Markt - Cargobikes
Cargobikes bleiben ein Hoffnungsträger
Eine Blitzumfrage bei einigen deutschen Herstellern ergab, dass die Nachfrage nach Cargobikes trotz oder gerade wegen der Corona-Krise weiterhin hoch ist. Die Produktion läuft angesichts gut gefüllter Auftragsbücher und Lager – mit Vorsichtsmaßnahmen – bisher weiter. Nicht vorhersehbar sind jedoch die Folgen der abgesagten Frühjahrsmessen und der Restriktionen für den Verkauf im Fachhandel mitten im Frühjahrsgeschäft. Für viele kleine Cargobike-Händler könnte die Lage schnell existenzbedrohlich werden.
Viel hängt davon ab, wie schwer und wie lange die Corona-Epidemie wird. Cargobikes können in der Folgezeit in die Waagschale werfen, dass sie eine infektionssichere Alternative zu Bus, Bahn und Taxi für Wege mit Kindern bieten. Im Falle einer Rikscha gilt dies auch für Ältere.
Letzter Punkt leitet bereits zur Bestandsaufnahme der Cargobike-Branche aus Prä-Corona-Zeiten über. Denn im Februar hat der Bundesrat die Personenbeförderung auf Fahrrädern liberalisiert. Bisher durften nach (umstrittener) Rechtsauffassung des Bundesverkehrsministeriums nur Kinder bis zum vollendeten siebten Lebensjahr auf Fahrrädern mitgenommen werden. Im neuen Paragraph 21, Absatz 3 der StVO gibt es für Passagiere auf Fahrrädern nun keine Altersbeschränkung mehr. Auf Fahrrädern dürfen Personen von mindestens 16 Jahre alten Personen aber nur mitgenommen werden, wenn die Fahrräder auch zur Personenbeförderung gebaut und eingerichtet sind.
Damit gibt es endlich auch in Deutschland eine sichere Rechtsgrundlage für Seniorenrikschas. Diese erfreuen sich durch den Erfolg der Kopenhagener Initiative »Radeln ohne Alter« in skandinavischen Ländern und weit darüber hinaus wachsender Beliebtheit. Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es »Radeln ohne Alter«-Initiativen, die mit Bewohnern von Altenheimen Ausflüge unternehmen. Vor allem dänische und niederländische Cargobike-Hersteller haben inzwischen auf den Trend reagiert und neben Kindertransporträdern auch komfortable dreirädrige Seniorenrikschas im Programm.
Die StVO-Reform bringt noch eine weitere Neuerung für Cargobikes: ein Symbol für Cargobikes, mit dem zum Beispiel Ladezonen oder Parkflächen speziell für Cargobikes ausgeschildert werden können.
StVO-Reform bringt Cargobikes voran
Bereits vor Beschluss der StVO-Reform wurde das Symbol im November 2019 Bestandteil des Berliner Regelplans für Cargobike-Parkplätze. Dieser ist die erste offizielle Planungsgrundlage eines Bundeslandes für Cargobike-Stellflächen am Fahrbahnrand. Seit Dezember 2019 gibt es im Berliner Bezirk Neukölln die ersten fünf Cargobike-Stellflächen mit dem Symbol.
Das Ausweisen separater Parkflächen ist natürlich nur dort sinnvoll, wo es ein entsprechend hohes Aufkommen an Cargobikes gibt. Da sind Städte wie Amsterdam und Kopenhagen deutschen Städten noch weit voraus. Durch Kaufprämien gab es in einzelnen Städten kurzfristig auch hierzulande einen ganz erheblichen Zuwachs an Cargobikes.
Die Stadt Köln hat 2019 rund 900 Cargobike mit 50 Prozent bezuschusst und dafür 1,9 Million Euro bereitgestellt. In Hamburg brauchte es drei Wochen und 1000 Anträge bis das Förderbudget von 1,5 Millionen Euro erschöpft war. Ähnlich lief es zum Beispiel in Karlsruhe, Münster, Leipzig und Nürnberg. Auch das Land Nordrhein-Westfalen hat innerhalb eines Jahres 3000 Cargobikes bezuschusst. Drei Viertel davon waren private Cargobikes, deren Förderung wegen des großen Erfolgs zum 31. März beendet wurde. Ein wiederkehrendes Muster: Kaufprämien für private Cargobikes lösen in Großstädten eine besonders hohe Antragsflut aus.
Über die Marktgröße und das Marktpotenzial von Cargobikes in Deutschland insgesamt geben Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) und der Fahrradmonitor des Bundesverkehrsministeriums Auskunft.
Der ZIV schlüsselt in seinen Daten zum deutschen Fahrradmarkt seit 2016 das boomende E-Bike-Segment nach Modellgruppen auf und weist dabei auch E-Cargobikes aus. Deren Anteil an allen E-Bike-Verkäufen stieg von 2016 bis 2019 von 2,5 auf 4 Prozent. In absoluten Zahlen von rund 15.000 auf 54.000. Das sind rund 360 Prozent Marktwachstum in vier Jahren.
