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Sündenböcke und Vereinsflüchtige
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Report - Doping und der Bike-Markt

Sündenböcke und Vereinsflüchtige

Doping schadet dem Image des Radsports, daran ­besteht kein Zweifel. Heißt das aber auch, dass deshalb weniger Menschen Radsport treiben, sprich: der Markt davon in Mitleidenschaft gezogen wird? Oder beeinflusst die Dopingproblematik gar den Freizeit-und Alltags-Bereich? Wir haben nachgefragt.

Bloß weil sich ein paar Vollpfosten ihre Gesundheit mit Dopingmitteln versauen, soll ich nicht mehr Rennrad fahren? Von denen lass ich mir meinen Spaß doch nicht verderben!« Oder: »Radsport ist absolut bescheuert – die pumpen sich doch alle voll mit Gift. Dieses Image will ich auch als Freizeitsportler nicht mit mir rumfahren! Außerdem macht’s keinen Spaß, wie blöd zu trainieren und bei der nächsten Ausfahrt wieder von den Jungs, die sich alles Mögliche ‘reinpfeifen, abgehängt zu werden. Also: Nix mehr mit Rennrad fahren!« So oder so ähnlich lassen sich die Extrempositionen zum individuellen Umgang mit Doping und Radsport beschreiben. Quelle: Stammtisch. Ist der in diesem Fall realitätsnah?
Die Ausgangsfrage hört sich nur im ersten Moment einfach an: Wie viel Einfluss auf den Rad-Markt haben das Doping-Geschehen und Skandale, angefangen von der Festina-Affäre 1998 über Jan Ullrichs Ausschluss von der Tour 2006 bis hin zu Lance Armstrongs Doping-Geständnissen Anfang dieses Jahres? Dazu die zahlreichen, mittlerweile niemanden mehr überraschenden Eingeständnisse vieler bekannter Ex-Profifahrer, zuletzt Schumacher?
Der Frage ist schwer beizukommen. Das schlechte Image durch Doping ist ein möglicher Faktor für eine wie auch immer geartete Entwicklung – aber wie kann man diesen beziffern? Wetter, Trends, Bevölkerungsent­wicklung, vielleicht sogar eine Kannibalisierung des Sportrads durch das E-Bike in verschiedenen Nutzer­gruppen – hunderte von ­Faktoren beeinflussen den Markt. Wie sollte man den Faktor »Doping-verursacht« herausfiltern?
Wir haben Leute aus der Praxis gefragt: Veranstalter, Nachwuchs-Trainer, Coaches und natürlich Bike-Händler.

Alltagsfahrer aus ­Rennsportbegeisterung?

Der langjährige Rückgang der Absatzzahlen bei sportlichen Fahrrädern ist Fakt. Das sieht man schon an der jährlichen Statistik des Zweirad-Industrie-Verbands ZIV: Alleine von 2007 bis 2012 ist der Anteil der Renn-, Cross- und Fitnessbikes an den verkauften Rädern von 7,5 auf 4 Prozent gesunken, hat sich also fast halbiert. Im selben Zeitraum ging die Inlandsanlieferung an Rädern inklusive E-Bikes in Deutschland um »nur« etwa elf Prozent zurück.
Immerhin eines scheint für die zum Thema Befragten klar zu sein: Der Alltags-, City- und Tourenradsektor wird in den letzten Jahren in keiner Richtung vom Radsportgeschehen beeinflusst: »Der Transfer zwischen Sportbegeisterung und Freude am Radfahren im Alltag ist schon lange nicht mehr gegeben. Wer heute oder nach einer Pause wieder auf das Touren- oder Alltagsrad steigt, der tut das nicht aufgrund von Begeisterung für Tour de France oder ähnliche Sportereignisse. Umgekehrt hat das schlechte Image des Sports keinen Einfluss auf den Tourenrad-Markt«, meint Lothar Könekamp, Geschäftsführer des Fachgeschäfts Radlager in Köln. Allerdings dürfte eine Beziehung zwischen Rennsportbegeisterung und der Entscheidung fürs Freizeitrad durchaus einmal bestanden haben – zum Beispiel als der Sport mit deutschen Idolen wie Didi Thurau eine Blütezeit erlebte und damit erstmals eine sehr breite Öffentlichkeit erreichte. Radfahren – vor allem das Tourenfahren – war damals viel weniger verbreitet, die Modelldiversifizierung gering. Das Mountainbike zum Beispiel gab es damals noch gar nicht. Als Neu-Aufsteiger im Sattel konnte man sich auch auf dem Tourenrad wie in den Fußstapfen des schnellen Didi fühlen – dessen Doping-Geständnisse ein paar Jahre später übrigens kaum Wellen schlugen.

