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Schrauber 2.0
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Report // Werkstatt im Umbruch

Schrauber 2.0

Die professionelle Fahrradwerkstatt ist im Wandel. Das liegt zum großen Teil an dem um das E-Bike erweiterten Portfolio der meisten Händler. Was passiert hier gerade – und wie bleibt man dran?

In den letzten 20 Jahren hat der Fahrradhandel einen deutlichen Wandel durchlaufen. Die Branche hat sich professionalisiert. Wo früher oft ein miefiges Image herrschte, erlebt der Kunde heute immer öfter einen spannenden Erlebniseinkauf. Doch hat dieser Wandel auch schon den handwerklichen Part der Fahrradbranche, die Werkstatt, erreicht?
»Wir sind tatsächlich im Wandel, doch das ist ein Prozess, der beim Kunden noch nicht ganz angekommen ist«, erklärt Hartmut Michels, Geschäftsführer von Fahrräder Michels in Mönchengladbach. Er führt neben Alltagsrädern mit und ohne Unterstützung auch Spezialräder, vor allem für den Reha-Bereich. »Richtig ist: Wir sind im Umbruch, und es geht in die Richtung, die vor Jahren auch schon die Autowerkstatt eingeschlagen hat. Wir brauchen immer mehr Elektronik, und gleichzeitig werden in vielen Bereichen auch die mechanischen Werkzeuge immer spezieller. Bald kann ich für jede Komponente eine eigene Schublade anlegen«, sagt Michels. »Mehr Schulungstermine, aufwendigere Ausstattung und teilweise auch mehr Arbeitsaufwand bei den elektronischen Komponenten – das sind Kosten, die wieder hereinkommen müssen.«
Diese gestiegenen Anforderungen an den Werkstattbetrieb haben viele Kunden noch nicht nachvollzogen. Im Gegenteil: »Deren Eindruck ist oft: Mit modernen Diagnosegeräten ist doch alles einfacher geworden. Wieso muss ich dann mehr zahlen?«
Doch Michels sieht die Situation durchaus perspektivisch. »E-Mobilität ist ein Riesenthema. Je mehr Hybridautos und Pedelecs es gibt, desto mehr verstehen die Leute auch den Punkt der Kosten.« Auch macht er die Erfahrung, dass es mit Vielfahrern seltener Diskussionen über den Ersatz von Verschleißteilen und deren Kosten gibt. Und die werden schließlich immer mehr.

Sind reine E-Bike-Händler weiter?

»Wir haben eine deutliche Veränderung des Berufsbild bereits hinter uns«, meint dagegen Cornel Blum, Geschäftsführer von eMotion an der Aachener Straße in Köln, eines von etwa 20 Fachgeschäften der gleichnamigen Franchise-Kette. »Wie vor etwa zwei Jahrzehnten der Automechaniker ist in den letzten Jahren auch der Zweiradmechaniker zum Mechatroniker geworden.« Blum, selbst Meister, hat es miterlebt. Er ist seit 26 Jahren im Geschäft und hatte vor Jahren auch einen eigenen Bike-Fachhandel im Bergischen, vor den Toren Kölns. Mit dem eMotion-Geschäft leitet er erstmals einen reinen E-Bike-Fachhandel – eine immer noch eher seltene, aber durchaus nicht mehr einzigartige Erscheinung in der Branche.
Die kleine, zum Verkaufsraum offene Werkstatt macht einen übersichtlichen, klar strukturierten Eindruck. Hier scheint es keine überladenen Wühlboxen zu geben, keinen Geruch nach altem Öl und Schmiere. Das Auffälligste aber ist der mächtige Montageständer: Auch er ist elektrifiziert – die E-Bikes müssen nicht mehr in einem Gewaltakt vom Monteur eingehängt werden, der Ständer hebt die Räder selbst auf die gewünschte Höhe.

