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Die Zahlen der Radurlauber legen immer noch weiter zu. Allerdings hat sich das Wachstum in der Fahrradtourismus-Branche ein wenig verlangsamt.
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Neue Trends in der Tourismusbranche

Radreisen 2012: Mehr Individualität und Komfort

Ob in Etappen von Ort zu Ort oder Sternfahrten – Fahrradurlaub gehört längst zum festen Bestandteil der deutschen Reiselandschaft. Und das Angebot der Reiseveranstalter wird von Jahr zu Jahr umfangreicher und vielseitiger. Armin Herb, Reise-Redakteur der Fachzeitschrift „Trekkingbike“, analysiert für velobiz.de die Radreisetrends 2012.

Die Zahlen der Radurlauber legen immer noch weiter zu. Allerdings hat sich das Wachstum in der Fahrradtourismus-Branche ein wenig verlangsamt.E-Bikes erschließen neue Regionen und Strecken für den Fahrradtourismus.Exotische Radreiseziele, wie hier Mexiko, bilden weiterhin eine Minderheit. Allerdings wächst das Angebot an organisierten Touren zu Fernzielen.

Egal ob Krise oder Aufschwung, Radreisen haben immer Konjunktur. Zumindest zeigt dies die Entwicklung in den vergangenen Jahren. Zwar rechnet die Branche nicht unbedingt weiter mit zweistelligen Zuwachsraten, aber der Pfeil zeigt nach oben. Und es wird wohl auch in nächster Zukunft so weitergehen. Selbst bekannte Freizeitforscher wie der mittlerweile emeritierte Professor Horst Opaschowski sehen für den Urlaub mit dem Fahrrad noch ein wachsendes Potenzial. Die Begeisterung zieht sich dabei durch alle Altersgruppen, auch die Jungen strampeln sich gerne ab in den Ferien. Fast ein Drittel der Radreisenden sind zwischen 20 und 29 Jahre alt, ermittelte eine Erhebung der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT). Aber auch die Best Ager sind ganz gut mit dabei: Etwa genauso viel gehören der Gruppe 50 plus an. Die Urlaubsmotive sind bei den Radlern ziemlich eindeutig: Das „Naturerleben“ sowie der Wunsch, „aktiv oder sportlich“ zu sein und dabei etwas für „Gesundheit und Körper“ zu tun, stehen im Vordergrund. Den größten Wert legen Radurlauber auf eine schöne, intakte Landschaft, „gute Luft“ und ein umfangreiches Angebot an Radwegen. Buchen sie pauschal, so machen das mehr als die Hälfte mindestens einen Monat vor dem Reisetermin. Knapp 60 Prozent bevorzugen laut ADFC eine Reise mit wechselnder Unterkunft, etwa 40 Prozent machen Touren von einer festen Unterkunft aus – mit leicht steigender Tendenz. Ein Großteil achtet darauf, dass er in fahrradfreundlichen Herbergen, wie einem der mehr als 5000 Bett & Bike-Betrieben, unterkommen kann. Die Informationen für die Urlaubsplanung holen sich laut ADFC rund 70 Prozent aus dem Internet und aus Radreiseführern, etwa 50 Prozent lesen dazu Fahrradmagazine, wie „Trekkingbike“ oder „Radtouren“ und Reisekataloge (Mehrfachnennungen waren bei dieser Umfrage möglich).

