Markt - Österreich
Berg- oder Talfahrt?
Nachdem die österreichische Fahrradbranche das Jahr 2020 und damit die erste Saison mit den Verkaufseinschränkungen im Handel mit Rekordzahlen abgeschlossen hatte, formulierte Michael Nentwich, Sprecher des Sportartikelhandels in der Wirtschaftskammer Österreich und Geschäftsführer des Branchenverbands VSSÖ, unter dessen Dach in Form der ARGE Fahrrad auch die österreichische Fahrradindustrie angesiedelt ist, den folgenden Gedanken: »Die Frage wird sein, ob die Radhersteller auf die gestiegene Nachfrage reagieren und die Kapazitäten dementsprechend ausbauen können«. Der VSSÖ prognostizierte seinerzeit, ohne damals eine Vorstellung davon zu haben, wie lange die Corona-Pandemie weiterhin das wirtschaftliche Geschehen im Griff haben wird, dass sich der Markt auf einem hohen Niveau stabilisieren würde.
Mit ihrer Prognose lagen die Verbandsfunktionäre für das Jahr 2021 im Großen und Ganzen richtig. Gleichwohl haben die Corona-Pandemie und in jüngster Vergangenheit der durch Russland angefachte Ukraine-Konflikt mit ihren einschneidenden Auswirkungen auf die Lieferketten nicht nur in der Fahrradbranche Veränderungsprozesse in Gang gesetzt, deren Auswirkungen schwer abzuschätzen sind und die sich vermutlich erst in den kommenden Jahren in vollem Umfang darstellen werden.
Rekordumsätze
Zunächst kann sich der österreichische Fahrradhandel über Rekordumsätze freuen. Dabei wurde das hohe Niveau aus dem Jahr 2020 nicht nur stabilisiert, sondern noch eine kräftige Schippe draufgelegt. Laut den Marktzahlen des VSSÖ wurden allein mit Fahrrädern im Jahr 2021 in Österreich 1,03 Milliarden EUR umgesetzt. Das ist ein Zuwachs von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Noch eindrucksvoller stellt sich die Umsatzentwicklung dar, wenn man einen Vergleich mit dem Jahr 2015 anstellt. Innerhalb von nur sechs Jahren hat sich der Fahrradumsatz in Österreich verdreifacht.
Erzeugt wurde dieses Wachstum jedoch nicht durch eine Vergrößerung des Fahrrad- und E-Bike-Absatzes. Dieser sank im Vergleich zum Jahr 2020 sogar leicht um 1,2 Prozent auf 490.000 Stück. Zudem ist zu berücksichtigen, dass im Ausnahmejahr 2020 ein Großteil der mengenmäßigen Steigerungen durch Abverkauf von bestehender Lagerware erzielt worden ist. Dieses gut gefüllte Lager stand für die Saison 2021 nicht mehr zur Verfügung.
Dass trotzdem Umsatzsprünge möglich waren, lag an den weiter steigenden Verkaufszahlen bei E-Bikes zu deutlich höheren Durchschnittspreisen. Insgesamt 222.000 E-Bikes verkaufte der österreichische Fahrrad- und Sporthandel im Jahr 2021 und erzielte damit einen Umsatz von rund 756 Millionen EUR. Damit hebt sich Österreich von seinen Nachbarländern Deutschland und Schweiz ab. Ein Gesamtanteil von 45 Prozent E-Bikes am Gesamtmarkt, nimmt man nur Erwachsenenräder als Basis, sind es sogar 55 Prozent, bedeutet europäische Spitze, genauso wie der Umsatzanteil von E-Bikes von 73 Prozent am Gesamtumsatz mit Fahrrädern. Der Durchschnittspreis bei E-Bikes lag bei 3410 Euro. Mit nichtelektrischen Fahrrädern erzielte der Fahrradhandel einen Durchschnittspreis von 1289 Euro, was im Vergleich mit früheren Jahren ebenfalls eine deutliche Steigerung ist. Die Zahlungsbereitschaft der Kunden für Fahrräder hat aufgrund des E-Bike-Booms deutlich zugelegt, der Qualitätsanspruch offenbar auch.
In Österreich machen E-Bikes bereits einen großen Teil des Marktes aus. Insbesondere E-MTBs sorgen für Begeisterung.
