Report - Einkaufserlebnis
Besser geht’s nicht
Es hätte sicherlich bessere Tage als den 4. Oktober gegeben, um in der Münchner Innenstadt shoppen zu gehen. Samstag, Brückentag nach dem Tag der Deutschen Einheit, und dann auch noch letztes Oktoberfest-Wochenende: Die Fußgänger-Zone zwischen Stachus und Marienplatz war brechend voll.
Doch ich hatte mir fest vorgenommen, in diesem Jahr neue Skistiefel als Schnäppchen zu ergattern. Frei nach dem Motto, der frühe Vogel fängt den Wurm, wollte ich ein Auslaufmodell kaufen, solange das Angebot noch groß war. Soweit der Plan.
In der Hoffnung, dass Papa in der Stadt in einen ungewohnten Shopping-Rausch fällt, heftete sich außerdem meine Tochter im Fast-Teenager-Alter an meine Fersen. Könnte ja sein, dass der eine oder andere Zusatzkauf für sie abfällt …
Gleich das erste Sportgeschäft ist ein Reinfall. Der Saisonwechsel ist in der Wintersport-Abteilung gerade noch in vollem Gange, die Regale erst zur Hälfte gefüllt. Einem Verkäufer, den ich anspreche, ist anzumerken, dass sein Ehrgeiz, heute ein paar Skistiefel zu verkaufen, noch nicht erwacht ist. Ich soll doch in ein paar Wochen wiederkommen, dann wäre mehr Auswahl im Laden. Wenn ich Glück hätte sogar in meiner Schuhgröße 47.
Ein paar hundert Meter weiter steht der noch relativ neue Shopping-Palast eines großen, bundesweit tätigen Sporthändlers. Doch Palast bezieht sich vor allem auf die Architektur. Was die Personalausstattung angeht, komme ich mir eher vor wie in einem Selbstbedienungsladen. Ich stehe gefühlte 20 Minuten mit interessiertem Blick vor dem Skistiefel-Regal herum. Doch es verirrt sich kein Verkäufer in meine Nähe. Meine Tochter wirft mir unterdessen schon ziemlich skeptische Blicke zu. Das mit dem Kaufrausch hatte sie sich wohl irgendwie anders vorgestellt.
Schon deutlich gebremst in meiner Überzeugung, heute noch die perfekten und supergünstigen Skistiefel für den nahenden Winter zu finden, steuere ich schließlich das dritte große Sportgeschäft in der Münchner Fußgängerzone an: Sport Schuster, nur einen Steinwurf vom Marienplatz entfernt.
Doch zunächst musste ich den wachsenden Unmut meiner Tochter besänftigen und ging mit ihr zum Rumstöbern erstmal ins Untergeschoss in die weitläufige Kinderabteilung. Der Alpenverein bot dort gerade an der Inhouse-Kletterwand einen Schnupperkurs an. Perfekt, meine Tochter war erstmal beschäftigt.
Also kurzerhand die Chance genutzt und in den dritten Stock in die Wintersportabteilung geflitzt. Gleich auf den ersten Blick ist zu sehen, dass die Auswahl hier deutlich größer ist als in den anderen Sportgeschäften. Und noch ein Unterschied wird schnell deutlich: Ich war mehr oder minder gerade erst in der Abteilung angekommen, da sprach mich schon eine junge Verkäuferin an, ob ich eine Beratung zu den Skistiefeln wünschen würde. Von meiner eher unverbindlichen Antwort, dass ich noch am Überlegen bin, ob ich mir vielleicht für diesen Winter eine neue Ausrüstung zulegen soll, ließ sich die Beraterin nicht entmutigen. Jedenfalls bot sie mir an, dass zunächst meine Füße mit einem 3D-Scanner vermessen werden. Mit dem Ergebnis könnten wir dann die Bandbreite der empfehlenswerten Modelle eingrenzen. Da wurde ich neugierig.
Ich wähnte meine Tochter in der Kletterwand gut aufgeräumt und ließ mich auf die Prozedur ein. Zuerst musste ich mich in enganliegende Socken mit Gittermuster zwängen. Meine Beratung war inzwischen nahtlos von einem Kollegen übernommen worden, der jetzt darauf achtete, dass die Socken faltenfrei anliegen. Mit den Socken stellte ich mich auf eines von zwei Podesten mitten im Verkaufsraum, wo meine Füße von einer umlaufenden Kamera gescannt wurden. Der Scanvorgang dauerte gefühlt weniger als eine Minute. Einen kurzen Augenblick später hatte der Verkäufer ein 3D-Modell meiner Füße auf dem Bildschirm.
Selbst mir als Laie wurde beim Anblick meiner Füße schnell klar, dass ich und der Verkäufer hier vor einer Herausforderung standen: der linke Fuß einen Zentimeter länger als der rechte, der Außenrist an beiden Füßen sehr breit, außerdem Plattfüße.
Was nun folgte, fühlte sich für mich wie ein kleines Wunder der Datenbank-Technik an: Auf Knopfdruck spuckte der Computer eine Auswahl von Modellen aus, die Kunden mit einer ähnlichen Anatomie wie der meinen bisher am besten gepasst haben. Ungefähr ab diesem Moment stand für mich fest, dass ich meine Skistiefel in diesem Jahr nirgendswo anders kaufen würde. Die Sache mit dem Auslaufschnäppchen war dabei schon lange vergessen.
