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Das Velo ist die moderne Handtasche
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Report - Urbaner Bike-Lifestyle

Das Velo ist die moderne Handtasche

Rad-Mobilität ist Mode. Mit dem Fahrrad in der City unterwegs zu sein, ist heute vor allem in Großstädten ein Ausdruck von Persönlichkeit und echter Lifestyle.

Das Velo ist die moderne HandtascheDas Velo ist die moderne Handtasche

Eine angesagte Zigaretten- marke warb kürzlich mit einem City-Biker auf Groß- plakatwänden – Slogan: Beunstoppable! –, Pop-Diva Lady Gaga gleitet auf dem trendy City-E-Bike durchs RTL-Werbeprogramm, und Politiker lassen sich auf dem Fahrrad ablichten, wenn sie modern wirken wollen. Das Velo ist hip wie selten zuvor, wie uns auch die beginnende Saison ganz besonders zeigt. Um dies erkennen, hilft der Blick von außen.

Absolut Fahrrad

Beispiel: Vor vier Jahren rollte der Fixie- und Singlespeed-Trend in die Citys – Minimalismus wurde auch am Bike Mode. Vorreiter waren Fahrradku- riere, die ihren Beruf als echte Beru- fung verstehen und sich immer auch ein bisschen als die Helden der Groß- stadt sehen. Dann wurde aus der Sub- kultur Fixie selbst Fashion – und die junge urbane Gesellschaftsschicht griff es begeistert auf. »Das Interes- sante ist doch, das Rad auf das abso- lute Minimum zu reduzieren«, Pierre Mandt, Fixie-Fahrer aus Leidenschaft und vielleicht auch etwas Fashion Victim, kommt ins Schwärmen. »Und das Schöne daran ist, dass dieser Gebrauchsgegenstand auch das per- fekte Mode-Accessoire ist. Das Fixie ist die moderne Handtasche.« Der Trend geht, und das ist ein typisches Merk- mal für alle Lifestyle-Trends heute, zur Individualisierung. »Ich will doch nicht um die Ecke biegen und das Double des eigenen Fahrrads kommt mir entge- gen!«, stöhnt Pierre. Deshalb hat er sein Fixie, wie viele andere auch, individuell aufgebaut. In größeren Städten schießen es wirklich aufs Detail an – und ihnen kann geholfen werden!

Fahren in seiner schönsten Form

Wer trotzdem hochprozentigen Lifestyle von der Stange haben will, kann auch zu Bikes von Mode- und Lifestyle- Labels greifen.
Die sehr junge, lifestylige Ausrichtung des Konzerns legte dem Sportar- tikelhersteller Puma nahe, vor zwei Jahren eine ganze Serie von Bikes spe- ziell für den urbanen Bereich anzubie- ten, darunter auch Falträder und Sing- lespeeder. Hersteller: das dänische Unternehmen Biomega. »Ein Mix aus der Affinität zu Sport, Lifestyle und Nachhaltigkeit hat Puma bewegt, die Lizenz-Partnerschaft einzugehen«, lässt man von Seiten des Unterneh- mens wissen. Auch hier sieht man: Mehr als viele Hersteller der Bike- Branche setzen die Sport-, Lifestyle- und Mode-Labels ihr Gespür für Trends dazu ein, den Urban Style auch im Fahrrad-Bereich mitzugestalten. Um Verkaufszahlen für Bikes geht es hier kaum – wichtiger ist, mit der Exklusivität des Produkts auf das Label aufmerksam zu machen.

Gucci brachte Ende letzten Jahres zusammen mit Bianchi eigene Bikes auf den nicht nur urbanen Laufsteg: Das Gucci Pista ist ein feiner Retro-Singlespeeder mit Stahlrahmen und verchromten Gabelscheiden und Hinterbau. Und das elegante Gucci Sport ist die Hightech-Ausgabe mit Carbonrahmen und Scheibenbremsen in mattem Dunkelgrau. Wer den Namenszug drauf haben will, muss die Gucci-Läden in den Großstädten der Welt ansteuern – New York, Paris, Hongkong etwa – und mindestens 6200 US-Dollar mitbringen, denn soviel kostet schon der Singlespeeder. Für das Carbon-Gucci gehen mehr als das Doppelte über den Tresen.
Preise, die mit ebenfalls von Chefdesignerin Frida Giannini kreiertem Zubehör wie Flaschenhalter und Helm durchaus noch einmal deutlich in die Höhe geschraubt werden können. Wenn jetzt selbst eingefleischte Bike-Freaks den Kopf schütteln: Es geht hier nicht ums Fahrrad, sondern um den Dernier Cri!

