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Die Post-Zusteller beziehen ihre E-Bikes auch von der konzerneigenen Street-scooter GmbH.
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Report - Konzerne im Fahrradmarkt

Die E-Bike-Branche wird groß

Die Fahrradbranche war bislang von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Durch die Elektrifizierung vollzieht sich eine schleichende Veränderung, die gerade in jüngster Zeit an Dynamik zunimmt. Immer mehr Großkonzerne drängen auf den E-Bike-Markt.

Auch wenn die Fahrradbranche dank der Pedelecs zuletzt stark gewachsen ist, ist sie im Vergleich zu anderen Segmenten wie der in diesem Zusammenhang gerne genannten Automobilindustrie weiterhin vergleichsweise klein. Grundsätzlich ist die Fahrradindustrie im Gegensatz zu den meisten Autobauern eher mittelständisch geprägt – nicht nur in Deutschland. Nur wenige Unternehmen in der Branche, wie etwa die niederländische Accell Group, liegen beim Umsatz über der Mittelstandsschwelle, die etwa von der KfW-Bank bei 500 Mio. EUR definiert wird.

Kleines Segment bei den ganz Großen

Natürlich sind auch deutlich größere Unternehmen als Accell in der Fahrradbranche aktiv, jedoch bisher nur als Nebenschauplatz. Ein Beispiel ist Continental: Der Hannoveraner Automobilzulieferer, u.a. mit ­Reifen und seit kurzem auch E-Bike-Antrieben im Fahrradmarkt unterwegs, kommt auf einen Jahresumsatz von rund 44 Mrd. EUR und ist damit eines der kleineren Mitglieder im deutschen Börsen-Leitindex DAX. Wenn im Lagebericht des Continental-Konzerns von »wesentlichen Abnehmerbranchen« die Rede ist, kommt die E-Bike- und Fahrradindustrie darin nicht vor.
Mit einem Umsatz von 78 Mrd. EUR ist die Robert Bosch GmbH wahrscheinlich der größte nicht börsennotierte Industriekonzern in Deutschland. 2010 erfolgte der Markteintritt von Bosch ins E-Bike-Segment. Inzwischen gilt das Unternehmen als Marktführer für Pedelec-Antriebe. Die Bedeutung dieses Geschäftsbereichs scheint für den Großkonzern jedoch (noch?) überschaubar. Bei der Vorstellung der Geschäftszahlen für 2017 ging die Unternehmensführung in ihrer ausführlichen Rede in gerade mal zwei Nebensätzen auf das Thema-E-Bike ein. »Sehr erfolgreich entwickelten sich erneut das E-Bike-Geschäft sowie unsere weiteren Aktivitäten im ­Two-Wheeler-Bereich«, berichtete dort Prof. Dr. Stefan Asenkerschbaumer, stellvertretender ­Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung.
Trotz der wirtschaftlich weiterhin offensichtlich nebensächlichen Bedeutung im Gesamtkonzern gab Bosch mit seinem E-Bike-Markteintritt immerhin den Startschuss für das Engagement einiger weiterer Automobilzulieferer und Großkonzerne in Sachen Fahrradmarkt. Deren Reaktion folgte jedoch mit ­einiger Verzögerung. Der fränkische Automobilzulieferer Brose feierte beispielsweise erst auf der Eurobike 2013 Premiere im E-Bike-Segment. Das Unternehmen ist zwar außerhalb der Automotive-Branche in erster Linie durch sein Sponsoring-Engagement bei den erfolgreichen Bamberger Basketballern bekannt, gehört aber mit 6,3 Mrd. EUR Umsatz durchaus zu den bedeutenderen Automobilzulieferern. Inzwischen hat sich Brose auch im E-Bike-Segment etabliert.
Seitdem hat die Dynamik des E-Bike-Markts auch nach dem Einstieg von Brose immer wieder neue Player aus der Konzernwelt auf den Plan gerufen.

