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Die Fahrradwerkstatt steht vor der Tür
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Report - Mobile Fahrradwerkstatt

Die Fahrradwerkstatt steht vor der Tür

Mobile Fahrradwerkstätten sind keine neue Erfindung, fristeten aber im Fahrradmarkt bislang eher ein Schatten­dasein. Mit der wachsenden Bedeutung des Internet-Handels, der Verbreitung von Dienst-, Werks- und Flottenrädern sowie einer veränderten Erwartungshaltung beim Kunden scheint sich das allerdings gerade fundamental zu verändern. Ebenso, wie die mobilen Werkstätten selbst.

Die Marktveränderungen sind bekannt: Fahrräder, die der Kunde auf digitalem Weg bestellt, gewinnen im Fahrradmarkt an Bedeutung. Nicht bei allen Kundengruppen und in allen Marktsegmenten, aber dort, wo der Handel via Internet immer mehr zulegt, trocknen die entsprechenden Segmente im stationären Einzelhandel zunehmend aus. Offenbar ist es aber nicht nur so, dass sich die Customer Journey mehr und mehr ins Internet verlagert, die Kunden haben heute auch ganz andere Erwartungshaltungen – im Privatkundenmarkt und vor allem auch im B2B-Bereich. Fahrradwerkstätten, die mobil und flexibel auf die neuen Kundenwünsche eingehen, adressieren diese Marktveränderungen. Das Bild, das viele Menschen beim Thema mobile Fahrradwerkstatt noch aus früheren Zeiten im Kopf haben, stimmt nicht mehr: Gerade wachsen neue professionelle Anbieter im Markt, die nur noch wenig mit den alten Einmann-Betrieben aus der alternativen Szene zu tun haben. Und auch etablierte Fahrradläden kooperieren in­zwischen mit den mobilen Werk­stattanbietern und den Online-Versandhändlern.

Veloyo: neue Chancen für Werkstätten

»Werkstätten können definitiv mit einer Serviceausweitung ihr Geschäftsmodell ausbauen und langfristig Kunden in einem Geschäfts­gebiet um ihre Standorte binden«, so Sebastian Kellner, CEO und Mitgründer der Technologie-Plattform Mesaic, die die Basis für den mobilen Fahrradreparaturservice Veloyo bildet. Als mögliche Handlungsfelder nennt Kellner die Buchung und Ablieferung im Geschäft, mobile Reparaturen sowie Abholung und Auslieferung. »Besonders mit Blick auf Rennrad, Mountainbike und E-Bike und hochqualifizierte Services gibt es hier noch sehr viel Potenzial, den Service aufzuwerten und als wichtiges Standbein zu etablieren. Kunden sind bereit, mehr für guten Service zu bezahlen.«
Das 2016 gegründete Hamburger Start-up Mesaic Technology konzen-triert sich auf die Interaktion mit dem Kunden per Smartphone als Messenger-Dienst und bietet die Mesaic-Plattform Unternehmen in verschiedenen Sektoren als sogenannte Software-­as-a-Service-Lösung (SAAS) an. »Wir betreiben die Veloyo-Plattform nicht aktiv als unser Kerngeschäft, sondern verstehen uns mit unserer Technologie immer als Enabler für bestehende Unternehmen und Marktteilnehmer«, betont der Jungunternehmer, dessen Firma aktuell auch für den Reifen­experten Euromaster arbeitet. »Wir ermöglichen mit unserer Plattform eine zeitgemäße Kundenbeziehung und ganzheitliche Erfahrung für Kunden und Mitarbeiter. Hierbei stehen einfache und persönliche Kommun­ikation und ein gutes Kundenerlebnis sowie Automatisierung von administrativen Aufgaben und Koordination für die Organisation und individuellen ­Mitarbeiter durch die Plattform im Fokus.« Im Klartext heißt das zum Beispiel, dass der Kunde nicht mehr eine E-Mail versendet, ohne zu wissen, ob sie überhaupt gelesen wird oder irgendwo in der telefonischen Warteschleife feststeckt, sondern direkt mit den Mitarbeitern kommuniziert, Termine vereinbart und zum Beispiel mit dem Smartphone Bilder von Schäden schicken kann.
Inzwischen gibt es den Dienst in Hamburg, Berlin, Amsterdam und London. Das Partnernetzwerk in den jeweiligen Orten besteht aus teilnehmenden Fahrradhändlern, aber auch aus Einzelpersonen mit entsprechender Fachkenntnis. Das Kundenversprechen von Veloyo lautet: Keine Odyssee mehr mit Auto, ÖPNV oder zu Fuß, um das Rad zur Werkstatt zu bringen. Weniger Stress mit Reparaturen und mehr Zeit, um urbane Mobilität mit dem Fahrrad zu erleben. Für Fahrradhändler mit eigener Werkstatt bietet der Dienst zudem das Potenzial, neue Kunden zu gewinnen, deren Kaufverhalten sonst eher online geprägt ist. »Die Entwicklungen von Service-Netzwerken und die Einbindung des stationären Handels in Online-/Offline-Modelle sind meiner Meinung die einzigen Konzepte, die langfristig Sinn machen und wettbewerbsfähig bleiben«, unterstreicht Sebastian Kellner. »Dies sehen wir auch in weiteren Branchen, in denen wir aktiv sind.«