Unplugged war gestern

Über einer Werkbank hängt ein PC-Monitor, Kabel führen zu einem Rechner unterhalb der Arbeitsfläche: Nicht nur die Elektronik am Fahrrad ist mehr geworden – EDV ist nicht nur im Verkaufsraum so selbstverständlich, dass der Begriff selbst schon fast wieder veraltet erscheint. »Unsere Leute müssen absolut PC-fest sein«, sagt Blum. Im modernen Fahrradfachhandel ist ein digitales Warenwirtschaftssystem genauso selbstverständlich wie E-Mail-Verkehr mit Kunden und Branchenpartner. Unvorstellbar ist heute allerdings E-Bike-Wartung und -Reparatur ohne elektronische Fehlerdiagnose. Und dazu gibt es auch in der heutigen Fachwerkstatt fast zwangsläufig Wühlkisten: »Wir bieten hier alle gängigen Antriebe an«, erklärt Blum, »und entsprechend viele Interfaces brauchen wir.« Er zeigt auf eine Kiste mit vielen Kabeln und Adaptern. »Manche Hersteller haben sogar für die verschiedenen Varianten ein und desselben Motors unterschiedliche Anschlüsse.« Die Händler und Werkstätten leiden also besonders darunter, dass sich noch keine einheitliche Norm bei den Geräten für die Datenkommunikation durchgesetzt hat – wie etwa der Energy-BUS. Das alles verlangt den Mechatronikern wesentlich mehr ab als dem Mechaniker von früher: Durch den derzeitigen Innovationsschub in der Branche dürfte das auch in den nächsten Jahren nicht weniger, sondern eher noch mehr werden.
»Die Vielfalt an Standards liegt auch in der Natur der Technik«, sagt Christian Winands vom kanadischen Antriebshersteller BionX. »Bei elektronischen Komponenten ist die Einführung von gemeinsamen Standards deutlich komplizierter als beispielsweise bei einem Steuersatz. Es gibt schon erste Schritte hin zu einer Vereinheitlichung von Steckern und Schnittstellen. Bis sich hier herstellerübergreifend ein Standard durchgesetzt hat, wird wohl noch etwas Zeit vergehen«, erklärt der BionX-Sprecher.
Und dann ist auch noch die Bandbreite der Eingriffsmöglichkeiten an den Systemen sehr unterschiedlich. Während manche E-Bike-Antriebe selbst werkstattseitig kaum Veränderungen zulassen, können andere Systeme, wie jenes von BionX, vom Händler mit entsprechenden Software-
Werk­­zeugen sehr individuell an den jeweiligen Kunden angepasst werden.
Fehlerdiagnose, Wartung, Displaybedienung, gegebenenfalls individuelle Einstellung des Antriebs auf den Kunden – hier kommt einiges zusammen, was gelernt werden will. Das kostet Geld und Zeit. »Vier Schulungen besuchen meine Mitarbeiter durchschnittlich im Jahr«, so Werkstattleiter Blum von eMotion. »Der Stundenverrechnungssatz muss daher steigen. Wir verlangen hier 70 Euro die Stunde.« Ein Mehraufwand für die Werkstatt sind auch die häufigen Software-Updates der einzelnen Antriebssysteme. Bringt der Kunde sein Pedelec zur Inspektion oder Reparatur, stellt das Diagnosesystem des Herstellers als erstes häufig fest, dass ein Software-Update fällig ist.
Die Elektrifizierung des Rads ist für den Kunden ein klarer, deutlicher Mehrwert gegenüber dem Rad ohne Unterstützung. Dass nicht nur beim Kaufpreis, sondern auch beim Service höhere Kosten für ihn entstehen, ist für ihn daher meist einsichtig. Das sollte eigentlich bedeuten, dass er ­tendenziell bereit ist, auch im Servicebereich mehr zu zahlen.

