Markt - E-Roller
Auf dem Weg aus der Nische
Elektrisch betriebene Motorroller gibt es seit über 100 Jahren. Bisher konnten sich die angebotenen Modelle jedoch angesichts des Stands der (Akku-)Technik noch nicht etablieren. Seitdem diese aber mit deutlich verbesserten Leistungswerten aufwarten, springt auch das Interesse der Verbraucher an – und sorgen in der Fahrradbranche für ein erstes Stirnrunzeln.
Zunächst aber müssen an dieser Stelle die Begriffe geklärt werden: Was ist ein E-Roller? Mit dem Siegeszug des E-Tretrollers wurden die Begrifflichkeiten ziemlich durcheinander gewürfelt. Das Nebeneinander von E-Scooter und E-Roller ist besonders irritierend, weil damit mal das eine, mal das andere Produkt gemeint ist.
Wenn auf den folgenden Seiten von E-Rollern gesprochen wird, sind elektrisch betriebene Mofas, Mopeds und alle anderen Motorroller ohne Pedale gemeint, die mehr oder weniger wie eine Vespa aussehen, einer Versicherungspflicht unterliegen und bis 45 km/h schnell fahren. Oder kurz im Amtsdeutsch: Kleinkrafträder der Fahrzeugklasse L1e. Alle schnelleren Modelle fallen unter die Rubrik der zulassungspflichtigen Leichtkraftroller.
Lässt sich eine Tradition wiederbeleben?
Die zweite zu klärende Frage lautet, warum sich der Fahrradfachhandel überhaupt für E-Roller interessieren sollte. Etwas ältere Händler erinnern sich noch an die Zeit, als der Fahrradfachhandel meist auch ein Mofafachhandel war. Immerhin steht »Mofa« für »Motorisiertes Fahrrad«. Kleinkrafträder verschiedener Bauart zu verkaufen, gehörte bis in die frühen achtziger Jahre zum Selbstverständnis des Zweiradhandels dazu. Der Umsatz in diesen Segmenten ist seitdem jedoch sukzessive erodiert und tendierte zuletzt gegen Null. Ein naheliegender Gedanke könnte lauten, warum die aktuelle Händlergeneration auf dieses neue, alte Geschäftsfeld verzichten sollte, zumal sie bereits große Expertise im Bereich Elektromobilität aufgebaut hat. Und die E-Varianten des Mofas sind keine stinkenden Kläffer mehr, die eigentlich allen auf die Nerven gehen, sondern passen gut in ein nachhaltiges Mobilitätskonzept von heute. Ein Glaubwürdigkeitsproblem ist jedenfalls nicht erkennbar.
Einer der Händler, die bereits auf die E-Roller setzen, ist Tony Rosskopp, der in seinem gleichnamigen, 114 Jahre alten Zweiradgeschäft in Mainz-Kostheim zwar nie aufgehört hat, Motorroller zu verkaufen, aber seit drei Jahren auch E-Roller anbietet. Auch bei ihm stehen Fahrräder im Vordergrund, doch die E-Roller haben sein unternehmerisches Interesse geweckt: Herausnehmbarer Akku, Bosch-Motor und ein Preis unter 3000 Euro für den Niu ließen ihn damals die ersten zehn Roller bestellen. Drei Monate später hatte er bereits 70 verkauft. »Das Interesse an diesem Segment ist weiter gestiegen«, beobachtet er die Entwicklung seitdem zufrieden. Aktuell sind etwa 30 bis 35 % der verkauften Roller bei ihm bereits elektrisch betrieben.
Marktdaten fehlen noch
Wenn in Medien aktuell von E-Rollern berichtet wird, dann fehlt selten der Hinweis auf »starkes Wachstum«. Doch was bedeutet das im Detail? Derzeit fehlen zuverlässige Marktzahlen. Die entsprechenden Hersteller veröffentlichen ihre Absatzzahlen nicht immer. Selbst wenn sie es tun, sind die relevanten Marktteilnehmer überwiegend Start-Ups, die nicht in Verbänden organisiert sind. Entsprechend gibt es niemanden, der Gesamtmarkt-Stückzahlen zusammenträgt. Die nicht zulassungspflichtigen Fahrzeuge tauchen auch nicht in der Statistik des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) auf.
Ansatzpunkte für eine Orientierung gibt es dennoch: Im vergangenen Jahr konnte man erstmals das chinesische Unternehmen Niu in der KBA-Statistik finden. Der neue Player aus Fernost fuhr mit den schnelleren Leichtkraftrollern, die ebenfalls zum Sortiment gehören, sofort auf einen Spitzenplatz und liefert sich dort einen Zweikampf mit Vespa-Anbieter Piaggio.
Das Berliner Start-Up Unu wiederum wurde erst 2015 gegründet und hat laut eigenen Angaben seither bei exponentiellem Wachstum bereits über 10.000 E-Roller auf die Straße gebracht.
Verleiher erleben ebenfalls bemerkenswerten Kundenzulauf, der sich in steigender Präsenz auf der Straße äußert. Der E-Roller-Verleiher Emmy will seine Flotte beispielsweise in München von den derzeit vorhandenen 400 Fahrzeugen in den nächsten fünf Jahren auf über 1000 steigern. Aktuell würden 200.000 Nutzer die deutschlandweit 2000 Roller nutzen. Insgesamt gibt die Versicherungswirtschaft an, dass in Deutschland ein Bestand von ca. 2 Millionen Motorrollern der 50-ccm-Klasse unterwegs ist. Gleichzeitig berichtet Unu-Mitgründer Pascal Leonard Blum von einem aktuell überschaubaren Markt für Neufahrzeuge: Gerade einmal 30.000 Einheiten würden im Jahr verkauft. Vor acht Jahren seien es noch 120.000 gewesen. An einer Erklärung hadert die Rollerbranche. Zum einen gibt es einen sehr großen Gebrauchtmarkt, über den ein Großteil der Nachfrage abgedeckt wird. Zudem haben damals Billigimporte aus Fernost, vertrieben über Baumärkte und Discounter, das Image der Roller beim Nachwuchs in Mitleidenschaft gezogen. »Es ist ein emotionales Produkt, das damals gelitten hat«, erinnert sich Blum. Dennoch ist er zuversichtlich, dass hier eine Trendwende ansteht.