Weiterhin ist es in Österreich das sportliche Segment, das den Ton im Verkauf angibt. Daran hat sich auch durch die zunehmende Motorisierung der Fahrräder nichts geändert. So beträgt der Anteil der E-Mountainbikes am gesamten E-Bike-Absatz in Österreich 46 Prozent, weitere 46 Prozent zählen die nach STVO ausgerüsteten E-Trekkingbikes. E-City-Bikes spielen mit 7 Prozent eine eher untergeordnete Rolle. Im unmotorisierten Bereich liegen Mountainbikes mit 37 Prozent knapp vor Kinder- und Jugendrädern (34 Prozent) und Trekkingrädern (18 Prozent) an der Spitze. City-Räder liegen hier gleichauf mit Rennrädern beziehungsweise Gravel- und Cyclo-Cross-Rädern (5 Prozent). Letztere erleben nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Beliebtheit von Gravelbikes auch in Österreich eine Renaissance. 13.000 verkaufte Räder bedeuten hier ein Plus von 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zwar auf deutlich niedrigerem stückzahlmäßigen Niveau, aber mit extrem hohen Wachstumsraten sind E-Lastenräder in Österreich unterwegs. 2021 wurden 2200 dieser Fahrzeuge in Österreich verkauft. Die Verkaufsmenge hat sich damit nach dem starken Anstieg im Vorjahr noch einmal mehr als verdoppelt.
Laufende Saison
Für die laufende Saison liegen noch keine offiziellen Erhebungen vor. Hans-Jörg Schoder, Sprecher der ARGE Fahrrad und Geschäftsführer von Großhändler Thalinger-Lange, bewertet den bisherigen Saisonverlauf als »durchwachsen«.
Gleichzeitig warnt er jedoch davor, sich bei der Saisoneinschätzung von den fulminanten Verkaufs- und Umsatzzahlen aus den Corona-Jahren 2020 und 2021 blenden zu lassen. Realistischer sei es, bei den Fahrradverkäufen das Jahr 2019 als Vergleichsbasis herzunehmen. Der Markt stabilisiere sich auf gutem Niveau. Gleichzeitig spricht Schoder von hohen Auslastungen bei den Fahrradwerkstätten und einer hohen Nachfrage nach Komponenten und Ersatzteilen.
»Ich erwarte in den nächsten ein bis zwei Jahren massiven Druck auf die kleineren Händler.«
Norbert Katsch, Funbike
Andere Branchenbeobachter sprechen gegenüber velobiz.de von einer weiterhin guten Nachfrage nach Fahrrädern und E-Bikes, wobei sich darin bereits auch Klagen von Fahrradhändlern mischen, die von einer deutlich zurückgehenden Kundenfrequenz in den letzten Wochen sprechen. Dies bestätigt auch Schoder, der zu bedenken gibt, dass dies schlicht mit wetterbedingten Gründen zu erklären sei. Zudem geht Schader davon aus, dass die jüngsten Krisensituationen dazu geführt haben, dass das Geld nicht mehr so locker sitzt und größere Geldausgaben zurückgehalten werden. Was in Bezug auf die nachlassende Kundenfrequenz in den Läden immer wieder betont wird: Die oftmals in den Tagesmedien verbreiteten Meldungen, dass es in den Fahrradläden kaum mehr Ware gäbe, entsprächen nicht mehr den Tatsachen. »Ein Besuch beim Händler lohnt sich, da Räder vorhanden sind und täglich welche geliefert werden«, erklärt ein Industriesprecher. Die Fachgeschäfte sind längst wieder gut bestückt mit Lagerware, auch wenn aufgrund der angespannten Lieferkette nicht immer jeder Kundenwunsch nach Farbe oder Ausstattung erfüllt werden kann.
Unterm Strich geht aber niemand davon aus, dass in Österreich die Nachfrage nach Fahrrädern und E-Bikes einbricht. Denn trotz der vielen wirtschaftlichen Unsicherheiten ist auch Rückenwind zu erwarten. Gerade im Bereich Dienstrad-Leasing schlummert in Österreich noch gewaltiges Potenzial, das erst so nach und nach erschlossen wird. »Fahrradhändler, die erfolgreich sein wollen, werden sich jetzt mit diesem Thema beschäftigen«, sagt ARGE-Sprecher Schoder.
