
Report - User Experience
Der Faktor Benutzererlebnis
Als in den 1940er-Jahren die ersten Computer entstanden, waren das wahre Monster: mehrere Tonnen schwer, so groß, dass sie ganze Räume einnahmen, und so kompliziert, dass nur eine Handvoll Menschen sie bedienen konnte. Und heute? Da reicht es mehr oder weniger, den On-Button und vielleicht noch ein paar Tasten zu drücken, sonst kommt man mit Wischen und durch bloßes Anschauen schon recht weit. Die kompakten Laptops lassen sich problemlos im Rucksack verstauen; Smartphone, Computer und Tablet synchronisieren sich teils automatisch und sichern Daten selbsttätig in einer Cloud. Die Technik hat sich weiterentwickelt. Ganz klar. Aber auch die User Experience (UX) ist besser geworden.
Der Begriff, der im Deutschen so viel wie Benutzererlebnis bedeutet, beschreibt laut DIN-ISO-Norm 9241-210 »die Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der Nutzung oder der erwarteten Nutzung eines Produkts, Systems oder Dienstes resultieren«. UX ist also eine Art Maßstab dafür, wie intuitiv Menschen mit einem physischen oder digitalen Produkt interagieren können, wie sehr es ihre Sinne anspricht und seinen Zweck erfüllt. Der Gedanke dahinter: Wer zufrieden mit Funktion, Handhabung und häufig auch der Optik des Produkts ist, bleibt ihm verbunden – und damit auch den anbietenden Unternehmen.
UX beeinflusst die Kaufentscheidung
Eine gute User Experience als Erfolgsfaktor für Produkte und Systeme ist mittlerweile so wichtig, dass es Agenturen und Berater gibt, die sich darauf spezialisiert haben zu definieren, was es dafür braucht – und was nicht. Einer davon ist Andreas Gahlert. Er stieg mit der Gründung von Cobi, ein Start-up zur Vernetzung von Fahrradmobilität, in die Branche ein und war in leitender Position bei Bosch eBike Systems tätig. Nun berät er Unternehmen in Sachen UX.
Seiner Erfahrung nach spielt die User Experience auch im Fahrradbereich eine zentrale Rolle, denn »ein Fahrrad und dessen Zubehör sind oft technisch komplex und emotional. Ideale Voraussetzungen, um sich durch hervorragende Benutzererfahrung abzuheben«. Viele, selbst sportlich Ambitionierte, möchten am liebsten einfach nur Radfahren – und zwar mit dem größtmöglichen Komfort und dem geringstmöglichen (technischen) Aufwand. Um diese Erwartungen, dieses Bedürfnis, zu erfüllen, sollten beispielsweise die Benutzeroberfläche eines Bikecomputers oder Technik und Akkuhandhabung eines E-Bikes intuitiv, die Funktionalität stabil und der Aufbau der angezeigten Informationen oder notwendigen Nutzungsschritte logisch sein. Ist dann die Optik auch noch ansprechend, entstehen positive Emotionen bei den Nutzenden, inklusive solcher, die auch für Kaufentscheidungen wichtig sind.
Freude schlägt reine Nützlichkeit
Einer finnischen Übersichtsstudie aus dem Jahr 2011 zufolge wiegt die »hedonische Qualität« mitunter schwerer als die »pragmatische Qualität«, wenn es um den kommerziellen Erfolg eines Produkts geht. Soll heißen, die Freude an der Nutzung eines Produkts schlägt die reine Nützlichkeit.
»Es geht darum, eine einfache Lösung zu finden, ein fertiges Produkt zu präsentieren, das menschliche Grundbedürfnisse wie das nach Sicherheit oder sozialem Status befriedigt«, weiß Dirk Sandrock. Mit seiner Heidelberger Momes GmbH vertreibt und entwickelt er (nicht nur) Elektronik für Fahrräder und E-Bikes, unter anderem ein Head-up-Display, das sich an den Helm klippen und mit dem Radcomputer verbinden lässt.
»Ein Fahrrad und dessen Zubehör sind oft technisch komplex und emotional. Ideale Voraussetzungen, um sich durch hervorragende Benutzererfahrung abzuheben.«
Andreas Gahlert
Aus Unternehmersicht bedeutet für ihn gute UX einerseits, außerhalb des eigenen Unternehmensrahmens zu denken und Systeme zu öffnen: »Wenn ich etwas Erfolgreiches machen möchte in diesem Bereich, muss ich auch die anderen Firmen, die anderen Konzepte und die Möglichkeiten der anderen, mit denen ich mein Produkt verbinden möchte, mitdenken«, sagt er. Zum anderen sei es notwendig, langfristig zu denken und die Produkte so zu gestalten, dass sie anpass- und erweiterbar sind sowie »neue Applikationen, Funktionen oder Accessoires eingebunden werden können, um immer wieder Mehrwert zu generieren«.