Doch mit Sockenanziehen, Scannen und Füße auf dem Monitor anschauen war inzwischen schon einige Zeit vergangen. Und so allmählich regte sich mein schlechtes Gewissen, dass ich meine Tochter schon zu lange in der Kletterwand geparkt hatte. »Kein Problem« sagt mir der Verkäufer. Wenn ich mir eine Kundenkarte ausstellen ließe, wären meine (Fuß-)Daten gespeichert und könnten zu einem späteren Zeitpunkt für eine Fortsetzung des Verkaufsgesprächs einfach wieder aufgerufen werden. Ich lehne sonst alle Angebote von Kundenkarten ab, aber hier machte ich gerne eine Ausnahme.
Skistiefel-Kauf, zweite Halbzeit
Ein paar Wochen später stehe ich wieder in der Skiabteilung von Sport Schuster. Diesmal hatte ich mir extra einen Montagnachmittag frei genommen, um mein Projekt neue Skistiefel zum Abschluss zu bringen. Das wäre der Wochentag mit dem geringsten Kundenandrang, so mein Kalkül. Bei dieser Rechnung hatte ich nicht berücksichtigt, dass der Start der Skisaison inzwischen schon deutlich näher gerückt war und wohl auch einige andere Kunden der Meinung waren, Montage wären gute Tage für einen beratungsintensiven Einkauf.
Die Wintersportabteilung war jedenfalls deutlich voller als bei meinem ersten Besuch Anfang Oktober. Doch auch diesmal dauerte es nicht lange, bis mein Verkäufer von damals Zeit für mich hatte. Der konnte sich auch gleich wieder an unser erstes Gespräch erinnern und fragte, ob ich wieder meine Tochter an der Kletterwand geparkt hatte. Doch die war diesmal zuhause geblieben.
Ich hatte also viel Zeit zum Skistiefel-kaufen. Und die würde ich auch benötigen, wie ich bald feststellte. Mit meiner Kundenkarte holte der Verkäufer wieder meine Füße auf den Schirm. Seine Empfehlung waren Skistiefel mit anpassbarer Schale und Innenschuh. Auf meine Frage, ob das nicht sehr teuer sei, antwortete er mir, dass dies inzwischen bei den meisten Modellen ab 300 EUR aufwärts Standard sei.
Schlussendlich holte der Verkäufer zwei Modelle von verschiedenen Herstellern aus dem Regal. Schon beim ersten Reinschlüpfen erzeugten beide Schuhe einen Aha-Effekt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Skistiefel so komfortabel sein können. Doch auch dieser Eindruck sollte noch steigerungsfähig sein.
Ich entschied mich für eines der beiden empfohlenen Modelle. Die Wahl fiel mir übrigens durchaus schwer. Es fühlten sich einfach beide Schuhe schon ausgesprochen gut an. Preislich waren auch beide gleich. Schlussendlich gefiel mir die Optik des einen Schuh ein bisschen besser, was den Ausschlag gab.
Der Verkäufer überzeugte mich zudem noch, dass meine neuen Skistiefel erst mit einer angepassten Innensohle perfekt sind. Der entsprechende Vorgang unterscheidet sich kaum von der Anfertigung von Innensohlen für Radschuhe. Zuerst wird mit einem speziellen Kissen ein Abdruck der Fußsohlen gemacht, dann werden die erwärmten Sohlen in den Abdruck gelegt, die abkühlen (und somit aushärten) während der Kunde darauf steht.
Währenddessen sind schon die Schalen und Innenschuhe meiner neuen Skistiefel in einen Ofen gestellt worden. Die Wärme macht das Material weich und verformbar. Der Sport-Schuster-Berater schneidet mit der Schere mehrere verschieden geformte Schaumstoffpolster aus und klebt sie überall dort auf meine Füße, wo diese später ein bisschen mehr Platz im Schuh haben sollen. Dieser recht putzige Anblick verschwindet sogleich in meinen mitgebrachten Skisocken. Unterdessen sind Skistiefel und Innenschuh warm genug. Meine beklebten Füße kommen samt Socken wieder in die Skistiefel, die nun beim Auskühlen die Form meiner Füße annehmen. Von außen werden Kühlmanschetten auf die Schuhe gepackt, damit der Vorgang schneller geht.
Während ich nun so dastehe und drauf warte, dass meine Skistiefel abkühlen, habe ich Zeit mich umzusehen. Mir fällt auf, dass sich die Abteilung schon deutlich mit Kunden gefüllt hat. Außer mir berät mein Verkäufer parallel noch vier weitere Kunden, macht dabei aber einen relativ entspannten Eindruck. Als ich ihn darauf anspreche, meint er, dass heute ein eher ruhiger Tag sei.
Weitere Kunden warten schon darauf, an die Reihe zu kommen. Ein anderer Verkäufer berät gerade eine vierköpfige Familie aus Finnland, die einen Besuch in München auch gleich zum Großeinkauf bei Sport Schuster nutzt. Das kommt mir in diesem Moment gar nicht mal so übertrieben vor.
Irgendwann sind meine Skistiefel fertig ausgehärtet. Die Passform lässt sich mit angepasster Innensohle, angepasster Schale und Innenschuh nur mit perfekt beschreiben – so wie das gesamte Einkaufserlebnis. Das übrigens an der Kasse dann noch seinen krönenden Abschluss fand: Just jenes Modell, das ich mir ausgesucht hatte, wurde als Sonderaktion für Besitzer von Kundenkarten rund 50 EUR günstiger angeboten. So hatte ich also dann doch noch ein Schnäppchen gemacht.
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