Für weiteren Rückenwind sorgen staatliche Förderungen beim Fahrradkauf. So gibt es umfangreiche Radfördermittel, die der VSSÖ mit rund 60 Millionen Euro im Jahr beziffert. Zudem sind Maßnahmen wie ein reduzierter Mehrwertsteuersatz beim Verkauf von Fahrrädern sowie die Auszahlung eines Radreparaturbonus im Gespräch, für die sich die ARGE Fahrrad in der politischen Diskussion starkmacht.
Wer macht künftig das Rennen?
Der beträchtliche Umsatzanstieg der Fahrradbranche in Österreich hat neue Begehrlichkeiten auf Handelsseite geweckt. Dazu ist der Sportartikelhandel in Österreich zu zählen, der sich traditionell schon immer stärker mit dem Produkt Fahrrad beschäftigt hat als etwa die Kollegen in Deutschland. Nach den herben Einbrüchen im Wintersportgeschäft in den letzten Jahren rückt hier der Bike-Bereich stärker in den Vordergrund. »Bike ist mittlerweile zu einem Alljahresthema geworden, und das merken wir an den Verkaufszahlen von Fahrrädern und E-Bikes im Herbst und Winter 2021/22«, erklärt beispielsweise Thorsten Schmitz, Geschäftsführer von Intersport Österreich. »Wir liegen schon jetzt deutlich über dem Vorjahr und die umsatzstärkste Zeit in Sachen Fahrradgeschäft liegt noch vor uns. Wir sehen klar, dass unsere Bemühungen, das Thema Bike ganzheitlich zu denken, Früchte tragen.« Die über 280 Intersport-Standorte hatten schon im Geschäftsjahr 2021 einen Umsatzzuwachs von 19 Prozent im Segment Bike verzeichnet, im Bereich der reinen E-Bikes waren es sogar 32 Prozent. Viele Sportfachgeschäfte nutzen zudem ihre Expertise im Verleihgeschäft jetzt auch im Bike-Bereich aus. So meldet beispielsweise die Sport2000 Österreich: »Der Bike-Verleih entwickelte sich im Sommer 2021 gut.
Die Verteilung der Pro-Kopf-Kaufkraft ist in Österreich relativ gleichmäßig verteilt, die größten Kontraste gibt es in den Wiener Bezirken.
79 Prozent der Buchungen kamen aus dem Ausland und 65 Prozent davon aus Deutschland.« Aber auch große Sporthandelsketten wie die Spar-Tochter Hervis versuchen, im Bike-Bereich stärkere Präsenz zu zeigen. So hat Hervis stark in den Ausbau der bestehenden Filialen und der Eröffnung von neuen Filialen in attraktiven Lagen investiert und dabei insbesondere auch das Segment Bike deutlich prominenter positioniert.
Nicht nur Sportfachgeschäfte und Sportketten bringen sich stärker im Bike-Bereich in Position. Auch reinrassige Fahrradgeschäfte tendieren dazu, ihre Verkaufsflächen auszubauen. Es kommen neue Marktteilnehmer hinzu. So hat beispielsweise Zweirad-Center Stadler in Wien seinen ersten österreichischen Fachmarkt eröffnet, bestehende Filialisten wie etwa Bikepalast, Bikes & Wheels, Neubike oder »Bergspezl«, hinter der mehrheitlich als Gesellschafter die in der Automobil-Branche verwurzelte Unternehmerfamilie Papps steht, haben ihre Netze engmaschiger geknüpft und neue Standorte eröffnet. Hinzu kommt noch der französische Sportfilialist Decathlon, der mit Macht in den österreichischen Markt drängt und in Kürze seinen bereits vierten Standort in Graz eröffnet.
Wie wird der Markt in Zukunft aufgeteilt sein? Norbert Katsch, Geschäftsführer des Großhändlers Funbike, sieht aktuell zwar noch keinen grundlegenden Wandel in der Handelsstruktur. Er gibt aber zu bedenken: »Ich erwarte in den nächsten ein bis zwei Jahren massiven Druck auf die kleineren Händler, wenn sie sich beim Einkauf verschätzt haben. Dann wird es auch eine gewisse Bereinigung geben.« Wie Katsch erklärt, hätten sich viele Händler für das Jahr 2023, manche schon für das Jahr 2024 ausdisponiert, also ihre Vororder geschrieben. »Das ist sehr gewagt«, so Katsch. Zudem stellt er ein wachsendes Interesse aus anderen Branchen fest, ins Fahrrad-Business einzusteigen.