Die Post geht ab

Bei der Streetscooter GmbH handelte es sich zunächst auch um ein Start-up von überschaubarer Größe, das 2010 im Umfeld der Universität RWTH Aachen gegründet wurde. Die Idee hinter dem Unternehmen ist, »Elektromobilität bereits ab kleinen Stückzahlen wirtschaftlich attraktiv zu gestalten«. Das gelang offensichtlich bereits in den Anfangsjahren so gut, dass sich 2014 die Deutsche Post DHL Group (Konzernumsatz 60 Mrd. EUR) für den Kauf der Streetscooter GmbH entschied.
Der elektrisch betriebene Fuhrpark der Post setzt sich seitdem vornehmlich aus Produkten von Streetscooter zusammen. Dazu gehören neben drei verschiedenen Autotransportern auch ein E-Bike und ein E-Trike. Produzierte Streetscooter zunächst nur für den Eigenbedarf der Post, steht das kleine Produktportfolio seit kurzem auch Drittkunden zur Verfügung. So wird das Unternehmen in diesem Jahr erstmals auf der Eurobike Kontakt zu neuen Abnehmern suchen.
Auf E-Bikes und E-Trikes setzt die Post bereits seit der Jahrtausendwende. Derzeit sind rund 12.000 Pedelecs mit zwei oder drei Rädern bei den Zustellern im Einsatz. Darunter sind bereits 3000 Streetscooter-Fahrzeuge. Daneben verfügt die Post über 6000 E-Transporter mit vier Rädern. Kürzlich eröffnete Streetscooter einen neuen Produktionsstandort im westfälischen Düren. »Mit unseren zwei Produktionsstandorten in NRW können wir den großen Post-internen Bedarf und die hohe Nachfrage von Drittkunden nach unseren E-Fahrzeugen nun noch schneller bedienen«, erklärt Achim Kampker, Geschäftsführer der Streetscooter GmbH. Besonderen Wert legt er dabei auf »die Fähigkeit, für unsere Kunden aus den verschiedensten Branchen und Ländern für ihre Zwecke maßgeschneiderte Elektrofahrzeuge zu erschwinglichen Preisen zu produzieren«.

Großes Potenzial

Unter den großen Neueinsteigern im E-Bike-Segment bildet die Post als Logistikunternehmen eine Ausnahme. In den meisten Fällen kommen die Unternehmen – wie bereits Bosch und Brose – aus dem Automotive-Segment. So wie Marquardt: Das schwäbische Familienunternehmen blickt auf eine über 90-jährige Geschichte zurück. Nach eigenen Angaben ist Marquardt ein führender Hersteller von elektromechanischen und elektronischen Schaltern und Schaltsystemen. Die Produkte kommen in der Automobil­industrie, aber auch bei Haushaltsgeräten und in anderen Branchen zum Einsatz. Mit über 10.000 Mitarbeitern an 19 Standorten in 14 Ländern erwirtschaftete Marquardt im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 1,2 Mrd. EUR.
Seit 2014 ist das Unternehmen im E-Bike-Segment aktiv, zunächst nur mit Displays. Auf der Eurobike stellt Marquardt einen E-Bike-Antrieb vor und bietet Fahrradherstellern dabei einen modularen Systembaukasten. Der vergleichsweise späte Einstieg soll kein Hindernis sein. »Wir sehen im weiter wachsenden E-Bike-Markt großes Potenzial für Marquardt und sind überzeugt, dass wir mit Neuheiten wie unserem Display und unserem integrierten Akku Fahrradherstellern und damit auch den Nutzern einen echten Mehrwert bieten können«, erklärt Ansgar Neumaier, Vice President Sales and Program Management Switches, Sensors and Controls, gegenüber velobiz.de. »Darüber hinaus birgt die Positionierung im E-Bike-Markt für Marquardt die Chance neuer Partnerschaften und Kooperationen.«
Der Start sei erfolgreich gewesen, berichtet Neumaier: »In den letzten zwei Jahren konnten wir ein stetig wachsendes Geschäft verbuchen. Besonders bei den Fahrraddisplays und der Akkutechnologie haben wir Kunden hinzugewonnen, weil wir mit unseren Lösungen den Herstellern größte Gestaltungsfreiheit und Flexi­bilität bieten.« Künftig soll das E-Bike-Segment auch ein relevantes Standbein fürs Unternehmen werden. »Natürlich sind wir im E-Bike-Segment noch am Anfang. Wir glauben aber, dass sich der Markt weltweit weiter dynamisch entwickelt und wir an diesem Aufwärtstrend mit unseren Innovationen partizipieren werden. Dementsprechend wird das Geschäftsfeld sukzessive an Bedeutung für unser Unternehmen gewinnen«, so Neumaier.

