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José Miguel Aracama (links), Export Manager, und Steffen Krill, Market Manager, mit einem Prototyp nicht nur für den britischen Markt.
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Portrait - BH Bikes

Aus der Wiege der spanischen Fahrradindustrie

Die Marke BH Bikes ist in Deutschland nur wenig bekannt. Dabei gilt der spanische Fahrradhersteller als einer der Pioniere sportlicher Pedelecs. Mit seinem umfangreichen E-Bike-Programm hofft BH Bikes, auch hierzulande stärker Fuß zu fassen.

Die Wurzeln traditionsreicher Fahrradhersteller liegen häufig in auf den ersten Blick völlig anderen Branchen. Das gilt auch für den baskischen Anbieter BH Bikes, der seinen Ursprung 1909 als Waffenmanufaktur in der Kleinstadt Eibar hatte. BH steht für »Beistegui Hermanos« – Gebrüder Beistegui. Das Unternehmen befindet sich noch heute komplett in Familienbesitz. Zurzeit findet der Übergang von der dritten
zur vierten Generation statt.
Mit der Fahrradproduktion begann das Unternehmen in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Waffenherstellung in Spanien lohnte sich aufgrund eines Embargos nicht mehr und so übertrug BH seine Erfahrungen in der Metallverarbeitung auf den Fahrradbau. Durch BH Bikes und den noch älteren Mitbewerber Orbea gilt das Baskenland als die Wiege der spanischen Fahrradbranche. Sehr früh war BH Bikes mit Rennrädern sehr erfolgreich. Bereits in den 30er-Jahren etablierte sich ein Werksteam an Rennradfahrern, die auch tatsächlich fest angestellt waren. Daraus ging auch der Sieger der ersten Spanien-Rundfahrt 1935 hervor.

Von Peugeot zu BMW

Weniger erfolgreich war der Ausflug von BH in die Motorradbranche in den 40er-Jahren. Bereits nach rund zehn Jahren wurde dieses Geschäftsfeld wieder aufgegeben. In die Nachkriegszeit fiel auch der Umzug von Eibar ins rund 40 km entfernte Vitoria. Nach dem nur kurzen Ausflug in die Motorradbranche hat sich inzwischen als zweites Standbein von BH der Fitnessbereich fest etabliert, der 1975 entstand. Fahrrad und Fitness bilden seit 1994 zwei voneinander unabhängige Geschäftsbereiche. Bereits 1992 erwarb BH Bikes die Fahrradmarken Peugeot und Gitane. Um sich internationaler aufzustellen, gründete der spanische Hersteller die Cycleurope-Gruppe, unter deren Dach sich Peugeot und Gitane heute noch befinden. BH Bikes verkaufte Cycleurope allerdings bereits 1995 wieder. Dafür produziert BH Bikes heute Fahrräder für eine andere sehr bekannte Automarke: BMW. Erst in diesem Jahr wurde neben BH Bikes das Label BH Sport eingeführt, das Fahrradkomponenten und Accessoires umfasst.
Für sportliche Räder war BH Bikes von Beginn an bekannt. Das gilt nicht nur für die konventionellen Modelle, auf denen Athleten besonders bei der Vuelta immer wieder Erfolge feierten. Auch im E-Bike-Programm von BH Bikes steht die sportliche Komponente schon seit 2008 im Vordergrund – also bereits lange bevor E-Mountainbikes in den letzten beiden Jahren zum Trendprodukt wurden. In Vitoria sieht man sich deshalb durchaus als Pionier auf dem Gebiet sportlicher E-Bikes sowie der Integration des Akkus ins Gesamtdesign. Bereits 2009 erhielt BH Bikes dafür einen Eurobike Award.
Das baskische Unternehmen setzt auch weiterhin stark auf E-Bikes und bietet eine große Produktvielfalt. Insgesamt 61 E-Modelle sind für 2016 im Angebot, aufgeteilt in fünf Linien. Dank der eigenen patentierten Emotion-Technologie gibt man sich bei BH Bikes auch gegenüber internationalen Wettbewerbern selbstbewusst. Während bei Emotion ein Hinterradnabenmotor zum Einsatz kommt (teilweise in Kombination mit Frontantrieb als »All-Rad-Version«), ist je eine Linie des E-Bike-Segments mit Mittelmotoren von Bosch bzw. Brose ausgestattet.