Velofix: erfolgreiches mobiles Franchisekonzept

Wie und wohin sich der Markt für Service-Leistungen rund ums Fahrrad künftig entwickeln könnte, zeigen aktuell ganz unterschiedliche Ansätze und Geschäftsmodelle. Ein internationales Beispiel ist Velofix als Franchise-Geber für mobile Fahrradladen und Reparaturdienste: Im Jahr 2012 in Vancouver gegründet, wurde Velofix vom »Entrepreneur Magazine« in die Liste der »Top New Franchises 2017« aufgenommen. Inzwischen arbeitet Velofix mit über 100 Franchise-Nehmern in den USA und Kanada zusammen. Wenn man sich das ausgefeilte Konzept genauer anschaut, wundert man sich nicht über diesen Erfolg. Das Angebotsspektrum umfasst nicht nur Reparaturen und Wartungen, sondern geht in manchen Bereichen auch über die Leistungen stationärer Fahrradhändler hinaus. Fahrräder und Zubehörartikel können zum Beispiel online über Partnershops gekauft werden. Velofix übernimmt dann die Montage und Anpassung beim Kunden zuhause. Ein Nutznießer dieser Leistungen ist seit vergangenem Jahr beispielsweise die amerikanische Niederlassung des deutschen Direktanbieters Canyon.
Sowohl für Endmontage und Bikefitting, wie auch für Inspektionen und Reparaturen gibt es bei Velofix unkomplizierte Paketangebote, klar gegliedert nach den Kategorien Road, Tri, Cyclocross, Mountainbike und Commuter. Ergänzt wird das Angebot durch Bikeboxen für den Transport, die zum Kauf oder zum Leihen angeboten werden, einen Radverleih, Services für Unternehmenskunden und Radklubs, Kursangebote sowie Event-Services, zum Beispiel für Radrennen. Und damit es im Winter keine Umsatzeinbrüche gibt, bietet Velofix sogar Skiservices an.
»Unser Ziel ist, die größte Gruppe von Fahrradgeschäften der Welt zu werden. Über 100 in Nordamerika verkaufte Franchises ist eine Bestätigung unseres Geschäftsmodells und der Zukunft der Fahrradindustrie«, erklärt selbstbewusst Chris Guillemet, CEO und Mitbegründer von Velofix.
Auch in Deutschland stehen neben den regional tätigen mobilen Bike-Services inzwischen verschiedene Dienstleister in den Startlöchern, die auf Franchise-Systeme und die Zusammenarbeit mit Online-Händlern setzen. Das Unternehmen Go Bike Service aus den Niederlanden, das gerade sein Geschäftsfeld in Deutschland ausbaut, ist dafür ebenso ein Beispiel wie Fixfox, die in der Schweiz und in Liechtenstein gestartet sind und kommendes Jahr ebenfalls nach Deutschland expandieren wollen.

