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Aus seinen blauen Augen strahlen die Emotionen des Familienunternehmers Bernhard Lange.
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Portrait - Bernhard Lange

Der Mann im blauen Kittel

Im deutschen Fahrradhandel geht ohne sein Unternehmen kaum etwas: Bernhard Lange, das Gesicht der Paul Lange & Co. OHG, führt den Shimano-Generalvertreter für Deutschland. Der schwäbische Unternehmer über Arbeitsethik, Religion und die Entwicklung dieses erfolgreichen Familienunternehmens.

Die Augen verraten oft starke Emotionen hinter seinen Antworten. Sein Blick ist aufmerksam, die hellblauen Pupillen schauen aus einem wachen Gesicht, mal leuchten sie, mal treten Tränen der Rührung hervor. Im Gespräch mit dem Firmenchef Bernhard Lange zeigt sich, dass Familienunternehmer kein Job ist, den man beliebig wechselt. Hier ist ein Mann, der mit Leib und Seele für seine Firma lebt und dessen Gefühle nicht zu trennen sind von dem, was das Unternehmen aus Schwaben ausmacht – ein Unternehmen, das den Namen seines Vaters trägt und für den Großteil der deutschen Fahrradbranche seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Partnern zählt.
Besuch in Stuttgart-Bad Cannstatt bei Bernhard Lange, 60, dem geschäftsführenden Gesellschafter der Paul Lange & Co. OHG. Das Unternehmen ist selbst vielen Verbrauchern bekannt, obwohl sie dort niemals einkaufen werden - denn es vertritt seit mittlerweile 52 Jahren den japanischen Komponentenhersteller Shimano in Deutschland und ist somit für den Nachschub von Fahrradteilen und für den Service ein Schlüsselspieler. Es ist ein Besuch bei einem hochdekorierten erfolgreichen Geschäftsmann, Träger der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland – und doch auch bei jemandem, dessen Namen zwar alle kennen, über dessen Persönlichkeit aber selbst Insider nicht viel wissen.
Wer das Unternehmen besucht und den Blick schweifen lässt, erkennt die gewachsene Kultur eines Mittelständlers an funktionaler Architektur ohne Allüren und sieht auch, dass diese Firma seit Jahrzehnten eine enge Verbindung zu den Produkten und Akteuren der Branche hat. Man erkennt das schon am Eingang, wo gerahmte Erinnerungen neben Exponaten an der Wand montiert sind – doch all das wirkt nicht protzig. Es wirkt eher, als sei man stolz auf die eigene Rolle – und darauf, ein fahrradfreundlicher Arbeitgeber zu sein.

