Der Trend aus den USA schwappt nach Europa
29-Zöller: Ein Hoffnungsträger auf dem Sprung aus der Nische
Optimisten und Skeptiker
„Die nächste Saison wird nicht vergleichbar sein mit allen Jahren zuvor“, ist Konstantin Henschen von Revolution Sports, unter anderem Importeur der Marke Niner, sicher, „2011 wird das Schaltjahr für 29er, in zwei Jahren werden 50 Prozent aller Mountainbikes 29er sein.“
Wer sich heute mit dem 29er Markt beschäftigt, hört inzwischen häufiger derart optimistische Prognosen zu den Aussichten dieses vergleichsweise jungen Fahrradsegments. Gleichzeitig existiert eine beachtliche Zahl an Skeptikern, die nicht übersehen haben, dass es 29er eigentlich schon seit Jahren auf dem Markt gibt, ohne dass sie eine bemerkenswerte Kundenresonanz gefunden hätten.
Was hat sich also verändert?
US-Markt weckt Hoffnungen
Die heute sehr ambitioniert erscheinenden Erwartungen kommen nicht von ungefähr: In den USA, dem Mutterland des neuen Trends, erreichen die Verkaufszahlen solche Dimensionen, dass einige Marktbeobachter bereits die Verdrängung des klassischen 26-Zoll-Mountainbikes erkennen wollen. So mancher US-Bikeshop sei bereits komplett von 26 auf 29 Zoll umgestiegen. Der hiesige Markt wäre schon mit viel weniger zufrieden. „Vielleicht haben 29er das Potential, 26 Zoll zu verdrängen“, sagt Henschen, „es wäre aber auch schon gut, nach 36 Jahren mit 26 Zoll jetzt mal 20 Jahre lang daneben noch etwas anderes zu haben.“
Immerhin versprechen die Fahreigenschaften für einige Einsatzbereiche deutliche Vorteile.
Mountainbikes mit großen Rädern – warum eigentlich?
Die Vorzüge der großen Laufräder sind laut den meisten Erfahrungsberichten auch für weniger sportliche Fahrer gut zu erfahren: „Die Räder rollen besser im Gelände über Hindernisse und sacken nicht so in die Kuhlen, der Komfort ist größer durch weniger Schläge“, nennt Henschen einige Vorteile.
„Wir sehen mehr Fahrstabilität, weniger Schlupf beim Antritt, stabileren Geradeauslauf, besseren Grip und eine generell leichtere Kontrolle über das Fahrrad“, ergänzt Sebastian Maag von Specialized die Pluspunkte.
Dem gegenüber stehe lediglich ein etwas höheres Gewicht, bedingt durch die größeren Laufräder, eine derzeit eingeschränkte Komponentenauswahl sowie der etwas höhere Grundpreis.
Vorsichtige Erwartungen für nächste Saison
Gute Argumente also, um den Kunden ein neues Fahrrad zu verkaufen. Trotzdem erwarten die wenigsten im Markt bereits in der nächsten Saison große Stückzahlen. „Bis dato ist der 29er Markt noch sehr klein, eine Nische für Spezialisten“, beobachtet Florian Weinzierl, der mit seiner Firma Shocker Distribution mit Intense und Pivot gleich zwei 29er Marken in Deutschland anbietet. Doch es kommt Bewegung in Markt: „Seit die Medien das Thema sehr explizit pushen, wird die Nachfrage zunehmend mehr“, so Weinzierl.
Der Weg für 29er aus der Nische scheint geebnet:.“ 29er sind auf jeden Fall interessant“, ist auch Giant-Deutschland Geschäftsführer Oliver Hensche überzeugt, allerdings schätzt er die Marktsituation in Deutschland deutlich anders ein als in den USA: „Während in den USA ein Großteil der 29er Fullys in Preisregionen weit über 2000 Euro verkauft wird, sehe ich hier mehr Potenzial im Hardtail-Segment unter 2000 Euro und sogar unter 1000 Euro“.
Diese Prognose deckt sich mit den Erwartungen der meisten neuen 29er-Anbieter in der kommenden Saison. Statt hochpreisige Edelbikes anzubieten, wird häufiger der Massenmarkt mit seinen größeren Stückzahlen angepeilt.
29er sollen alle ansprechen
„Zielgruppe ist eigentlich jeder von jung bis alt, ob fahrtechnisch versiert oder unerfahren“, ist Konstantin Henschen überzeugt, „Mit diesen Bikes kann man Stufen fahren, die vorher nur mit Fullys und langer Federgabel zu bewältigen waren.“ Auch Oliver Hensche sieht eine breite Zielgruppe: „Der 29er Markt ist da, wo ich einen Mountainbike-Markt habe.“ Zusätzlich gebe es noch einige Ideen und Überlegungen, ob 29er als Crossrad-Derivat sinnvoll sind.
