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Frauen lieben (Bike)-Shopping
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Handel - Die Frau als Kundin

Frauen lieben (Bike)-Shopping

Während das Radfahren auch für Frauen heutzutage im Gegensatz zu seinen Anfangszeiten salonfähig ist, scheint ein Bereich immer noch eine Männerdomäne geblieben zu sein: der Fahrradladen. Dass sich die weibliche Art einzukaufen von der männlichen unterscheidet, scheint noch nicht bei jedem Händler angekommen zu sein.

Laut dem Fahrradmonitor 2017 haben Frauen beim Radfahren die Nase vorn: 43 Prozent der befragten Frauen gaben an, mehrmals wöchentlich das Fahrrad zu benutzen. Bei den Männern waren es hingegen nur 38 Prozent. Dennoch war Radfahren lange den Männern vorbehalten. In den Anfangszeiten des Rades Ende des 19. Jahrhunderts betonten einige Mediziner sogar die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen des Radfahrens auf das weibliche Geschlecht. Doch die Frauen, zunächst Adelige und Künstlerinnen, ließen sich nicht stoppen. Die Geschichte des weiblichen Radfahrens ist eng verwoben mit der Emanzipation der Frau. Daher ist nicht weiter erstaunlich, was die US-amerikanische Frauenrechtlerin Susan B. Anthony zum Radfahren zu sagen hatte: »Ich denke, es hat mehr für die Emanzipation der Frau getan als alles andere auf der Welt. Es gibt den Frauen ein Gefühl von Freiheit und Selbstständigkeit. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine Frau auf einem Fahrrad vorbeifahren sehe , es ist die Verkörperung von freier und uneingeschränkter Weiblichkeit.«

Ambiente, Ahnung und Anerkennung

Wenn man Laszlo Kruchio, dem Geschäftsführer von Heels on Wheels in Graz glauben darf, sieht das typische Bild von Radgeschäften so aus: ein »dunkles, schmieriges, muffiges (nach Öl riechendes), seit über zehn Jahren nicht ausgemahlenes Hinterhoflager«. Verständlich, dass frau sich da nicht unbedingt wohlfühlt. Sein Laden hingegen – das erste Fahrradgeschäft nur für Frauen in der Stadt in der Steiermark – will eine andere Atmosphäre schaffen. Eine, in der sich auch das weibliche Geschlecht willkommen fühlt. Eine Idee, wie radelnde Damen so ticken, bekam Laszlo Kruchio durch seine vierjährige Arbeit als Mechaniker im österreichischen Frauen-Radnationalteam. Statt einer Lochwand mit Dornen gibt es bei ihm frische Blumen, statt Eurolochkarten »viel bunten Schnickschnack«.
Aber neben dem Ambiente und der Auslage zählt für Frauen auch die persönliche Note. Karen Eller, Coach und Gründerin des Fahrradreiseveranstalters Die Rasenmäher, hat festgestellt, dass es neben sehr guten Verkaufsberatern im Fahrradgeschäft auch diejenigen gibt, die »sofort Vorurteile haben und versuchen, die Interessentin in eine Schublade zu packen«. Die dreifache Gewinnerin der Transalp Challenge spricht sicherlich für einen Großteil der Frauen, wenn sie sagt, dass Frauen nach dem »Verkäufer ihres Vertrauens« suchen, und von diesem »individuell behandelt werden« wollen. Hier liegt der große Vorteil des Fachhandels gegenüber dem Internet. Während das Internet stumpf technische Details auflistet, kann der Berater beraten: Zusammenhänge erklären, Vorteile hervorheben, auf individuelle Anforderungen eingehen und – wenn die Theorie nicht mehr weiterbringt – zur Probefahrt schreiten. Gerade Frauen vertrauen in letzter Instanz auf ihr Bauchgefühl. »Frauen wollen wissen, ob ihnen das Rad passt und sie damit zurechtkommen. Kennzahlen und technische Details sind eher nachrangig«, stellte Thomas Musch, Chefredakteur von »Tour« und »Mybike«, bei der Arbeit an Spezialausgaben für Frauen fest.
Auch Kerstin Bierl, die sich seit mehreren Jahrzehnten professionell mit Radfahren beschäftigt und für die das Fahrrad ein Arbeitsmittel ist, teilt diese Auffassung: »Männer informieren viel mehr über technische Details«, hat die Gründerin und Geschäftsführerin von Alps Biketours erkannt und ergänzt: »Es muss optisch passen, ich kaufe mehr aus dem Bauch raus.« Hier kann der Fachhandel ansetzen und seine Service-Vorteile ausspielen.

