Report - Radsporttourismus
Anspruchsvolle Nische
Wer Rennrad fährt, braucht Abwechslung. Ein wichtiger Teil des Sports besteht darin, nicht nur die schönsten Straßen der Umgebung zu erkunden und den eigenen Aktionsradius auszuweiten. Vielmehr wächst bei den allermeisten Rennradfahrern mit der sportlichen Leistungsfähigkeit auch der Wunsch, Pässe mit magischen Namen zu bezwingen oder bei sicherem Sommerwetter Kilometer zu sammeln.
Es besteht kein Zweifel: »Radurlaube werden immer beliebter« heißt ein zentrales Ergebnis der jüngsten Befragung der Leserschaft von Europas führender Rennradzeitschrift Tour. Demnach planen 51 Prozent der Leser in den kommenden zwölf Monaten eine Kombination aus Radsport und Tourismus, nur 20 Prozent können sich das nicht vorstellen – und der Anteil der Touristen steigt seit Jahren langsam, aber kontinuierlich.
»Die Leute geben für ihr Hobby immer mehr Geld aus, und das gilt auch für Rennradreisen«, sagt Tour-Chefredakteur Thomas Musch. Im Durchschnitt machten die Leser 1.200 Euro im vergangenen Jahr für Radreisen locker – etwa 200 Euro mehr als 2014. Schaut man sich die redaktionellen Texte und auch die Anzeigen in Radsportmagazinen an, dann spiegelt sich diese Vorliebe der Hobbyathleten.
Hotspot Mallorca
Ganz klar: Die mit Abstand wichtigste Destination ist und bleibt Mallorca. Für Sportler ab einer gewissen – gefühlten oder realen – Leistungsklasse gehört das Trainingslager im Frühjahr auf der Insel einfach dazu. Auch die Tour-Leserbefragung stützt diese Erkenntnis: Spanien ist das beliebteste Reiseland der Radler, und 80 Prozent der Spanien-Reisen gehen auf die Insel, die mit der Gebirgskette im Westen und dem guten Wetter dauerhaft ideale Trainingsbedingungen bietet – und eine Infrastruktur, die seit Jahrzehnten auf den Rennradmassentourismus ausgelegt ist. Auf mehr als 150 Millionen Euro werden die Einnahmen für touristische Betriebe auf der Baleareninsel beziffert. Es gibt unzählige Anbieter in Palma, Playa de Palma, Santa Ponsa und vor allem Port d’Alcudia – und einige Größen, allen voran den Branchenprimus Huerzeler Bicycle Holidays.
Diese Sonderstellung des Rennrad-Massentourismus passt einem Großteil der Reisenden gut, denn: »Der deutsche Markt ist sehr preissensibel«, sagt Thomas Musch, und Mallorca bietet den gewünschten Komfort und passendes Material sowie eine günstige Fluganbindung im Paket.
VIPs: Nische in der Nische
Wer sich auf der Insel aus dem Schatten der Großveranstalter entwickeln möchte, muss schon etwas Besonderes bieten. So wie Guido Eickelbeck, ein ehemaliger Radprofi aus Köln, der neun Jahre lang VIPs beim damaligen Sportsponsor Telekom betreute und seit 2003 auf der Mittelmeerinsel mit seinem Unternehmen »VIP Cycling« selbstständig ist. Der Firmenname ist Programm für Eickelbeck: »Ich habe den großen Vorteil, dass ich sehr gute Beziehungen und damit viele Empfehlungen im Top-Segment habe«, berichtet der einstige Profifahrer.
Hört man sich an, wen Eickelbeck zum Trainieren bei sich hat, dann klingt das schon beeindruckend: Hohe Manager aus Europa und Amerika kommen zu ihm, darunter Wirtschaftslenker wie Heineken-Chef Michel de Carvalho. Zwar kann man bei Eickelbeck auch als normaler Tourist eines der 45 hochwertigen Räder von BMC und Corratec mieten, natürlich mit Carbon-Vollausstattung und Di2-Gruppe. Aber die meisten seiner Kunden buchen ihn als Guide und Trainer, der ihnen Tipps gibt und sie auch abends noch in Top-Restaurants begleitet. »Meine Gäste möchten ein Rundum-Paket auf dem höchsten Niveau – und dafür stehe ich dann persönlich ein«, sagt Eickelbeck.
