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City Heroes
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Report - Urban Bikes

City Heroes

Was das iPhone für die Kommunikation ist, das ist das Urban Bike für lifestylige City-Mobilität: Der Imagefaktor ist hoch. Dabei ist die Auslegung des Begriffs Urban Bike von Hersteller zu Hersteller unterschiedlich. Worauf zielen die einzelnen Anbieter ab?

Keiner weiß so richtig, wann es los ging mit dem schnellen Rad für die Stadt – was auch daran liegt, dass kein Startschuss fiel und die Entwicklung hin zu dem, was man heute Urban Bike nennt, aus einem Ableger des Crossers erwachsen ist. Natürlich wurde es auch vom Fitness-Bike der Nullerjahre geprägt. So richtig stylish wurde es aber erst, als vor fünf, sechs Jahren das Fixie wenn auch nicht wirklich die Straßen, so doch die Hipster-Herzen eroberte. Das Fixie war quasi das Bad Bike der Branche. Und »böse« ist ja immer gut. So kommt es, dass ein durchaus nennenswerter Anteil der urbanen Bikes heute im typischen Fixie-Stil daherkommt: 28 Zoll, schlanke Optik, auf die Spitze getriebener Minimalismus. Der macht oft nur dort halt, wo es wirklich knallhart um Sicherheitsaspekte geht: Die starre Hinterachse ist nur bei sehr wenigen Anbietern zu finden, und der Lenker – der bei individuell gefertigten Fixies heute oft so schmal ist, dass rein optisch nur Kinderhände Platz haben – lässt bei Fachhandelsware mindestens einen Bremsgriff und, zumindest theoretisch, auch eine
Klingel zu.

Berliner Metropolismus

Einer der großen Kleinen dieser Sparte ist die Berliner C2D-Engineering GmbH mit der Marke Schindelhauer Bikes. »Hoher praktischer Nutzen wie Wartungsarmut und besondere Zuverlässigkeit treffen dabei auf hohe Design-Ansprüche. Sie schaffen unter anderem auch einen Spagat zwischen Mobilität und Wohnkultur«, sagt Stephan Zehren, der Produktdesigner der Schmiede. Schließlich will oder muss mancher junge urbane Mensch sein Rad auch in die Wohnung mitnehmen können. Dazu braucht es geringes Gewicht und wenig Platzanspruch. Sauberkeit unterstützt das Vorhaben ungemein, und so gibt es Schindelhauer-Bikes nur mit Riemenantrieb. »Wir achten besonders auch auf Kleinigkeiten, die das urbane Leben fordert«, sagt Zehren. »Schnellspanner an Naben und Sattelstütze etwa begünstigen den Diebstahl, deshalb gehen wir davon weg.« Und natürlich ist das klassische Schindelhauer-Fahrrad zunächst nicht mit Schutzblechen ausgestattet. Die Fixie-Optik und klassische Anmutung ist wichtig. Trotzdem: Vollausstattung ist nachrüstbar, und das Modell Friedrich gibt es sogar mit allem Drum und Dran. »Der Impuls kam vom Kunden«, erzählt der Designer. Das zeigt: Viele Urban Biker legen nicht nur Wert auf schickes Design, sondern sind tatsächlich im Alltag, sprich auch bei schlechtem Wetter und Dunkelheit, per Urban Bike unterwegs. Auch wenn die Optik vom Renner kommt: »Etwas Komfort sollen die Bikes schon haben; wir verbauen 28 bis 37 Millimeter breite Bereifung, und die Sitzposition ist gemäßigt sportlich.« Minimalismus heißt übrigens keinesfalls minderwertige Ausstattung: das Top-Modell Ludwig XVIII bringt den Gates-Riemen per Pinion-Getriebe zum Surren.