Zudem spielt auch die Körpergröße bei der Argumentation pro 29er eine Rolle: „Bei Personen über 1,85 m Körpergröße stellt sich die Frage eigentlich nicht. Nach einer Testfahrt will keiner mehr auf ein kleines Mountainbike zurückkehren“, beobachtet Bikehändler Lukas Kubis aus Ostfildern. „Für große Menschen ergeben 29er eine viel homogenere Optik“ argumentiert auch Henschen, und auch für Kleinere gebe es keine echten Probleme. „Die Räder gibt es für Fahrerinnen und Fahrer ab einer Körpergröße von 1,60 Metern. Darunter wird es jedoch schwierig, eine passende Geometrie zu finden.“ Damit sind seiner Überzeugung nach 29er ohne Abstriche für fast jeden geeignet.
Marktwachstum ungewiss
Wie groß der Markt tatsächlich werden kann, bleibt abzuwarten, die Prognosen gehen eher von einer Verschiebung der Marktanteile aus, als von einem wachsenden Markt. „29er bleiben eine Untergattung des Mountainbikes. Der MTB-Kuchen wird sich nicht vergrößern, es werden nur die Anteile verschoben“, schätzt Oliver Hensche die kommenden Jahre ein.
Die 11 % Marktanteil von MTBs werden also keinen Sprung machen, innerhalb dieser Marke erwarten die Marktbeobachter in der Zukunft einen 29er-Anteil zwischen vorsichtigen 10 % bis hin zu optimistischen 50 %. In jedem Fall ist die Zahl so hoch, dass diese Veränderung des Marktes wohl jeden Händler betrifft, der sich mit Mountainbikes beschäftigt.
Geringe Händlerdichte bremst noch die Entwicklung
Wer als Händler bereits heute mit 29ern aufwarten kann, durfte sich auf ein sehr aufgeschlossenes und zahlungskräftiges Publikum freuen. Angesichts des sehr überschaubaren Angebots bei geringer Händlerdichte nehmen die Kunden weite Wege auf sich. „Wir sind im Süden weit und breit der einzige 29er Shop“, bemerkt Fahrradhändler Lukas Kubis von Best-Bike-Parts aus Ostfildern in der Nähe von Stuttgart, „die Kunden kommen sogar aus Frankfurt oder Nürnberg zu uns, nur um die Räder zu testen und zu kaufen“, freut er sich über den Zuspruch. Seiner Erfahrung nach sind diese Bikes derzeit vor allem für Enthusiasten interessant und damit ein Custom-Made-Thema. „Wir haben auch Räder von der Stange für unter 1000 Euro, aber die sind lange nicht so gefragt“, stellt er fest.
„Wir sind sehr zufrieden und verkaufen 29er meist in einer Preislage über 3000 Euro“, sieht auch Händlerkollege Mike Schmidt von Velocity in Berlin aktuell vor allem das kleine aber feine High-End-Publikum aktiv. Doch auch er erwartet für die kommende Saison eine deutliche Veränderung.
„Das wird ein starkes 29er-Jahr werden. Schon in diesem Jahr sah der reine Mountainbike-Verkauf im Vergleich zu 29er nicht mehr so gut aus“, erläutert Schmidt, tatsächlich verändere sich die Wahrnehmung des Geländefahrrads. „Bei uns ist das schon komplett gekippt: Ein 26er sieht inzwischen komisch aus - von seinen Proportionen her und von der Fahrbarkeit.“
Um die Kunden auf ein 29er zu bekommen, betonen alle Beteiligten durchweg die Bedeutung von guten Testrädern. „Der Händler muss natürlich mit einem Testrad arbeiten“, ist etwa Weinzierl von Shocker Distribution überzeugt. „Der Kunde kauft nicht einfach ein komplett neues Rad, nur weil die Tests in den Zeitschriften gut sind. Er will ausprobieren. Das kommt wiederum dem Fachhandel zugute, beim Versender wird das Probefahren schwierig.“
„Der Wettbewerb wird größer werden, da schon viele Massenhersteller 29er in der
Mainstreamklasse von 1200 bis 1500 Euro bringen werden. Dann wird das natürlich viel stärker verbreitet sein“, ist sich Bikehändler Kubis sicher.
Dass demnächst viel mehr 29er unterwegs sein werden, löst bei Kubis aber nicht nur uneingeschränkte Freude aus: „Ich finde es eigentlich schade, 29er sind als Custom-made-Produkt eigentlich schicker“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Letztes Jahr war man mit 29ern noch ein Marsmännchen, dieses Jahr noch etwas Besonderes und nächstes Jahr wird es ganz normal sein.“
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