der Wissenschaftler bezüglich des Radverkehrs ist dabei auf einen zumindest kurz- bis mittelfristig kaum unverrückbaren Faktoren begründet, nämlich die demografische Entwicklung der Bevölkerung in Deutschland, die Linder auf einige zentrale Nenner brachte. Ein wesentlicher Faktor für den Radverkehr sei dabei die zunehmende Überalterung der Gesellschaft. Bis 2050 werde sich der Anteil der über 65jährigen an der Bevölkerung mehr als verdoppeln, so Linder in seinem Vortrag.
Was sich zunächst vielleicht wie eine bedenkliche Perspektive anhört, habe für die Fahrradbranche durchaus spannende Effekte: Bei Menschen, die nicht mehr erwerbstätig sind, sinkt der typische Aktionsradius von 18 km auf 5 km. Oder anders ausgedrückt: Mit zunehmenden Alter legen die Menschen mehr Strecken zurück, die typischerweise mit dem Fahrrad oder zu Fuß bewältigt werden.
Ein weiterer gesellschaftlicher Mega-Trend, der dem Radverkehr die Trümpfe in die Hand spielt, ist die zunehmende Urbanisierung. Immer mehr Menschen leben in Städten. In Folge müssen die Städte Konzepte entwickeln, wie sie einer zunehmenden Einwohnerzahl einen hochwertigen Lebensraum bieten können. Als zentrales Element wird hierbei immer häufiger auch die Förderung des Radverkehrs in der kommunalen Entwicklung eingesetzt. Die positiven Auswirkungen skizzierte Linder am Beispiel der Stadt Troisdorf, die ihre Straßen und Wege in einem Modellprojekt schon 1988 auf fahrradfreundlich trimmte. Schon Mitte der Neunziger Jahre konnte Troisdorf in Folge einen Anstieg des Radverkehranteils von 16 auf 21 % und einen Rückgang des PKW-Verkehrs um zehn Prozent melden.
Nun setzen sich viele Gemeinden und Städte noch ehrgeizigere Ziele. Die Mitglieder der AGFS haben sich zum Beispiel jüngst erst einen Radverkehrsanteil von 30 % in Mittelstädten und 25 % in Metropolen in ihr Pflichtenheft geschrieben. Doch um diese Ziele zu erreichen, muss dem Radverkehr auf den Straßen deutlich mehr Raum gegeben werden, denn in vielen Kommunen sind die diesbezüglichen Infrastrukturen mit dem bereits erzielten Radfahrerzuwachs schon am Anschlag. „Die bestehenden Radverkehrsanlagen erlauben keinen Massenverkehr“, sagte Linder. Sie seien zudem nicht für schnelle Radfahrer geeignet und somit auch nicht für die Elektromobilität mit dem Fahrrad.
Für Linder ist deshalb die Zeit reif für eine Zeitenwende in der Verkehrspolitik. Seit in den 60er und 70er Jahren die ersten Bordsteinradwege gebaut wurden, hat sich die Fahrradinfrastruktur stetig weiter entwickelt. In den 80er Jahren wurden die Radwege erstmals zu Netzen verknüpft, in den 90er Jahren wurde insbesondere den Begleitkomponenten, wie Wegweisung und Abstellanlagen, viel Aufmerksamkeit gewidmet. Im neuen Jahrtausend wurde der Radverkehr dann von den Verkehrsplanern zudem mehr als System verstanden. Das heißt: Die Infrastruktur wurde um Service-Komponenten und kommunikative Mittel erweitert. Das zweite Jahrzehnt im neuen Jahrtausend markiert für Linder nun eine Ära, in der das Ende des fossilen Zeitalters keine allzu ferne Perspektive ist und in der die Nahmobilität im Straßenbild die Oberhand gewinnt.
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