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Das Fahrrad-Klima in Europa
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Report - Europa

Das Fahrrad-Klima in Europa

Europa blickt bislang auf eine durchwachsene Fahrradsaison zurück. Das zumindest im Frühjahr unbeständige Wetter drückte in einigen nordeuropäischen Ländern auf die Stimmung, während in den Alpenrepubliken unterschiedliche währungspolitische Rahmenbedingungen auch die Fahrradbranche beeinflussten.

Aufschwung in Österreich

Trotz einschneidender Veränderungen in der Einzelhandelsstruktur herrscht in der österreichischen Fahrradbranche 2015 gute Stimmung. Fred Schierenbeck, Geschäftsführer des Shimano-Generalimporteurs Thalinger Lange GmbH, zieht eine positive Zwischenbilanz für den Gesamtmarkt in Österreich:
»Dieses Jahr war die Marktentwicklung in Österreich erfreulich gut, obwohl die Marktstruktur von massiven Veränderungen in der Handels­landschaft durch den Abgang von Eybl geprägt wurde, der einer der größten Premiumanbieter war. Die Umsatzeinbußen durch Eybl konnten erfreulicherweise nahezu komplett durch den lokalen Fahrradfachhandel und durch den weiteren Sportfachhandel aufgefangen werden. In früheren ›Eybl-Zeiten‹ waren die Vertriebskanäle für Fahrradprodukte ungefähr 50/50 zwischen Sportfachhandel und Fahrradfachhandel aufgeteilt. Seither hat sich der Schwerpunkt etwas mehr in Richtung Fahrradfachhandel verschoben. Allgemein kann man sagen, dass die Anforderungen an den Handel weiter gestiegen sind, sich daraus jedoch auch interessante Chancen für alle Marktteilnehmer ergeben können. Mit dem Einzug von elektronisch gesteuerten Schaltungen zum Beispiel muss ein Händler heute ein weitaus größeres Spektrum an ›Servicewissen‹ und ›Schrauberkönnen‹ abdecken als noch vor vier bis fünf Jahren.
Bestseller-Segment für Fahrräder in Österreich ist nach wie vor das MTB, das fast 40 Prozent des Gesamtvolumens ausmacht. Das größte Wachstum ist anhaltend bei E-Bikes zu beobachten. 2014 wurde erstmals die 50.000er Marke geknackt und ein Ende des Wachstums ist noch nicht erreicht und auch für 2015 wird dies erkennbar zu weiteren Steigerungen führen. Das größte Volumen innerhalb der Kategorie E-Bike liegt noch im City und Trekkingsektor. Durch das wachsende Interesse sportlicher Fahrer wächst aber auch der Sektor E-MTB kräftig. Da sich generell auch weniger sportliche Personengruppen vom E-Bike angesprochen fühlen, steigt damit auch das E-Bike-Potenzial insgesamt interessant weiter. Die gefragten Preisspannen von 1.500 bis 2.500 EUR haben letztendlich auch weiter zu einer attraktiven Steigerung im Wert des Gesamtvolumens von Fahrrädern in Österreich geführt. Neben den inhaltlichen Faktoren begleitete das Wetter über weite Phasen den Saisonverlauf sehr gut, lediglich ein verregneter Mai bremste zeitweise einmal ein wenig den Verlauf.«

Die Schweiz ächzt unter dem starken Franken

Mit einem schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld kämpft aktuell die Schweizer Fahrradbranche: Der schwache Euro bedeutet, dass die währungspolitischen Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft völlig andere sind als auf die österreichische oder deutsche: Anfang dieses Jahres kam die Schweiz in die Schlagzeilen, als der Wechselkurs des Franken zum Euro freigegeben wurde. Der darauffolgende Kurssprung der Schweizer Währung blieb auch für den Fahrradhandel nicht ohne Folgen. Urs Rosenbaum, Chefredakteur der Fachpublikation Cyclinfo Magazin, fasst nachfolgend die Situation der eidgenössischen Fahrradbranche zusammen:
»Als die Nationalbank die Anbindung des Franken-Wechselkurses an den Euro im Januar aufhob und die Schweizer Währung blitzartig erstarkte, hat dies die Schweizer Fahrradbranche schwer getroffen. Damit nicht alle Kunden als Einkaufstouristen ins nahe Ausland abwandern, mussten die Preise um rund 8 bis 14 Prozent gesenkt werden, um die Konkurrenzfähigkeit wiederherzustellen. Anders als bei der letzten Währungskrise vor vier Jahren reagierten die Lieferanten schnell, unterstützten ihre Händler ihrerseits mit Preisnachlässen. Obwohl seit Januar nochmals spürbar mehr Konsumenten über die Grenzen fahren, konnte die Fahrradbranche so den Schaden einigermaßen in Grenzen halten. Die verkauften Stückzahlen nahmen nur geringfügig ab, doch beim Umsatz fehlt vielen Händlern etwa der Anteil, den sie als Preissenkungen abschreiben mussten. Dem Handel kam dabei entgegen, dass sich Elektroräder weiterhin wachsender Beliebtheit erfreuen. Insbesondere S-Pedelecs (machen in der Schweiz etwa ein Viertel der Pedelec-Verkäufe aus) und E-Mountainbikes retteten Händlern, die diese Segmente pflegen, die Saison. Dafür schwächelte einmal mehr der Verkauf von Mountainbikes, in Stückzahlen nach wie vor die stärkste Sparte im Schweizer Fahrradmarkt. Hier macht sich bemerkbar, dass sich viele engagierte Hobbysportler gut auskennen und entsprechend knallhart den günstigsten Preis suchen – und der findet sich oft bei einem internationalen Anbieter im Internet.«