Die gebuchte Individualreise

Immer mehr Urlauber geben sich in die Obhut von Reiseveranstaltern, obwohl sie nicht in der Gruppe reisen möchten: Je nach Veranstalter sind heute bis zu 90 Prozent der gebuchten Radreisen sogenannte Individualtouren. Das heißt, der Reiseradler bucht eine bestimmte Route, z.B. auf dem Weserradweg, verzichtet dabei aber auf die Dienste eines Reiseleiters. Der Veranstalter sorgt für die tägliche Übernachtung, eventuell für die morgendliche und abendliche Verpflegung, für den Gepäcktransport, und stellt ein umfangreiches Tourbook mit Karten und Infos zur Verfügung, in manchen Fällen auch die GPS-Daten und GPS-Leihgeräte dazu. Für Probleme und Notfälle gibt’s eine 24-Stunden-Hotline. Die klassische Gruppenradreise ist deshalb jedoch nicht ausgestorben. Dazu Laurenz Stritzinger vom Radreiseveranstalter Pedalo: „Gruppenreisen werden meist dann gebucht, wenn es sprachliche Barrieren gibt, wenn es in exotischere Gefilde gehen soll oder wenn Einzelpersonen nicht gerne alleine auf Radreise gehen möchten. Alle anderen buchen zu 99 % eine individuelle Einzelreise, weil es sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass das Drumherum von Radreiseveranstaltern perfekt organisiert wird.“

Dabei müssen sich die Radreiseveranstalter auf zunehmend anspruchsvollere Kunden einstellen. „Auch hier zeigt sich die bekannte demografische Entwicklung. Das klassische Radreise-Publikum wird zunehmend älter, ist allerdings auch reiseerfahrener und wird deshalb anspruchsvoller, “ erklärt Bertram Giebeler vom Fachausschuss Tourismus des ADFC aktuelle Daten zur Radreiseanalyse. Diese Erkenntnis belegt auch den Trend zur individuellen Pauschalreise: „Diese Radler bevorzugen es, ihren Fahrradtag so zu gestalten, wie sie es möchten. Jeder kann anhalten und pausieren, wann und wo er möchte. Das besichtigen, das ihn interessiert. Unterwegs sein eigenes Wohlfühltempo fahren. Diese Radreisenden wollen flexibel sein, mit kleinem Tagesgepäck und passendem Karten- und Informationsmaterial die Tagesetappen unter die Räder nehmen. Und sie wollen sich trotzdem keine Gedanken machen, wo sie die nächste Nacht verbringen, wie viel Gepäck sie mitnehmen können, denn für Hotelbuchung, Gepäcktransport, Orientierung etc. ist bereits gesorgt“, so beschreibt Laurenz Stritzinger seine Hauptzielgruppe.

„Allerdings ist der Radreisende heute von der guten Infrastruktur entlang klassischer deutscher Fernradwege, wie an Main und Elbe, schon etwas verwöhnt“, sagt Thomas Froitzheim, Tourismus-Experte beim ADFC. Das stellt Radreiseveranstalter hin und wieder vor schwierige Aufgaben, den Gästen auch schöne Radregionen im Ausland schmackhaft zu machen. Aber man gibt sich erfinderisch und spricht mit neuen Individualreisen auch den Entdecker im Kunden an: So schickt z.B. Vuelta seine Gäste auf Tour an die andalusische Costa de la Luz zu schier endlosen Stränden, Kampfstierweiden und weißen Dörfern. Kultur und Kulinarik stehen im Vordergrund auf neu konzipierten Genusstouren im Burgund, die Radissimo und Dertour im Programm haben. Wein und Wellness heißen die Schlagworte auf einer Reise durchs slowenische Thermenland ab Ptuj bis Moravske Toplice, bei Austria Radreisen im Repertoire.