Für das Jahr 2019 hat der ZIV nun erstmals auch Cargobikes ohne E-Antrieb separat ausgewiesen. Ihr Anteil an allen 4,31 Millionen in Deutschland verkauften Fahrräder liegt demnach bei 0,5 Prozent bzw. 21.550 Stück. Damit liegt das Verhältnis verkaufter Cargobikes mit und ohne E bei 2,5 zu 1. Das unterstreicht die enorm große Bedeutung des E-Antriebs für den Cargobike-Boom.
Rechnet man Cargobikes mit und ohne E zusammen, wurden 2019 in Deutschland geschätzte 76.000 Cargobikes verkauft. Der ZIV bedient sich dabei übrigens der knappen wie schlüssigen Definition aus der neuen DIN-Norm 79010 Transport- und Lastenfahrrad, die Anfang 2020 in Kraft getreten ist. Demnach sind Cargobikes Fahrräder »zum Transport von Gütern und Personen«. Die Abgrenzung zu normalen Fahrrädern mit besonders stabilem Gepäckträger, klassischen Rikschas und anderen Spezialrädern ist dabei notwendigerweise fließend.
Daten zu Bekanntheit, Nutzung und Kaufbereitschaft von privaten Cargobikes in Deutschland liefert der Fahrradmonitor des Bundesverkehrsministeriums. Die alle zwei Jahre durchgeführte repräsentative bundesweite Befragung zur Fahrradnutzung beinhaltet seit 2017 auch Fragen zu Cargobikes.
Im Oktober 2019 wurde der neue Fahrradmonitor vorgestellt. Demnach stieg die Bekanntheit von Cargobikes in zwei Jahren von 38 auf 52 Prozent und der Anteil der Nutzer von ein auf zwei Prozent. Der Anteil derjenigen, die sich vorstellen können, ein Cargobike zu kaufen, stieg von sieben auf zehn Prozent und die Zahl derjenigen, die überlegen, ein Cargobike-Verleihsystem auszuprobieren, von 16 auf 21 Prozent.
Viele neue Player bewegen den Markt
Bei gewerblichen Cargobikes und insbesondere großen Schwerlastmodellen für die urbane Logistik steigen verstärkt auch Automobilzulieferer ein. So präsentierten sich auf der 1. Nationalen Radlogistik-Konferenz im Oktober 2019 in Berlin auch Sortimo und Schaeffler mit ihren eigenen Cargobikes sowie die Hersteller Rytle und ONO. An Rytle ist der LKW-Anhängerhersteller Krone und an ONO die Wolfsburg AG (und damit indirekt auch VW) beteiligt. Sie alle setzen auf das große Potential von Cargobikes auf der sogenannten »letzten Meile« der Logistikkette. Denn der Online-Handel wächst rasant. Stau, Klimaschutz und Luftschadstoffe erfordern jedoch Alternativen zum klassischen Sprinter. Bundesverkehrsminister Scheuer hat im April 2020 beim Nationalen Radverkehrskongress in Dresden verkündet, dass er 20 Prozent des urbanen Lieferverkehrs auf Cargobikes verlagern will.
Mit der Anfang 2020 in Kraft getretenen DIN-Norm für Cargobikes wurde inzwischen eine wichtige Grundlage für das weitere Marktwachstum gelegt. Neben besorgten Eltern verlangen nicht zuletzt Betreiber gewerblicher Cargobike-Flotten Sicherheitsstandards. Als Arbeitsmittel unterliegt das Cargobike dem Arbeitsschutz. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat aufbauend auf der DIN-Norm inzwischen die DGUV-Information »Sicher unterwegs mit dem Transport- und Lastenfahrrad« für gewerbliche Nutzer veröffentlicht.
Ein vorläufiges Manko der DIN-Norm für Cargobikes betrifft ihren Geltungsbereich. Er endet für mehrspurige Cargobikes bei 300 kg zulässigem Gesamtgewicht. Schwerlasträder für die urbane Logistik und viele Rikschas gehen oft weit darüber hinaus und nutzen auch keine klassischen Fahrradkomponenten mehr. Auf europäischer Ebene hat im Januar die Arbeit an einer EN-Norm für Cargobikes begonnen. Hier ist ein Geltungsbereich von bis zu 500 kg maximal zulässigem Gesamtgewicht im Gespräch.
Ein großer Durchbruch im Nutzfahrzeugbereich gelang zuletzt einem der kleinen deutschen Pioniere der Radlogistikbranche. Der Anhängerspezialist Carla Cargo verkaufte 2019 mehrere Hundert seiner großen dreirädrigen Anhänger nach New York. Die zu Amazon gehörende Supermarktkette Whole Foods liefert mit ihnen nun Bio-Lebensmittel aus und Carla Cargo ist auf den Straßen von Manhattan nicht mehr zu übersehen. If you can make it in New York, you can make it anywhere!
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