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Carbon Rahmen Abb. 1 (Foto: velotech.de)
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Bewertungsmethode in der Sackgasse?

Extrem steif und bricht trotzdem

Ein Carbon-Rahmen, dessen hohe Steifigkeit die Bruchgefahr erhöht, hat jüngst die Winora-Gruppe zu einem Rückruf veranlasst. Der Fall bringt aber auch andere Anbieter ins Grübeln. Ist die vorrangige Betrachtung des Verhältnisses von Steifigkeit und Gewicht, im Fachjargon STW-Faktor genannt, eine Sackgasse, an deren Ende unsichere Rahmenkonstruktionen stehen? In der nachfolgenden Pressemitteilung hat Ernst Brust, Geschäftsführer des Prüfinstitus velotech.de, sich mit dieser Frage auseinander gesetzt.

Carbon Rahmen Abb. 1 (Foto: velotech.de)Carbon Rahmen Abb. 2 (Foto: velotech.de)

Seit einiger Zeit werden Steifigkeiten der Rahmen/Gabel-Einheiten gemessen und Bewertungen darüber veröffentlicht hierzu stellt Fa. velotech.de fest:

Die Tests sind preiswert durchzuführen und ergeben genaue Ergebnisse, die man in Listen wiedergeben kann. Rangordnungen lassen sich bilden. Die Zeitschriften haben berichtet.

Der Vorteil

Kein Prüfling wird zerstört, die Prüfeinrichtungen sind einfach zusammenzustellen, die Prüfungen erfordern einen geringen Zeitaufwand und erbringen exakte Ergebnisse.

Der Nachteil

Mit Produktsicherheit hat das wenig zu tun. Es ist eine Bewertung des Komforts und der Ergonomie. Steife Rahmen/Gabel-Einheiten ermöglichen eine optimale Umsetzung der Körperkraft in Vortrieb. Besonders bei extrem leichten und steifen Rahmen vor allem aus Alu und CFK treten aber seit Jahren Probleme auf, die es zuvor im Fahrradbau nicht gab. Was ist die Ursache?

Fehlkonstruktionen

Die ergonomische Optimierung ist ein wichtiges Ziel der Konstrukteure. Die Sicherheit der Konstruktionen ist aber die Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt benutzt werden können. Instabile Produkte sind Fehlkonstruktionen.

Berechnungen

Sicherheitstechnische Auslegungen kann man näherungsweise berechnen und durch Tests absichern. Man kennt die bewegten Massen, die geometrischen Daten des Fahrrades und des Benutzers, die Fahrbahn und die Geschwindigkeit.

Konstrukteure kennen das Rahmenmaterial und seine Zugfestigkeit. Sie können die auftretenden Kräfte berechnen und danach die erforderlichen tragenden Querschnitte dimensionieren. Sie können, aber offensichtlich tun es nicht alle, denn immer wieder müssen hochwertige Rahmen aus dem Markt genommen werden. Oberrohre reißen ab, Unterrohre knicken ein.

Kaufmännischer Teil des Problems

Offensichtlich wird dieser Mangel durch kaufmännische Zielsetzungen ausgelöst. Wer mit Fahrrädern Geld verdienen will, der muss für seine Produkte Käufer finden. Wenn alle Fachzeitschriften leicht und steif als lobenswert hervorheben, werden diese Attribute zum wesentlichen Kaufargument und damit zum Ziel der Produktentwickler. Wenn die Konstrukteure gleichzeitig als einzigen realistischen Test die Fahrerprobung durch die Kundschaft kennen, müssen sie warten, wie der Markt reagiert. Derzeit reagiert der Markt!

Betriebslasten

Die Betriebslasten, denen ein Fahrrad ausgesetzt ist, setzen sich aus vielen stochastisch auftretenden Einzelimpulsen zusammen. Den Hauptanteil haben die Fahrbahnanregungen bis hin zum Frontalstoß (ca. 70% Schädigungsanteil). Dann folgen die Bremsbelastungen (ca. 20% Anteil). Am wenigsten zerstörend wirken Antriebskräfte (ca. 10%). Testverfahren müssen alle auftretenden Belastungen angemessen reproduzieren. Besonders die Massenbeschleunigungskräfte bei hohen Geschwindigkeiten verursachen schädigende Betriebslasten. Komponenten sind entsprechend zu testen.