Lieblingsziel Deutschland

Mindestens drei Viertel der deutschen Radurlauber kurven im Urlaub am liebsten durch heimische Gefilde, so die Zahlen aus einer Leserbefragung des Fahrradmagazins „Trekkingbike“. Laut Radreiseanalyse des ADFC sind sogar rund 85 Prozent Deutschland-Radler. Mit mehr als 50.000 Kilometer Fernradwegen ist Deutschland bestens ausgestattet für Radtourismus, und die Infrastruktur legt noch zu. Bei anhaltender Nachfrage wird das Angebot ständig erweitert. Auch in weniger bekannten Revieren fahren künftig kleine Gruppen mit Pauschalradlern. Spätestens seit der ADFC Qualitätsradrouten mit Sterne-System ausweist, hat ein regelrechter Wettbewerb der Radregionen eingesetzt. Davon wollen nun auch die Nachbarländer profitieren: Sechs österreichische Fernradwege sollen bald als ADFC-Qualitätsradroute klassifiziert werden. Frankreich hat einen ambitionierten Nationalen Fahrradplan aufgelegt. Damit will die Grande Nation nicht nur den Radverkehrsanteil bis 2020 deutlich erhöhen, sondern viele deutsche Fahrradtouristen ins Land locken, vor allem auch jenseits von den Klassiker-Revieren, wie Elsass, Provence und Loire-Radweg.

Eher skeptisch sehen die Schweizer in die Zukunft, trotz vorbildlicher Fahrradinfrastruktur und gut aufeinander abgestimmtem öffentlichen Verkehrsnetzes. Der Grund liegt bei den Kosten: Der gegenüber dem Euro so teure Schweizer Franken lässt einen Rückgang der Gästezahlen nicht nur aus Deutschland erwarten.

Renaissance der Standorttouren

Der Blick in die aktuelle „Trekkingbike“-Leseranalyse überrascht: Der Anteil der Radreisenden, die Standorttouren unternehmen, wuchs auf 43 Prozent, eine klare Steigerung zum Vorjahr. Verschiedene Veranstalter können diesen Trend bestätigen. „Die Gäste möchten selbst entscheiden, an welchem Tag sie eine bestimmte Tour fahren. Und sie wollen nicht jeden Tag wieder von Neuem die Koffer packen, um in ein anderes Hotel zu ziehen“, erläutert dazu Katrin Holzbrecher, Dertour-Programmleiterin für Radreisen. Dertour hat deshalb das Angebot erweitert, aber auch Rückenwind, Velociped und Mecklenburger Radtour haben die Sternradler zunehmend im Visier. Zu den Top-Regionen für Standorttouren zählen der Bodensee, der Starnberger See, die Mosel, Südtirol rund um Bozen, Mallorca und die Mecklenburgische Seenplatte. Außerdem schätzen es viele Radurlauber, nach der täglichen Tour in Ruhe in einem schönen Hotel mit Wellnessbereich zu entspannen und die Gastronomie des Hauses oder des Urlaubsortes zu genießen.

Rad und Schiff

Schlafen an Bord, radeln an Land – keine Fahrradreiseform erlebt eine so stetig positive Entwicklung wie kombinierte Rad- und Schiffsreisen, sowohl auf dem Fluss, auf dem See und vor allem auf dem Meer. Ob Segeljacht, Flussdampfer oder Kreuzfahrtschiff – das schwimmende Hotel wird für Radreisen immer beliebter. Im Einklang damit steigt auch die Zahl der Rad- und Schiff-Reviere. Schipperten vor einigen Jahren noch nur ein paar Segeljachten mit Radlern durch die mediterrane Inselwelt Kroatiens und Griechenlands sowie vor der türkischen Küste, so hat sich das Angebot deutlich ausgeweitet. Im Trend liegen die Flussradwege, z.B. entlang der Donau, Havel, Mosel sowie auch Rhône und Seine, wo die Nacht auf Flusskreuzfahrtschiffen verbracht wird. Und auch in weniger warmen Meeren kreuzen künftig Segeljachten mit Radlern von Insel zu Insel: Spezialveranstalter ZeitReisen pendelt mit dem Zweimastsegler „Flying Dutchman“ zwischen Schottlands Ost- und Westküste. Dertour zeigt seinen Radgästen die deutsche Ostsee: Geradelt wird auf Rügen und Usedom, übernachtet wird auf dem hochseetüchtigen Schoner Amazone.

