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Leichte Elektromobilität gibt den Takt vor
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VDI-Wissensforum:

Leichte Elektromobilität gibt den Takt vor

Wer sich für Gegenwart und Zukunft der leichten Elektromobilität interessiert, der war letzte Woche in Baden-Baden gut aufgehoben. Der VDI hatte zu diesem Thema geladen und präsentierte spannende Aussichten.

Die leichte Elektromobilität ist ein Sektor, der sich derzeit enorm schnell und auf verschiedenste Weise entwickelt. Wer sich auf einen aktuellen Stand bringen wollte, wurde auf der Premierenveranstaltung des VDI (Verein deutscher Ingenieure) bestens bedient. Dabei wurde die gesamte Bandbreite des jungen Segments E-Mobilität beleuchtet. Von Pedelec über Scooter bis hin zum leichten, elektrischen Stadtauto reichte das Spektrum der in den Vorträgen behandelten Gefährte. Hannes Neupert von ExtraEnergy leitete die Konferenz und verdiente sich mit seinem Expertenwissen viel Lob. Sowohl seine eigenen Vorträge als auch seine Kommentare waren wertvoller Input zur E-Mobilität. Doch auch die anderen Vorträge mussten sich keineswegs verstecken, tatsächlich haben es die Veranstalter geschafft, zu den wichtigen Fragen und Entwicklungen die passenden Referenten einzuladen.

Eines der Highlights war der Vortrag von Prof. Dr. Schuh, der den Werdegang seines Unternehmens e.Go Mobile nachzeichnete und auch die Aussichten der leichten Elektromobilität für die Automobilbranche aufzuzeigen suchte. Er zeigte auch, wie er mit 32 Mio. EUR Entwicklungsaufwand ein vollwertiges elektrisches Stadtauto zur Produktionsreife brachte, das den großen Automobilherstellern zuvorkommt. Inzwischen lägen über 1500 Vorbestellungen für das Auto vor. Im Sommer 2018 soll es zu einem Preis ab 15.900 EUR ausgeliefert werden. Für ihn ist dies der Beweis, dass der Anspruch von e.Go einlösbar ist: „Bezahlbare Elektromobilität auch mit vier Rädern geht bereits jetzt.“ Nun hoffe er, dass er mit e.Go dazu beitragen könne, dass sich in der E-Mobilität schneller etwas bewegt.

Viel Anklang fand auch der Vortag von Alex Thusbass, der mit seinen pointierten Einsichten ein tieferes Verständnis für die weitere Bedingungen des Pedelec-Marktes ermöglichte. Er erläuterte, warum dieser der Ausgangspunkt für eine noch größere Entwicklung in der Mobilität sein kann. Angesichts von immer dichter werdenden, urbanen Gebieten steht zu bezweifeln, ob Autos die Lösung der Mobilitätsfragen der Zukunft sein werden. Gerade China hat in dieser Hinsicht einigen Vorsprung in der Entwicklung, wie in weiteren Vorträgen aufgezeigt wurde.

Asiatische Aussichten

Jean Chen von der China Bicycle Association gab einen tieferen Einblick in den chinesischen E-Mobility-Markt und erklärte, welche Lektionen daraus in Deutschland gezogen werden könnten. Er verdeutlichte, dass den überfüllten Großstädten sehr klar ist, dass das Auto nicht die Lösung ihrer Verkehrsprobleme sein wird und angesichts fehlender öffentlichen Nahverkehrslösungen zumindest bis auf weiteres dem Pedelec die Zukunft gehört.

Aktuell würden bereits 29 Millionen Elektromobile pro Jahr in China verkauft. Diese Zahl zeigt auf, warum den Chinesen ihr heimischer Markt so viel wichtiger ist als der europäische, der zwar vielleicht höherwertigere, langlebigere Qualität bietet, aber in der Menge kaum mehr als eine Nische darstellt. Ob die Verkaufszahlen gehalten werden können, steht derzeit aber in Frage.

Das liegt an einer weiteren Besonderheit des chinesischen Fahrradmarktes, nämlich dem Siegeszug von Verleihsystemen. Auf diesem Feld herrscht gerade ein harter Wettbewerb, der sehr ungewöhnliche Auswirkungen zeigt. Wer einmal nach „China bike sharing“ googelt, findet spektakuläre Bilder zu den Auswüchsen des Verleih-Booms. Nicht zuletzt wegen dieser unappetitlichen Optik von herumstehenden Fahrradbergen in verstopften Straßen haben die ersten chinesischen Städte begonnen, die Zahl der bereitgestellten Leihräder einzuschränken.

Gleichzeitig gehen chinesische Leihsysteme derzeit den Weg nach Europa, wo sie für das gleiche Chaos sorgen könnten. Der Mobike-Vertreter Dario Salamena sprach zu Digitalisierung und Geschäftsmodell eines Verleihanbieters, beeindruckte die Kongressteilnehmer aber vor allem mit den fast schon beiläufig eingestreuten Unternehmenszahlen: Seit 18 Monaten ist Mobike operativ und hat in dieser Zeit 7,5 Mio. Räder in sieben Ländern und über 170 Städten auf die Straße gebracht. Derzeit kann das Unternehmen täglich 52.000 Räder produzieren. In wenigen Monaten soll der Start auch in Deutschland erfolgen.

Die Dynamik, mit der hier Märkte und Gewohnheiten umgewälzt haben, wirkt sich natürlich auch auf die Wahrnehmung der Elektromobilität aus. Offenkundig kommt das Thema bei deutschen Ingenieuren sehr gut an. Bei den Forumsbesuchern waren die Fahrradexperten unterrepräsentiert. Die meisten Ingenieure wurden von der deutschen Automobilindustrie nach Baden-Baden entsendet.

Durch die Bank weg lautete der Tenor der Vorträge, dass sich der Markt gerade mal zu entwickeln beginnt. Es sind noch längst keine gefestigten Strukturen entstanden, weder auf Produktseite noch auf Seiten der Anbieter, als dass man auf den Gedanken kommen könnte, das Fell des Bären wäre bereits verteilt. Eine vorgestellte Schätzung ging davon aus, dass in Summe bis 2025 weitere 500 Millionen neue E-Bikes in die Märkte dieser Welt rollen sollen, der Großteil davon in Fernost.

Kontakte knüpfen für Profis

Eine bemerkenswerte Idee der Veranstalter war es auch, einen sogenannten Elevator-Pitch durchzuführen. Dabei wurde drei jungen Unternehmen die Gelegenheit geboten, sich in drei Minuten vorzustellen und auf diese Weise die anwesenden Unternehmen zu jeglicher Form von Dialog einzuladen und womöglich Geschäftskontakte zu knüpfen.

Wie es sich für einen guten Kongress gehört, wurde auch sonst reichlich Gelegenheit für ein ausführliches Netzwerken unter den Teilnehmern gegeben. Insgesamt war die Premiere des VDI-Wissensforums zu leichter Elektromobilität eine sehr gelungene Veranstaltung, in der den Teilnehmern von verschiedensten Perspektiven die Aussichten dieses Marktes vor Augen geführt wurde. Insbesondere die Qualität der Vorträge und die Summe der darin vermittelten Einblicke überzeugte. Wer diese Veranstaltung verpasst hat und in Zukunft über den VDI die weitere Entwicklung verfolgen will, bekommt nächstes Jahr im September die Gelegenheit dazu. Dann findet das Wissensforum in München statt.

6. Oktober 2017 von Daniel Hrkac
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