Urban Bike und Praxis

Einen anderen Weg geht man bei Bergamont: »Das schnelle Rad mit Schutzblechen hat bei uns Tradition«, erzählt Pressesprecher Matthias Faber. Dabei denkt man beim Bike-Anbieter aus St. Pauli eher an klassische 28er-Tourenrahmen mit sportlicher Geometrie als an Rennräder. »Einige Dinge braucht das Rad für die Stadt nicht«, so Faber, »eine Federung zum Beispiel. Ein Schutzblech dagegen ist sinnvoll.« So gibt es im urbanen Portfolio der Hamburger mit dem Sweep 9.4 und 6.4 nur zwei Räder ohne Radschützer. Und was das Design angeht, gibt man sich hanseatisch zurückhaltend: »Dunkle Farben und Understatement-Look entsprechen uns einfach – außerdem ist schwarze Farbe für ein Fahrrad auch ein bisschen Diebstahlschutz«, so Faber. Im Gegensatz zu den Berlinern setzt man nicht nur auf gekapselte Schaltung: Neben Nabenschaltungen kommen auch Rennrad-Kettenschaltungen zum Einsatz. Gepäckträger für leichte Lasten sind für die Schutzblech-Räder der Sweep-Reihe genauso selbstverständlich wie Beleuchtung und Nabendynamo. Hier siegt der Nutzen über den Willen zu Leichtgewicht. »Schnell« und »leicht« sind Begriffe, die bei Faber in Hinblick auf das Urban Bike besondere Bedeutung haben.
Ähnlich sieht man das bei Scott, allerdings geht hier der Bereich »Urban« nahtlos in den »City«-Sektor über. Das breite Angebot deckt viel ab: vom echten Fixie OTG, das sogar mit Bahnlenker erhältlich ist, bis hin zum klassischen Tiefeinsteiger erstreckt sich die »Urban/City«-Range der Amerikaner. Los geht’s schon bei 499 Euro für das Fixie. Das Sub Evo 10, ein Rad, das vielleicht am deutlichsten in die gängige Urban-Schublade passt, glänzt mit sehr technisch orientierter Optik: Konisch zulaufende Rohre mit sehr großen Durchmessern am Steuerkopf, filigrane, fast zweidimensionale Schutzbleche, innen laufende Züge, Slick-Reifen, das Ganze in mattem dunkelgrau. Für dieses Top-Modell der Urban-Serie, das von der Geometrie her schon deutlich an den Trekking-Bereich angelehnt ist, legt der Kunde 1499 Euro auf den Tisch. Laut Marketing-Manager Julian Oswald ist die Spannbreite der Klientel genauso breit wie das Scott-Angebot: Der Urbane Radler steigt mit 25 Jahren auf sein – dann eher schutzblechfreies – Scott, aber auch als 70er ist er noch darauf unterwegs.

International Suburb Bikes

Internationale Trends sind für Giant ein wesentliches Kriterium, vor allem, wenn es um angesagte Bereiche wie den urbanen geht. »Wir gucken nach Australien und Amerika sowie Europa und nehmen davon Schnittmengen von Trends für den deutschen Markt auf«, sagt Marcel Hollenberg. »Das Design steht im Urbanen absolut im Vordergrund.« Dabei dreht sich laut dem Marketing- und Retail-Manager alles um eine beruflich kreative Klientel. Fotografen, Architekten, Werber und ähnliche Berufszweige sollen es sein, wobei vor allem die Männer im Visier dieser Lifestyle-Citymobilität stehen. Zwischen 25 und 45 Jahre zählt das Gros der Kunden. Dabei ist ihnen zurückhaltende Farbgebung und Design wichtig – die schwarze Schaltnabe zum mattschwarzen Rahmen, schwarze Speichen; insgesamt: elegante Erscheinungen, oft mit breiten Big-Apple-Pneus als farblich abgesetzte Hingucker. Bei Singlespeedern hält man sich mittlerweile zurück. Laut Hollenberg laufen sie in einer Preisklasse, die für den großen Hersteller kaum mehr interessant sein kann. »Das Internet ist überschwemmt mit einfachen Stahlrahmen, die sich für solche Räder eignen. Da muss man gucken, was eine Marke wirklich leisten kann«, erklärt er.