Für die betrachteten Rahmenschädigungen sind vor allem Frontalbelastungen verantwortlich. Jedes Fahrbahnhindernis leitet über die Vorderradachse Betriebslasten ein, die Kräfte entgegen der Fahrtrichtung wirken lasen.

Diese Stoßenergie errechnet sich nach der Formel

E = m/2 v2 [Nm]

Die kinetische Energie errechnet sich also aus der halben Masse mal der Geschwindigkeit im Quadrat. Erinnert seien die Fahrschüler an die Rechnung doppelte Geschwindigkeit gleich vierfacher Bremsweg, doppeltes Gewicht gleicht doppelter Bremsweg.

Die eingeleitete Energie wirkt auf die Rahmen/Gabel-Einheit. Die Rahmen/Gabel-Einheit federt den Impuls ab und nimmt die Zugbelastungen im Oberrohr und die Druckbelastungen im Unterrohr auf. Wie hoch diese Belastungen sind, ergibt sich aus dem Federweg. Je kürzer der Federweg ist d. h. je steifer das Fahrrad in Längsrichtung ist, je höher sind die Kräfte, welche wirksam werden. Das Produkt aus Kraft mal Federweg bleibt dabei gleich.

Man kann also aus der Geschwindigkeit und der Masse die wirksame kinetische Energie errechnen und aus dieser und der Einfederung der Vorderradachse entgegen der Fahrtrichtung die Kräfte in den Rahmenrohren. Man kennt das Material und kann die erforderlichen Querschnitte festlegen.

Soweit die Theorie – doch die Praxis sieht anders aus.

Testverfahren

Berechnungen können für das Fahrrad nur näherungsweise angestellt werden. Man muss sie durch geeignete Tests abstützen und dabei ungünstigste Belastungen und vorhersehbaren Fehlgebrauch sowie Serienstreuungen berücksichtigen. Der Test einer Rahmen/Gabel-Einheit erfolgt bei Fa. velotech.de in Schritten.

  • Eingangsbewertung und Festlegung der Anforderungen
  • Messung der Bremssteifigkeit (Einfederung der Vorderradachse in Richtung Tretlagerachse)
  • Antriebsbelastungen
  • dynamischer Test auf dem Rollenprüfstand durch Fahrbahnanregungen und Bremsbelastungen in durchmischten Zyklen
  • gestufte Frontalschlagbelastung

Bei CFK-Bauteilen wird außerdem vor und nach den Belastungstests eine impulsthermographische Untersuchung durchgeführt, die Lunker und Delaminationen erkennen lässt.

Wir geben zu, das dauert einige Zeit und ist nicht ganz billig. Wir wissen aus intensiver Marktbeobachtung aber, dass es nötig ist.

Extrem steife Rahmen hatten wir schon im Test, die hohen Frontalschlagbelastungen standgehalten haben. Steif und betriebsfest müssen keine Widersprüche sein!

Es gibt aber auch Seitenwege: ein namhafter Hersteller baut extrem steife Rahmen/Gabel-Einheiten für die Tests und elastische für den Markt. Der Kaufanreiz über die Testberichte wird geschaffen und die Reklamationen werden gering gehalten. Alle sind zufrieden.

Der Markt findet immer eine Antwort!

Und hier ein schlechtes Beispiel für ungünstige Auslegung der Carbonrahmenkonstruktion „tube in tube“ mit hohen Steifigkeitswerten

  • Der Rahmen wird auf hochfesten Rohren und den verbindenden Einzelteilen zusammengeklebt.

Die Rohrstummel des Steuerkopfes ragen in das Ober- und Unterrohr hinein. Damit es eine glatte Außenfläche gibt, werden die Rohrstummel gekröpft. Mängel sind vorprogrammiert:

  • der Spalt kann nicht zuverlässig mit Harz gefüllt werden
  • die Kohlefasermatten können durch die Kröpfung am Übergang keine hohen Zugkräfte übertragen
  • nur die dünne Kohlefaser-Deckschicht trägt durchgehend
  • wird das Harz im Klebespalt durch Dauerbelastungen vorgeschädigt, so reicht ein letzter Impuls, den Rahmen zu zerstören

Dieses Fertigungsprinzip ist weit verbreitet. Die Produkte konnten in den Markt gelangen, weil sie nicht zuverlässig getestet wurden.

Die chinesische Regierung ist jetzt bemüht, Ruf schädigende schlechte Produkte durch sorgfältige Tests vom Markt fern zu halten. Auch Carbonrahmen für Fahrräder.

1. Oktober 2007 von Pressemitteilung

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