10 Minuten Lesedauer
i

Digital - KI-Lösungen im Einsatz

Booster für den Handel

Diskussionen, ob die Digitalisierung in Verbindung mit künstlicher Intelligenz (KI bzw. AI) zum Heilsbringer verschiedener Branchen und Geschäftszweige werden kann oder ob damit nicht eher neue Komplikationen und Risiken entstehen, kann man führen. Gleichzeitig kommt man aber wohl nicht daran vorbei, dass generative KI bleiben und sich in einem bislang ungeahnten Tempo weiterentwickeln wird – mit Risiken und Chancen auch für den Handel.

Tatsächlich sind mit der neuen KI-Technologie neben den Chancen auch viele offene Fragen verbunden: Sicherheit, Recht, Missbrauch und nicht zuletzt der Kosten-Nutzen-Faktor. Jüngste Umfragen und Rückmeldungen aus dem Fahrradhandel zum Thema KI fielen eher zurückhaltend, wenn nicht sogar kritisch oder ablehnend aus. Es steht also noch viel Arbeit an. »In die Gänge kommen müssen die Chefinnen und Chefs: Ihre Mitarbeitenden brauchen klare Leitplanken, rechtssichere Tools und Weiterbildung und ihr Unternehmen eine KI-Strategie«, sagt Eva Maria Schmidt, Chefredakteurin der Fachzeitschrift für Marketing, Werbung und Medien »Horizont«. Denn eins sei klar: generative KI werde wahnsinnig viel verändern.

Dazu einige Daten und Schätzungen:

  • KI entwickelt sich exponentiell, also mit einer Geschwindigkeit, die für uns Menschen kaum fassbar ist. Aktuell verdoppelt sich die Leistung nach Schätzungen etwa alle drei bis sechs Monate.
  • KI wird inzwischen nicht nur in fast allen Bereichen eingesetzt, sondern oft auch von den Mitarbeitenden »eingeschmuggelt« – zum Beispiel im Browser oder auf privaten Endgeräten. Schätzungen zufolge setzen heute 78 Prozent der Angestellten KI ohne Absprachen oder Guidelines in ihrer Arbeit ein.
  • KI kommt gemäß der Einschätzung von IW Consult im Auftrag von Google eine Schlüsselrolle für Deutschlands Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu. 330 Milliarden Euro könnte KI demnach zur Bruttowertschöpfung in Deutschland beitragen.

Messen und Konferenzen als Impulsgeber

Die großen Veranstaltungen für digitale Kommunikation, wie die DigitalX, das OMR Festival oder die Digital Marketing Exposition & Conference DMEXCO zeigen sehr deutlich, dass die Integration von künstlicher Intelligenz keine Zukunftsmusik mehr ist, sondern gelebte Realität. Impulse, was heute und in naher Zukunft möglich ist, und auf was sich Hersteller und Händler einstellen müssen, kommen inzwischen auch von den Machern der Eurobike mit dem neuen Kooperationspartner Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), der unter anderem die DMEXCO ausrichtet. Sowohl auf der Eurobike selbst wie auch im Nachgang mit einer Einladung an Vertreterinnen und Vertreter der Fahrradbranche zur Messe und zwei Konferenzen nach Köln wurde das Thema adressiert. Die DMEXCO bot im Verbund mit der DigitalX die ideale Gelegenheit für Geschäftsführende und Marketing-Verantwortliche, sich eingehend mit den Zukunftsthemen Digitalisierung und KI zu beschäftigen. Vor allem, weil man mit dem Ticket beide Veranstaltungen zugleich besuchen und jede Menge Anregungen aus Keynotes, Diskussionsrunden und kuratierten Masterclasses mitnehmen konnte. Tatsächlich war das sichtbare Feld der Teilnehmenden aus der Fahrradbranche allerdings sehr überschaubar, was zumindest Fragen aufwirft.
Einige Kernpunkte aus den Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops: KI entfaltet enorme Kräfte – wenn man der Technologie und den Möglichkeiten, die damit verbunden sind, offen gegenübersteht. Was bei Umfragen zutage tritt, ist die Spaltung der Generationen mit Blick auf die Wirkung von KI. Nur 20 Prozent der über 50-jährigen Babyboomer sind beispielsweise davon überzeugt, dass KI menschliche Kreativität ersetzen könne, während sich das 47 Prozent der zwischen den Jahren 1995 und 2010 geborenen Generation Z durchaus vorstellen können. Die große Frage steht im Raum, wie sich Prozesse, Anwendungen, Medien und die Kommunikation an sich voraussichtlich weiterentwickeln werden, mit der Digitalisierung als Grundelement und KI als neuem Katalysator und potenziellem Megabooster. Also, was tun? Einige Erkenntnisse und Ratschläge dürften auch für Unternehmen aus dem Ökosystem Fahrrad interessant und für manchen sicher auch zukunftswichtig sein. Durch die Bank empfehlen Expertinnen und Experten, sich möglichst frühzeitig und intensiv mit den Themen zu befassen, vieles einfach auszuprobieren und KI spätestens jetzt strategisch in die Aktivitäten und die Planung zu integrieren.

