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Wo hochwertige Fahrräder verkauft werden, ist auch die Beratung ausführlich und informativ.
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Kleine Läden als Opferlämmer

Fahren Bonner Radler bald in einer Servicewüste?

Belebung des Innenstädte, Stärkung lokaler Strukturen und die Steigerung der Stadt-Attraktivität, diese Argumente haben Fahrrad und Stadtentwicklung gemeinsam. Nicht so in Bonn. In der ehemaligen Bundeshauptstadt soll offenbar die Fahrradszene den vermeintlich hohen Steuereinnahmen durch Discounter geopfert werden, befürchten Szenenkenner. Die vom lokalen Bonner Planungsausschuss betriebene Ansiedelung von Fahrrad-Großanbietern sorgt bei den Bonner Radhändlern für Unmut. Gefährdet eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik die gewachsenen Strukturen der städtischen Fahrradszene? Diese Frage stellte sich Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad, der sich in der ehemaligen Bundeshauptstadt umgesehen und umgehört hat. Hier sein Bericht:

Die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn ist längst zur Fahrradstadt geworden. Mit 28.000 Studenten ist sie von jugendlichem Gepräge und dank des guten Jobangebots und der ruhigen Atmosphäre auch für junge Familien attraktiv – und so sind in der gemütlichen Ex-Metropole genau jene Bevölkerungsschichten stark vertreten, für die Radfahren Lebensqualität und praktizierte Verkehrsberuhigung ist. Quer über alle politischen Grenzen hinweg scheint man das genauso zu sehen und ist – nicht zuletzt durch die intensive Wühlarbeit von Organisationen wie dem ADFC e. V. – gerne bereit, den Radlern das Leben leichter zu machen, auch wenn ein Rechtsschwenk im Stadtrat schon mal dazu führt, dass die durchgezogene Abmarkierung eines Radwegs auf der Fahrbahn bei Nacht und Nebel in eine gestrichelte Linie verwandelt wird, die von Autofahrern touchiert werden darf.

Fahrradhandel ist von jeher lokal

Der starken Fahrradnutzung entsprechend ist auch das Angebot an zentral gelegenen Fahrradgeschäften groß. Dazu gehören Traditionsbetriebe wie der seit 25 Jahren existierende „Drahtesel“ oder das im Rechtsrheinischen gelegene Unternehmen „Radsport Hübel“ ebenso wie der kleine „Fahrradladen Klingeling“ in direkter Uni-Nähe, dessen Betreiber sich mit Reparaturen und dem Verkauf von gebrauchten Rennrädern über Wasser hält. Und selbst die Verwandlung zweier Einzelhandelsbetriebe in Fachmärkte mit angeschlossenem Internetversand hat die Bonner Szene recht gut überstanden.

Doch nun regt sich Unmut unter den Bonner Fahrradhändlern. Auslöser ist ein Beschlussvorschlag des Bonner Ausschusses für Planung, Verkehr und Denkmalschutz, den Verkauf von Fahrrädern und Zubehör aus der Liste der „zentrenrelevanten Sortimente“ zu streichen – mit dem konkreten Ziel, den Weg freizumachen für SB-Fahrradmärkte, die sich zentrumsnah „auf der grünen Wiese“ ansiedeln wollen. Konkrete Interessenten, die den Bonner Radmarkt aufmischen wollen, gibt es bereits – einer der beiden Fachmärkte, bislang etwas versteckt zwischen Tierheim und Straßenstrich gelegen, hat bereits einen Bauvorantrag gestellt.

Kein Wunder, dass Jean Franzen, Inhaber des „Drahtesels“, die Welt nicht mehr versteht. Franzen, der auf eine erfolgreiche Karriere als Radrennfahrer mit WM-Teilnahmen und deutschen Meistertiteln zurückblickt, kann nicht umhin, dem Planungsausschuss mangelnde Nähe zum Thema zu attestieren. „Da heißt es, der Bonner Fahrrad-Einzelhandel sei ‚recht kleinteilig strukturiert und dispers über das Stadtgebiet verteilt‘, und das wird als negative Markttendenz begriffen. Dabei ist dies doch gerade die Stärke der Bonner Szene. Anstatt sich gegenseitig das Leben schwer zu machen, hat jeder Radladen auch räumlich seine Nische gefunden und stellt in seinem Stadtteil die Nahversorgung sicher.“ Die Beschreibung der aktuellen Situation des Fahrradeinzelhandels in der Beschlussvorlage empfindet Franzen als teils recht treffend analysiert, doch genau das ärgert den Unternehmer besonders: „Wenn die Auswirkungen von Internethandel und grüner Wiese negativ auf den klassischen Einzelhandel sein sollen, frage ich mich, warum ausgerechnet diese negative Entwicklung durch den Beschlussvorschlag unterstützt wird. Wird da nicht der Bock zum Gärtner gemacht?“

Einzelhandel mit vitalen Eigenheiten

Eine gute Frage – sieht man sich die Situation des Fahrradhandels nämlich genauer an, erkennt man, dass der oft beklagte Strukturwandel, den zahlreichen Branchen erleiden mussten, die Fahrradgeschäfte bislang verschont hat. Branchen wie der Handel mit Unterhaltungselektronik etwa werden längst von riesigen Märkten am Stadtrand dominiert; der lokale Radio- und Fernsehhändler alter Prägung ist nahezu ausgestorben – und so richtig gut findet niemand, dass man sich heute selbst für den Kauf von DVD-Rohlingen ins Auto setzen soll. Von fachlicher Beratung zwischen all den offerierten Elektro-Schnäppchen fehlt oft jede Spur.

Für den Fall, dass die vom Bonner Planungsausschuss betriebene Ansiedelung der Großanbieter Realität wird, rechnet Monica Faßbender vom Fahrradladen Velo-City in der Bonner Innenstadt mit erheblichen Auswirkungen auf die Fahrradnutzung in der Stadt. „Die Menschen wollen ihr Fahrrad nahe am Ort kaufen und sind auf einen Service angewiesen, der zwischen Bäckerei und dem Weg zur Arbeit geleistet wird“, erklärt Faßbender. „Das Fahrrad als Verkehrsmittel verliert massiv an Attraktivität für die Bonner Einwohner, wenn seine Kauf- und Wartungsinfrastruktur auf wenige große Märkte schrumpft“, prophezeit sie. Denn wenn die lokalen Fahrradläden aufgrund von Preis- und Marketingdruck dichtmachen, entsteht eine Lücke, die auch der Internethandel nicht schließen kann. „Sie können im Internet einen Reifen bestellen“, spottet Faßbender,„aber fragen Sie mal den Kurierfahrer, ob er Ihnen den auch montiert!“ Die Fahrradstadt Bonn auf dem Weg zur Servicewüste – ein beängstigender Gedanke.

In Bonn regt sich immerhin Widerstand: Ein Zusammenschluss von Bonner Fahrradhändlern kämpft mit guten Argumenten gegen den bevorstehenden Ratsbeschluss, in der Lokalpresse ist die Angelegenheit schon ein Thema. Auch die Stadtratsfraktion der Bonner Grünen, die immerhin ein Sechstel der Ratsmitglieder stellt, unterstützt das Anliegen der Fahrradhändler. Die anderen Bonner Parteien müssen wohl noch begreifen, dass die hohe Lebensqualität ihrer Stadt auch mit dem fahrradfreundlichen Klima zusammenhängt – und das ist ohne den lokalen Fachhandel wohl nicht zu halten.

22. September 2009 von Pressemitteilung

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