Für Nutzer oder Nutzerin liefert ein Produkt dann eine gute User Experience, wenn es ein Problem lösen oder eine neue Erfahrung ermöglichen kann, bei gleichzeitig möglichst geringem Frustrationsrisiko. »Dafür muss man die Nutzerbedürfnisse kennen und die Lösung so intuitiv und nutzwertig wie möglich und so umfangreich wie nötig gestalten. Kurz: Besser weniges richtig als vieles halb machen«, fasst UX-Experte Andreas Gahlert zusammen.
Höhere Kundenzufriedenheit dank UX
Beispiel Fahrradcomputer. Die Tachos der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre waren vergleichsweise klein, mussten teils umständlich mit Kabeln am Rahmen installiert und mit verschiedenen Sensoren (Laufrad, Kurbel) verbunden werden. Verrutschte ein Sensormagnet, fiel die entsprechende Anzeige aus. Die meisten modernen Radcomputer führen die Nutzenden nach der Inbetriebnahme Schritt für Schritt durch den Installationsprozess. Die Daten werden automatisch an Apps übertragen, Fitnesswerte errechnet und es gibt eine Streckenführungsfunktion. »In diesem Bereich hat sich viel verändert«, bestätigt Fabian Danner, Category-Manager DACH bei Garmin. Beim Hersteller von Multisport-Smartwatches, Fahrradcomputern und Navigationsgeräten für das Auto liegt ein großer Schwerpunkt auf der Benutzeroberfläche, auf der vereinfachten Ersteinrichtung für Neulinge sowie auf Verbesserungen für bestehende Nutzende, die bereits ein Garmin-Gerät verwendet haben. »Wenn eine positive, reibungslose und effektive Interaktion mit dem Produkt gelingt, führt das letztendlich zu einer langfristigen Nutzung und höherer Kundenzufriedenheit«, so Danner.
Intuitive Bedienung, Lösungsorientierung, Frustvermeidung und Bedürfnisbefriedigung sind also wichtige Faktoren für Produkte, die ein gutes Benutzererlebnis liefern sollen. Die praktische Umsetzung dieser Schlagworte kann aber je nach Produkt völlig anders aussehen. »UX muss ein fester, wichtiger Bestandteil der Produktentwicklung sein«, weiß Andreas Gahlert. Dafür ist es wichtig, zu definieren, für wen das Produkt eingesetzt werden soll, was von ihm erwartet wird und welches Bedürfnis es befriedigen kann, kurz: Wie es gelingt, dass es »leistet, was es leisten soll, ohne es zu überladen oder Nutzerinnen und Nutzer abzulenken«, beschreibt es Dirk Sandrock.
Informationsfluss limitieren
Passiert Letzteres, kann sich der beabsichtigte positive Effekt leicht ins Gegenteil umkehren. Beispielsweise sollen sogenannte Head-up-Displays, also Bildschirme, die Informationen ins Blickfeld der Nutznden projizieren, das Unfallrisiko verringern, da die Augen auf die Straße gerichtet bleiben. Das tun sie laut verschiedenen Studien, darunter drei amerikanische aus den Jahren 1993, 2022 und 2023, aber nur, wenn Darstellungsform und -menge der jeweiligen Informationen richtig dosiert und aufbereitet werden. Denn Menschen können entweder die digitale Anzeige wahrnehmen oder die reale Welt, schlussfolgert das Forscherteam um Robert McCann in seiner Arbeit Attentional Limitations With Head-Up Displays.
Head-up-Displays, die zusätzliche Informationen im Sichtfeld des Nutzenden einblenden können, sind bereits auf dem Markt verfügbar, wie Dirk Sandrock von Momes hier mit seinen eigenen Entwicklungen bereits vorführt.