Umbrüche und Chancen im Handel

Unter dem Panel-Titel »Retail Media – Das Wunderkind wird erwachsen« diskutierten auf der DMEXCO große Player aus dem Einzelhandel, wie Rewe, die Obi- und die Otto-Gruppe den aktuellen Markt, Veränderungen und Zukunftsaussichten. Im Kern ging es dabei um einen fundamentalen Wandel, der sich aktuell ebenso online wie im Ladengeschäft vollzieht. Man wisse nicht nur hundertprozentig, wie sich die Kundschaft auf der Website oder in der App
verhielt, man kenne auch ihre Gewohnheiten, sozioökonomischen Merkmale, ihre Lebenssituation, potenzielle Interessen und Wünsche und vieles mehr, so das Credo der großen Unternehmen. Das Neue: Die KI ermöglicht inzwischen erstmals das gezielte Zusammenführen und die Auswertung der Kundendaten einerseits sowie das automatisierte Ausspielen personalisierter Inhalte andererseits. Damit wandele sich auch die Rolle der Retailer vom Verkäufer zum Medienunternehmen, das mit den gewonnenen Informationen eine Plattform schaffe für Angebote, Produkte und Werbung von anderen.

Menschenschlangen vor dem Eingang. Die DMEXCO, Europas führendes Event für Digital Marketing & Tech, zog mit 680 Ausstellern und Partnern und 850 internationalen Speakerinnen und Speaker auf 16 Bühnen rund 40.000 Menschen an.

Mit ausgeklügelten Kampagnen ließen sich so enorme Erfolge gleichermaßen für große und kleine Partner, Unternehmen und Marken erzielen, auch aus eigentlich sachfremden Bereichen, wie Versicherungen und Dienstleistungen. Eigene Produkte und Dienstleistungen lassen sich so ebenfalls gezielt entwickeln und vermarkten, angefangen von Eigenmarken über Kooperationen, bis zu komplett neuen Plattformen, wie dem wegweisenden Onlineshop für Fashion und Lifestyle der Otto-Gruppe »About You« mit monatlich europaweit über 42 Millionen aktiven Usern. Dabei geht der Trend bei Endkunden vor allem Richtung maximale Individualisierung, mithilfe von KI automatisiert und »hyperpersonalisiert«. Otto? Das Unternehmen, das vor 75 Jahren mit dem Verkauf von Schuhen begonnen hat, gehört heute nicht nur weiterhin zu den Big Playern im Retail-Markt, sondern auch mit zu den innovativsten Unternehmen, das alleine über 400 Spezialisten in einer hauseigenen Digital-Unit beschäftigt.

Digitales Otto-Flaggschiff »About You«

Neben der erwähnten personalisierten Nutzererfahrung spielt in etlichen Aktivitäten der Einzelhändler die starke Verankerung in den sozialen Medien inklusive intensiver Zusammenarbeit mit Influencern und Kooperationspartnern eine große Rolle. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die breite Auswahl bis hin zu kleinen, unabhängigen Marken und Lifestyle-Kategorien, die über Kleidung hinausgeht und mit redaktionellen Inhalten, Blogs und Storytelling kombiniert wird. Häufig unterschätzt wird die Omnichannel-Strategie, mit der eine Brücke zwischen der Online-Welt und dem physischen Erlebnis geschaffen werden soll. So setzt About You ergänzend auf Kooperationen mit physischen Einzelhändlern und betreibt zudem auch temporäre
Pop-up-Stores.

(K)Ein Thema für die Fahrradbranche?