Wir leben Fahrrad

Um Lifestyle zu verkörpern, muss man aber nicht unbedingt auf dem letzten Schrei um die Ecke zischen. Die Biker auf genannten Critical Mass Rides sind der beste Beweis dafür: Radfahrer jeglicher Couleur treffen sich in vielen deutschen Städten meist einmal monatlich, um gemeinsam den Stadtverkehr zu bereichern. Und um ein Zeichen zu setzen nach dem Motto: Wir sind der Verkehr!
Selbst im nassen, schmuddeligen deutschen Winter 2011/2012 fanden sich in zahlreichen Städten die urbanen Biker regelmäßig zusammen, um gemeinsam gelassen durch die Innenstädte zu pedalieren. In Köln starten sie an einem zentralen Platz um 18.00 Uhr einmal monatlich. Kurz davor versammelt sich wie aus dem Nichts eine wahrhaft bunte Masse, vom Alltagsbiker auf dem Trekkingrad bis hin zum Freak auf dem Tieflieger. Warum? »Weil Fahrradfahren einfach Spaß macht – zusammen noch viel mehr«, sagt die 25-jährige Steffie.
Die Dame in den hohen 60ern, meint, »ich war schon immer ausschließlich auf dem Rad unterwegs. Und ich find’s klasse, dass radeln jetzt auch noch richtig angesagt ist. Wir müssen zeigen, dass wir hier sind, dass wir viele sind.« So positiv die ökologischen Auswirkungen auch sein mögen: Ein zentraler Punkt, vor allem für die jüngeren Mitradler, ist der Spaß am Fahrrad. Fixies und klassische Hollandräder mit Kindersitz sieht man hier genauso wie Lieger und gelegentlich auch ein Lastenrad. Zusammen durch die Straßen rollen ist hip ( www.critical-mass.de ).

Don‘t be a maybe

Doch nicht nur das urbane Rad selbst wird zum Lifestyle-Markenzeichen, auch das Drumherum bekommt eine neue Dimension. Nachhaltigkeit, mehr Praxisbezug und immer wieder: Individualisierung halten auch in die Accessoires-Szene Einzug. Der Taschen-Trend – robuste Umhängetaschen im peppig-urbanem Design – weitet sich immer noch weiter aus; mittlerweile hat auch die Mode-Szene jenseits der Bike-Branche Format und Optik der Umhängetaschen aus der Pedal-Ecke übernommen, man sieht Accessoires, die an Vaude oder Ortlieb erinnern, aber aus traditionell eher feinen fußläufigen Ecken kommen.
Und sogar umgekehrt wird eine Tasche draus: In der Kölner Innenstadt findet man zum Beispiel den Laden Ross und Rind. Bei Maren Dessel gibt’s hochwertig designte, aber robuste Taschen absolut Custom Made. Der Renner der kleinen Kollektion: Rad-Gepäcktaschen auf Bestellung. Die »Madame Velo« ist eigens für den Gepäckträger kreiert. Zwei Lederriemen umschlingen die Träger-Auflagefläche und halten so den Beutel. Der ist oben verstärkt, sodass der Reißverschluss seine Form hält und das Ganze vor Verformung beim Fahren schützt. »Ich bediene Menschen, die keine Kompromisse in Sachen Fahrradtasche machen wollen – die wissen, dass wir nur langlebige Produkte mit schöner Optik und hochwertiger Haptik in der Praxis lieb gewinnen. Manchmal, wenn sie wirklich gut sind, wachsen solche Dinge regelrecht mit ihren Nutzern zusammen.« Ihre Kunden sind zwischen 30 und 92 Jahre alt, meist Besserverdienende, was in Anbetracht der Preise für die handgefertigten Gepäcktaschen logisch erscheint: Ab 190 Euro bekommt man eine weiche Beutel-Tasche aus Kalbsleder ans Fahrrad geschneidert, ab etwa 400 Euro eine aus steifem Rindsleder. Nichts für den Fahrradurlaub, aber praktisch und vor allem stilecht für den Einkauf.