»Informationen müssen zum Moment, zur Situation passen«, weiß Dirk Sandrock. Wenn also das Display am Helm Herzfrequenz, Tempo und die Info anzeigt, dass in 500 Metern der Abzweig rechts genommen werden muss, ist das nützlich und sinnvoll. Fahrerin oder Fahrer schauen kurz drauf und können sich dann wieder auf die Strecke konzentrieren. Erscheinen auf dem Bildschirm im Blickfeld aber ständig neue Informationen, zum Beispiel, dass es links einen Schneider, rechts ein Restaurant und in 200 Meter Entfernung die Lieblingsradschuhe für 15 Prozent Rabatt gibt, lenken diese Informationen vom Wesentlichen, dem sicheren Fahren und Navigieren, ab.
Analog geht gut. Digital geht besser.
Auch wenn der Begriff etwas anderes vermuten lässt: User Experience muss nicht unbedingt digital sein. »Das ist nicht besser als analog«, bestätigt Andreas Gahlert, fügt jedoch an, im digitalen Bereich böten sich »aber mehr Möglichkeiten durch die Vielzahl der Interaktionsmöglichkeiten wie Sprache, Audio, Touch sowie Schnittstellen und Daten, die integriert werden können«.
Oft lassen sich solche digitalen Funktionen erst durch die entsprechenden Hardware-Komponenten umsetzen und nutzen. Garmin beispielsweise hat einen kompletten Bereich auf seiner Connect-IQ-Webseite der UX gewidmet und Leitlinien für die Entwickler von externen Apps erstellt, die mit Garmin-Geräten kompatibel sein wollen. Was die Geräte nicht von Haus aus liefern oder anbieten, können sich Nutzende dazuholen. So wird ein Bedürfnis gedeckt und Zufriedenheit gesichert. Im Jahr 2015 hat Garmin zudem mit dem Varia ein Rücklicht auf den Markt gebracht, das Fahrzeuge aus einer Distanz von bis zu 140 Metern erkennt und Fahrer oder Fahrerin über Smartphone-Meldung warnt. Ein erster Blick in die UX-Zukunft? Vielleicht.
Den Bereich Warnfunktionen im Hinblick auf UX auszubauen, kann sich zumindest Dirk Sandrock gut vorstellen. So könnte seiner Ansicht nach zum Beispiel ein Sensor warnen, dass die Straße in ein paar Metern feucht ist und das Tempo gedrosselt werden muss. Ähnlich bietet Garmin es mit dem Feature »Gefahrenstellen der Community« bereits an. Allerdings müssen hier Nutzende Gefahrenstellen wie Schlaglöcher oder umgestürzte Bäume reporten.
Sicherheitsrelevantes UX-Potenzial sieht Andreas Gahlert zum Beispiel auch beim Fahrradschloss: »Wäre es nicht großartig, wenn sich das schlüssellose Bügelschloss schließt, das Bike ausschaltet und es nicht mehr fahrbar ist, ein Audio-Alarmsensor aktiviert wird wie beim Auto, das Tracking auf Standby steht? In einer guten UX würde das alles nahtlos funktionieren, bestenfalls mit nur einem Button, zum Beispiel in der App«, prognostiziert er.
Herausforderungen für Industrie und Handel
Damit das klappt, müssten aber verschiedene Unternehmen, Daten und Funktionen interagieren – und das ist heutzutage noch nicht der Fall, da es eine echte digitale Transformations-Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund hat Dirk Sandrock mit seinem Unternehmen auch einen eigenen Helm entwickelt: Um ihr Head-Up-Display flächendeckend nutzen zu können, wären für die verschiedenen Helmmarken Dutzende unterschiedliche Halterungen notwendig gewesen. Doch nicht nur die Industrie denke UX noch nicht ausreichend mit. Auch der Handel verpasst Chancen, die User Experience als Mittel zur Kundenbindung zu nutzen.
Fabian Danner von Garmin fände es wichtig, mehr Live-Units im Laden anzubieten, um den Endkundinnen und -kunden die Möglichkeit zu geben, die jeweiligen Geräte zu bedienen und einen ersten Eindruck zu bekommen, welches für sie am besten geeignet ist. Andreas Gahlert stimmt zwar aus Erfahrung zu, dass sich der Handel oft nicht viel Zeit nimmt, um Funktionen zu demonstrieren. Er sieht darin aber kein wesentliches Problem, denn: »Eine gute UX ist vor allem nach dem Kauf für den Endkunden wichtig. Ist er zufrieden, weil die Benutzung des Produktes so gut gelöst ist, dass er die Funktionen auch regelmäßig nutzt, wirkt sich das im Wiederkauf aus und in User Feedbacks in den sozialen Medien oder Testberichten, die dann natürlich auch wieder vertriebswirksam im Handel sind.« //
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