LiveCycle: lokale Standorte und mobile Services

»Unsere Grundidee war es, einen zeitgemäßen Fahrradservice anzubieten: mobil, digital buchbar. Für Endkunden, Geschäftskunden und Industriepartner«, sagt Bastian Scherbeck, Geschäftsführer und Mitgründer der LiveCycle GmbH. Seit der Gründung vor zwei Jahren hat sich das Unternehmen aus München rasch entwickelt: »Als Partner von KEP-Dienstleistern (Red. Anm.: KEP = Kurier-, Express-, Paketdienst) hatten wir in Berlin einen relativ leichten Start. Durch die Zusammenarbeit mit Investoren haben wir unsere Standorte auf sechs ausgeweitet. Ein siebter kommt in Kürze dazu.«
Mit zum Erfolg beigetragen hat neben dem Konzept auch die Zusammenarbeit mit immer größeren Partnern, darunter prominente Namen wie Rose und Fahrrad.de. Zu einem Standort gehören jeweils vier bis fünf festangestellte Mitarbeiter, ein Werkraum, der laut Bastian Scherbeck gleichzeitig auch als Showroom dient, ein zur Werkstatt ausgebauter Sprinter und zwei bis drei Cargo-E-Bikes für Endkundenbesuche.
Ein Franchise-System kommt für Bastian Scherbeck nicht infrage. »Für unser Geschäft ist es wichtig, den Qualitätslevel einheitlich hoch zu halten. Deshalb arbeiten wir auch nur mit festangestellten Kräften zusammen, die wir ständig intern fortbilden.« In Zusammenarbeit mit den Partnern im Online-Handel bietet LiveCycle sogenannte Premium-Auslieferungen oder einen »Pick-Up-In-Store«-Service. »Das Angebot wird sehr gut angenommen und sowohl die Retailer, als auch die Kunden sind begeistert: Die Hemmschwelle, ein teures Bike im Internet zu bestellen, sinkt, der Kunde bekommt seinen Service termingerecht und auf Wunsch zuhause, er wird nicht allein gelassen und die Retailer freuen sich, weil die Customer Experience nicht mit einem anonymen Paketdienst endet. Die Kundenberatung wird quasi vor die Haustür getragen.«
Im Idealfall bekommt der Kunde sein Rad so wunschgemäß zum Beispiel am Samstagmorgen nach Hause geliefert, vor Ort auf seine Bedürfnisse eingestellt und kann dann sofort die erste Radtour starten. »Unsere Erfahrung ist, dass wenn eine Premium-Auslieferung prominent als zubuchbares Produkt auf der Website des Online-Retailers erscheint und das Pricing stimmt (Red. Anm.: aufgerufen werden um die 50 Euro), Kunden das auch gerne nachfragen.« Und auch nach dem Kauf sei der prompte Service immer sichergestellt. »Das vermittelt dem Kunden Sicherheit«, betont Bastian Scherbeck.
Warum solche Services heute immer stärker nachgefragt werden, dazu hat Bastian Scherbeck, der ursprünglich aus dem Bereich Online-Kommunikation kommt, eine nachvollziehbare Erklärung: So habe sich die Erwartungshaltung der Kunden im Hinblick auf Services in den letzten Jahren durch verschiedene Faktoren auch beim Fahrrad stark verändert. »Zum einen gibt es immer mehr Kunden, die ihr Fahrrad oder E-Bike für die tägliche Mobilität oder auch als Autoersatz brauchen. Für sie ist ein schneller unkomplizierter Service essenziell. Zum anderen verändern die großen Online-Händler und Lieferdienste die Erwartungshaltung. Heute bestellen und heute oder morgen bekommen ist hier der Anspruch.« Ganz erfüllen können das zwar auch die Online-Händler beim Fahrrad nicht, aber grundsätzlich hat der Online-Handel gegenüber dem stationären Handel in Bezug auf Auswahl und Kosten einen Wettbewerbsvorteil. »Wenn dann noch mobile Services dazu kommen, hat das auch Effekte auf den Handel«, so Bastian Scherbeck.

