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Zubehör - Near-Ear-Kopfhörer

Die Mittel der Kommunikation

Sie sind heute allgegenwärtig: Kleine Ohrhörer, meist in Weiß oder Schwarz, signalisieren, dass der jeweilige Mensch gerade etwas hört oder telefoniert. In der Fahrradwelt etabliert sich derzeit eine Alternative, die nicht ganz so sehr ins Ohr geht.

Es ist ein durchaus seltener Vorgang, wenn in der Fahrradbranche eine neue Produktkategorie auftaucht. Etwas, was man vorher so noch nicht kannte. Genau das geschieht aber gerade: Die Rede ist von Kommunikationssystemen, Ohrhörern, die während des Radfahrens das Gespräch oder auch nur das Hören von Inhalten ermöglichen, ohne dass dabei das Verkehrsgeschehen akustisch ausgeblendet wird.
Diese Near-Ear-, Outer-Ear- oder Open-Ear-Kopfhörer genannten Lautsprecher und Mi­krofone sollen genau das leisten. Statt einem Stöpsel im Ohr hat man dann eine mehr oder weniger unauffällige Box am Ohr. Diese Kopfhörer gibt es zwar schon seit Längerem, aber jetzt haben die Hersteller offenbar gemeinsam die Fahrradwelt als noch unerschlossene Zielgruppe für sich entdeckt.
Die Vorteile sind schnell aufgezählt: Wer seit jeher mit dem Fremdkörpergefühl von normalen Ohrstöpseln hadert, bekommt nun eine angenehmer, jedenfalls nicht im Ohr zu tragende Alternative. Die Geräte sind meist über einen Bügel um das Ohr fixiert oder finden Platz am seitlichen Riemen des Helmes. Zudem versprechen die Hersteller, dass trotzdem niemand die eigenen Gespräche oder den ausgefallenen Musik- und Podcast-Geschmack mithören kann. Oft erlauben sie durch ihre Sport-Funktionalität die direkte Kommunikation mit den anderen in der Gruppe über größere Distanzen, ohne dass dafür ein eigener Telefontarif notwendig wäre. Natürlich können sie Telefongespräche über die Bluetooth-Anbindung zum eigenen Smartphone durchstellen. Die Geräusche durch Fahrtwind während der Kommunikation werden ausgefiltert, gleichzeitig wird der Ton über ausgefeilte Technik so gerichtet, dass er ohne größeren Qualitätsverlust auf dem Rad vernommen wird. Die oftmals beschworenen und befürchteten Hörschäden durch zu laute Ohrstöpsel sollen mit diesen Produkten ebenfalls vermieden werden können.

Die technischen Features von Near-Ear-Kopfhörern sind auf die Bedürfnisse von Radfahrern ausgerichtet.

Im Fahrradbereich besonders positioniert haben sich Livall, Aleck, Sena, Shokz und andere, die jeweils eigene Vertriebsstrukturen in der Fahrradbranche aufgebaut haben beziehungsweise eine Partnerschaft mit einem Markenvertreiber wie CicloSport oder Sports Nut eingegangen sind. Jede dieser Marken kann auf eigene Stärken und Schwächen verweisen.

Große technische Vielfalt bei den Produkten

Einer der Pioniere im Feld der Kommunikation am Fahrrad ist Livall. Dort hat man bereits seit geraumer Zeit Helme im Programm, die über integrierte Lautsprecher mit dem eigenen Telefon verbunden werden können und auch sonst manche elektronische Features mitbringen, die bis vor Kurzem und in dieser Fülle noch unbekannt waren. Inzwischen gibt es dort auch das Produkt »LTS21«, das die Kommunikation auf und abseits des Fahrrads ermöglicht. Bei den Open-Ear-Hörern werden über einen Bügel um den Hinterkopf die beiden Hörer verbunden. Damit ist auch gleich für sicheren Sitz gesorgt, ein wesentliches Kriterium für den sportlichen Einsatz. Über eine »einzigartige direktionale Akustik« werden die erzeugten Klänge der Hörer trotz des Abstands zum Gehörgang ohne Sounddiffusion, also ohne Zerstreuung des Klangs übertragen. Durch diese Kon­trolle, wie sich die Schallwellen ausbreiten, wird gleichzeitig sichergestellt, dass andere Personen in der Nähe nicht hören, was man selbst hört. Störgeräusche werden über ein ebenfalls inte­griertes Noise-Cancelling ausgefiltert. Die drei Modi Sport, Business und Musik nutzen die Technologie unterschiedlich. Wie erwähnt will man auf dem Rad gerade nicht, dass ansonsten störende Verkehrsgeräusche ausgeblendet werden. Es sind verschiedene Halterungen für die Near-Ear-Hörer verfügbar. Neben der Bügellösung ist eine weitere für die direkte Befestigung am Helm vorhanden. Livall legt zudem Wert auf die Feststellung, dass die akustische Übertragung auf einer eigenständigen Technologie beruht. Es handle sich nicht um Knochenschall-Kopfhörer, die ihren Sound durch Vi­bration am Ohrknochen erzeugen.

Die Near-Ear-Hörer lassen die Umgebungsgeräusche zu und beeinträchtigen damit nicht die Verkehrssicherheit von Radfahrenden.

