Report - Altreifen-Recycling
Ausgereifter Prozess
Die Ralf Bohle GmbH blickt beim Recycling ihrer Produkte auf eine lange Historie zurück. Schon vor knapp 30 Jahren hat der Hersteller Reifen gesammelt und aus diesen dann Kunststoffmatten produziert. »Das damalige System wurde im April 2014 eingestellt, da wir erkennen mussten, dass es noch nicht unserem Anspruch einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft gerecht wird«, erzählt Recycling-Manager Sebastian Bogdahn. Außerdem bereitete die Zerkleinerung der Reifen immer wieder technische Probleme. Das Schlauch-Recycling, das Schwalbe seit 2015 betreibt, läuft reibungsloser und sorgt heute dafür, dass die Standardschläuche der Marke zu einem Fünftel aus recyceltem Material bestehen.
Der jetzige Schritt, auch Reifen in einen geschlossenen Stoffkreislauf zu bringen, war im Hinblick auf Forschung und Technik deutlich aufwendiger als bei den simpler konstruierten Schläuchen.
Partnerschaft mit Hochschule und Pyrolyse-Pionier
Der Prozess nahm zunächst im Rahmen einer Masterarbeit Form an. Der jetzige Doktorand Sebastian Bogdahn ist mit Prof. Dr. Christian Malek und Prof. Dr. Danka Katrakova-Krüger, beide tätig an der Technischen Hochschule Köln, auf der wissenschaftlich-technischen Seite auch weiterhin in das Projekt eingebunden.
2020, nach erfolgreichem Abschluss des Master-Projekts, entstand dann der Kontakt zu Pyrum Innovations, die an der Forschungskooperation teilnehmen und den Prozess im industriellen Maßstab durchführen.
Schwalbe hat das Reifen-Recycling auf der diesjährigen Eurobike der Öffentlichkeit präsentiert. Die Messe ehrte das Team mit dem Innovators Prize in der Kategorie Service.
Die Firma betreibt die derzeit einzige Reifen-Pyrolyseanlage der Welt und hat sich vom in einer Gartenhütte gegründeten Start-up zu einem börsennotierten Unternehmen gemausert. Der Begriff Pyrolyse verbindet die altgriechischen Worte für Feuer und Lösung. Bei dem Vorgang zersetzen hohe Temperaturen organische Verbindungen unter Ausschluss von Sauerstoff.
Diesen Prozess setzt Pyrum bereits dafür ein, Auto- und Lkw-Reifen zu recyceln. Fahrradreifen sind in ihrem Aufbau jedoch deutlich filigraner. »Genau aus diesem Grund ist die Forschungskooperation mit Pyrum so wichtig, denn es gilt bei variablem Input einen möglichst gleichbleibenden und qualitativ stabilen Output durch die Pyrolyse zu erzielen«, ordnet Bogdahn ein.
Ausgeklügeltes Verfahren
Bevor der Reaktor zum Einsatz kommen kann, zerkleinern vier Schredder die Reifen zunächst zu Granulat. Zwischen den Schreddern werden aus einer Tonne Altreifen 150 Kilogramm Stahl und 100 Kilogramm Textilfasern entnommen. Übrig bleiben rund 750 Kilogramm Gummigranulat. Letzteres trennt Pyrum im Pyrolysereaktor in seine Bestandteile auf, unter Ausschluss von Sauerstoff und bei Temperaturen von 700° Celsius. Dabei entstehen 190 Kilogramm Prozessgas, 250 Kilogramm Pyrolyseöl und 310 Kilogramm Pyrolysekoks. Das Gas versorgt den Reaktor vollständig mit Energie, zusätzlich bleibt ein Überschuss übrig. Weil das Pyrolyseverfahren unter sehr konstanter Temperatur stattfindet, ist die Ölqualität gut genug, um bei BASF eine Zweitverwertung als Rohölersatz zu finden.
Übrig bleibt das Pyrolysekoks, auch Recovered Carbon Black (RCB) genannt, welches den in Gummimischungen üblichen Industrieruß (Virgin Carbon Black – VCB) ersetzt. Dieses macht je nach Reifen zum Teil mehr als 30 Prozent der nötigen Rohstoffe aus und erfüllt wichtige Funktionen. »VCB, perspektivisch dann im Falle von Schwalbe-Produkten immer mehr RCB, sorgt im Reifen unter anderem für seine Steifigkeit, Haftfestigkeit und Abriebfestigkeit«, so Sebastian Bogdahn.
Durch den neuen Prozess rettet Schwalbe die Reifen davor, in einer Müllverbrennungsanlage vernichtet zu werden. Im Vergleich spart der Hersteller durch das Recycling etwa 80 Prozent der CO2-Emissionen ein.
Das neue System ist auch deswegen so bemerkenswert, weil Reifenabfälle ein Umweltproblem darstellen. Die größte Reifendeponie der Welt liegt in Kuwait, ist aus dem Weltraum sichtbar und sorgte im vergangenen Jahr mit einem Großbrand für Schlagzeilen. Zudem kommt laut Pyrum-Gründer Pascal Klein ein Großteil des weltweit hergestellten Industrierußes aus Russland.
