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Fahrrad-Hansestadt Hamburg
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Report - Radverkehrsentwicklung

Fahrrad-Hansestadt Hamburg

Hamburg soll zur Fahrradstadt werden, so will es zumindest der neue Senat. Doch die Pläne der rotgrünen Regierung stoßen nicht bei allen Einwohnern der Hansestadt auf Gegenliebe. Vor allem dort, wo die Fahrrad-Infrastruktur zulasten des motorisierten Verkehrs ausgebaut wird, gibt es Reibungsflächen.

Die Hamburger Außenalster aus der Vogelperspektive, daneben ein separater Radweg in beide Richtungen entlang des Ufers und eine zusätzliche einspurige, farblich abgesetzte Spur, die direkt auf der jeweiligen Autostraße verläuft. So sieht eine von vielen Zukunftsvisionen aus, die jüngst im Zuge der Ausstellung »Das Fahrrad« im Museum für Arbeit dargestellt wurde. Eine Ausstellung, die das Fahrrad als das gegenwärtige Fortbewegungsmittel der Stunde feierte, das »vor dem Hintergrund eines wachsenden Bewusstseins für Gesundheit, Nachhaltigkeit und Umweltschutz sowie zunehmender Verkehrs- und Mobilitätsprobleme in Großstädten eine Renaissance erfährt.«
Tatsächlich ist laut einer von der Grünen Fraktion im Jahr 2014 veröffentlichten Studie die Menge der Haushalte, die kein Auto besitzen, innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 39,5 auf 47,4 Prozent gestiegen. Aus den rund 12 Prozent, der von den Hamburgern mit dem Rad zurückgelegten Wege, sollen im Laufe der 2020er-Jahre 25 Prozent Radverkehrsanteil werden. So lautet zumindest eines der Ziele, die in der Radverkehrsstrategie der Stadt Hamburg festgelegt sind, die seit 2008 schrittweise umgesetzt wird. Passierte zu Beginn wenig Wahrnehmbares, scheint der neue Senat aus SPD und Grünen die Pläne, Hamburg zur fahrradfreundlichen Stadt zu machen, nun merkbar voranzutreiben. Mehr als 70 Kilometer Radwege seien beispielsweise bereits für dieses und nächstes Jahr bewilligt, die Radverkehrsführung an Kuhmühlenstraße und Mühlendamm im innenstadtnahen Bezirk Hohenfelde wurde ebenso ausgebaut wie die Radroute entlang des Eilbekkanals. Im Herbst sollen die Arbeiten an der Osterstraße im Stadtteil Eimsbüttel beginnen. »Die Planung zeigt einen deutlichen Wandel im Denken, wie wir unsere Straßen zukünftig nutzen und erleben wollen«, lobt Jens Deye vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) Eimsbüttel. Das heißt: Radfahrer sind dann auf der Fahrbahn unterwegs, es gibt Querungshilfen, damit die Radler sicherer und komfortabler vorankommen.

