9 Minuten Lesedauer
Kreatives Trio: COBI-Gründer Carsten Lindstedt, Andreas Gahlert und Tom Acland (v.l.n.r.)
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Portrait - Cobi

Bike Connection

Das Unternehmen COBI verpasst dem Fahrrad ein digitales Upgrade. Was vor kurzem als Start-up-Projekt begann, wird aktuell Realität: Zur Eurobike zeigt COBI zusammen mit ­renommierten Partnern erste Vorserien­modelle. Der Marktstart ist für den Herbst terminiert. Wir haben die Macher in Frankfurt besucht.

Wer braucht schon ein vernetztes Fahrrad? Diese Frage hat angesichts der vielen eher weniger erfolgreichen Ideen, vom Prototypen des Audi E-Bikes mit Social-Media-Anbindung bis zum Copenhagen Wheel, durchaus ihre Bedeutung. Und überhaupt ist die Fahrradbranche – oft nicht ganz zu Unrecht – kritisch, wenn es um Neuerungen geht. Vor allem dann, wenn sie von Herstellern und Vermarktern inflationär mit dem Adjektiv »revolutionär« belegt werden.
Andererseits: Wenn man die Argumente des COBI-Firmengründers und Geschäftsführers Andreas Gahlert kurz auf sich wirken lässt und sich näher mit dem Hintergrund des Unternehmens befasst, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass hier tatsächlich so etwas entstehen könnte wie eine Revolution. So geht es beim System des Unternehmens, dessen Name sich von »Connected Biking« ableitet, zwar tatsächlich um die Vernetzung, sie steht aber nicht im Mittelpunkt. In der Produkt- und Unternehmenspräsentation von COBI zur erfolgreichen Finanzierungsrunde auf der Crowdfunding-Plattform kickstarter.com heißt es dazu: »It‘s about the riding experience, not about the bike.«

User experience im Fokus

Wenn man das Unternehmen in einem Frankfurter Altbau-Büroloft besucht, ist man erst einmal überrascht. Junge Menschen mit T-Shirts an Laptop- und PC-Bildschirmen, sanfte Loungemusik im Hintergrund und eine entspannt geschäftige Arbeitsatmosphäre auf zwei Etagen sind für ein so junges Unternehmen aus der Fahrradbranche keine typische Situation. Wenn da nicht mehrere Fahrräder und E-Bikes wären, die im Erdgeschoss mit einem überdimensionalen Bildschirm als Hintergrund ein Blickfang wären. Den ersten Eindruck bestätigt auch Andreas Gahlert: »Wir sind eine Technologiefirma im Bikemarkt, nicht umgekehrt«, so der Gründer, Geschäftsführer und erfolgreiche »Serien-Unternehmer«, der die digitale Medienwelt in den letzten beiden Jahrzehnten an verschiedenen Schaltstellen der Online-Marketing-Branche mitgestaltet hat.
Aus dieser Vergangenheit erklärt sich auch das andere Verständnis für das Produkt: »Am Ende entscheidet die Schnittstelle zum Menschen. Diese »user experience« ist absolut wichtig. Beim E-Bike vor allem mit Blick auf die Motorsysteme, die in ihren Eigenschaften immer ähnlicher werden«, so der entspannte Firmenchef im Gespräch. Dabei geht es nicht nur um die Vernetzung, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz. So sollen die COBI-Produkte designorientiert und unterhaltsam sein und durch den smarten Einsatz von Technologie einen echten Mehrwert für den Nutzer schaffen.

Erfolg bei Crowdfunding, Investoren und Bike-Industrie

Die Investorensuche Ende 2014, als finaler Schritt vor der Produktion, entwickelte sich für COBI in mehrfacher Hinsicht zu einem vollen Erfolg. »Als wir bei Kickstarter zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben wir gelernt: Wir können zwar die Größe des Bedarfs nicht abschätzen – aber der Bedarf ist auf jeden Fall da«, so Andreas Gahlert. Tatsächlich war das Projekt auf der Crowdfunding-Plattform eines der erfolgreichsten aus Deutschland und gleichzeitig eines der weltweit erfolgreichsten im Bereich Fahrradzubehör. Mehr als 400.000 US-Dollar kamen innerhalb von nur 30 Tagen aus 18 Ländern zusammen. Dazu folgten 55 Anfragen aus der Industrie und weitere 12 Anfragen von Investoren. Die haben das Kapital der jungen Firma inzwischen deutlich weiter aufgestockt, sodass aktuell mehr als vier Millionen Euro zur Verfügung stehen. Auch die Fahrrad-, beziehungsweise E-Bike-Industrie zeigt sich inzwischen mehr als »nur interessiert«. »Wir haben aktuell mehr Anfragen von Motorherstellern, als wir bewältigen können«, erläutert Andreas Gahlert. »Zurzeit arbeitet unser System bei der Motorsteuerung mit Antrieben von TransX, Impulse, Bosch, Conti und Brose zusammen. Weitere Systeme folgen aber in Kürze.«
Aber nicht nur bei der Integration der Motorsteuerung ist das Unternehmen erfolgreich, sondern auch in der Zusammenarbeit mit renommierten Marken und Partnern, wie Rotwild, Schindelhauer oder Winora. Bei Winora wird beispielsweise mit dem zur Eurobike präsentierten Modell Radar eine neue Kategorie des Urban Bikes geschaffen, die sehr an Stromer-Räder erinnert, im Gegensatz zu den Schweizer Herstellern aber auf die volle Integration von COBI als Designmerkmal und zentrale Systemsteuerung setzt. Die Möglichkeit der vollen Systemintegration ist dabei ein erklärtes Ziel.