Brose kommt gut an

Besonders die Modelle mit Brose-Antrieb stoßen bei deutschen Händlern auf großes Interesse, wie Steffen Krill, Market Manager für Deutschland bei BH Bikes, berichtet. Seine Position wurde im März 2014 eigens geschaffen, um den Auftritt des spanischen Herstellers auf dem deutschen Markt zu stärken. Zuvor war Krill in vergleichbarer Position für die Schweizer Marken BMC und Stromer tätig.
Rund 140 deutsche Fahrradhändler führen BH Bikes aktuell im Sortiment – besonders solche mit elektronischer Unterstützung. Auf rund 80 Prozent beziffert Krill den Orderanteil der Pedelecs. Er hofft allerdings auch, künftig ebenso mehr konventionelle BH-Fahrräder an den deutschen Händler zu bringen.

Spanischer E-Bike-Markt in den Kinderschuhen

Im spanischen Heimatmarkt sieht die Situation anders aus. E-Bikes spielen hier – noch – kaum eine Rolle. »Bei der Entwicklung des Pedelec-Markts hinken wir rund zehn Jahre hinter Deutschland hinterher«, sagt Unai de la Fuente, Geschäftsführer von BH Bikes, über Spanien. Fahrräder dienen hier fast ausschließlich als Sportgeräte, weniger als Fortbewegungs- oder Transportmittel. Als seit jeher sportlich orientierter Hersteller gehört BH Bikes so auch zu den führenden Marken in Spanien. Noch ist der Heimatmarkt der größte Umsatzträger für BH Bikes. Das dürfte sich aber ändern: »In fünf Jahren könnte Deutschland der größte Markt für uns sein«, erwartet de la Fuente. »In zehn Jahren sind es vielleicht die USA.«
Um das Fahrrad und das E-Bike auf einen nennenswerten Verkehrsanteil zu bringen, sind in den meisten spanischen Regionen entsprechende Infrastrukturmaßnahmen notwendig. Die baskische Hauptstadt Vitoria-Gasteiz, Hauptsitz von BH Bikes, nimmt hier bereits eine Vorreiterstellung ein. Das hervorragend ausgebaute Radwegenetz in der 250.000-Einwohner-Stadt kann sich durchaus mit Europas Fahrradhochburgen messen. Immerhin weist Vitoria so inzwischen einen Fahrradverkehrsanteil von rund zwölf Prozent auf.
Die Fahrräder, die in Vitoria unterwegs sind, zählen allerdings nicht gerade zu den modernsten Modellen. E-Bikes sind quasi überhaupt nicht zu sehen. »Insgesamt fehlt es diesem Produktsegment in Spanien noch an Bekanntheit«, vermutet Exportmanager José Miguel Aracama. Zumindest in der Hauptstadt könnte sich das ändern: In Madrid ging im vergangenen Jahr ein E-Bike-Verleihsystem mit über 1500 Rädern an den Start.
Das ist mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, dass sich die Verkaufszahlen für E-Bikes in Spanien nach Schätzungen von Aracama zwischen 6000 und 7000 bewegen. Allein in Frankreich sei der Pedelec-Markt über zehnmal so groß. Bei BH Bikes hofft man nun darauf, dass bald eine kritische Größe erreicht ist, sodass auch der spanische E-Bike-Markt ein Wachstum zeigt, wie es Deutschland und andere europäische Länder in den vergangenen Jahren vorgemacht haben. Bislang verkauft BH Bikes lediglich 13 Prozent seiner E-Bikes in Spanien. Inklusive konventioneller Räder ist der Umsatzanteil des Heimatmarkts mit 37,2 Prozent noch etwas größer als der von Frankreich (18,5 Prozent) und Deutschland (18 Prozent) zusammen. Beim E-Bike-Verkauf liegt BH Bikes in Deutschland und Frankreich bereits vor Spanien. Aracama rechnet damit, dass es vorerst auch so bleibt.