Abschwung in den ­Niederlanden

In Europas Fahrrad-Vorzeigestaat, den Niederlanden, gibt es keine derartigen Währungsprobleme. Mit dem schwächelnden Euro hat schließlich die gesamte Währungsunion zu kämpfen. Dass es für die niederländische Fahrradbranche bislang kein gutes Jahr war, wurde nicht zuletzt an den Halbjahreszahlen des Branchenriesen Accell deutlich. Das Unternehmen meldete für fast alle Regionen Umsatzsteigerungen – außer für den Heimatmarkt. Um 7 Prozent ging der Fahrradabsatz nach Angaben des niederländischen Handelsverbands zurück. Davon war auch Accell mit insgesamt 5 Prozent weniger verkauften Rädern in den Niederlanden betroffen. Der Umsatzrückgang fiel mit 3 Prozent vergleichsweise moderat aus, da der Absatz von E-Bikes (mit höherem durchschnittlichem Verkaufspreis als andere Fahrräder) immerhin zulegen konnte.

Stagnation in Dänemark

Dänemark gilt als ähnlich vorbildlich in Sachen Fahrrad-Infrastruktur wie die Niederlande. Doch scheint auch hier vorübergehend das Ende des Wachstums erreicht, wie Torben Finn Larsen, Redakteur des Fachportals Cykelportalen.dk berichtet:
»Der dänische Fahrradmarkt stagniert weiterhin – wie schon in den vergangenen beiden Jahren. Die Verkäufe von klassisch-urbanen Modellen und Rennrädern sind rückläufig, während E-Bikes, City- und Mountainbikes eine leicht steigende Tendenz aufweisen. Dabei nehmen E-Bikes insbesondere bei Familien in Städten immer mehr die Rolle als Zweitauto ein.
Der Gesamtabsatz liegt bei rund 500.000 Fahrrädern im Jahr. Nach einem insgesamt kühlen und verregneten Sommer besteht noch Hoffnung auf eine leichte Steigerung im weiteren Verlauf des Jahres.«

Expansion des britischen Fahrradhandels

Die britischen Inseln sind nicht immer für gutes Wetter bekannt. Erst recht nicht in den vergangenen Monaten. Das drückte im britischen Fahrradhandel ein wenig auf die Stimmung. Zwei Fachhändler orientieren sich deshalb international – und das durchaus erfolgreich, wie Carlton Reid, Geschäftsführender Redakteur der Fachzeitschrift BikeBiz nachfolgend berichtet:
»Der britische Fahrradmarkt boomt. Er übernimmt quasi die Weltherrschaft. Zumindest gilt das für zwei britische Fahrradhändler: Wiggle und Chain Reaction Cycles liefern weltweit aus. Wiggle, inzwischen Teil eines Konzerns, begann als kleines unabhängiges Fahrradgeschäft. Auch Chain Reaction Cycles hat seine Wurzeln als winziger Fahrradladen in einer nordirischen Kleinstadt. Das Unternehmen ist nach wie vor im Besitz der Gründerfamilie Watson. Diese beiden weltweit erfolgreichen Fahrradversender erfreuen sich bester wirtschaftlicher Gesundheit. Ansonsten blickt der britische Fahrradhandel auf durchwachsene zwölf Monate zurück. Das liegt vornehmlich am ebenfalls durchwachsenen, häufig sogar schlechten Wetter. Immerhin verkauften sich Rennräder landesweit weiterhin gut.
Viele britische Städte schaffen derzeit eine geschützte Fahrrad-Infrastruktur. Das wird letztendlich zu mehr Radfahrern und somit mehr Umsatz für den Fahrradhandel führen. Allein London steckt über den Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 10 Mrd. GBP in Fahrradwege. Diese Investitionen tragen bereits erste Früchte, indem sie ein Verkehrschaos im Fahrradverkehr verursachen. Nichtsdestotrotz wird erwartet, dass die großzügig angelegten und abgetrennten Fahrradwege über wichtige Verkehrsrouten wie die Vauxhall Bridge oder entlang der Houses of Parliament in Westminster den Londoner Stauproblemen langfristig beikommen können. Der Bau der Fahrradwege wird wahrscheinlich zu einem erhöhten Radverkehrsanteil in London führen. Andere britische Städte werden in den nächsten Jahren nachziehen.«

Große Unterschiede in der Fahrradfreundlichkeit

Investitionen in den Radverkehr kann Großbritannien durchaus gebrauchen. Denn im aktuellen Copenhagenize-Index fahrradfreundlicher Städte taucht keine einzige britische Metropole in den Top-20 auf. Auch die Schweiz ist nicht in dem Index vertreten. Österreichs Hauptstadt Wien immerhin hat es auf Platz 16 geschafft. Deutschland ist – mit Berlin (Platz 12) und Hamburg (Platz 19) – zwar immerhin doppelt vertreten, die Tendenz im Vergleich zu den letzten Erhebungen ist jedoch negativ. Die Niederlande bleiben in Sachen Fahrradfreundlichkeit absoluter Vorreiter: Mit Amsterdam (Platz 2), Utrecht (Platz 3) und Eindhoven (Platz 5) rangieren gleich drei niederländische Städte in den Top-5.
Zwar zeigen die aktuellen Zahlen aus dem niederländischen Markt, dass eine gute Radwege-Infrastruktur keine Garantie für einen wachsenden Fahrradabsatz ist, ganz ohne Investitionen geht es aber auch nicht. Großbritannien scheint hier auf einem guten Weg zu sein. Frankreich ist sogar bereits mit vier Städten im Copenhagenize-Index vertreten. Da herrscht insbesondere in den deutschsprachigen Ländern noch Nachholbedarf.

17. August 2015 von Markus Fritsch

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