15. Germersheimer Spezi
Boomende Spezialradbranche feierte eine gelungene Party
über 100 Anbieter auf den Flächen in und um die Germersheimer Stadthalle – wie gewohnt in einem enorm breiten Spektrum. Ganz neue Kreationen und Erfindungen begeistern das allgemeine Publikum in den zeitweise fast zu eng werdenden Gängen ebenso wie findige Lösungen für Detailprobleme, die bisher manche Bike-Wünsche unerfüllt gelassen haben. Zur ersten Kategorie gehört der Dreamslide der gleichnamigen französischen Firma (
www.dreamslide.com
): Auf den ersten Blick ein kurz geratenes Faltrad mit 12-Zoll-Rädern ohne Sattelstütze; wer genau auf den Bewegungsablauf sieht, bemerkt, dass der Antrieb normal erfolgt:
Die Fußsohlen-großen Pedalplatten sind nicht über die Kurbel direkt mit der Achse verbunden, denn dazwischen sitzt noch eine Art gleitenden Excenter, sodass – anders als beim stehenden Radfahren – der Körper in der oberen und unteren Position nur einen Teil der Kurbellänge ausgleichen muss. So entsteht eine Mischung aus Bewegung, wie man sie vom Fitness-Stepper her kennt, und Radfahren. Auch die Übersetzungsverhältnisse der Kurbeln werden dadurch beeinflusst, sodass das Dreamslide, unterstützt durch die seitliche Kippbewegung des Lenkers, überraschend flott durch die Straßen wedelt. Mobilitäts- oder Spaßgerät? Beides scheint möglich. Der Lenker ist klapp- und arretierbar, gefaltet kann das Ganze auch per Handgriff auf dem Hinterrad geschoben werden. Die gut 10 Kilo schwere Alternative zu Tretroller oder auch Skateboard macht dank hydrogeformten Alu-Rahmen, V-Brakes und guter Verarbeitung einen soliden Eindruck und wird ab Mai für 1250 Euro zu haben sein.
Sicherer Stand – sichere Kurven
Ebenfalls ums Cruisen oder Carven – aber mit anderem Anspruch – geht es beim Swingtrike ( www.swingtrike.de ) von Zweirad Zehentmeier. Sein Konzept geht den alten Widerspruch zwischen Kurvenneigung und Stabilität an: Angetrieben wird über eine Umlenkung die Vorderradachse, hier dreht sich derzeit eine Sram 3-Gangnabe. Die zwei Hinterräder des Tiefeinsteigers mit 20-Zöllern sitzen an getrennten Schwingen, die an einem gemeinsamen Elastomer (verschiedene Härtegrade möglich) abgestützt werden. Beim Stopp kann man durch die ausgeklügelte Trägheit dieses Systems bedenkenlos die Beine auf den Pedalen lassen. Beim Kurven Fahren gibt die kurveninnere Schwinge nach, beide Räder behalten Bodenkontakt und lenken selbst leicht mit – allerdings weniger, als für die ursprüngliche Sport-Version gedacht. Aus ihr ist nun ein Dreirad vor allem für Menschen mit Gleichgewichtsproblemen geworden, das sich wie ein Zweirad fahren lässt. Sehr professionell tritt auch diese Lösung auf, für die der niederbayerische Anbieter jüngst mit dem Bayerischen Staatspreis 2010 ausgezeichnet wurde (velobiz.de berichtete) .
Die Formel 1 der Spezialräder
Professionalität ist ein gutes Stichwort für die Aussteller bei der Spezi 2010. Unternehmen wie Speedbikes Munic (
www.troytec.de
) stärken dieses Image. Der Neuzugang präsentiert zwei optisch und technisch sehr aufwendige Liegeräder: das Troytec TTR1.Formula mit Monocoque-Carbonrahmen wirkt akkurat wie am Reißbrett entwickelt und stilistisch wie aus einem Guss, bietet tatsächlich aber viele gekonnte Detaillösungen wie etwa innen verlegte Züge und ergonomisch mannigfaltig einstellbare Griffpositionen. Auch der Lenker stammt aus der Carbon-Produktion der Macher, die bis vor kurzem noch für den Auto-Rennsport mitentwickelt haben. Der Tieflieger, der derzeit noch bei Velotech.de geprüft wird, wird ab Juni in verschiedenen Ausstattungen für zwischen 3950 und 6000 Euro zu haben sein. Zu letztgenanntem Preis erhält man eine nicht einmal acht Kilogramm leichte Rennmaschine. Etwas länger warten muss man auf das vollgefederte TTR2 mit Parallelogramm-Federgabel und liegendem Federbein hinten (etwa 4500 Euro).