Für einige Unternehmen in der Fahrradbranche, darunter zum Beispiel Bosch eBike Systems, sind Digitalisierung und KI ganz selbstverständliche Tools, die eingesetzt werden, um zum Beispiel das Kundenerlebnis oder auch die Produkte selbst zu verbessern, unter anderem durch intelligente Analysen der Fahrdaten sowie eine deutlich bessere und automatisierte Kundenbindung. Gegenüber Wettbewerbern werden mit KI-Hilfe schon heute spürbare Vorteile geschaffen. Andere Unternehmen setzen KI bislang eher in der Produktion ein, zum Beispiel zur Planung oder Qualitätskontrolle. Viele, darunter vor allem Händler, scheinen bislang noch zu fremdeln. Angesichts der mehr als rasanten Veränderungen im Markt ist es sicher sinnvoll, allgemeine Entwicklungen intensiv zu verfolgen und verschiedene Szenarien durchzuspielen.
Neben der KI-gestützten Hyperpersonalisierung spielt für die Zukunft auch die zielgenaue Voraussage des Kundenverhaltens eine Rolle. Auf die Branche gemünzt: Wann kauft der Kunde/die Kundin etwa ein E-Bike, ein Kinderrad oder ein Lastenrad? Welche Marken und Farben passen? Welche Lebensereignisse und Kaufentscheidungen stehen dahinter? Alleine aus dem Such- und Einkaufsverhalten in Obi Baumärkten lasse sich das halbe Leben ableiten, erläuterte Patricia Grundmann von der Obi First Media Group auf der DMEXCO.

Platz sparen und neue Erlebnisse Online und im Laden
Neue Welten erschließen sich mit Digitalisierung und KI dementsprechend auch für kleine und mittlere Unternehmen und Nischenanbieter, seien es Hersteller oder Händler. Beispiel Produktpräsentation: Die nahtlose Verknüpfung von CAD- und Bilddaten in künstliche Bild- und 3D-Videowelten und das automatisierte Ausspielen in den jeweils geeigneten Kanälen inklusive POS-Präsentation war bis in jüngster Vergangenheit finanzkräftigen Unternehmen vorbehalten. Das ändert sich mit KI gerade fundamental.
Erstaunlich leistungsfähig und ideal für die Präsentation von raumnehmenden Waren bei begrenzter Fläche geeignet sind beispielsweise Augmented-Reality-(AR)-Lösungen mithilfe spezieller KI-gestützter Anwendungen. Im Gegensatz zu Virtual Reality nimmt AR die per Smartphone aufgenommene Umgebung auf und erweitert sie um digitale Informationen und Elemente. So kann beispielsweise ein Lastenrad live in 3D auf einem neutralen Hintergrund oder direkt im Laden nicht nur in allen verfügbaren Farb- und Ausstattungsvarianten, sondern auch mit diversem Zubehör, wie Boxen, Regenverdeck, Kindersitz & Co., gezeigt werden. Die KI bereitet die dazu notwendigen Bild- oder 3D-Daten vorab an zentraler Stelle auf und fügt sie dann bei Bedarf in Sekundenschnelle in die aufgenommene Umgebung ein. Nötig ist dazu nur ein neueres Smartphone. Eine separate App braucht nicht installiert zu werden. Eine sinnvolle Ergänzung ist dabei eine digitale Stele, ähnlich dem bekannten »BikeCenter«. So können umfangreiche Informationen, Preise etc. im Großformat mit abgebildet und bei Interesse gleich aufs Handy gesendet oder als Ausdruck mitgenommen werden. Händler könnten ihren Kunden damit künftig einen Mehrwert bieten und gleichzeitig viel Platz sparen, weil wenige Vorführ- und Testräder ausreichen. Interessant und für Kaufinteressentinnen attraktiv ist zudem die Verknüpfung mit Webshop-Inhalten oder Anzeigen. Klingt nach Zukunft? Anbieter von Mode-, Beauty-, Baumarkt-Produkten oder Möbeln, wie Ikea, setzen die Technologie schon seit einiger Zeit sehr erfolgreich ein, und auch einige Unternehmen aus der Bikebranche sind dabei, wie VanMoof oder der Taschenspezialist Cyclite. Marktprognosen sehen einen rasanten Zuwachs bei Augmented-Reality-Werbung und schätzen den Umfang im Jahr 2027 auf über 5,7 Milliarden Euro. //

17. Dezember 2024 von Reiner Kolberg
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login