Heavy Tools erobern die Werkstatt

Dass die Werkstattausstattung mit dem E-Bike aufwendiger wird, zeigt sich auch in Puncto Montageständer: Er muss zum einen mit unterstützten Rädern mehr tragen, zum anderen sollte er dem Händler die Handhabung mit den schwereren Bikes erleichtern. Deshalb bieten Hersteller wie Minoura oder Park Tools heute Montageständer mit Hebefunktion oder zumindest -Unterstützung an. »Beim Park Tool PRS 33 übernimmt ein Elektromotor die Hebearbeit«, erklärt Dieter Schreiber von Grofa, dem deutschen Park Tool-Importeur. Dieser Ständer kann sogar mit optionalem zweiten Arm auch zwei Räder tragen und bis 54 Kilo belastet werden. »Wir rechnen damit, dass sich auf längere Sicht unterstützte Ständer im Profi-Bereich durchsetzen werden«, so der Brand Manager. »Wer einen Fachhandel mit hohem E-Bike-Anteil hat, kommt auf Dauer nicht darum herum.«
Nicht herum kommt man wohl in einer größeren E-Bike-Werkstatt auch um einen Akkuschrank zur Aufbewahrung beziehungsweise zum Laden der Batterien. Li-Akkus fallen in die Gefahrengut-Klasse 9, das heißt unter anderem, dass sie nach bestimmten Bedingungen gelagert werden sollten. Bislang geben in der Praxis Versicherungen dem Händler vor, ob sie ihre Werkstatt mit diesen Schränken ausstatten müssen.
Sie gibt es nicht erst seit Aufkommen des Pedelecs – und daher in großer Vielfalt. »Ein Akku-Ladeschrank sollte feuer- und hitzebeständig sein und ein Luft- bzw. Überdruckventil aufweisen, sodass der entstehende Überdruck entweichen kann«, erklärt Dirk Zedler, Leiter des gleichnamigen Instituts für Fahrradtechnik und Sicherheit in Ludwigsburg. »Akku-Ladeschränke mit extrem großer Lade­infrastruktur sind dagegen eher kritisch zu betrachten. Lädt man in solch einem Ladeschrank viele Akkus auf, entsteht starke Wärme, die nur schwer abzuleiten ist.« Genaueres erfährt der einzelne Händler dazu auch bei der Gefahrgutschulung, die derzeit für Pedelec-Händler Pflicht ist.
Ein Beispiel für Akkuschränke mit Ladeinfrastruktur: Der kleine Batterysafe 2XS von Thun etwa wird optional auch mit Steckdosen geliefert. Klar ist: Wer einen Schrank braucht, muss investieren. Ab etwa 400 bis 500 Euro für kleine Modelle ist man dabei.

Mehr Rentabilität beim Reparieren

Es zeigt sich: Auch mit durch das E-Bike veränderten Vorgaben hat der Fachhändler nichts zu verschenken. Effizienz zählt. Deshalb bietet Jörg Küster in Partnerschaft mit dem VDZ seit Jahren das Seminar »Die effiziente Werkstatt« an. Denn gerade bei Werkstätten ist Effizienz selten das ausschlaggebende Kriterium, etwas so und nicht anders zu machen. »Meist sind es eher traditionelle Verhaltensweisen, die vieles bestimmen«, weiß der Wirtschafts- und Elektrotechnik-Ingenieur. »Das geht oft schon beim Stundenverrechnugssatz los: ‚Den haben wir vom Vorgänger übernommen’ hört man beispielsweise häufig.« Küster zeigt einfache Berechnungsmethoden – die oft direkt demonstrieren, wie ineffizient die jeweilige Werkstatt bislang gearbeitet hat. Ein Fokus liegt in den Seminaren auch auf der Reparatur selbst: »Der gesamte Ablauf einer Reparatur wird demonstrativ auseinander genommen – und die Annahme ist dabei das Wichtigste überhaupt.« Hier sind für Küster die räumlichen Voraussetzungen enorm wichtig. »Vorbild sollte die Dialogannahme in der Automobilannahme sein. Hierzu braucht es eine Rampe oder einen Ständer, mit dem das ganze Rad zusammen mit dem Kunden in Augenschein genommen werden kann.« Weiter geht’s mit der Kennzeichnung der zu reparierenden Räder und – auch sehr wichtig – dem Abstellen des Rads, solange es auf die Reparatur wartet. »Hier zählen vor allem die kurzen Wege.« »Zeitkiller«, das weiß jeder Händler, sind Rückrufe beim Kunden. Im Seminar erhält man Tipps zu ihrer Vermeidung.
Allgemeine Angaben für die perfekte Effizienz kann man dabei nicht geben, denn »die Werkstatt ist eine höchst individuelle Sache«, so Küster. Dabei kommt es immer auch auf die jeweiligen räumlichen Verhältnisse an. Und mit dem Markteinstieg der E-Bikes meist auch auf die Größe des Fachgeschäfts: »Schon der zusätzliche Platzbedarf limitiert die Möglichkeiten. Aber mit dem elektrifizierten Rad wird auch das Bewusstsein für die nötige Rentabilität der Werkstatt immer mehr in den Köpfen der Händler verankert.« Was nach Küster auch daran liegt, dass die Gewinnmargen mit Einzug des E-Bikes tendenziell gesunken sind. Wichtig ist bei alledem: »Die Händler können ihre eigenen Strukturen besser erkennen – und das ist der erste Weg zu mehr Rentabilität.«

2. Dezember 2014 von Georg Bleicher

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