Von den heute neu verkauften Rollern sind Blum zufolge rund 25 bis 30 Prozent mit elektrischem Motor ausgestattet. Es würden also aktuell acht bis zehntausend E-Roller jährlich verkauft. Eine Besonderheit besteht in dem Umstand, dass 80 Prozent der Kunden von Unu zum ersten Mal in ihrem Leben einen Roller kaufen. Die E-Variante zieht offensichtlich ein neues Publikum an.
Pro- und Contra E-Roller
Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung von E-Rollern ist das Preisniveau, auf dem die neuen Fahrzeuge angeboten werden. Mit Preisen ab 2500 Euro für solide E-Roller liegt das Segment tendenziell auf dem Niveau von Pedelecs und ist deutlich günstiger als die meisten S-Pedelecs. Macht sie das zur Gefahr für den Fahrradhandel?
Auf den ersten Blick ist die Befürchtung naheliegend, bringen sie doch vergleichbare Funktionalitäten mit. Von Konnektivität über leistungsfähige Akkus bis zu den Geschwindigkeitslimits spielen sie in einer Liga mit Pedelecs. Sogar die Motorenhersteller sind oft die gleichen Unternehmen. Dazu kommt, dass sie scheinbar alles ein bisschen besser können: Sie fahren tatsächlich 45 km/h und erreichen diese Geschwindigkeit zügig. Der Fahrer oder die Fahrerin müssen gar keine Kraft mehr aufwenden, um vorwärts zu kommen und mit integriertem Stauraum taugen sie auch für den kleinen Einkauf. Sie greifen auf die gleichen staatlichen und lokalen Förderprogramme zu wie das Elektrofahrrad. In China wurden überhaupt nie Pedelecs verkauft, stattdessen werden dort jährlich 26 Millionen Fahrzeuge verkauft, die dem hiesigen E-Roller, na ja, ähneln. Rollt da etwa das Ende des E-Bike-Booms auf dicken Reifen heran? Sicher ist es noch zu früh für den Fahrradmarkt, um schon die weiße Flagge zu hissen, denn die Roller haben eben doch nicht nur Vorteile.
Die Nachteile dieses Segments sind der Grund, warum in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Kleinkrafträder generell keine größeren Reifenspuren im Markt hinterlassen konnten und jetzt noch als E-Version mit einem Nischendasein hadern. Ein Hauptgrund dürfte sein, dass sie eben keine Fahrräder sind. Sie müssen auf die Straße und sind damit zwingend Teil des Straßenverkehrs, dem sie als Konkurrenz zum PKW aber nicht auf Augenhöhe begegnen. Als solche benötigen der Fahrer und die Fahrerin auch den passenden Führerschein und müssen einen Helm tragen. So fix sich 45 km/h auf dem Pedelec anfühlen mögen, im regelmäßig schneller rollenden PKW-Stadtverkehr ist man damit ein Hindernis. Umgeben von großen Blechbüchsen sind sie als schwacher und kaum geschützter Verkehrsteilnehmer höheren Gefahren ausgesetzt. Und wenn sich der Verkehr einmal staut, ist man je nach örtlichen Gegebenheiten dann doch wieder mittendrin statt dran vorbei. Das Überholen im Stau ist nicht nur potenziell gefährlich, sondern auch verboten (es wird zwar nicht explizit in der StVO genannt, ist aber über andere Regelungen faktisch ausgeschlossen). Verständlich, dass angesichts dieser Aussichten, dann doch viele potenzielle Nutzer davor zurückschrecken, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.
Nachteil S-Pedelec
Die E-Roller werden also vielleicht doch nicht die Marktbedeutung des Pedelecs beeinträchtigen. Der schnelle Verwandte S-Pedelec könnte allerdings sehr wohl in Bedrängnis geraten. In den Augen einiger Verbraucher verbindet es, zumindest in der aktuellen Ausführung der Straßenverkehrsordnung, mehr oder weniger das Schlechteste beider Welten: Das S-Pedelec ist nicht mehr als Fahrrad klassifiziert und kommt damit nicht in den Genuss von dessen Privilegien. Gleichzeitig bringt es nicht die gleichen Leistungswerte wie ein E-Roller und ist tendenziell teurer.
Im Augenblick hört man in der E-Roller-Branche, dass sie sich am Anfang ihrer Entwicklung sieht, vergleichbar mit dem E-Bike vor knapp einem Jahrzehnt. Allerdings kann sie auf aktuelle Mittel des Marketings zurückgreifen, um ihr Produkt zu positionieren. Das Produkt ist heute jung, sexy, ökologisch positiv besetzt und bietet einen als mehr oder weniger groß wahrgenommenen Nutzwert. Damit ist durchaus denkbar, dass sich die Entwicklung des Marktes schneller als beim Pedelec vollzieht. Theoretisch könnte für manchen Fahrradhändler hier somit eine vielversprechende Option für eine Erweiterung des Sortiments liegen. Praktisch existiert aber das Problem, dass ähnlich wie bei E-Scootern die Vertriebsstrukturen für viele Marken am Fachhandel vorbeiführen – auch wenn diese Situation noch nicht so extrem ist wie derzeit bei den E-Kickscootern.
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