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Zurück in die Zukunft
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Portrait - 10BICI

Zurück in die Zukunft

Mit seinem Shop 10BICI auf St. Pauli verfolgt Peer Hanslik ein spezielles Konzept: Er verkauft Vintage-Räder aus Italien und Frankreich – mit Foto und Geschichte des Vorbesitzers.

Ein schlichtes weißes Schild mit roter Schrift markiert den Eintritt in eine andere Radepoche: Weiße Wände mit holzbraun meliertem Stuck und leise klassische Musik bilden in dem Laden im Hamburger Stadtteil St. Pauli die Bühne für feinste Stahlrahmen aus den 70er und 80er Jahren. Die meisten der dort angebotenen Fahrräder hat Peer Hanslik persönlich bei ihren Besitzern abgeholt: in Mailand, Turin – also oft dort, wo die Räder ursprünglich auch einmal gebaut worden sind. In seinen Kastenwagen bekommt er bis zu acht Fahrräder unter. Für sein erstes Ausstellungsstück, ein rotes Bernotto, saß er drei Tage lang hinterm Steuer, um es in einer kleinen sizilianischen Barockstadt aufzusammeln. Das war vor sechs Jahren. Da war der Plan noch, immer zehn Vintage-Schätzchen fahrfertig im damals noch 17 Quadratmeter kleinen Laden stehen zu haben. Daher auch der Name: 10BICI (sprich: dietschi bietschi), zehn Fahrräder.
Aktuell stehen bei Hanslik doppelt so viele Fahrräder wie ursprünglich geplant im neuen Shop, der mit 45 Quadratmetern aber auch mehr als doppelt so groß ist wie die vorherige Fläche. Gelegenheit macht Liebe. Und Gelegenheiten, an teils nie gefahrene Vintage-Räder zu kommen, hatte Peer Hanslik inzwischen viele. Er weiß, auf welchen Online-Plattformen er suchen muss und mittlerweile hat er auch ein Netzwerk an Bekannten und Verkäufern, die zuerst ihm ein Rad anbieten, bevor sie es ins Internet stellen. Dass der 55-jährige ein digitales Medium nutzt, um Räder zu finden, die analoger nicht sein könnten, sieht er nicht als Widerspruch. Im Gegenteil: Einen großen Teil seiner Verkäufe generiert er selbst über Online-Plattformen wie Ebay oder bebilderte Steckbriefe auf seiner eigenen Webseite.

Von der Garage ins Rampenlicht

Apropos bebildert: Peer Hanslik ist es wichtig, dass jedes Rad, das bei ihm im Laden steht, eine Geschichte hat. Von vielen Vorbesitzern hängen Fotos an der Wand. Wer ein Rad kauft, bekommt manchmal sogar eine Karte mit dem jeweiligen Bild ausgehändigt – und eine kleine Anekdote erzählt. Da ist zum Beispiel das klassische Celeste-farbene Bianchi-Kinderrennrad: »Ein Vater aus Parma hat zwei davon für seine Zwillinge gekauft, aber nur einer ist damit gefahren«, erzählt Peer Hanslik. Das quasi ungebrauchte zweite hängt nun in Hamburg. Oder das blau-weiße Rossin Audi Quattro, das ein Audi-Mitarbeiter zum zehnjährigen Jubiläum seiner Betriebszugehörigkeit bekommen hatte und überhaupt nichts damit anfangen konnte. Oder sein Lieblingsstück, ein silbernes Vitus, »das nur acht Kilo wiegt, das war für damals enorm wenig«, schwärmt der Kommunikationsfachmann mit eigener Agentur in Hamburg. 10BICI betreibt er als ein weiteres Standbein, wobei er gar keinen großen Unterschied zwischen dem Abstrakten der Kommunikation und dem Körperlichen seiner Vintageräder sieht: »Es muss immer Leidenschaft und Spaß im Spiel sein«, fasst er zusammen.
Entsprechend verkauft Hanslik nicht in erster Linie Fahrräder. Er verkauft Emotionen. Er macht die Vintage-Bikes zu einer Art Kunstwerk – und zu einem gewissen Luxus. Denn »Die Räder gibt es so nur einmal, man kann ziemlich sicher auf einen Wertzuwachs spekulieren«, sagt er. Wie wichtig den Kunden die Geschichte hinter dem Rad ist, kann Hanslik allerdings schwer beurteilen. Optik schlägt im Zweifelsfall Historie, glaubt er. Das könnte auch erklären, warum gut 50 Prozent seiner Ladenkunden über das Schaufenster ins Geschäft gelockt werden. Zu ungewöhnlich ist der Anblick, auch wenn sich bei Preisen ab 400 Euro nur bestimmte Gruppen schließlich zum Kauf entscheiden. Entweder sind dies »Anfang 30-jährige Hipster mit Geld oder 40- bis 50-Jährige Fans, die Räder sammeln wie Legosteine«, erzählt Hanslik. Immer ginge es seinen Kunden jedoch um Authentizität, betont Hanslik.
Um diese zu gewährleisten verbringt er im Schnitt rund einen Monat pro Jahr auf kleinen Sträßchen im italienischen Hinterland oder den französischen Pyrenäen, um seine Schätze bei ihren Besitzern einzusammeln. Und weil Authentizität mehr ist als nur eine Jahreszahl und ein paar Stahlrohre, hat sich Peer Hanslik inzwischen auch umfangreiches Wissen zu den traditionellen Komponenten und Anbauteilen angelesen. Es geht um Glaubwürdigkeit und einen klaren Fokus. Die Menschen, die bei ihm kaufen, wissen was sie bekommen – und was nicht. Bis auf kleine Anpassungsarbeiten wie einem Lenkertausch oder einem neuen Bowdenzug bietet Hanslik bewusst keinen Reparaturservice an, weil er den Laden »eher als eine Art Kunstgalerie und nicht als Werkstatt« sieht.

Stadtrundfahrt auf Retrobikes

Das bedeutet jedoch nicht, dass 10BICI so starr wie eine Stahlgabel am reinen Verkaufskonzept festhält. Peer Hanslik feilt kontinuierlich an seinem Angebot. So möchte er künftig auch einige seiner Räder vermieten und Stadtrundfahrten auf den Vintage-Schönheiten durchführen. Zum Beispiel auf dem 40 Kilo schweren Gitane-Tandem aus den 70ern, vorn mit Rennlenker und Oberrohr, hinten mit geradem Lenker und tiefem Durchstieg. Er möchte mehr Menschen für diese Art von Rad, für diese Art der Fortbewegung, begeistern. Auch hier geht es ihm darum, kein »me-too«-Produkt anzubieten. Er glaubt, dass es anders nicht geht: »Kleine Radläden müssen einen speziellen Mehrwert bieten, den Kunden anderswo nicht finden, um gegen die Konkurrenz der Discounter und Großhandelsunternehmen bestehen zu können«, ist er überzeugt. Für Hanslik besteht dieser Mehrwert in Originalität und darin, für die Kunden auch nach dem Kauf ansprechbar zu bleiben. Er verkauft Körperlichkeit und rohe Funktion als Gegenstück zur grellen Überdrehtheit des digitalen Alltags – und dass er mit vielen Käufern seiner Räder noch immer in Kontakt steht zeigt, dass er damit eine verdammt gute Idee hatte.

16. April 2018 von Carola Felchner
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