206.000 Aufträge im Jahr 2018

Gleich neben dem Verwaltungstrakt liegt der Eingang zum Lager – 9.500 Quadratmeter Fläche bieten den Raum für die Aktivitäten, mit denen die Paul Lange & Co. OHG für die Branche höchste Relevanz besitzt. Hier lagern in Hochregalen und auf Paletten über mehrere Etagen in verschiedenen, in den vergangenen 30 Jahren hinzugewachsenen Hallen die Produkte, die Händler in Deutschland und auch bei Tochtergesellschaften im Ausland nachfragen. 50 bis 65 Mitarbeiter arbeiten, je nach Saison, in diesem Lager, 32.000 Artikelnummern sind hier zu finden, darunter 4.000 verschiedene Kleidungsstücke. 1.350 Tonnen Paketsendungen und 1.250 Tonnen auf Paletten gingen von hier im Vorjahr in Richtung der Fahrradläden im Land – insgesamt 206.000 Aufträge. Paul Lange ist ein Riese, der als Personengesellschaft seinen Umsatz nicht offen legt und über die Gruppe mit allen Landesgesellschaften etwa 500 Mitarbeiter beschäftigt. Im hessischen Herleshausen betreibt das Unternehmen ein zentrales Umschlaglager, von dem die Hersteller der deutschen Fahrradindustrie direkt die importierten Teile beziehen.
Geht es um Fahrräder in Deutschland, dann geht ohne dieses Unternehmen nicht viel. Das hat auch damit zu tun, dass die Familie Lange seit Jahrzehnten enge persönliche Verbindungen nach Japan unterhält. »Das Unternehmen war immer da, in meiner Jugend besuchten uns immer wieder Japaner zu Hause«, erinnert sich Bernhard Lange, der 1959 geboren wurde – acht Jahre, bevor seine Eltern die Zusammenarbeit mit Shimano eingingen. Heute lässt Lange keinen Zweifel an der Identität: Zum Gespräch mit velobiz.de Magazin erscheint er in einer blauen Jacke, wie sie auch in Japan die Belegschaft trägt. Es ist sowohl ein Zeichen der Demut als auch Selbstverständlichkeit, dass Lange diese Kleidung trägt und nicht etwa europäische Business-Mode. Er zeigt, wofür er steht. Und das ist nicht nur eine Marke – wer länger mit ihm redet, erkennt die tiefe persönliche Prägung durch Japan ebenso wie die jahrzehntelang gewachsene Identität der eigenen Unternehmerrolle.
Dabei hatte Bernhard Lange ursprünglich herausgestrebt aus dem Unternehmen, das seine Eltern 1949 gegründet hatten, um französische Zahnkränze und Wolber-Bereifung in ihrer Region zu vertreiben. Später waren sie Partner von Sturmey Archer in Deutschland, ehe 1967 die Zusammenarbeit mit Shimano begann. Anstatt ins Unternehmen einzusteigen, träumte Bernhard Lange als eines von vier Kindern zunächst von einer Pilotenausbildung bei der Lufthansa. Doch dort gab es damals einen Einstellungsstopp. Also machte er etwas ganz anderes: Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete Lange zunächst in der Kreditabteilung bei einer Gewerkschaftsbank. »Mein Vater war wütend«, erinnert sich der Sohn, auch wenn der Respekt für den eigenen Weg da gewesen sei. Später wollte Bernhard Lange dann BWL studieren, doch sein Vater konnte ihn doch noch von der unmittelbaren Karriere im eigenen Familienunternehmen überzeugen. Ein wahrscheinlich nicht unwesentliches Lockmittel war dabei das Angebot von Vater Paul, zunächst bei Shimano in Japan und anschließend in den USA eine Marketingausbildung zu machen, das Unternehmen komplett zu durchlaufen und danach erst in Stuttgart einzusteigen. »Ich habe spontan zugesagt«, erinnert sich Bernhard Lange. Im Januar 1983 betrat er die japanische Firmenzentrale von Shimano das erste Mal – genau zum richtigen Zeitpunkt.

Das Kinderrad der Familie im Blick

Wer sich umschaut im Veranstaltungsraum der Paul Lange & Co. OHG, sieht eine bunte Auswahl an Exponaten. Klar, da sind aktuelle Artikel – aber vor allem auch viele historische Räder an der Decke. Besonders lockt aber das beleuchtete Regal mit Glasfront, das eine komplette Wand bedeckt. Man findet dort viele Exponate, die Bernhard Lange persönlich wichtig sind – und die auch für die Entwicklung des Unternehmens in der Partnerschaft mit Shimano stehen. Schaltgruppen wie die Shimano 105, die 1983 auf den Markt kam – eben zu jenem Zeitpunkt, als Bernhard Lange in die Branche einstieg. Ganz oben auf dem Regal stehen drei Räder, darunter das Kinderrad, das in seiner Familie gleich mehrere Generationen zum Lernen genutzt haben.
Heute ist Bernhard Lange gewissermaßen das Gesicht des Stuttgarter Unternehmens, als geschäftsführender Gesellschafter verantwortlich für die Beziehungen zu den Partnern, für den Auftritt beim Handel und für das Marketing. Seine Schwester Barbara Schattmaier arbeitet mit ihm zusammen, sie kümmert sich um die Finanzen des Unternehmens. »Wir passen zusammen wie ein paar Schuhe«, beschreibt es Bernhard Lange – und betont die darin liegende Kontinuität: Auch seine Eltern hatten eine solche Aufteilung, der Vater ging nach außen, die Mutter Fernanda Lange, diplomiert als »Kaufmann«, managte das Geld und auch den inneren Zusammenhalt der Firma. »Das Schöne ist: Bei uns gibt es zwischen den Familienstämmen keine Problematik«, berichtet Lange. Man hört von anderen Fällen in anderen Firmen, aber hier – sagt Bernhard Lange – setze sich niemand einfach dazu und wolle von der Arbeit der anderen profitieren. Er hat gemeinsam mit seiner Frau aus Frankreich, die vor Kurzem auch die deutsche Staatsangehörigkeit annahm, zwei Söhne und eine Tochter, ebenso sieht es bei seiner Schwester aus. Langes ältester Sohn ist bereits fest ins Unternehmen integriert und mit einer Japanerin verheiratet. Barbara Schattmaiers ältester Sohn führt die Geschäfte in Langes französischer Tochterfirma, der Zweitgeborene arbeitet mit an den Finanzen des Stuttgarter Unternehmens.