Alles entspannt – alles im Plan

Was im Gespräch mit Andreas Gahlert und seinen Kollegen und Mitarbeitern auffällt, ist die entspannte Atmosphäre. Schließlich hat das Unternehmen von einem auf 40 Mit­arbeitern im letzten Jahr ein rasantes Wachstum hingelegt und nicht nur die Eurobike steht vor der Tür, sondern auch die Produkteinführung im Herbst. »COBI ist jetzt mein neuntes Start-up«, erzählt Andreas Gahlert. »Mit dieser Erfahrung im Rücken habe ich mir ein dickes Fell angeeignet. Ruhe auszustrahlen und jederzeit überlegt zu handeln ist enorm wichtig. Gerade in einem sehr schnell wachsenden Unternehmen.« Zudem verliefe aktuell alles nach Plan. »COBI wächst und entwickelt sich anhand der geplanten Meilensteine. Nach den Finanzierungsthemen, Produktentwicklung und Marketing sind für uns aktuell vor allem Tests und Qualitätsthemen wichtig.« Da das Unternehmen hier mit führenden Dienstleistern wie dem US-amerikanischen Unternehmen Jabil Circuit Inc. zusammenarbeitet, die Herstellung, Packaging und Testing inklusive 24-monatiger Produktgarantie übernehmen, sieht sich Gahlert gut aufgestellt für den Markteintritt. »Das einzige was mit Blick auf die Serienfertigung aus unserer Sicht jetzt noch passieren kann ist, dass die Vorserie die harten Materialtests nicht auf Anhieb besteht. Dann würde sich der Serienstart verzögern.«

Nächster Schritt: inter­nationale Expansion

Um nicht schnell vom Technologieführer auf die hinteren Plätze durchgereicht zu werden, braucht es heutzutage Weitsicht, ein hohes Tempo und eine gute Strategie. Gerade High-Tech-Unternehmen ist das klar und auch Finanzinvestoren fordern das so ein. Deshalb verwundert es nicht, wenn man bei COBI bereits die nächsten Schritte Richtung Internationalisierung in Europa und den Vereinigten Staaten mit COBI of America Inc. einleitet und die übernächsten mitdenkt. »Wir wollen Weltmarktführer im »Connected Biking« werden«, betont Gahlert. Als Zielmärkte sieht er dabei Europa, USA, Kanada und in einem weiteren Schritt den asiatischen Markt. Um dieses Ziel erreichen zu können, muss in allen Details eine hohe Qualität sichergestellt werden. »Unsere Qualität muss top sein, um mit den Garmins dieser Welt konkurrieren zu können.« Die USA sind für Gahlert dabei aus zwei Gründen wichtig: »Zum einen sind die USA das »World Capital of Technology« und wir treffen dort unsere Kernzielgruppe, den Playful Digital Biker. Zum anderen kann COBI unserer Auffassung nach in den Staaten einen Beitrag zur Sicherheit leisten.«

Vom Hardware- zum ­Systemanbieter

Neben dem Produkt an sich geht es bei COBI aktuell vor allem um die Entwicklung komplexer Schnittstellen und das Management von Datenströmen in der Cloud. So arbeitet das System inzwischen auch mit dem Bosch-Antrieb zusammen, für den extra ein Adapter entwickelt wurde. »Bosch gibt uns leider keine Zertifizierung. Aber das haben wir schon vermutet«, so Gahlert. Funktionieren tut das System aber trotzdem, im Übrigen völlig legal »denn wir lesen die Daten, wie bei anderen Systemen auch, über offene CAN-Bus-Schnittstellen aus.« Bei der Zusammenarbeit mit den Motor­systemen übernimmt COBI dabei eine Garantie-Übernahme, wie das zum Beispiel auch die Chiptuner vorsehen.
Zudem setzt COBI nicht nur auf bestehende Lösungen, sondern arbeitet intensiv an neuen Anwendungen. Große Potenziale sieht Gahlert für den B2C-Bereich. Vor allem durch die mögliche Vernetzung mit dem Hersteller, bzw. dem Händler oder Kundenservice: Benachrichtigungen zum Wechsel von Verschleißteilen, Softwareupdates per Pushdienst oder Angebote und Empfehlungen könnten Kundenbeziehungen hier auf ein völlig neues Level heben.
Fast noch interessanter wirken die Anwendungsmöglichkeiten im Business. In drei Bereichen sieht Andreas Gahlert hier Zukunftspotenziale: ­Tourismus, Sharing-Systeme und Lieferräder. Im Bereich Tourismus können zum Beispiel Routen nachverfolgt und Besucher gezielt gelenkt und mit Informationen versorgt werden. Apps und Content sind in der Regel bereits vorhanden. Was fehlt ist die Integration und die aktive Versorgung, zum Beispiel durch sogenannte iBeacons, die in einem engen Umkreis Infos bereitstellen. Bei Sharing-Systemen könnten Routenplaner und Service-Tools integriert werden und bei Lieferrädern komplexe Systeme zu Tourenmanagement und Lieferoptimierung. Gerade bei solchen Lösungen sieht Gahlert die Kernkompetenz von COBI als Technologieunternehmen.
Ob sich das Ganze rentieren wird? Die Investoren scheinen sich da ziemlich sicher zu sein. Sie schielen zudem in der Regel weniger auf Umsatz und Ertrag, sondern vor allem auf Technik, Usability, Design und Systemintegration. Verbunden mit der Möglichkeit ihr Investment bei einer potenziellen Übernahme zu vervielfachen. So war es, wenn man Analysten glauben darf, zumindest bei der Firma Nest, mit ihrem vernetzten Thermostaten und Rauchmeldern. 3,2 Milliarden Dollar und damit deutlich mehr als den geschätzten Marktwert zahlte der Internetkonzern Google 2014 an den Firmengründer und die Investoren.

17. August 2015 von Reiner Kolberg

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