Wer bei ihm bucht, bekommt fünf Tage Touren für 2.000 Euro aufwärts – Essen in Sternerestaurants, Nächte in Fünfsternehotels und auch manchmal ein Transfer im Hubschrauber noch nicht eingerechnet. »Es macht einfach Spaß, denn es boomt und die Leute sind super zufrieden«, sagt Eickelbeck. Seine Dienstleistung wird von Firmen für Incentives gebucht, Gruppen von Anwälten und Managern kombinieren Sport und Networking – und während der Recherche für diese Geschichte bereitete Eickelbeck gerade das Paket für eine Gruppe sportlicher Frauen aus den USA vor: »Die fragen ganz klar nach den besten Hotels und besten Restaurants. Da geht niemand mit weniger als 80 Euro auf der Rechnung aus einem Essen«, sagt er.
Wer Rennradtouristik anbietet, muss seinen Platz genau kennen – wie Eickelbeck, der in Mallorca in die Nische der sehr Vermögenden vorgestoßen ist und sie gezielt bedient. Notfalls sorgt er auch innerhalb weniger Stunden für passende Angebote. Das kostet – und es sind nicht allzu viele Kunden, die sich das leisten können oder wollen. Aber für Eickelbeck funktioniert es, obwohl die Großanbieter gleich in der Nähe ihre günstigen Pakete für Touristen aus ganz Europa vermarkten.
Nicht nur sportlich anspruchsvoll
»Der Kostendruck durch Mallorca setzt alle Standorte unter Druck«, sagt Jan Sahner, doch er klingt darüber nicht allzu verzweifelt. Der promovierte Informatiker ist Gründer des Unternehmens Quaeldich.de, das weit entfernt vom Mittelmeer seinen Sitz hat – nämlich in Berlin-Kreuzberg. Bekannt ist die Seite vielen Radfahrern, die sich schon einmal auf eine Bergetappe vorbereitet haben. Quaeldich.de bietet akribische Beschreibungen aller Pässe, die man als deutscher Radfahrer europaweit ansteuert. Sahner ist aber auch Touristikanbieter. Sein Unternehmen bietet Kurztrips, Klassiker an beliebten Standorten und Grand Tours, also mehrtägige Etappenfahrten – beispielsweise von Flensburg bis Garmisch.
»Klasse statt Masse«, lautet die Kurzformel, mit der Sahner das Angebot beschreibt. Sein Unternehmen bietet dieses Jahr 27 Reisen an. Man stützt sich auch auf Enthusiasten, die Reiseziele vorschlagen und sich dort auch als Guides anbieten. »Die Guides sind besonders wichtig. Sie sollen nicht nur gut Rad fahren können, man muss auch gern mit ihnen Zeit verbringen wollen.« Alle Reisen werden in drei Leistungsgruppen aufgeteilt, jede dieser Gruppen hat einen eigenen Guide – so findet jeder Teilnehmer eine Gruppe, die zu seinem Stil des Radfahrens passt. Der Name des Unternehmens spricht eine gewisse sportliche Klientel an, Menschen also, die wissen, worum es beim Rennradfahren geht – aber zugleich setzt sich Quaeldich.de vom Massentourismus ab. »Unsere Teilnehmer wollen nicht nur über das Radfahren reden. Sie möchten Landschaften erleben, gute Gespräche führen.« Das Allerwichtigste: »Das Essen: Wir wollen keine Pastapartys, sondern regionale Küche zum Genießen«, sagt der Unternehmer stellvertretend für seine Zielgruppe. Und klar: Was Quaeldich.de macht, sei auch ein Nischenangebot.
Abseits ausgetretener Pfade
Eine Lektion, die Sahner und Eickelbeck gelernt haben: Man muss etwas anbieten, wofür es idealerweise keine Konkurrenz gibt – oder zumindest noch einen ganz offenen Markt. In diese Richtung gehen auch die Gedankenspiele bei deutschen Tourismus-Destinationen, die sich schon lange für Radtouristen positionieren. Die Lübecker Bucht versucht nun, die kleinere Zielgruppe der konsumfreudigen Rennradfahrer für sich zu begeistern – das ist Neuland. »Wir sind bislang der weiße Fleck auf der Landkarte für Radsportler«, sagt Katharina Volpp, die für die Tourismus-Agentur der Lübecker Bucht arbeitet.