Aussehen ist alles?

Beim Vorstellen der Spezifikationen sollte der (meist männliche) Verkäufer darauf achten, nicht in das geächtete »Mansplaining« zu verfallen. Dieses Kofferwort aus »Man« (Mann) und »explain« (erklären) bezeichnet das überhebliche Erklären eines Mannes gegenüber Frauen in Bezug auf einen Gesprächsgegenstand, von dem er meint, mehr Ahnung zu haben. Einer Frau auf der Suche nach einem Mountainbike oder Rennrad muss man sicher nicht erklären, wie die Schaltung funktioniert, was Carbon kann oder wie die Schuhe in die Klickpedale einrasten. Herablassende Darlegungen aus Männermund sind hier schlicht fehl am Platz. Gleichzeitig ist es aber auch nicht zielführend, Kundinnen voller Imponiergehabe mit unverständlicher Technik zuzutexten. Laszlo Kruchio etwa hat »die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen beim Fahrradkauf weniger zum Beispiel um Unterschiede zwischen HS11- und HS33-Bremse oder um die Gewichtsdifferenz zwischen LX- und XT-Schaltwerken kümmern, hingegen ist oft die Farbauswahl ausschlaggebend«. Es mag wie ein Klischee klingen, aber in der Tat spielt die Farbe neben weiteren optischen Merkmalen bei vielen Frauen keine untergeordnete Rolle. Doch dabei muss es nicht immer rosa sein, wie Daniel Ciasto, der Geschäftsführer von Alpha Bikes in München, aus eigener Erfahrung weiß: »Frauenfarben kommen gut an, aber gerade sportive Frauen wollen eher Unisex-Modelle.« Thomas Musch geht sogar zu weit, zu behaupten, dass nicht wenige Frauen typische Frauen-Designs wie etwa das Blümchendekor als »Angriff auf ihre Kompetenz« ablehnen.

Brauchen Frauen Frauen­räder?

