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Facharbeiter sind in China inzwischen Mangelware.
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Material- und Lohnkosten in China explodieren

Preisanstiege bereiten der Bike-Industrie Kopfzerbrechen

Es schien, als seien plötzlich alle anderen Sorgen der Fahrradbranche wie weggeblasen. Auf der Taipei Show wurde wenig über Lieferzeiten gesprochen, noch weniger über Termin oder Location der taiwanischen Erstausrüster-Messe und nur in Ausnahmefällen über Trends in der Fahrradtechnik. Denn die Diskussion über die Preisentwicklung bei Fahrradteilen drängte fast alle anderen Themen in den Hintergrund. Dabei ging es schon längst nicht mehr um die Frage, ob die Preise im Modelljahr 2009 anziehen werden, sondern nur noch darum, um wie viel.

Facharbeiter sind in China inzwischen Mangelware.Die Rohstoffpreise für Aluminium haben sich innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt.

Der wichtigste Trend für 2009 lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Fahrräder werden teurer - und zwar deutlich. Die Preissteigerungen, die der Verbraucher vor allem durch einfachere Ausstattungen in den Eckpreislagen wahrnehmen wird, haben verschiedene Ursachen. Und gerade dieses Zusammenspiel mehrerer Faktoren macht es der Branche so schwer, die Schwankungen auszubügeln. Dabei wären die einzelnen Faktoren alleine schon gravierend genug, um deutliche Preissteigerungen zu bewirken. Aber der Reihe nach:

Faktor 1: Arbeitskosten in China

Das Bild vom ausgebeuteten chinesischen Arbeiter, der zum Hungerlohn 60 Stunden in der Woche im Akkord schuftet, gehört allmählich der Vergangenheit an. Vor allem die in der Fahrradbranche häufig benötigten Fachkräfte, etwa in der Aluminium- und Carbon-Verarbeitung, werden in den industriellen Zentren knapp. In den Freihandelszonen, wie etwa Shenzhen, ist zudem der Zuzug billiger Arbeitskräfte aus dem chinesischen Hinterland reglementiert.

In China fertigende Unternehmen müssen inzwischen einige Anstrengungen unternehmen, z.B. in Form höherer Löhne, um qualifizierte Mitarbeiter zu halten. Ein guter Aluschweißer kommt beispielsweise in Shenzhen inzwischen nicht selten auf ein Lohnniveau von umgerechnet 300 bis 400 EUR im Monat. Konkurrierende Unternehmen versuchen, sich gegenseitig Facharbeiter vor den Fabriktoren mit höheren Löhnen abzuwerben, oft mit Erfolg.

Dazu kommt ein neues Arbeitsrecht, das aus humanistischen Gesichtspunkten für die chinesische Bevölkerung eine wichtige Entwicklung ist, die Unternehmen aber vor deutliche Mehrkosten stellt. Die neue Rechtslage, mit der Anfang des Jahres die Unternehmen in China kurzfristig und unerwartet konfrontiert wurden, legt die reguläre Wochenarbeitszeit für alle Arbeiter auf 40 Stunden fest. Alle Mehrstunden müssen zum eineinhalbfachen Tarif vergütet werden. Der Kündigungsschutz wurde verschärft und Sozialversicherungsabgaben für die Arbeitgeber zwingend eingeführt.

In der Summe aller Ursachen seien die Arbeitskosten in China seit Jahresbeginn um rund 15 % gestiegen.

Faktor 2: Gestiegene Rohstoff- und Energiekosten

Die Preise für Rohöl sind seit vergangenem Jahr von 58 USD per Barrel auf zwischenzeitlich über 108 USD gestiegen. An ein Sinken der Rohöl-Preise unter 100 USD glaubt kaum ein Marktbeobachter. Dadurch sind nicht nur die Kosten für Logistik und Energie dramatisch gestiegen, auch alle Werkstoffe, die aus Erdöl hergestellt werden, haben sich deutlich verteuert – also nahezu alle Kunststoffe, aber beispielsweise auch Kohlefaser.

Doch nicht nur der Marktpreis für Erdöl befindet sich auf einem historischen Hoch, auch nahezu alle metallischen Rohstoffe werden zu Rekordkursen gehandelt. Egal ob Stahl, Aluminium oder Magnesium: Überall betragen die Preissteigerungen seit Jahresbeginn um 20 %. Der Einkauf ist dadurch nicht nur teurer, sondern auch unwägbarer geworden. Stahllieferanten schließen beispielsweise keine langfristigen Lieferverträge mit Preisbindung mehr ab, sondern kalkulieren jede Bestellung neu zum aktuellen Kurs. Es ist ein durchaus denkbares Szenario, dass Produkte, die einen hohen Material- und geringen Lohnanteil bei den Fertigungskosten haben, künftig ähnlich wie Computerchips zu Tagespreisen gehandelt werden.

Faktor 3: Aufwertung der chinesischen Währung

Im vergangenen Jahr konnte sich die importabhängige Fahrradbranche wirtschaftlich noch im starken Euro-Kurs gegenüber dem US-Dollar sonnen, nachdem Einkäufe in Asien fast ausschließlich in der amerikanischen Währung abgerechnet werden. Doch dieser positive Einfluss ging ein Stückweit flöten, als die chinesische Regierung ihre nationale Währung Yuan gegenüber dem Dollar-Kurs im Januar um rund 4 % aufwertete. Angesichts der galoppierenden Inflation in China rechnen Finanzmarktexperten im Lauf des Jahres mit einer weiteren Aufwertung der staatlich regulierten Währung um bis zu 11 %.

Die Frage ist nicht ob, sondern wie hoch

Dass die Preise für das Fahrradmodelljahr 2009 steigen werden, sei, so Fahrradanbieter im Gespräch mit velobiz.de, keine Frage mehr. Offen sei gegenwärtig nur noch, wie hoch die Preissteigerungen ausfallen werden.

Von den Einflüssen in China sind dabei auch in Europa fertigende Hersteller betroffen: Jüngst erst bezifferte die EU-Kommission den Anteil von „Made in China“ bei der Wertschöpfung europäischer Fahrräder auf durchschnittlich knapp 30 %.

„Da werden sich manche Händler und Verbraucher auf den kommenden Herbstmessen verwundert die Augen reiben, wie abgespeckt die Fahrräder für 2009 in den einzelnen Preisklassen sein werden“, meint ein Produktmanager im Gespräch mit velobiz.de. Preissteigerungen im Vergleich zum Vorjahr von bis zu 20 % werden in Industriekreisen durchaus als realistisch betrachtet, zumal sich manche der vorher erwähnten Entwicklungen im Jahresverlauf noch weiter zuspitzen dürften.

Ein schwacher Trost: Die Fahrradbranche ist mit ihren Problemen nicht alleine. In den USA wird beispielsweise damit gerechnet, dass die Kostenexplosion in China die Inflation alleine um drei Prozentpunkte nach oben treiben wird.

19. März 2008 von Markus Fritsch
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