Tradition in der ­Mikromobilität

Mit ZF Friedrichshafen verkündete im vergangenen Jahr ein weiterer großer Automobilzulieferer (Jahresumsatz 36 Mrd. EUR) seinen Einstieg in den E-Bike-Markt. Dabei gründete ZF jedoch kein 100-prozentiges Tochterunternehmen, sondern suchte sich mit Magura, Brake Force One und Unicorn Energy in der Fahrradbranche und Elektromobilität erfahrene Partner für ein Joint Venture. Die Ziele sind hochgesteckt: »Mit dem Gemeinschaftsunternehmen haben wir uns vorgenommen, die Elektromobilität im Segment der Mikromobilität für zwei-, drei- und vierrädrige Fahrzeuge neu zu definieren«, erklärte Dr. Stefan Sommer, Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG.
Bei ZF sieht man den Einstieg in den E-Bike-Markt in einem größeren Zusammenhang. »Der Markt für Mikromobilität ist noch vergleichsweise jung und bietet sehr gute Chancen. Nicht nur der E-Bike-Markt boomt, generell gewinnt die Elektromobilität immer mehr an Fahrt«, heißt es vom Unternehmen gegenüber velobiz.de. »ZF ist hier bereits im Pkw- und Nutzfahrzeugbereich gut unterwegs und bietet ein breites Technik-Portfolio. Unser Know-how und unsere Systemkompetenz wollen wir zusammen mit starken und in der Branche bereits etablierten Partnern nun auch in die Mikromobilität einbringen.«
Der Friedrichshafener Konzern beruft sich dabei auch auf die eigene Geschichte: »Antriebslösungen in der Mikromobilität haben bei ZF Tradition – von der Torpedo-Freilaufnabe eines unserer Vorgänger-Unternehmen Fichtel & Sachs bis hin zu Hilfsmotoren für Zweiräder, die sich vor allem in den 1950er Jahren millionenfach verkauften. ZF übernahm Sachs 2001.« Gemeinsam mit den Partnern im Joint Venture sei nun das Ziel ausgegeben, Systemlieferant für innovative Antriebs- und Bremssysteme in der Mikromobilität zu werden. Seine neuesten Entwicklungen in diesem Bereich zeigt ZF auf der diesjährigen Eurobike.
Nur kurz nach ZF trat noch ein weiterer Automobilzulieferer mit Ambitionen im E-Bike-Segment auf den Plan: Die Düsseldorfer Rheinmetall AG ist ein börsennotiertes Unternehmen, das neben dem Automotive-Segment auch ein (sogar etwas größeres) Standbein im Rüstungsgeschäft hat. 2017 lag der Jahresumsatz bei 5,9 Mrd. EUR. Rheinmetall ist Mitglied im MDAX, der zweiten deutschen Börsenliga. Wie viele Industriekonzerne engagiert sich auch Rheinmetall für Jungunternehmen. Für den »Zukunftsmarkt Pedelecs«, wie es in einer Mitteilung hieß, wurde im vergangenen Jahr sogar ein konzerneigenes Start-up namens Amprio gegründet. Die Rheinmetall-Tochter hat ihren Sitz in Neuss.

2. Juli 2018 von Oliver Bönig

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