Arbeit im größeren Zusammenhang

Aus Langes Erzählungen spricht Ethik: Es ist für ihn selbstverständlich, dass Kinder einer Unternehmerfamilie arbeiten, dass sie gefordert werden, dass sie nicht satt werden, lustlos oder verwöhnt. Es gehe ihm um Werte. Wer mit Beobachtern von außen spricht, hört von einer geringen Fluktuation, Mitarbeiter blieben lange hier – das spricht dafür, dass der Familiengeist auch die Angestellten erreicht. »Ich habe ein sehr gutes Team, das beste Team der Welt«, lobt Lange seine Mitarbeiter. Eine Besonderheit: Jedes Jahr vor Weihnachten widmen sich Lange und Schattmaier allen 300 Mitarbeitern in persönlichen Gesprächen. »Da sind viele schwierige persönliche Dinge dabei, die besprechen wir und das bleibt dann unter uns«, erklärt Lange. Er sieht diese Arbeit als Unternehmer in einem größeren Zusammenhang, möchte ein Miteinander haben – in einer Zeit, in der auf der Welt viel von neuen Grenzen und dem Ende des Multikulti die Rede ist.
Und so passiert es, dass Bernhard Lange im Gespräch für ein Porträt in einem Fahrradmagazin nicht nur über unternehmerische Erfolge und Markttrends spricht, sondern vor allem auch über Dinge, die ihn tief bewegen. Er ist, daran lässt er keinen Zweifel, ein Christ. Es gibt Menschen, die ihn in diesem Weltbild inspiriert haben. Einer davon war ein Pfarrer, der als evangelischer Religionslehrer an seiner Schule arbeitete. Lange, selbst Katholik und damals Klassensprecher, hatte erfolgreich durchgesetzt, dass er mit Klassenkameraden an dessen Unterricht teilnehmen durfte. Diese Erinnerung rührt Lange, man erkennt es an seinen Augen und seiner Stimme. »Der hat uns verdammt viel in diesem Leben mitgegeben. Er hat Fragen beantwortet, die wichtig für die Nachkriegsgeneration waren.« Bernhard Lange predigt beinahe das Engagement für die Mitmenschen. Seine karitative Haltung zeigt sich vielerorts. Klar, er habe Glück gehabt, aber »Glück musst du auch immer wieder leben, man muss daran glauben und wenn man Glück hat, muss man auch anderen Menschen die Möglichkeit dazu geben.«

Das »Ohr am Markt« für Shimano

Natürlich ist der Unternehmer Bernhard Lange aber nicht nur aus dem eigenen Glauben und Handeln gewachsen, sondern eben auch aus der Verflechtung mit Shimano. Er profitiert heute davon, dass sein Vater vor mehr als fünf Jahrzehnten bei Shimano anrief und sagte: »I’m free.« Als sein Vater anfing mit Teilen aus Japan zu handeln, hielten ihn manche für verrückt – zumal die Produkte deutlich von dem abwichen, was man in Deutschland gewohnt war. Es gab beispielsweise keine Naben mit Rücktritt, keine Fünffach-Kettenschaltung, die Branche reagierte entsprechend skeptisch. Das führte aber auch dazu, dass der Stuttgarter Vertriebspartner den Japanern aus der Praxis erklären konnte, was der deutsche Markt nachfragte. Diese Rolle, gewissermaßen »Ohr am Markt« zu sein, ist Bernhard Lange bis heute sehr wichtig. Hier helfen enge Beziehungen direkt zu Händlern, die die Firma 1971 mit einer damals mutigen Aktion auf der IFMA in Köln eröffnete. Dort sprachen die Langes ganz gezielt die Einzelhändler an, ob sie direkt an die Shimano-Produkte kommen wollten – also unter Umgehung des Großhandels. »Vorher galt es als unmöglich, direkt mit Händlern zusammenzuarbeiten.« Doch die Händler lernten schnell die Shimano-Komponenten zu schätzen, die zudem deutlich günstiger zu haben waren als etwa die Produkte von Campagnolo. Seither, sagt Lange, pflege man eine enge Beziehung zum Handel.
Bernhard Lange kam wohl genau zur richtigen Zeit in die Welt von Shimano und des Fahrrads. »Das war ein Glücksmoment«, sagt er, die Grundlage für die Neuerfindung des Fahrrads. »Ich habe erkannt, dass ich etwas bewegen kann.« Es war der Aufbruch des Mountainbikes. Anfangs erlebte Bernhard Lange, wie die alteingesessenen Unternehmen mit diesem neuen Fahrradtyp nicht zurechtkamen, wie sie sich sträubten. »Deutschland war das Land der billigen Räder.« Aber die Verbraucher und der Handel sehnten sich nach dem, was vor allem aus den USA kam. Es gab sogar eine Zeit, in der sich Lange selbst als Fahrradhersteller aufstellte, um die Vorzüge des Mountainbikes zu beweisen – die beiden Modelle unter der Marke Longus sind Insidern noch immer ein Begriff. Doch als dann Centurion, Schauff, Winora und andere Anbieter verstärkt auf den Trend aufsprangen, besann sich Lange wieder auf die Rolle des Teileanbieters. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Bernhard Lange musste früh Verantwortung übernehmen. Als sein Vater 1989 starb, rückte er in dessen bisherige Rolle auf – mit gerade mal 30 Jahren. Lange tauchte ein in eine Welt der Reisen auf Messen, zu Herstellern, nach Japan, baute dazu die internationale Präsenz seines Unternehmens schnell auf. Die Internationalisierung seines Unternehmens bezeichnet er heute als beste Entscheidung seines Lebens, mit den Dependancen in sieben anderen Ländern macht Lange heute etwa 20 Prozent des Firmenumsatzes.