Die Zahl jener, die ein Stück vom eher gleich groß bleibenden Umsatzkuchen in Österreich abbekommen wollen, steigt also. Manche Branchenbeobachter befürchten bereits eine mehr oder weniger ausgeprägte Rezession schon im Herbst, die gepaart mit einer massiven Kapazitätssteigerungen mancher Fahrradhersteller zu einer gewissen Überproduktion führen könnte. Eine gefährliche Mischung in Zeiten, in denen aufgrund der steigenden Kosten in vielen Ebenen der Produktionskette weiter höhere Preise am Markt durchgesetzt werden müssen. Gleichzeitig ist jedoch noch nicht abzusehen, dass das grundlegend hohe Interesse am Fahrrad und E-Bike in naher Zukunft einen spürbaren Dämpfer erleiden sollte.
Wachstumsmotor Dienstrad-Leasing
Prinzipiell ist Dienstrad-Leasing seit dem Jahr 2020 in Österreich möglich. Mit der Steuerreform zum 1.1.2020 wurde der Weg frei gemacht und der Steuervorteil des E-Pkw auch dem Elektrofahrrad gewährt. Seitdem sind Dienst-Fahrrad und Dienst-E-Bike vorsteuerabzugsfähig und auch die Privatnutzung ist vom Sachbezug befreit. Die österreichische Bundesregierung hat im vergangenen Jahr mit der Umsetzung der Öko-Steuerreform für eine zusätzliche steuerliche Attraktivität bei der Anschaffung von Diensträdern gesorgt. Das Potenzial von Diensträdern wird für Österreich als ähnlich hoch wie in Deutschland eingeschätzt. Hierzulande ist das Dienstrad-Konzept bekanntlich schon seit einigen Jahren etabliert und hat mittlerweile sehr hohe Relevanz erreicht (siehe ab Seite 16).
Seit der Ermöglichung des Dienstrad-Konzepts in Österreich haben sich eine Reihe von Dienstrad-Anbietern dort positioniert, beispielsweise aus Deutschland die Bike Leasing oder JobRad, die mit jeweils mit einer eigenen Niederlassung den österreichischen Markt bedienen. Aber auch die Intersport Österreich hat mit dem »Firmenradl« ein eigenes Dienstrad-Angebot ins Rollen gebracht.
Kaufkräftiges Österreich
Österreich ist ein Land mit hoher Kaufkraft. Laut einer aktuellen Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung stehen den Österreichern pro Kopf 24.759 Euro jährlich für ihre Ausgaben und zum Sparen zur Verfügung. Damit liegt Österreich auf Augenhöhe mit Deutschland (24.807 Euro) und weit abgeschlagen hinter der Schweiz (41.758 Euro). Die Österreicher kommen mit mehr als 8,9 Millionen Einwohnern auf eine Summe von knapp 221,2 Milliarden Euro, während die Gesamtkaufkraft der rund 83,2 Millionen Deutschen 2062,8 Milliarden Euro beträgt.
Im Vergleich zur Schweiz und Deutschland fällt für Österreich jedoch auf, dass die Verteilung der Pro-Kopf-Kaufkraft relativ homogen ist. Im Vergleich zum Vorjahr schließt sich die Kaufkraftschere 2022 etwas mehr. Überdurchschnittlich hoch ist die Kaufkraft in Niederösterreich, Vorarlberg, Burgenland, Salzburg und Oberösterreich. Unter dem Durchschnitt liegen Steiermark, Tirol, Kärnten und Wien. Auf der feinräumigeren Ebene der österreichischen Bezirke ist die Verteilung der Pro-Kopf-Kaufkraft weitaus heterogener als auf Ebene der Bundesländer. Dies zeigt sich vor allem an den deutlichen Unterschieden innerhalb Wiens: Während fünf Wiener Bezirke in den Top 10 zu finden sind und damit zu den kaufkraftstärksten Bezirken zählen, sind es auch allesamt Wiener Bezirke, die auf den letzten acht Rängen des Bezirksrankings liegen. So haben die Einwohner von Wiens 1. Bezirk (Innere Stadt) eine Pro-Kopf-Kaufkraft von 40.332 Euro, während den Menschen im 15. Wiener Bezirk (Rudolfsheim-Fünfhaus) nur 19.587 Euro pro Person zur Verfügung stehen.
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