Fachkräftemangel bremst Expansion

Um Kunden vor allem im B2B-Geschäft mit Werk- und Diensträdern flächendeckend bedienen zu können, arbeitet LiveCycle auch mit den Werkstätten stationärer Fahrradläden zusammen. Die Vorteile für die Partner im Handel sieht Scherbeck hier vor allem in der planbaren Auslastung der Werkstatt auch außerhalb der Radsaison. »Für MTU in München haben wir beispielsweise die Wartung von rund 1000 Werksrädern übernommen. Das hält die Werkstatt das ganze Jahr über beschäftigt.« Auch mit zusätzlichen eigenen Standorten würde LiveCycle gerne das Geschäft ausweiten. Das Münchner Start-up stößt dabei jedoch mit einem Problem an Grenzen, das auch viele stationäre Werkstattbetreiber plagt: »Wir suchen Mitarbeiter, die offen sind und gut im Kundenkontakt – und die sind gar nicht immer so leicht zu finden.« Zudem benötigten die Mitarbeiter in der Regel einen Führerschein, um zum Kunden fahren zu können. »Dass das zu einem Problem werden könnte, haben wir gar nicht auf dem Schirm gehabt«, so Bastian Scherbeck. Auch an die für jeden Standort erforderlichen Meister werden besondere Anforderungen gestellt: »Sie müssen nicht nur technisch versiert sein, wir erwarten auch, dass sie die Kollegen im Service schulen und aktiv bei der Entwicklung von Prozessen mitarbeiten.« Insgesamt würde sich das Berufsbild der Zweiradmechaniker aus seiner Sicht aktuell wandeln. »Letztlich geht es zum Beispiel oft gar nicht darum, ein Fahrrad komplett aufzubauen, sondern nur um die Endmontage. Auf der anderen Seite wird gerade bei E-Cargobikes ein anderes Know-how gefordert und darüber hinaus werden kommunikative Fähigkeiten im direkten Kontakt mit dem Kunden immer wichtiger.« Vor dem Hintergrund des allgemeinen Fachkräftemangels, der auch die Fahrradbranche trifft und das Wachstum bremst, müssten die Verbände seiner Meinung nach intensiv daran arbeiten, den Beruf wieder sexy zu machen. »Dem Berufsbild im Fahrradhandwerk hängt noch der Mief der 90er Jahre an.«
Wie auch immer der Markt für mobile Fahrrad-Services sich entwickeln wird, eins scheint klar: Die Veränderungen sind absehbar und sie werden wahrscheinlich nicht spurlos am etablierten Fahrradhandel vorbeigehen. Laut Sebastian Kellner von Veloyo, der nach eigener Einschätzung einen guten Außenblick auf die Branche hat, wird der Fahrradmarkt gezwungen sein, sich weiter zu professionalisieren und zu digitalisieren. »Wenn dies nicht durch die Ladengeschäfte, Ketten und Einkaufsgesellschaften passiert, dann werden die Online-Retailer die Parteien sein, die Omni-Channel-Konzepte einführen und so weiter im Markt wachsen. Unternehmen wie Trek, Specialized und BackCountry in der Kombination mit mobilen Service-Lösungen zeigen selbst in Regionen mit weniger Radfahrern, wohin sich das Einkaufs- und Serviceerlebnis bewegt.«

13. August 2018 von Reiner Kolberg

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