Spektakel rund ums Fahrrad
Berliner Fahrradschau 2016: Messe präsentiert sich in Hochform
Zur Messe und während der vorgeschalteten Berlin Bicycle Week (BBW) gesellten sich unzählige Veranstaltungen. Dieses Programm war bunt wie noch nie. Vom Hochrad-Rennen auf dem Tempelhofer Feld über Wettbewerbe in vielfältigen Disziplinen, Fahrrad-Yoga und der langen Nacht der Bikeshops bis zur Berlin Fahrrad Bättle und Bike-Polo reichte die Palette. Dass dabei nach Aussage mancher Teilnehmer nicht alle Veranstaltungen Highlights sein konnten, liegt auf der Hand. Und so viele Veranstaltungen wollen auch erst einmal organisiert und koordiniert werden.
Atmo braucht keine Fakten
Neben den Veranstaltungen haben auch die Marken zugenommen, die auf der BFS präsentiert wurden. Laut Pressesprecherin Katharina Schreiber waren es 2016 ganze 365. Auch der Andrang war gestiegen: “Die Besucherzahlen habe sich fast verdoppelt“, erklärt Schreiber weiter. Leider werden dazu keiner Daten angegeben. „Wir haben uns entschlossen, das Ganze nicht mehr als Messe anzusehen, sondern als Show“, erklärte Schreiber auf Anfrage von velobiz.de. „Uns geht es einfach um die Atmosphäre und nicht um den Wettbewerb mit anderen, daher geben wir auch keine Zahlen raus.“ Gefühlt waren die Hallen am Samstag in etwa so voll wie im Vorjahr; die Atmosphäre stimmte auf jeden Fall, wenn man die zwei Haupthallen zu den Bereichen „Ambition + Handmade“, „Urban Lifestyle“ und „Velo Couture“ betrachtete. Wobei das Urbane auf der Messe fast immer im Vordergrund stand. Hier herrschte gelassenes Sich-treibenlassen, sehr gute Stimmung; entspanntes Networking war quasi inbegriffen.
Klientelallerlei
Auch wenn Hipsterbärte das Erscheinungsbild vor und an den Ständen bestimmten – die BFS wird auch in Punkto Klientel bunter. Familien und auch ältere Ehepaare mischten sich mehr als letztes Jahr unters hippe Volk. Das hatten anscheinend auch immer mehr Hersteller erwartet: Trek beispielsweise brachte seine Tochter Diamant mit und versuchte, deren Räder entsprechend auch im coolen Ambiente zu präsentieren.
Sex dosn’t sell
Den richtigen Ton zu treffen, wenn man eigentlich aus einer anderen Ecke kommt, ist aber schwierig. Specialized zeigte sein Playboy-Sondermodell des schnellen Pedelecs Turbo S – und fuhr dazu zwei Playboy-Playmates inklusive Häschenohren auf. Das Ganze wirkte im gelassen-freakigen Ambiente der BFS allerdings altbacken, gekünstelt und laut vieler Besucher ziemlich fehl am Platz.
Entspannte Auftritte
Sich einzupassen ohne großen Krampf, das kann aber auch gelingen. Auch Stromer wollte sich die BFS nicht entgehen lassen und stellte seine Räder ohne viel Schnickschnack drum herum aus – und fühlte sich wohl. Ralf Barthel, Market Manager des Schweizer Herstellers, sieht in der BFS sogar „mittlerweile eine der komplettesten Messen“, was die Breite anbelangt. „Wir sind hier richtig, und die Schau hat enorm viel Potenzial“, so seine Einschätzung. Auch im Zubehör- und Ausstattungsbereich ist man durchaus überzeugt, was den Besuch der BFS angeht: „Wir sehen einfach die Notwendigkeit, unsere urbane Linie hier zu zeigen“, sagt Jens von der Beeck und steht daher am Stand von Ortlieb.
E-Mobility mit eher geringem Zulauf
Über die Entscheidung, in der weiteren Halle eine separate E-Mobility-Abteilung aufzustellen, lässt sich streiten. Kay Tkatzik am Stand von Riese und Müller jedenfalls war nicht begeistert davon: E-Mobilität ist nicht im Fokus des Hauptklientels der Messe – nur wenige suchen gezielt danach, also ist dieser Bereich deutlich geringer frequentiert. Es gibt kaum Laufkundschaft in diesem Bereich.
Strahlende Radler
Die BFS ist noch internationaler geworden. Das kleine Label Glow Cycling aus Wien etwa stellte ihre T-Shirts mit stark reflektierenden Aufdrucken vor. „Sichtbarkeit mit Stil“ ist die Devise. T-Shirts mit strahlenden Aufdrucken ohne viel Schischi, aber oft mit Witz kosten 48 Euro. Jeans für Radpendler sind auch im Angebot.
Design aus London
Hosen gibt’s auch bei velocity, dem Label einer Designerin aus London, die erstmals auf der BFS ausstellte und auch eine neue Kollektion Herrenhosen mitbrachte. „Außerhalb Englands werden die meisten Hosen nach Deutschland verkauft“, meint Carolin Gaskell. „Deshalb habe ich mich entschlossen, zum ersten Mal nach Berlin zu kommen – es ist klasse hier!“ Die Jeans mit hohem Rückenbund, reflektierenden Hosenschlägen und verstärkten Knie kosten 100 EUR. Das Material: eine Baumwoll-Stretch-Mischung. Die Hosen sind schmutzabweisend und abriebfest.
