Interview - Adlips Branding Studio
»Der Händler gehört mit zur Marke«
Worauf beruht die Einschätzung, dass es in der Fahrradbranche einen gesteigerten Bedarf nach Branding-Dienstleistungen gibt?
Wieschermann: Warum die Fahrradbranche das braucht, ist für mich eine ziemlich offensichtliche Sache: Ich persönlich war in diesem Jahr das erste Mal auf der Eurobike und mir ist direkt aufgefallen, wie produktgetrieben die Kommunikation der meisten Marken ist. Da ich davon überzeugt bin, dass Leute nicht nach Features oder Fakten kaufen, sondern nach Emotionen, sehe ich da einen Riesenbedarf und freue mich über jede Marke, die sich verändern will.
Was sind denn Positivbeispiele für Firmen mit starken Marken?
Magduschewski: Man hat ja immer nur den Blick von außen. Ich weiß nicht, wie viel davon Zufall ist und wie viel auch wirklich geplant gewesen ist. Aber wo ich dieses Gefühl von emotionaler Marke habe, ist zum Beispiel bei Canyon. Die kenne ich von klein auf, meine Eltern haben in den 90er-Jahren schon Geschäfte mit den Arnold-Brüdern gemacht. Ich kenne auch ein paar Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen sehr identifizieren, weil die Firma weiß, wofür sie steht. Da merkst du einfach, dass sehr viel Liebe und Gedanken investiert worden sind.
Wieschermann: Wenn in Berlin Mitte ein großer Rapha oder in München ein Pas Normal Studios Store eröffnet, sieht man, dass ein allgemeiner Wandel des Lifestyles stattgefunden hat. Fahrradfahren war für die breite Masse oder das Lifestyle-Segment mal ziemlich uncool, das hat sich komplett gewandelt. Man muss verstehen, dass alles, was mit Branding – das ist ja auch nur so ein Begriff – zu tun hat, von innen heraus wachsen muss. Branding ist nichts, was man von außen aufstülpt. Die Kultur ist superwichtig, wie ein Laden geführt wird und was die generelle Motivation hinter dem Unternehmen ist, neben dem Geldverdienen natürlich. Wenn Geldverdienen die einzige Motivation ist, dann wird das auch nicht reichen, um Menschen zu begeistern.
Wie sieht denn der Prozess aus, einen Markenkern und eine Firmenkultur herauszuarbeiten?
Magduschewski: Bei uns beginnt jeder Prozess mit Gesprächen und einer klaren Analyse. Jedes Unternehmen ist anders und darum geht es am Ende ja auch bei unserer Arbeit – wir wollen gemeinsam rausfinden, was der eigene USP ist und was die eigene Marke ausmacht. Der Kunde hat ja Erfahrung in der Marke, er weiß ja, wer seine Kunden sind, was er darstellen möchte und so weiter. Das kann er uns zu Beginn besser sagen als wir ihm. Wir können dann die Lücken dazwischen schließen oder Lücken aufzeigen, die ihm vielleicht gar nicht bewusst waren.
Wieschermann: Einige der Kunden und Marken sind sich gar nicht so im Klaren darüber, mit wem sie eigentlich kommunizieren wollen und wen sie ansprechen wollen. So eine Markenstrategie zu entwickeln, ist ein sehr intensiver Prozess. Man muss sich selbst und den einen oder anderen Gedanken, den man zur Marke hat, auch mal infrage stellen. Wenn man seine Werte schon definiert hat, wir aber das Gefühl haben, dass es austauschbare Wörter in einem Dokument sind, die die Leute so nicht leben können und nicht übersetzt bekommen, dann hilft es uns nicht, wenn das als gegeben kommuniziert wird. Das passiert immer wieder, dass man etwa einen Markenwert wie Nachhaltigkeit definiert hat, der total austauschbar ist, weil sich kaum jemand auf den Markt stellt und sagt, wir wollen nicht nachhaltig sein. Wenn das die Ergebnisse vorangegangener Agenturarbeit ist, sind die Menschen enttäuscht, weil es ihnen keinen Mehrwert bietet.
Das Branding ist also dann gut, wenn die Werte einer Marke sich im Alltag ausleben lassen?
Wieschermann: Ja, absolut, eine Marke ist immer das Gefühl, das beim Betrachter erzeugt wird. Die Frage ist, wie über dich gesprochen wird, wenn du nicht im Raum bist. Unser Ansatz ist human-centered, es geht um Menschen und nicht um Produkte. Leider denken noch viele Unternehmen, sie könnten sich damit absetzen, was ein großer Trugschluss ist, der dann auch dazu führt, dass diese Unternehmen unnötig viel Geld verlieren.
Magduschewski: Das ist es auch, wo wir den Bedarf sehen.
Tim und Mike Tim Magduschewski sowie Dominik Wieschermann und Marius Burgmann (von oben rechts im Uhrzeigersinn) haben das Adlips Branding Studio in diesem Jahr gegründet. Das Team unterstützt Unternehmen durch strategische Markenentwicklung, Design und Storytelling. Dabei greifen sie auf mehr als zwei Jahrzehnte Vertriebserfahrung im Fahrradsektor und Erfahrung in der Kreativbranche zurück.