Und da lauert auch schon das nächste vermeintliche oder tatsächliche Vorurteil: Frauen brauchen Frauenräder. Einige große Marken haben es vorgemacht: die Contessa-Linie von Scott, die Marke Liv von Giant, das Women‘s Specific Design (WSD) von Trek. Zumindest letzterer Hersteller berichtet, dass Frauen gar keine so homogene Gruppe sind, es »die« Frauen so nicht gibt: »Bei unserer Entwicklung haben wir festgestellt, dass ein einziger Ansatz nicht für alle Frauen gleichermaßen funktioniert«, heißt es auf der Homepage von Trek. Und weiter: »Verschiedene Frauen stellen unterschiedliche Ansprüche an ihr Fahrrad.« Nur rund 60 Prozent der Käuferinnen hochwertiger Trek-Modelle würden zu einem frauenspezifischen Modell greifen, die anderen 40 Prozent fühlen sich demnach auf einem Unisex-Modell wohler.
Der Handel, der näher an der Kundin dran ist als die Hersteller, weiß es noch besser: »Es gibt nicht mehr so eine Nachfrage nach speziellen Damenrädern. Die anatomischen Unterschiede sind nicht so groß, die Anpassung macht’s«, so zumindest die Erfahrung bei Alpha Bikes in München laut Geschäftsführer Daniel Ciasto. Zwar sind Frauen durchschnittlich 14 Zentimeter kleiner als Männer und das maximale Maß für Lenker bei Frauen liegt bei 38 Zentimetern. Aber so wie es kleine Frauen gibt, gibt es auch kleine Männer. Manche Männer haben kleine Hände und schmale Schulter, manche Frauen eben große und breite. Deswegen müssen Sattel, Cockpit und Lenkerbreite angepasst werden – sowohl auf die Kundin als auch auf den Kunden. Karen Eller beantwortet die Frage danach, wie ein typisches Frauenrad aussehe, deshalb knapp mit den Worten: »Im besten Fall nicht viel anders als ein Herrenrad.«
Anders hingegen ist es beim Zubehör. »Wenn es ums Zubehör und die Bekleidung geht, glaube ich nicht, dass der Fahrradladen männerdominiert ist«, vermutet Thomas Musch. Da ist sicherlich ein Fünkchen Wahrheit dran, denn anhand der Artikelauswahl bei »Heels on Wheels« in Graz lässt sich ablesen, womit Laszlo Kruchio einen großen Teil seines Umsatzes macht. Für ihn existieren die typischen Frauen-Produkte: »Körbe, Sattelschoner, Glocken, Rocksättel, Lastenräder«, zählt er auf. Diese können auch gerne in Farbnuancen kommen, die Männer vielleicht abschrecken. Generell hübschen Frauen ihre Alltagsräder, aber auch ihre sportlichen Flitzer gerne mit individuellen Details auf. Hier ein pinker Schnellspanner, da eine rote Sattelstützklemme. Oder auch eine Klingel mit Blümchen oder Einhorn. Frauen reagieren auf Schlagworte wie »schön, cool, schick, verblüffend bequem, außergewöhnlich, stilvoll und elegant« - alles Adjektive, mit denen der Grazer Laden auf seiner Website seine Produkte beschreibt und so um Kundinnen wirbt. »Damit würdest Du mich total ködern«, gibt Kerstin Bierl zu. Kurzum: Es gibt nicht »das« Frauenrad von der Stange – wohl aber das von Frauen liebevoll individualisierte Rad.

Stichwort: Bekleidung

Frauen lieben Shopping – zumindest die meisten von ihnen. Wieso sollte es dann bei radelnden Frauen anders sein? Auch auf dem Rennrad oder dem Mountainbike will so ziemlich jede eine gute Figur machen. Und das geht eben nun mal nur in schicker Kleidung. Deshalb sind moderne Trikots und auf die weibliche Anatomie zugeschnittene Bibs gefragt. »Frauen, die mit uns unterwegs sind, wollen auf dem Rad auch gut aussehen«, bestätigt Kerstin Bierl. Sie hat festgestellt, dass viele dieser Frauen beruflich in guten Situationen sind und sich auch Trikots für 70 Euro oder mehr leisten können. Auch Karen Eller weiß um die Wichtigkeit des Gewands für das weibliche Geschlecht: »Frauen kaufen statistisch viereinhalb mal so viel Klamotten wie Männer.« Ihre Botschaft an den Fahrradhandel ist deshalb eindeutig: »Es gibt immer noch viele sehr konservative Bike-Läden, die sich an modische und hippe Bike-Bekleidung nicht rantrauen. Mittlerweile gibt es so viele Bike-Marken, die funktionelle und auch stylische Klamotten anbieten. Vielleicht einfach mal die Kundinnen fragen, was sie sich wünschen würden und was ihnen fehlt.« Allerdings ist die Auswahl an sportlicher Kleidung tatsächlich riesig, so dass es sich für den kleinen Händler als schwierig erweist, immer das gewünschte Kleidungsstück von der Lieblingsmarke in der passenden Größe und bevorzugten Farbe im Laden zu haben. Männer geben sich schneller mit einem klassischen Modell in einer gedeckten Farbe zufrieden. Schon beim Zubehör hat Laszlo Kruchio dieses Verhalten beobachtet: »Man kann natürlich nicht verallgemeinern, aber Männer sind schon oft sehr schnell beim Aussuchen: Helm aufgesetzt und gleich bezahlt. Frauen schauen sich gerne im Spiegel mit verschiedenen Helmen an und schicken Fotos, etwa von Glocken, an Freundinnen vor der Kaufentscheidung.«