Ähnlich aufgestellt ist man auch bei Sena. Neben den Helmen mit integrierter Kommunikationsfunktion gibt es auch hier ein Standalone-Gerät »Pi«, das allerdings nicht ums Ohr gelegt wird, sondern an den Riemen des Helmes eingefädelt wird, die bis zu 18 Millimeter breit sein dürfen. Über Bluetooth wird eine Verbindung entweder zum Smartphone oder direkt zwischen zwei Personen hergestellt. Diese dürfen bis zu 400 Meter Abstand zueinander haben, bevor die Verbindung abbricht. Wie weit diese Walkie-Talkie-Funktion tatsächlich reicht, ist natürlich abhängig vom Terrain, auf dem man sich befindet. Im dichten Wald ist die Reichweite natürlich geringer als auf offener Strecke. Eine Besonderheit besteht darin, dass die Kommunikation nicht auf zwei Personen beschränkt ist. Wenn diese mit Abständen über 400 Metern unterwegs sind, können ein oder mehrere weitere Pis als Relaisstation arbeiten.
Im Bereich der Near-Ear-Kopfhörer ist trotzdem eine andere Marke die Referenz im Gesamtmarkt. Shokz, eine Zeit lang bekannt als AfterShokz, gilt als Markttreiber und auch Marktführer in diesem Bereich, auch weil man eben nicht nur im Fahrradbereich seine Kundschaft sucht. Vor allem dürfte es daran liegen, dass Shokz mit seiner Knochenschall-Übertragung seit 2011 und damit vor allen anderen Mitbewerbern den Markt bearbeitet. Bei den Knochenschall-Hörern wird der Sound nicht über die Luft übertragen, sondern über die Wangenknochen. Dabei werden die mechanischen Vibrationen am Trommelfell vorbei direkt zum Innenohr geleitet. Versprochen wird so eine klare Klangwiedergabe und absolute Stille für alle anderen Menschen in der Nähe. Weil damit die Außenwelt nicht ausgeblendet wird, kommt diese Technologie bei den Sportkopfhörern und den Produkten für Pendler zum Einsatz.
Daneben verfügt Shokz sehr wohl auch über eine Übertragung per Schall. Die hauseigene Direct-Pitch-Technologie überträgt wie bei den Wettbewerbern den Klang zielgerichtet ins Ohr. Die Technologie sorgt dafür, dass der auf den Gehörgang gerichtete Schalldruck verstärkt wird, während gleichzeitig Schall und Druck in vom Gehörgang wegführende Richtungen unterdrückt werden.

Bei der Befestigung der Hörer am Helmgurt gibt es auch keine Verlustängste vor herausfallenden Ohrstöpseln.

Aleck unterscheidet sich technisch am stärksten von den Mitbewerbern. Das Unternehmen fiel in Deutschland erst vor Kurzem richtig auf, als es den Sturzsensor-Hersteller Tocsen übernahm. Bisher war man vor allem im Wintersport bekannt, nun rücken mit neuen Produkten auch andere Sportarten in den Vordergrund. Das System »Punks« verfügt über eine unbegrenzte Reichweite bei der Kommunikation und ist nicht durch Bluetooth-Begrenzungen limitiert. Möglich wird das natürlich durch eine eingesetzte Sim-Karte, mit der das Kommunikationssystem zu einem vollwertigen Telefon wird. Dabei werden Funktionen betont, die man am eigenen Telefon eher selten benutzt. Dazu gehört etwa der »Partymode«, der ein Gespräch mit einer größeren Gruppe erlaubt, ohne, dass man direkt nebeneinander fährt. Genau genommen muss man gar nicht auf dem Rad sitzen, um trotzdem akustisch teilzunehmen. Auch hier werden die Hörer am Helmriemen befestigt, sodass eine Nutzung ohne Helm eher umständlich werden dürfte. Zu den Funktionen gehören trotzdem noch eine Walkie-Talkie-Funktion, eine Friend-Finder-Funktion und eine App, über die die verschiedenen Optionen via Smartphone bedient werden können.
Sicher mag es viele Radfahrende geben, die all diese Dinge nicht brauchen und gar nicht wollen. So, wie viele Jogger ihre Ruhe haben wollen, verstauen auch viele Radfahrer und Radfahrerinnen ihr Telefon irgendwo, wo es nicht stört. Die Zahl derer, die ihre Zeit auf dem Rad für jedwede Kommunikation nutzen wollen, ist gleichzeitig sicher sehr groß. Wer also solche Produkte in seinem Ladengeschäft anbietet, spricht damit einen sehr großen Kundenkreis an. Bislang sind die Produkte sogar im Netz noch recht preisstabil, und selbst wenn sich dies einmal ändern würde, wären solche Near-Ear-Kopfhörer wohl eher ein Spontankauf und Mitnahmeartikel. Zwar konkurriert der Fahrradfachhandel bei diesen Produkten auch mit all den Elektronikspezialisten und Marktplätzen im Internet, aber zumindest in dieser Phase sollte das noch nicht viel ausmachen. Die meisten werden erst dann bemerken, dass sie einen Near-Ear-Kopfhörer wollen, wenn sie zum ersten Mal Kenntnis davon erlangen. Verkaufspersonal, das eigene Erfahrungen mit diesen Produkten berichten kann oder gar eine Testmöglichkeit bietet, sollte leicht überzeugen können. Ein Versuch mit diesen Produkten könnte sich lohnen. //

4. September 2023 von Daniel Hrkac
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