Mit dem E-Bike unterwegs

Der Wunsch, einmal E-Bike zu fahren, hat nicht nur die Vermietstationen geradezu überrollt, auch die Radreiseveranstalter und die Tourismusregionen erhalten täglich Nachfragen nach entsprechenden Angeboten. Die Veranstalter haben reagiert. Für einen Großteil der klassischen Radreisen lassen sich in der kommenden Saison auch Räder mit elektrischer Trethilfe ordern. Reine E-Bike-Reisen stehen mittlerweile ebenso in den Katalogen, nicht nur beim Platzhirsch und Pionier Movelo Travel, die sich darauf spezialisiert haben. Das Spannende am E-Bike ist für viele Nutzer, dass mit der Elektromotorunterstützung plötzlich gebirgige Regionen ihren Schrecken verlieren und dass man damit problemlos 20 bis 30 Prozent längere Etappen am Tag schafft. Das heißt, das E-Bike verliert langsam den Ruf, nur ein Fahrrad für Senioren und Bewegungseingeschränkte zu sein. Zu den interessanten Reisen zählt z.B. eine einwöchige E-Bike-Reise rund um die Dolomiten von Fun Active Tours, oder in der Schweiz, im Pionierland des beliebten Flyer-E-Bikes, geht es auf einer individuellen Standortreise von Pedalo täglich über Alpenpässe. Und Deutschlands attraktivster, aber auch recht anspruchsvoller Fernradweg vom Bodensee zum Königssee verliert mit E-Bike seinen Schrecken. Wikinger führt Kleingruppen in neun Tagen über die 3300 Höhenmeter und 420 km am Alpenrand entlang.

Radeln in Übersee

Der Anteil der Fernreisenden unter den deutschen Reiseradlern liegt bei winzigen zwei bis drei Prozent. Aber diese kleine Gruppe ist bereit, viel Geld auszugeben für den besonderen Reiz exotischer Regionen. Deshalb bemühen sich Spezialveranstalter, wie die Schweizer Bike Adventure Tours oder China by Bike aus Berlin, für ihre Kunden immer neue Radregionen zu erschließen. Selbst bei Wikinger haben die Fernreisen eine kleine feine Fangemeinde, die auch gerne neue Ziele entdeckt. So hat Wikinger ab diesem Jahr zusätzlich Sri Lanka ins Programm genommen, bei Biketeam Radreisen dürfen die Gäste durchs vietnamesische Mekongdelta kurven und Bike Adventure Tours führt seine Gäste durch den Dschungel Borneos. Übrigens kann man mittlerweile auch mehrwöchige Extremtouren per Rad buchen. Es gibt sie tatsächlich diese Konditionswunder, die große Entbehrungen auf sich nehmen und viel Geld ausgeben für eine ganz spezielle Form des Radabenteuers. Und diese Ultra-Touren sind oft sogar ziemlich schnell ausgebucht. Der große Spezialist für extralange Radreisen ist die Tour d’Afrique Ltd. mit Touren auf vier Kontinenten, z.B. von Kairo nach Kapstadt in Afrika, von Paris nach Istanbul in Europa, von Agra nach Kanyakumari quer durch Indien, von Buenos Aires nach Lima in Südamerika oder auf der alten Seidenstraße von Istanbul nach Samarkand. Aber auch hier gilt: Zeit, Geld, Gesundheit, Kondition und eine gehörige Portion Abenteuerlust gelten als Grundbedingung zur Teilnahme. Die längste Radreise läuft übrigens gerade, u.a. veranstaltet von China by Bike: in 215 Tagen von Hongkong zur Olympiade nach London. Die Teilnahme kostete die Kleinigkeit von rund 30.000 Euro.

Wo soll’s hingehen?

{b}Geplanter Radurlaub 2012 der Trekkingbike-Leser{/b}
Deutschland 76%
Österreich 16%
Italien 10%
Frankreich 6%
Schweiz 5%
Dänemark 3%
Spanien 2%
Andere Länder in Europa 8%
Fernreise 2%

27. April 2012 von Armin Herb
Velobiz Plus
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