Fahrradstraße statt Fußweg-Lösung

Schritte in eine klar definierte Richtung, denn attraktive Radrouten sowohl auf gesamtstädtischer Ebene als auch in den Stadtteilen, gute Wege und Abstellmöglichkeiten für den Radverkehr sowie günstige Angebote zur Verknüpfung des Radverkehrs mit dem öffentlichen Verkehr nennt Olaf Böhm als oberste Prioritäten bei der Umsetzung der Radverkehrsstrategie. Er ist der Hauptansprechpartner für Radverkehrsförderung beim Amt für Verkehr und Straßenwesen der Stadt Hamburg und selbst leidenschaftlicher Radfahrer, der weder ein Auto noch eine eine Abo-Karte für die öffentlichen Verkehrsmittel der Hansestadt besitzt. Auch aus eigener Erfahrung weiß er deshalb, dass es auf dem Hamburger Radwegenetz so, wie es aktuell aussieht, nicht immer möglich ist, störungsfrei über längere Strecken zu pedalieren. Das liege daran, dass der Großteil des Radwegenetzes aus den 60er- und 70er-Jahren stamme und seinerzeit auf den Gehwegen zu Lasten des Fußverkehrs angelegt worden sei. »Das reicht für das gestiegene Fahrradaufkommen nicht mehr«, erklärt Böhm. Deshalb solle die Infrastruktur für das Fahrrad vergrößert werden und künftig sollen 50 statt bisher 25 Kilometer Radwege pro Jahr gebaut werden. Der Haushaltsansatz für die Förderung des Radverkehrs beträgt für 2015 und 2016 gemäß dem derzeit gültigen Haushaltsplan fünf Millionen Euro pro Jahr. Für Projekte wie die »Alster Fahrradachsen« werden seit 2015 zusätzlich zwei Millionen Euro pro Jahr bereitgestellt. »Wenn gute Lösungen vorgeschlagen werden, bekommen wir auch gutes Feedback von der Fahrradlobby«, so Böhm. Allerdings sind solche Lösungen nicht immer möglich, weil nicht umsetzbar.
Zwar werden bei allen Neuplanungen Radverkehrsanlagen berücksichtigt. »Der Raum ist jedoch in einer gewachsenen Stadt begrenzt, weshalb nicht immer das Optimum für den Radverkehr herausgeholt werden kann«, erläutert Diplom-Ingenieur Christian Wiesner vom Beratungsunternehmen ARGUS Stadt- und Verkehrsplanung, das auch die Hamburger Behörden bei der Planung und Entwurfserstellung unterstützt. Er hat die Erfahrung gemacht, dass oft schnell gemeckert wird, wenn etwas für den Radverkehr gemacht werde. Besonders, wenn dafür Parkplätze entfallen oder der Kfz-Verkehr eingeschränkt werde. Böhm bestätigt, dass er bei Bürgerversammlungen durchaus schon große Probleme gehabt habe, ein Projekt zu verteidigen, obwohl »vorher immer geprüft wird, ob das vorhandene Kfz-Aufkommen noch abgewickelt werden kann.«
Dass manchmal Prioritäten zu Lasten von Parkplätzen gesetzt werden, räumt er ein und steht ebenso wie Christian Wiesner hinter dem Ansatz, weg von Radwegen und hin zu einer Radverkehrsführung auf der Straße zu kommen, da dies Studien zufolge die sicherste Variante sei. Selbst, wenn dafür an den bestehenden Motorverkehrs-Straßen geknapst werden müsse. Dort, wo mehr Fahrräder als Autos unterwegs sind, sollen zudem Fahrradstraßen eingerichtet werden.

Mitreden für mehr Verständnis

Fahrradstraßen sind in ihrer gesamten Breite als Radweg ausgewiesen. Anderer Verkehr, zum Beispiel Autos von Anliegern, kann per Zusatzbeschilderung zugelassen werden. Ein Pilotprojekt hierfür ist der Harvestehuder Weg an der Außenalster, der in insgesamt drei Bauphasen von der Auto- zur Fahrradstraße umgewidmet wurde. Der Kfz-Verkehr ist zwar weiterhin zugelassen, muss sich aber nach den Velos richten. Um auftretende Probleme frühzeitig zu erkennen und nachzubessern, konnten die Bürger bis Mai diesen Jahres ihre Erfahrungen mit diesem Konzept online eingeben. Die Einbindung der Benutzer soll sicherlich auch einen Teil dazu beitragen, das Fahrradklima generell zu verbessern. Durch diverse Marketingaktivitäten soll außerdem »ein Willkommensklima für den Radverkehr in Hamburg« geschaffen werden. Darüber hinaus soll der Service rund ums Rad erhöht und das Fahrradverleihsystem »StadtRAD« weiterentwickelt werden. Allein in diesem Jahr sind insgesamt 70 neue Stationen geplant.
Die Umsetzung der Radverkehrsstrategie wird fortlaufend überprüft und alle zwei Jahre im Rahmen von Fortschrittsberichten dokumentiert, die aktuelle Übersicht wurde Ende Juni diesen Jahres veröffentlicht. Sie zeigt, dass viele Maßnahmen umgesetzt und neue Projekte wie ein Radweg-Check zur Klassifizierung von dessen Zustand oder ein Bike+Ride-Entwicklungskonzept gestartet wurden, es aber noch immer viel zu tun gibt. Visionäre Ansätze, wie der eingangs genannte, hält Böhm aber für Zukunftsmusik, weil zu stark in den Kfz-Verkehr eingegriffen werden müsse. Allerdings, räumt er ein, sei die Machbarkeit solcher Projekte immer auch von anderen Entwicklungen abhängig, zum Beispiel der Anzahl und Art der Autos, die in vielen Jahren vielleicht zum größten Teil kleiner und elektronisch betrieben sein könnten. »Es gibt viele gute Ideen für Radverkehrskonzepte«, weiß Ingenieur Wiesner. Er glaube aber, dass der Schlüssel zu einem guten Miteinander von motorisiertem und nicht-motorisiertem Verkehr und auch Fußgängern nicht zuallererst in baulichen Maßnahmen, sondern zunächst einmal in einer besseren Aufklärung und Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer liege: »Nicht alle Radwege sind benutzungspflichtig, was vielen Autofahrern nicht klar ist, und Verkehrsregeln gelten auch für Radler – was einigen Radfahrern ebenfalls nicht klar zu sein scheint. Also alle mal an die eigene Nase fassen und alles etwas ruhiger und gelassener angehen.«

17. August 2015 von Carola Felchner
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