Einen ersten ohne Industrieruß und nur mit RCB gefertigten Reifen wird Schwalbe im nächsten Jahr auf der Eurobike vorstellen. Langfristig lautet das Ziel, in neuen Reifen nur noch RCB zu verwenden. Einen Einfluss auf die Preisentwicklung soll der Wechsel nicht haben.
Vorteile für Händler und Kundschaft
Um die Altreifen zu sammeln, setzt Schwalbe auf die Fachhändler. Wer teilnimmt, muss die Reifen nicht wie beim Schlauch-Recycling in Paketen versenden, sondern bekommt eine spezielle Box zur Verfügung gestellt. Über 900 Stück wurden bereits an Fachhandelsbetriebe ausgeliefert. Diese können die Händler mit etwa 200 Altreifen aller Hersteller befüllen. Der Logistikpartner Emons holt die Box dann binnen drei bis vier Tagen zu den Öffnungszeiten der Händler ab und ersetzt sie durch ein leeres Behältnis. Vier bis acht Wochen, so die Schätzung von Schwalbe, braucht ein durchschnittlicher Betrieb, um die Box zu füllen.
Das Recycling-System hat einige zumindest potenzielle Vorzüge für die teilnehmenden Händler. Dadurch, dass sie die Reifen nicht mehr selbst wegbringen müssen, sparen die Betriebe viel Zeit und Aufwand ein.
Sebastian Bogdahn hat mit seiner Masterarbeit dazu beigetragen, dass das Recycling-System Realität werden konnte. Jetzt ist er Doktorand und Schwalbes Recycling-Manager.
Indem sie Müll vermeiden, reduzieren die Fachhändler außerdem den CO2-Fußabdruck des Unternehmens. Sie sparen Ressourcen ein und schonen dadurch die Umwelt. Dieser Effekt lässt sich auch gegenüber der Kundschaft vermitteln. »Mit dem Angebot können Händler ihren Kunden einen klaren und ökologischen Mehrwert anbieten, ganz nach dem Motto: ›Ich kümmere mich gemeinsam mit Schwalbe um das Recycling deiner gebrauchten Reifen …‹«, sagt Sebastian Bogdahn. Manche Menschen dürften einen selbst vollzogenen Reifenwechsel auch zum Anlass nehmen, den Laden zu besuchen. Ob dadurch wirklich die Kundenfrequenz anwächst, muss die Praxis zeigen.
Auch innerhalb eines Fachhandelsbetriebs trägt das neue Recycling-System dazu bei, »ein neues Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft und Recycling zu schaffen und damit auch zur Sensibilisierung der Nachhaltigkeitsthematik bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und Kunden und Kundinnen«, so Bogdahn.
Weil der Prozess sehr komplex und aufwendig ist, bietet Schwalbe das Altreifen-Recycling nicht umsonst an. Für die Fachhändler sind Anmeldegebühren von 199 Euro fällig. Zusätzlich kostet jede Abholung 129 Euro. Dieser Wert soll ab Januar 2023 auf 139 Euro angepasst werden. Mit diesen Einnahmen betreibt Schwalbe das System und baut es weiter aus. »Wir möchten damit vor vornherein vermeiden, dass ein so einzigartiges und innovatives System, das nachweislich zum Umweltschutz beiträgt, an wirtschaftlichen Faktoren scheitert. Eine Gewinnabsicht verfolgt Schwalbe
mit dem Betrieb des Systems nicht«, kommentiert Bogdahn.
Die klassischen Entsorgungskosten, die eingespart werden können, sind nicht pauschal zu beziffern, da sie von den Gebühren der Städte und Kommunen abhängen. Schwalbe empfiehlt den Händlern, die Kunden und Kundinnen zu einem kleinen finanziellen Beitrag zu verpflichten, wenn diese ihre Reifen abgeben. Ein Beispiel zeigt, dass die finanzielle Struktur des Reifen-Recyclings wirtschaftlich eher ein Nachteil für die Fachhandelsbetriebe ist. Die Bike Point GmbH in Plauen entsorgt die Reifen über einen lokalen Betrieb. »Die Kosten für einige Tausend Stück betragen rund 85 Euro netto. Der Gedanke von Schwalbe ist sehr gut, aber die Kosten sind schon sehr hoch«, erklärt Händler Carsten Bischoff. »Gerade in Zeiten, wo die Endverbraucher und wir als Händler das Geld etwas mehr zusammenhalten, schaue ich natürlich, wo ich keinen zusätzlichen Kostenfaktor bezahlen muss. Eine Entsorgungspauschale muss der Kunde trotzdem bezahlen.«
Ob sich das in der Praxis durchsetzen lässt oder dann die ausgedienten Pneus doch im Müll landen, wird die nähere Zukunft zeigen. Wer beim neuen System mitmachen möchte, kann sich online oder über den Außendienst anmelden und erhält nach wenigen Tagen die erste Box. Mitgeliefert werden außerdem Werbematerialien, die das System für die Kundschaft zugänglich machen sollen. Zunächst steht das Recycling nur für Schwalbe-Händler zur Verfügung. In Zukunft soll es für alle Fachhändler geöffnet werden. //
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