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Dr. rer. nat. Holger Brackemann, ­Leiter des Bereichs Untersuchungen bei der Stiftung Warentest
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Interview - Dr. Holger Brackemann

»Unsere Testergebnisse sind nicht das Problem«

Auslöser für das katastrophale Ergebnis beim E-Bike-Test im vergangenen Frühjahr sei die mangelnde Qualitätssicherung der Fahrradbranche, sagt Testleiter Dr. Holger Brackemann im Interview mit velobiz.de Magazin.

{b}Der aktuelle Pedelec-Test der Stiftung Warentest hat Verbraucher verunsichert und viele Hersteller und Händler empfindlich getroffen. Wie bewerten Sie aus der Retrospektive den Test?{/b}

Wir haben nach dem Test viele Gespräche mit Anbietern und Verbänden geführt. Daraus haben sich keine Argumente ergeben, unser Testdesign grundlegend zu verändern. Wie bei der Stiftung üblich, werden wir jedoch das Prüfprogramm vor dem nächsten Test in einem Fachbeirat erneut zur Diskussion stellen. Konstruktive Verbesserungsvorschläge sind immer willkommen. Das eigentliche Problem sind doch nicht unsere Testergebnisse, sondern die bisherige Qualitätssicherung in der Fahrradbranche: Viel zu oft werden nur einzelne Komponenten und nicht die kompletten Räder (so wie sie später verkauft werden) getestet und die Prüfnormen zur Betriebsfestigkeit spiegeln nicht die realen Belastungen in der Praxis wider.

{b}Renommierte Hersteller wie Derby Cycle mit den Marken Kalkhoff und Raleigh, Biketec mit der Marke Flyer oder Bosch haben einige der Testergebnisse entschieden zurückgewiesen. Können Sie das nachvollziehen?{/b}

Nein.

{b}Die Fahrradbranche merkt an, dass einige der Testergebnisse in der Praxis nicht auftauchen. War der Pedelec-Test damit zu praxisfern?{/b}

Nein, im Gegenteil. Zunächst haben wir die Räder in einem umfangreichen Praxistest mit Probanden in verschiedenen Nutzungssituationen untersucht. Die Reichweiten wurden nach einem vorher vermessenen, praxisnahen Parcours ermittelt. Hier fehlt es auf Seiten der Anbieter immer noch an vergleichbaren und praxisnahen Angaben. Dann haben wir die Betriebsfestigkeit mit Belastungen untersucht, die wir zuvor in praktischen Versuchen gemessen haben. Also ein viel realitätsnäheres Verfahren als die einschlägige europäische Norm.
Ich habe auch noch keine Branche erlebt, die öffentlich bekannt gibt, wenn ihre Produkte vorzeitig versagen. Seit ich Gespräche mit der Fahrradindustrie führe, heißt es regelmäßig, dass Betriebsfestigkeitsprobleme aus der Praxis nicht bekannt sind. Eine Reihe von Produktrückrufen und Gespräche mit einschlägigen Sachverständigen zeigen, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Leider gibt es auch von behördlicher Seite keine systematische Erfassung und Auswertung von Unfällen, die auf Materialversagen zurückzuführen sind. Europäische Verbraucherverbände fordern schon seit längerem eine entsprechende Datenbank. Hier fehlt es schlicht an unabhängigen und verlässlichen Informationen.

{b}Bei Herstellern, Händlern, Verbänden und unabhängigen Prüfinstituten wird der Test erstmals gleichermaßen kritisch und mit Unverständnis gesehen. Bemängelt wird insbesondere eine fehlende Transparenz beim Testaufbau. Können Sie das nachvollziehen?{/b}

Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Wie bei der Stiftung Warentest üblich, erhält jeder in den Test einbezogene Anbieter das Prüfprogramm. Weitergehende Fragen haben wir schriftlich und in persönlichen Gesprächen beantwortet. So haben wir unter anderem die betroffenen Anbieter über den Aufbau der Prüfeinrichtung für die Betriebsfestigkeit, die ermittelten Betriebslasten, die Spektren der EMV-Prüfungen, die Ergebnisse der Bremsprüfungen im Detail informiert. Ich halte den Vorwurf der Intransparenz inzwischen für eine reine Schutzbehauptung, um die Testergebnisse in der öffentlichen Diskussion zu relativieren.

{b}Inzwischen hat die Stiftung Warentest Testergebnisse zu festgestellten Funkstörungen relativiert. Welche Konsequenzen hat das für den Test oder künftige Tests?{/b}

Im Nachgang zu den Gesprächen mit den Anbietern haben wir Einzelheiten der Prüfung der sogenannten elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) noch einmal mit Experten erörtert. Bei vier E-Bikes hatte die Stiftung Überschreitungen der EMV-Grenzwerte festgestellt. Diese Grenzwertüberschreitungen sind durch Nachprüfungen belegt. Die Räder wurden deshalb in diesem Prüfpunkt mit »Mangelhaft« bewertet; da gibt es keinen Anlass, die Bewertung zu verändern. Lediglich die Auswirkungen der Grenzwertüberschreitungen auf den Funkverkehr interpretieren wir jetzt anders, sodass Veränderungen in der redaktionellen Darstellung der Testergebnisse vorgenommen wurden.
Derzeit diskutieren wir mit einschlägigen Prüfinstituten, inwieweit bei der EMV-Prüfung – trotz Anwendung eines genormten Verfahrens – zu große Schwankungen auftreten können. Das wäre dann aber ein Problem, dass nicht nur die Tests der Stiftung, sondern die gesamte Branche betrifft.

{b}Durch den hohen Bekanntheitsgrad hat die Stiftung mit ihren Bewertungen einen signifikanten Einfluss auf das Kaufverhalten der Verbraucher, der durch die Zusammenarbeit mit dem ADAC im Fall des Pedelec-Tests noch einmal deutlich gesteigert wurde. Gibt es Konsequenzen, die Sie aus dem Test ziehen? Zum Beispiel eine intensivere Zusammenarbeit mit Instituten oder Verbänden?{/b}

Inzwischen gibt es ja Signale aus der Branche, auch anspruchsvollere Prüfverfahren zu vereinbaren. Wenn sich eine solche Initiative entwickelt, stehen wir bereit, daran mitzuwirken. Denn es ist im Interesse aller Verbraucher, dass anspruchsvolle Produktprüfungen durchgeführt werden, bevor Pedelecs ­vermarktet werden.

21. Oktober 2013 von Reiner Kolberg
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