Vereine kommen schlecht weg

Dass es weniger Einsteiger in den Rennrad-Sport gibt, ist für Erwin Rose offensichtlich: »Doping ist schon ein Faktor für die allgemein zurückgehenden Zahlen im Rennradsektor«, erklärt der Geschäftsführer von Rose Versand in Bocholt. »Aber nicht unmittelbar: Durch den Doping-bedingten Rückzug der Medien aus dem Sport fehlen die Vorbilder. Das kann tatsächlich bedeuten, dass weniger junge Menschen von der Leidenschaft Radsport mitgerissen werden. Wir haben aber andererseits bei uns ganz klar den Trend, dass mehr Rennräder im hochwertigen Bereich gekauft werden. Das bestätigt für mich: Wer einmal Radsport treibt, wenn vielleicht auch unorganisiert, der bleibt dabei; Doping hin oder her.« Dazu kommt laut Rose die immer größer werdende Marathon-Szene, die Langstrecken-Wettbewerbe. Hier will er gar nicht vom negativen Einfluss des Doping-Images sprechen – hier spielten die Publikumsmedien noch nie eine große Rolle. »Und der Triathlonmarkt bleibt offensichtlich stabil, bei Rose hat er sowieso schon eine sehr lange Geschichte.«
Ähnlich sieht es der Mitbewerber: »Viele Fans haben dem Profi-Radsport den Rücken zugekehrt, das sehen wir ganz deutlich«, sagt Daniel Bley, Marketing-Leiter bei Canyon. Der Versender ist selbst stark als Sponsor im Profisport engagiert, »allerdings mit ganz klaren Vorgaben und scharfen Ausstiegskriterien, was Doping betrifft«, schließt Bley schnell an. »Die Kunden honorieren es nach wie vor, dass einige der besten Rennfahrer unsere Materialtester sind. Das heißt: Doping-Image schlägt nicht auf den Materialsponsor zurück. Wir nehmen es durchaus wahr, dass sich die Leute vom organisierten Radsport eher abwenden und die Verbandsarbeit leidet. Aber im Marathon- und Touren-Bereich passiert für uns das Gegenteil: Es gibt einen regelrechten Trend«, so Bley.
Aber nicht alle Händler sehen den Zusammenhang zwischen Doping und Rennsport-Markt so eindeutig.