Der Mann als Man(n)ipulator

Eventuell geht es bei Männern beim Kauf von Kleidung und Komponenten, aber auch einem sportlichen Rad deswegen so schnell, weil sie bereits im Vorfeld recherchieren. »Männer informieren sich viel mehr über technische Details«, glaubt Karen Eller. Sie vermutet, dass die meisten Männer vorgehen wie ihr Mann: Testberichte lesen, Komponenten vergleichen, mit anderen Männern diskutieren. Frauen verlassen sich häufiger auf die Beratung im Fachhandel – kommen manchmal aber auch mit gewissen Vorstellungen. Dass diese jedoch nicht immer ihre eigenen sind, haben Daniel Ciasto und sein Team festgestellt: »Wir würden uns freuen, wenn sich Frauen nicht so sehr vom Partner beraten lassen würden und so vielleicht Bike-Modelle fahren, die nicht auf sie zugeschnitten sind, und sie mit anderen Rädern mehr Spaß hätten.« Schon möglich, dass ein Partner seine Frau gerne mit in den Bikepark nehmen würde und er sie deswegen nach einer Downhill-Maschine mit besonders großem Federweg fragen lässt. Aber auch möglich, dass sie dann mit dem Gerät über Feldwege strampelt, was ihr mit einem Hardtail einfacher fallen würde. Hier wird der Mann zum Man(n)ipulator.

Potential »Frau als Kundin«

Wie Kerstin Bierl auf den von Alps Biketours organisierten Touren immer wieder bemerkt: Sportliche Radfahrerinnen scheinen finanziell gut gestellt zu sein. Denn weder das sportive Fahrrad noch die Ausstattung sind günstig. Damit wird die Frau als Kundin immer wichtiger für den Fahrradhandel und – weiter gefasst – den gesamten Sportfachhandel. Eine Studie der Ispo Munich zum Thema »Frauen im Sport-Business« kam zu folgenden Ergebnissen. »79 Prozent der Hersteller gaben an, dass Frauen für den Umsatz ihres Unternehmens wichtig bis äußerst wichtig sind. Für 46 Prozent der Hersteller hat die weibliche Zielgruppe in den letzten zwei Jahren an Bedeutung gewonnen. Auch bei den Händlern zeigt sich die hohe Relevanz: Bei einem Viertel von ihnen machen spezielle Frauenkollektionen oder -produkte die Hälfte des Gesamtportfolios oder mehr aus. Bei 35 Prozent liegt der Anteil zwischen 25 und 49 Prozent.« Maria Elena Rizzieri, Woman Project Leader bei Blizzard/Tecnica formuliert es so: »Frauen wählen ihre eigene Ausrüstung und sie sind vorsichtig bei der Wahl des richtigen Equipments. Produkte und ihre Eigenschaften werden immer wich­tiger, es kommt nicht mehr nur auf das Aussehen an. Frauen werden als Zielgruppe im Sport immer relevanter.«
Mit dem steigenden Anteil an berufstätigen Frauen und der Anpassung der Löhne zwischen Männern und Frauen werden Kundinnen auch immer zahlungskräftiger. Die Bike-Branche wird also auch 200 Jahre nach Erfindung des Fahrrads immer noch von der Emanzipation der Frau nach vorne getrieben. Ob der Rad-Laden immer noch eine Männerdomäne ist? Schwer zu sagen. Die Frauen sind auf jeden Fall auf dem Vormarsch.

6. Mai 2019 von Nadine Elbert
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