Thomas Hesse, ein bekannter Radhändler, selbst erfahren im Organisieren von Touren und Rennradspezialist, hatte die Agentur auf die Idee gebracht – nun veranstaltet die Tourismusgesellschaft vom 6. bis 14. Mai erstmalig eine Rennradwoche mit Tagestouren und abendlichen Workshops unter Leitung des ehemaligen Weltklasseprofis und routinierten Guides Mario Kummer. 30 bis 40 Teilnehmer erhofft sich Volpp bei der Premiere, längerfristig soll von diesem Event ein touristischer Dauereffekt ausgehen. »Wir wollen eine ganz neue Zielgruppe erschließen, insbesondere mit Blick auf die Nebensaisons«, erklärt Volpp. Für die Tourismusbetriebe der Umgebung sind Rennradfahrer bislang eher eine Seltenheit. Der Effekt der Pionierarbeit bleibt also abzuwarten, wenngleich die Planer schon ermutigt sind – denn erste Hoteliers haben ganze Pakete um die Radsportwoche geschnürt.
Wovon man nicht ausgehen kann in der Lübecker Bucht: Dass man in Zukunft Bestandteil einer Etappenfahrt mit Renncharakter wird, von denen es international eine wachsende Zahl gibt. Dafür fehlt es vor allem an einem: an Bergen. In Deutschland veranstaltet Tour mit der Transalp Jahr für Jahr im Juni einen renommierten Wettkampf, der eine Woche lang durch die Alpen führt und sich an besonders trainierte Athleten richtet. Etwa 1.000 Fahrer sind dabei und fahren unter Begleitung von etwa 150 Helfern. Medizinische, mechanische und logistische Begleitung ist garantiert. »Ein Großteil der Teilnehmer sehen die Transalp als Sportevent«, sagt Thomas Musch, aber es gebe einen fließenden Übergang zu Fahrern, die die Quälerei vor allem als touristisches Erlebnis betrachten. Tatsache ist: Für den Tourismus an den Zielorten bringt die Transalp guten Schub, denn die wenigsten Fahrer möchten nach der Schinderei im Zeltlager nächtigen. »Wir haben es mit gestandenen mittelalten Lesern zu tun, die auf einen gewissen Komfort achten«, erklärt Musch.
Wettbewerb in Europa
Ein Anbieter, den auch Thomas Musch beobachtet, ist das britische Unternehmen OC Sport. Mit seiner »Haute Route«-Serie veranstaltet OC Sport etwas, das der Transalp ähnelt – das aber auch für Teile der Zielgruppe von Quaeldich.de interessant sein dürfte: Mehrtägige Etappenrennen, bei denen die sportliche Herausforderung dominiert. Die Teilnehmer buchen Komplettpakete inklusive Hotelübernachtungen. Noch mehr als bei der Transalp lehnen sich die Macher hier an die Welt des Profisports an, die Teilnehmer sollen unter Bedingungen fahren wie die echten Stars – und es geht an Destinationen, die vor allem weltberühmt sind. Die Pyrenäen mit Tourmalet, die Alpen mit den meisten epischen Pässen der Tour de France – das wird besonders reizvoll inszeniert. Neuestes Ziel ist Norwegen, wo es 2018 erstmals hingeht. Das Publikum ist international, aktuell sind es vor allem Männer aus 50 Ländern. Matt Holden, der für die strategische Entwicklung der Events verantwortlich ist, sieht in dem Markt noch viel Potential: »Wir profitieren davon, dass es einen natürlichen Trend für Hobbyfahrer gibt, sich vom Eintagesrennen zum Etappenrennen weiterzuentwickeln.« Auch die Haute Route sei ein touristisches Angebot, sagt Holden, aber der Wettkampf stehe ganz klar im Vordergrund.
Es gibt also diverse Konzepte, die am Markt erfolgreich funktionieren. Aber eines ist klar: Wer bestehen möchte, muss mit den Eigenheiten der Rennradfahrer planen. »Sie sind sehr auf Leistung aus, sehr wettkampforientiert«, sagt Thomas Musch, »es ist schwer, sie mit gängigen touristischen Angeboten zu erreichen. Sie kommen vor allem für ihr Hobby.«
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