Die Gesellschaft verändert sich

»Wenn die Rennrad-Käufe vor allem in den Einsteiger-Preislagen zurückgehen«, meint Matthias Wojner, Geschäftsführer von Laufrad Hannover, »hat das wenig mit dem Ansehen des Sports zu tun. Das sind eher soziale Zusammenhänge; die jungen Leute steigen aus ganz verschiedenen Gründen weniger in den Sport ein.« Der Markt selbst sei aber stabil, zumindest was die eigene Ausrichtung mit hochwertigen Rädern betrifft. Und was die großen Ereignisse wie die Tour de Fance angeht, sieht man es in Hannover gelassen: »Wenn die Rennen nicht mehr übertragen werden, habe ich eben mehr Zeit, selbst aufs Rad zu steigen!«, beschreibt Wojner die Einstellung seiner Kunden.
Fragen wir die Leute aus dem organisierten Bereich: Beim Bund Deutscher Radfahrer will man einen Zusammenhang zwischen Mitgliederschwund in den Vereinen und Doping-Affären nicht aussprechen. Entwicklungstendenzen nimmt man aber wahr. Bruno Nettesheim ist beim BDR als Referent für den Breitensport zuständig. »Wir können feststellen, dass die Zahl der Breitensportler im unorganisierten Bereich etwas größer wird und leider in den Vereinen rückläufig ist. Das heißt natürlich, dass auch die ‚Spontantäterzahl´ größer wird. Da haben viele Faktoren Einfluss – auch wechselhaftes Wetter kann dazu führen, dass mancher nur noch gelegentlich an RTFs oder ähnlichem teilnimmt und deshalb nicht mehr im Verein fährt.«
Also vielleicht eine tendenzielle Abkehr vom organisierten Sport, auch weil der womöglich zu wenig gegen Doping vorgeht? Oder doch eher weil Deutschlands Wetter immer schlechter einzuschätzen ist?
Die mittelfristige Zukunft des organisierten Radsports sieht jedenfalls nicht schlecht aus. »Wir erleben Zuwachs, sobald der Verein etwas dafür tut«, erzählt Oliver Hovenbitzer, der den Nachwuchs im RV 1894 Siegburg trainiert – im Februar 2013 sind das 16 Kinder und Jugendliche mit Rennlizenz. Diese Einschätzung spräche zumindest dafür, dass die Doping-Problematik zumindest die Eltern sportbegeisterter Kinder kaum beeinflusst.
Dem Breitensport und den sogenannten Jedermann-Rennen geht’s jedenfalls prächtig, meint Artur Tabat, seit 40 Jahren für das Traditionsrennen »Rund um Köln« verantwortlich. »Dem Jedermann-Sport hat Doping nie geschadet«, meint er selbstbewusst. »Insgesamt haben wir über die Jahre immer steigende Zahlen; wenn es mal weniger sind, dann deshalb, weil das Wetter am Starttermin nicht passt.«
Auch wo Radsport professionell oder akademisch betrieben wird, kann von einem Rückgang der Aktiven nicht gesprochen werden, weiß Professor Helmut Lötzerich, Leiter der Abteilung Radsport an der Deutschen Sporthochschule Köln. »Ganz unabhängig von der Doping-Problematik hat der Radsport bei uns stark an Bedeutung gewonnen. In den letzten 15 Jahren wuchsen die Semesterwochenstunden an unserer Hochschule von 6 auf 54 an. Der Andrang auf den Sport ist ganz klar vorhanden.«
Das sieht man auch im individuell betriebenen Sport so: Tim Ford ist Coach und Personal-Radsport-Trainer sowie selbst ehemaliger Amateur. Auch er sieht die Doping-Problematik als kaum relevant für die Entwicklung des unorganisierten Sports an. »Ich sehe es eher so, dass die strenge Leistungsorientierung von Hobby-Fahrern zurückgeht. Der Trend geht zum Rennradfahren weil es die optimale Sportart ist: ergonomisch, gelenkschonend und die perfekte Fortbewegung. Es geht heute immer mehr um das Spaß haben. Nicht die beste Zeit im Ziel macht das Rennen; die Hobbysportler wollen die Dynamik genießen«, sagt der Diplom-Sportlehrer, »und er schätzt den Lifestyle seines Sports.«

Doping als ein Faktor

Die Meinungen sind geteilt, aber eine Tendenz ist dennoch klar: Die Vereine werden schlanker, die Verkaufszahlen im Sportbereich gehen zurück. Allerdings vor allem im Niedrigpreis-Sektor. Andererseits erfreuen sich die Breitensport-Events – vor allem die Langstrecke – großer Beliebtheit, besonders bei unorganisierten Hobbysportlern. Und: Richtig Rennradfahren bedeutet heute anscheinend vor allem, mit viel Spaß Rennrad zu fahren, auch der Lifestyle-Faktor ist dabei nicht zu unterschätzen.
Das alles kann man durchaus so interpretieren, dass Doping seinen Einfluss auf den Markt hat – vor allem in Bezug auf Käufer, die in Vereinen organisiert sind oder waren. Dort also, wo man vielleicht Doping ganz gut entgegen arbeiten könnte. Allerdings scheint sich auch ein anderes Ergebnis abzuzeichnen: Will man gegen sinkende Zahlen im Sportrad-Markt vorgehen, muss man zunächst auch noch andere Störungsquellen finden und berücksichtigen. Doping kann nur am Stammtisch als Sündenbock für alle Probleme herhalten.

18. April 2013 von Georg Bleicher
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