Eine goldene Ära beginnt

Bernhard Lange sieht eine goldene Ära heranbrechen – und er sieht den Handel dabei als Schlüssel. »Der Handel ist für mich ein ganz starkes Rückgrat der Fahrradwirtschaft«, erklärt der Schwabe, »er ist nicht wegzudenken.« Lange glaubt an die Rolle des Fahrradhandels als Bindeglied zwischen Verbrauchern und Herstellern, sieht sein Unternehmen weiterhin als wichtigen Akteur, um Markttrends wahrzunehmen – und er arbeitet daran, die Geschäfte für die Zukunft der Mobilität vorzubereiten. Natürlich ist die E-Mobilität die entscheidende Triebfeder. Lange hat sich als Unternehmer zum Ziel gesetzt, den Handel zu stärken. »Wir helfen beim Aufbau von Werkstätten und dabei, das Gesicht für die Zukunft zu gestalten, das auch die Kunden für den Händler beeindruckt.« Solch eine Chance für eine positive Rolle des Handels biete sich nicht mehr in vielen Branchen – und Lange zeigt sich entschlossen, darin zu investieren.
Der Mann, der privat das Schwimmen bei allen Bedingungen schätzt, setzt sich außerdem politisch für den Radverkehr ein. Er ist nicht nur Präsidiumsmitglied im ZIV. Er ist auch bekannt dafür, in Stuttgart, seiner verkehrspolitisch schwierigen Heimatstadt, für die Belange der Radler zu kämpfen. Das ist nicht immer einfach, man kann den Einfluss der Automobillobby noch überall fassen. Gern hätte er das E-Bike-Festival in Stuttgart ausgetragen, doch dort sagte man seinerzeit »Nein« zu Langes Angebot – stattdessen ging man nach Dortmund und lockt dort nun regelmäßig 65.000 Besucher an. Lange sagt, er wurde oft enttäuscht, aber er erkennt jetzt, dass die Stadt viel tue. Er sieht das im Zusammenhang mit einer allgemeinen politischen Entwicklung. Heute höre die Politik hin, wenn er als Unternehmer rede.
Wenn Bernhard Lange mit seinen klaren blauen Augen vorausblickt, dann hat er sichtlich keine Lust, über seinen eigenen Abgang als Unternehmer zu sprechen. Er werde auf jeden Fall noch fünf Jahre dabei bleiben. »Das wird eine großartige Zeit«, sagt der schwäbische Unternehmer, »wir werden jetzt erleben, dass sich wirklich in den Städten etwas tut, dass sich auch auf dem Land etwas tut – nicht nur ein paar Fahrradwege: Es passiert richtig was.« Bernhard Lange und die Firma mit seinem Nachnamen sind in einer guten Position, um davon zu profitieren – neben Nachwuchs aus der eigenen Familie im Unternehmen und den gewachsenen Freundschaften nach Japan hat Bernhard Lange auch schon die Sicherheit dafür geschaffen, dass seine Firma mit ihren Stuttgarter Hallen weiter expandieren darf.

3. Juni 2019 von Tim Farin

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