Nobles mit Clickpedal
Erstmals auf der Messe und begeistert von der Nachfrage zeigte sich Manuel Bär mit seinen handgefertigten Radschuhen. Der gelernter Orthopädie-Schuhmachermeister und studierter Schuhmodelleur und -Techniker bietet Schuhe in alle Stilrichtungen Art – vom Sneaker bis hin zum feinen Modell italienischer Prägung mit und ohne Pedal-Cleat an. Maßschuhe, versteht sich. Das heißt, der Käufer wird genau ausgemessen und bekommt nach ergonomischen Vorgaben seinen ganz eigenen Schuh handgefertigt. Einstiegspreis pro Paar: 1.700 Euro.
Bike und Big Data
Auffällig ist, dass immer mehr Anbieter mit digitalen Produkten zur BFS finden. Gemeint sind nicht Hersteller wie Cobi mit ihrem Connectivity-Tool fürs Smartphon, die einen relativ großen Stand auf der BFS bezogen hatten. Da war zum Beispiel Upperbike Bikesharing – ein junges Unternehmen des Berliners Felix Möller. Mit diesem Internet-Tool will er privates Bikesharing ausbauen. Auf der Internetseite werden die verfügbaren Räder angezeigt; wer angemeldet ist, kann sich auf der Internetseite ab 4 Euro pro Tag ein Rad aussuchen und mit dem Vermieter einen Termin ausmachen. Das System ist vor allem für Besucher in einer fremden Stadt gedacht. Bislang ist es auf Berlin beschränkt.
Date per Fahrrad
Wer nicht allein Rennrad oder MTB fahren will, kann sich auf getcyclique anmelden, seinen Fahrradtyp und persönlichen Fahrstil eingeben und Tour und Termin auswählen.
Besonders hoch ist auf der Fahrradschau die Dichte an innovativen, jungen Unternehmen, die bereits ihre ersten größeren Erfolge feiern konnten. Bereits im Eingangsbereich, also im Bereich Urban Lifestyle, warteten Coboc mit ihren minimalistischen E-Bikes im Fixie-Stil auf.
Junge Innovationen
In der nächsten Reihe: Kappstein – nicht mehr ganz so jung, und dem Endverbraucher weniger bekannt als in der Industrie. Sie präsentierten ihre Zweigang-Tretlagerschaltung. Ein Getriebe, das ein zweites vorderes Kettenblatt ersetzen kann. Ähnlich aufgebaut wie das Schlumpf-Getriebe, aber mit zwei Vorteilen: Das Doppio soll deutlich leichter zu schalten sein, und es wird über einen Kippschalter am Hebel angesteuert. Verfügbar ab 2017. Außerdem stellt Kappstein Komponenten für den Bahnsport her – Ritzel und Kettenblätter, die aufgrund von bestimmter Ausprägungen besonders energieeffizient sein sollen.
Wie verhext
Kleine Dinge gibt’s auch bei Hexlox, einem neuen Konkurrenten zum Pitlock-System. Bei ihm werden Achse und Mutter der Laufrad- oder sonstigen Komponentensicherung nicht ersetzt, sondern vorhandene Inbusschraubenköpfe einfach blockiert: Das Hexlox-Insert lässt sich mit einem kleinen magnetischen, codierten Schlüssel in den Schraubenkopf setzen und nur damit wieder entfernen. Laut Hersteller konnte die Berlin Lockpicking Society die Sperre in einer halben Stunde nicht aus dem blockierten Schraubenkopf nehmen. Derzeit läuft eine Kickstarter-Kampagne, bei dem ein Zweierpack Sicherungen für 25 Euro erhältlich ist.
Männerfreundlich transportieren
Fast schon ein alter Bekannter aus dem Lastenradsektor ist Bicicapace. Der Italiener stellte sein zweites Bike vor: Ein vor allem für Männer entwickeltes Cargobike. Als Erkennungszeichen bietet sich das 20-Zoll-Vorderrad an, das schon das „Classic“ im Hollandrad-Look hatte. Das Männerrad besticht mit einer sehr sportlichen Sitzposition und direktem Lenkhandling. Der große Träger ist vorn am ellenlangen Steuerrohr befestigt und faltbar.
Einstiegspreis: 1.500 Euro.
Eurobike in jung
Die tolle Atmosphäre und die vielen zufriedenen und kommunikativen Menschen trösteten über Kleinigkeiten hinweg. Etwa, dass Einlass und Kartenverkauf nicht optimal organisiert waren und mancher sehr lange anstehen musste; dass jeder, der ohne Jacke in den warmen Hallen herumlief, gefragt wurde, wo die Garderobe sei – es war keine zu finden und wohl auch keine vorhanden. Oder dass die Musik in der ohnehin schlechter besuchten, neuen Halle zeitweise so laut war, das man sich nur noch schreiend unterhalten konnte.
Doch wenn man von einer Messe mehrmals sagen hört „so viel Spaß hat die Eurobike ganz am Anfang auch einmal gemacht“ hat sie einiges richtig gemacht.
Verknüpfte Firmen abonnieren
für unsere Abonnenten sichtbar.