Aufrüstung der E-Bikes

Von Singlespeed-Pedelecs für einen Verkaufspreis von 1500 Euro bis hin zu High-End-E-Mountainbikes für über 4000 Euro reicht das E-Bike-Angebot von BH Bikes. Für 2016 wurden viele Antriebe und Batterien von 36 auf 48 Volt aufgerüstet. Ein eigenes Bediensystem vernetzt das E-Bike mit dem Smartphone und bietet eine eigene App sowie zahlreiche teils GPS-gestützte Funktionen. Dazu zählt ein »Bike Locator«, der immer weiß, wo das Fahrrad ist. Dabei wird ein zusätzlicher GPS-Tracker am in den Rahmen integrierten Akku angebracht. Hergestellt werden die Fahrräder und E-Bikes für den europäischen Markt in Portugal. Seit 2008 ist die Produktion komplett aus dem Stammsitz Vitoria abgezogen worden. Hauptstandort für die Montage ist nun das portugiesische Águeda. Neben geringen Lohnkosten und flexiblen Arbeitsgesetzen war für die Produktionsverlagerung auch ausschlaggebend, dass in Águeda bereits zahlreiche Fahrradzulieferer angesiedelt waren. Außerdem produziert BH Bikes in China, Indonesien und Taiwan. Vertriebstöchter sind darüber hinaus in den USA, in Mexiko, Australien und seit kurzem
in Japan angesiedelt. In Kalifornien sitzt zudem die Forschung und Entwicklung von BH Bikes, die von
Fahrrad-Designer Peter Shigo geleitet wird.

Vollautomatisches Lager

Die Logistik für Europa und Afrika wird komplett von der Zentrale in Vitoria gesteuert. Beeindruckend ist das vollautomatische Warenlager, das täglich Nachschub von der Produktion in Portugal erhält. Bis zu 26.000 Fahrräder haben in der Lagerhalle Platz. Die Positionierung innerhalb des Lagers folgt keinem sichtbaren System. Gesteuert wird allein über Barcodes und drei Roboter, die das Lager bestücken und bei Bedarf die gewünschten Räder bereitstellen.
Das große Lager soll Lieferschwierigkeiten, wie sie ansonsten in der Fahrradbranche an der Tagesordnung sind, weitgehend vermeiden. Rund 95 Prozent aller Modelle seien ständig verfügbar, schätzt Exportmanager Aracama. Die Lieferzeit nach Deutschland betrage drei bis vier Werktage.
Der After-Sales-Service ist ebenfalls in Vitoria angesiedelt. Ein Teil der Serviceleistungen soll für deutsche Händler zudem künftig auch vom Team vor Ort abgewickelt werden, damit sich die Servicezeiten insgesamt verkürzen. Dazu soll auch eine neue B2B-Plattform beitragen, die Händlern den direkten Draht zur Serviceabteilung in Vitoria ermöglicht.
So sieht sich BH Bikes sowohl im Servicebereich als auch aufgrund der breiten Produktpalette gut aufgestellt, die Präsenz in den wichtigsten europäischen Märkten – allen voran Deutschland – auszubauen. Auf Augenhöhe mit den großen europäischen Multimarken-Fahrradherstellern wie Accell oder der Pon-Gruppe (u. a. Derby Cycle, Gazelle) sei man mit einem Jahresabsatz von zuletzt immerhin über 180.000 Rädern jedoch bei weitem nicht. Zu den Top 10 bis 15 zähle BH Bikes in Europa jedoch durchaus. Gelingt es, in Deutschland nachhaltig Fuß zu fassen, könnte es weiter aufwärts gehen.

21. Oktober 2015 von Oliver Bönig

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