Viele Brands streuen ihre Kommunikation wie eine Gießkanne: alles ein bisschen und nichts richtig. Ich nehme mal ein Beispiel. Fahrradhersteller X, der schon einen gewissen relevanten Umsatz macht, der sagt sich: »Ich höre auf, das Mädchen für alles zu sein. Ich will jetzt extra gut werden in einem Bereich und das kommunizieren, mit der Gefahr, dass mir links und rechts vielleicht ein paar Kunden wegbrechen, aber mit der riesigen Chance, der Champ in der Kategorie und dem Kundensektor zu sein.«
Viele Fahrradhersteller wollen alles abbilden, vom Kinder- zum Downhillrad und jeden ansprechen. Bei manchen scheint das zu funktionieren, aber viele Brands würden sich einen Gefallen tun und könnten eine ganz andere Traktion am Markt haben, wenn sie sich mehr fokussieren würden.
Geht es dabei eher darum, sich in der Kommunikation zu spezialisieren oder tatsächlich auch Produktsegmente zu reduzieren?
Magduschewski: Ich nehme gerne das Beispiel Orbea. Die haben vor ein paar Jahren gesagt, dass sie der Spezialist für leichte E-Mountainbikes sein wollen. Klar gibt es noch ein Levo von Specialized und so weiter, aber das vielleicht beste leichte E-Mountainbike baut Orbea mit dem Rise. Die machen auch andere E-Mountainbikes, haben aber ganz klar gesagt, dass sie in dem Bereich der Spezialist sein wollen. Wir haben einfach so einen diversifizierten Markt, mit tausend Kategorien an Mountainbikes und tausend Kategorien an Rennrädern und unterschiedlichsten Altersgruppen, die man ansprechen kann.
Welche Rolle spielt der Fachhandel dabei, eine Markenidentität zu transportieren?
Magduschewski: Der ist total wichtig. Ich kenne das als Handelsvertreter, eine neue Marke aufzubauen. Wenn ich der erste Kontakt für den Händler mit der Marke bin, ist das schwierig. Ich habe dann schon oft den Satz gehört »Ich verkaufe nur das, wo ich dahinterstehe«. Der impliziert ja: »Ich will emotionalisiert werden.«
Der Fachhändler ist als Kunde also Empfänger der Markenbotschaft. Gleichzeitig sendet er sie ja auch selbst an die Endverbraucher und Endverbraucherinnen, richtig?
Magduschewski: Der Händler ist auch eine Art Ambassador für dich. Wenn du den und sein Team nicht emotionalisiert bekommst, dann wirst du höchstwahrscheinlich in seinem Laden auch nicht erfolgreich verkaufen.
Burgmann: Es gibt ja immer verschiedene Herangehensweisen und auch verschiedene Needs, die die Leute haben. Das ist ein wichtiger Punkt für uns, wenn wir die Menschen hinter diesen Prozessen verstehen. Dann wissen wir auch, was die Sender überhaupt kommunizieren wollen und was die Empfänger überhaupt verstehen können.
Wieschermann: Man muss einfach verstehen, dass der Händler einfach mit zur Marke gehört. Wenn ich von Unternehmenskultur spreche, dann gehören die ja auch dazu. Ob du nun mit auf der Payroll bist oder extern, spielt ja erst mal keine Rolle.
Wie unterscheidet sich denn der Prozess, einen Händler zu emotionalisieren, von dem des Endverbrauchers?
Magduschewski: Man spricht ja immer zuerst das Herz an, das sitzt beim Händler an derselben Stelle wie beim Konsumenten auch. Aber die Tools sind andere, weil du Händler zum Beispiel zu Events in die Firmenzentrale einladen kannst.
»Eine Marke ist immer das Gefühl, das beim Betrachter erzeugt wird.«
Dominik Wieschermann, Adlips Branding Studio
Du kannst deine Marke erlebbar machen. Dann lädst du deren Herzen mit deiner Marke auf. Das gelingt dir dann am besten so gut, dass der Händler es genau so oder ähnlich seinen Kunden rüberbringen wird. Es sind natürlich auch viele dabei, die sich vor allem für die Technik begeistern. Aber selbst die, denen man nicht nachsagen würde, dass sie ein Gespür für Marken haben, lassen sich unterbewusst von Marke emotionalisieren.
Wieschermann: Der Händler möchte Produkte verkaufen. Dann gibt es noch Retouren und Service, also Faktoren, die daran kleben. Der Endverbraucher möchte ein Fahrrad und einen Status kaufen und eine Zugehörigkeit haben. Die Zugehörigkeit möchte der Händler auch, von daher gibt es da auch eine Schnittmenge. So ist es eine andere Kommunikation, aber die Marke an sich spricht dann bei beiden das Herz an. Wichtig zu verstehen ist dabei auch, dass ein Branding nicht einfach erzeugt werden kann, sondern dass es auch gelebt werden muss und Zeit braucht, um sich festzusetzen bei den Leuten.
Eine Marke kann auf vielen Identitätsfaktoren basieren. Von welchen würden Sie eher abraten?
Magduschewski: Zu politisch sollte eine Marke nicht sein. Man darf natürlich eine Haltung haben. Aber wenn wir über Links, Rechts, Mitte sprechen, da sollten Marken die Finger von lassen. Solange man keinen Schaden verursacht, sondern einen Mehrwert für die Gesellschaft darstellt, ist erst mal alles erlaubt. Wenn man andere Gruppen damit in Mitleidenschaft oder durch den Kakao zieht, da würden wir nicht mitmachen.
Wieschermann: Man kann das nicht pauschalisieren. Es geht ja darum, anders zu sein. Wenn sich alle auf der gleichen Stelle positionieren, hat man keine Positionierung. Man muss immer Nein sagen, um Ja zu sagen und ausschließen, um einschließen zu können. Das Schlimmste ist aber, wenn man grundsätzlich Angst davor hat, eine Meinung zu haben. //
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