Attraktive Nützlichkeit

Beschaut man sich bei Winora den Urban-Sektor, fällt auf: Hier geht’s um drei Räder, die sich auf den ersten Blick vor allem durch den fehlenden Gepäckträger vom Trekkingrad unterscheiden. So einfach ist es aber nicht, man schaut auch hier aufs Detail: Zum einen herrschen mit Grau, Braun und Schwarz dezente Farben, zum anderen versucht man mit in Richtung Minimalismus gehenden Komponenten wie sehr flachen Radschützern, das Fahrrad-Pur-Design zu unterstreichen. Gerade Gabel, dezent abgesetzte Sattel- und Grifffarben, so tritt der sportliche City-Sektor bei Winora auf. »Wir reduzieren nicht wie bei Singlespeedern aufs Minimum, sondern auf das Nötigste«, sagt Produktmanager Florian Niklaus. Dabei hat man immer auch den Komfort im Blick: Der gekröpfte Lenker für ergonomische Handhaltung etwa. Wartungsarmut setzt sich bei den zwei teureren Modellen in Form der Nabenschaltung durch (Einstiegspreis mit Kettenschaltung bei 599 Euro), »aber grundsätzlich sehen wir unsere Klientel bei urbanen Menschen zwischen 25 und 35, die viel Wert auf Usability legen«, so Niklaus.
Blickt man also auf die großen Anbieter, scheint sich so eine klare Tendenz herauszuarbeiten: Urban Bikes glänzen hier eher durch dezentes Understatement im Design und Formensprache denn durch echten, kultigen Minimalismus.

Jungbrunnen Urban Bike

Bei Koga, neben Winora ebenfalls Mitglied der Accell-Gruppe, fand man für das klassische Urban Bike den schö-nen Namen Supermetro. »Coolness ist hier absolut angesagt«, weiß Marketingmanagerin Anke Namendorf. Understatement kommt im Mattlack zum Ausdruck, das Logo kommt in gleicher Farbe, nur glänzend, auf den Rahmen, die Zielgruppe empfindet sich als unangepasst. Auch hier findet man durchgängig dezente Oberflächen, aber auch Kontraste: Etwa metallicblau abgesetzte Schellen und Bremssättel. Die Zielgruppe schätzt man älter ein als erwartet: »Die Leute fühlen sich deutlich jünger als wir oft denken«, meint Namendorf. »Jemand der 55 ist, ist ja heute noch lange nicht alt« sagt sie, und schätzt den Supermetro-Käufer auf etwa 40 bis 60 Jahre ein, »und das Styling muss eben auch cool, spritzig und jung rüberkommen.«
Apropos spritzig: in der Naked-Version ziert ein vielleicht 15 Zentimeter langes Schutzblech zwischen den Sitzstreben das Rad – pures Design. Doch Koga bietet für das 1099 Euro kostende Rad auch einen Zusatzkit mit Gepäckträger, Schutzblechen und Akkubeleuchtung für 199 Euro an.

Du bist dein Fahrrad!

Das Individualistische am Urban Bike lebt man beim Münchner Unternehmen Urbike so richtig aus. Zwar gibt es nur drei Varianten dieses Rads – das Single- beziehungsweise Duospeed-Bike in Diamant- und Trapezform und das komfortable Stadtrad mit Korb (Porteur) – aber nahezu alle Komponenten lassen sich farblich frei festlegen. Dazu sind in den beiden Shops in München und Hamburg etwa 200 Farben verfügbar, im Internet-Konfigurator ist die Auswahl deutlich geringer. »Wir können ein absolut individualisierbares Produkt zum gleichen Preis wie ein Produkt von der Stange anbieten«, sagt Geschäftsführer Mike Glaser über das zweigleisige Vertriebskonzept. »Unser Kunden sind Menschen, die individuell auftreten wollen und ein Gespür für Fashion und Style haben. Sie sind Ende 20 bis Mitte 30 und finden es toll, dass sie ihr Rad nach ihren Vorstellungen gestalten können.« Die Single- oder Duospeed-Räder kommen auf 495 bis 640 Euro, das Porteur mit Fünfgangnabe und Nabendynamo auf knapp 700. »Es hört sich vielleicht gestelzt an«, sagt Michael Glaser, »aber wir verkaufen reinen Lifestyle.«

Das Urban Bike wird unterschiedlich definiert und spezifiziert, die Käufer sind entsprechend Fahrrad-Freaks mit Hang zum Individualisten und Großstadthelden oder »ganz normale Menschen«, die sich einen hippen, dynamischen Anstrich geben wollen. Die Hersteller gehen auf diese unterschiedlichen Vorstellungen von moderner Mobilität und Usability in der Stadt ein – jeder auf seine Weise. So kann man das Urban Bike in breiterer Ausprägung entdecken, als eigentlich angenommen.

16. April 2014 von Georg Bleicher
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