Auch die Troytec-Präsentation war für die Spezi ungewöhnlich: Zwei Messe-Models liefen mit Flyern und einem Hauch Glamour durch Hallen und Freigelände, und die Prototypen standen zum Teil hinter Absperrbändern – was auf der sonst sehr familiär gehaltenen Messe für manchem Besucher seltsam wirkte.
Drei Räder zum Preis von zweien
Beim Dauerthema Trike setzt sich dagegen der Nebentrend „gut, aber günstig“ derzeit weiter fort: Der tschechische Hersteller Azub (
www.azub.cz
) stellte sein ungefedertes Ecotrike mit einfacher 24-fach-Shimano-Ausstattung und Sturmey-Archer-Trommelbremsen vor. Dank schlichter, aber solider Ausstattung kommt man so bereits ab 1690 Euro zu einem Allround-Trike.
Elastomer-vollgefedert dagegen legt man mit dem ICE Adventure bei 3080 Euro los. Dieses neue Trike ist eines von drei Neuvorstellungen, die der deutsche ICE-Importeur Kirk Seifert mit seiner Firma Icletta auf der Spezi zeigte. Es ist Kofferraum-kompatibel faltbar (das Hinterrad wird über ein schräg versetztes Scharnier nach vorne gekappt) und wird in der Basis-Version ebenfalls mit Trommelbremsen gestoppt; geschaltet wird komfortabel mit Srams Dualdrive – eine gute Bestückung für ein bequemes Reise-Trike.
Wetterfeste Mobilität
Neben schnellen Einspurern und Trikes ein Dauerbrenner: Velomobile. Der von der österreichischen Firma Stein Trikes (
www.bike-revolution.at
) gezeigte neue Prototyp auf Basis des vollgefederten Mungo Sport glänzte unter anderem durch den einfachen Einstieg in die rundum geschlossene GFK-Hülle: Die große Haube, die etwa ein Drittel der Außenhülle stellt, sitzt auf einer Parallelogrammhalterung und lässt sich so vorschwenken, dass sie einen Meter weiter vorne wieder zum Aufliegen kommt. Neben einem praktischen Einstieg hat man laut Hersteller so auch die Möglichkeit, bei heißem Wetter gut belüftet unterwegs zu sein.
Nicht verwechseln sollte man den Mungo Sport mit dem Mango Sport: Der niederländische Hersteller Sinner, ein alter Hase im Liegeradsektor, stellt unter diesem Namen eines der wenigen Velomobile unter 30 Kilogramm. Mit einfacher Ausstattung, aber voll gefedert, konnte man das Gewicht auf 27 Kilogramm drücken.
Mittlerweile bestimmen diese weißen, roten und gelben „Zigarren“ das Erscheinungsbild der Messe enorm mit, was zur Meinung verleiten könnte, das Velomobil ist eines der meistverkauften Fahrräder. Der Markt boomt, doch bedeutet dies hier Jahresstückzahlen im zweistelligen Bereich. Anders sieht es mit der E-Unterstützung aus: Ein Großteil der Räder ist heute mit Zusatzantrieben als Pedelec beziehungsweise mit Zulassung lieferbar. Von einem Trend E-Mobilität kann man da kaum mehr sprechen kann, eher von einer gängigen Kaufoption unter vielen anderen.
Wir feiern das Spezialrad
Natürlich nutzten auch der ADFC, der deutsche Human Powered Vehicles, der sein 25-jähriges Bestehen dort feierte, und andere Organisationen die Spezi als Informationsplattform. Genauso, wie es neben dem obligatorischen Trike-Race, das dieses Mal ein Mitarbeiter von Hasebikes gewann, weitere Show-Einlagen mit kulturellem Charakter gab – die Messe ist also auch eine zwei Tage lange Spezialrad-Party. Für Glückshormone sorgte 2010 auch wieder der Test-Parcours, der erstmals auf dem Busbahnhof vor der Stadthalle aufgebaut wurde. Hier konnten jetzt etwa 80 Spezi-Fans, also etwa doppelt so viele, gleichzeitig ihre Runden drehen und in der strahlenden Sonne Glückshormone ernten. Das, und auch die jährlich gelobte freundliche Atmosphäre sind Faktoren, die letztendlich den Veranstalter Hardy Siebecke am Sonntagabend sehr zufrieden resümieren ließen. 105 Aussteller, gut 10.000 Besucher – auch hier wurde die Grenze geknackt – und „keine besonderen Vorkommnisse“.
Letzteres spricht dafür, dass man auch die Logistik und Planung der Messe wieder als gelungen bezeichnen kann.
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