Haute Couture à la Velo

Lifestyle und Fahrrad gehen heute auch auf ganz anderen Ebenen gemeinsame Wege: Die Macher der Berliner Mode-Messe Premium veranstalten 2012 zum dritten Mal auch die Berliner Fahrrad-Schau. Wer sich im Internet den Trailer ansieht, versteht sofort, wo für den Veranstalter die Schnittmengen liegen: Lifestyle am Bike und junge bis extravagante Mode scheinen in den Augen der Messeleute ineinander überzugehen.
»Die Kultur des Radfahrens ist längst fester Bestandteil des urbanen Lifestyle. Das Fahrrad ist nicht mehr nur Fortbewegungsmittel oder Sportgerät, sondern Ausdruck individuellen Lebensstils für eine trendorientierte, umwelt- und modebewusste Zielgruppe geworden«, liest man in einer Pressemitteilung des Veranstalters. Was treibt einen Modemessen-Macher ins Bike-Business? Alexander Thielmann von Premium Exhibitions leitet das Marketing für die Berliner Fahrradschau: »Wir sind keine klassische Messe, das sieht man schon an unserem Veranstaltungsort, der ›Station‹. Dort haben wir ein einmaliges Ambiente im alten Postgüterbahnhof.« Das passt wiederum perfekt zur modernen Urbanität. »Das Thema Fahrrad wird bislang in Berlin viel zu wenig bedient«, so Thielmann. »Obwohl an jeder Ecke die Leute ihren Lebensstil mit Kleidung und ihren Fahrrädern zum Ausdruck bringen. Das Fahrrad sichert den täglichen Auftritt der
14- bis 40-Jährigen; da­rü­ber hinaus spielt das Thema E-Bike für Business-Menschen eine riesige Rolle.« Der Messemacher geht sogar so weit, das Bike zum reinen Mode-Accessoire zu erklären: »Gerade im urbanen Raum ist es vielfach ein Lifestyle-Gadget, das man mit sich führt. Nicht die Technik ist dann das Entscheidende, sondern der Style. Natürlich kann auch innovative Technik stilgebend sein – aber es geht im Lifestyle nicht mehr um ihre Funktion.« Daneben ist die Velo Couture ein ganz neuer Zweig, der nach Thielmann ganz groß im Kommen ist. Jeder Großstädter, der im letzten Winter die rasante Zunahme von Fahrradhelmen in ­schicker Mützenform beobachtet hat, kann das bestätigen.

Alles Jeans, oder was?

Im großen Stil sprich bei den angesagten Mode-Labels geht’s jetzt gerade richtig los, zum Beispiel bei der Kultmarke Levi’s: Der Jeans-Magnat bringt eine Commuter-Serie heraus; Jeans, die gewohnt vollen Coolnessfaktor haben, aber zusätzlichen Fahrrad-­Faktor bieten. Mehr Dehnbarkeit durch Stretch-Einlagen an bestimmten Stellen etwa, oder hinten einen höheren Bund, der bei sportlicher Sitzhaltung den unteren Rücken schützt. Alltagsfahrer freuen sich über einen verstärkten Schrittkeil – bei Jeans von Alltagsradlern oft die erste durchgeschabte Stelle. Das Zeug zum Hipness-Brüller und Lifestyle-Biker-Erkennungszeichen hat aber der zweite Hosenbund an der Hinterseite, der ein Bügelschloss aufnehmen kann. Hat es der Urban-Bike-Lifestyle tatsächlich geschafft, auf die große Modewelt Einfluss zu nehmen? Es sieht so aus.

26. März 2012 von Georg Bleicher
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