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Interview - Dr. Friedemann Kunst

Der Radverkehr lebt nicht vom Geld allein

Das Fahrrad ist für viele Verkehrsprobleme im urbanen Raum eine Lösung. Das wissen auch die meisten Verkehrsplaner. Dennoch tun sich Kommunen und Städte oft schwer damit, den Anteil der Radfahrer im Stadtverkehr zu steigern. Fehlende finanzielle Mittel sind dabei gar nicht mal das größte Problem, wie Dr. Friedemann Kunst, Leiter der Abteilung Verkehr bei der Senatsverwaltung Berlin, im Interview mit velobiz.de erklärt.

Herr Dr. Kunst, in Berlin ist der Radanteil von 8 Prozent in den Neunzigern auf mittlerweile gut 13 Prozent gestiegen. Auch wenn für 2010 das Ziel 15 Prozent lautete: Sind Sie mit dem Erreichten zufrieden?

Ja, insgesamt bin ich ziemlich zufrieden. Als wir 2003 den ersten Stadtentwicklungsplan Verkehr (STEP) diskutierten, betonten viele Experten, dass Veränderungen beim Modal Split sehr lange dauern. Man riet uns, nicht zu viel zu erwarten. Nun haben wir eine deutliche Veränderung geschafft und sind dadurch etwas mutiger. Ich denke, dass in etwa zehn Jahren sogar 20 Prozent erreicht werden könnten. Das wäre wirklich sehr viel, denn Berlin hat ja auch einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr. Man muss aber auch sehen, dass uns der Erfolg unter Druck setzt, beispielsweise ist die Infrastruktur an vielen Stellen nicht mehr ausreichend.

Können Sie uns einen kurzen Einblick geben, wie die Radpolitik in Berlin strukturiert ist?

Radpolitik braucht sehr viele Akteure. Für die Planung und den Bau der Infrastruktur muss die Senatsverwaltung im Wesentlichen die Gesamtstrategie entwerfen und Rahmenpläne machen. Für die Umsetzung sind dann vor allem die Bezirke als Baulastträger zuständig. Neben Bau und Unterhalt sind Faktoren wie Sicherheit, Information, Kommunikation und die Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln bedeutend. Weil uns klar war, dass Radpolitik nur funktioniert, wenn viele Akteure gleichgerichtet daran arbeiten, haben wir den »FahrRat Berlin« gegründet. Neben dem tatsächlichen Beraten untereinander, ist der Rat ein Gremium, das die Umsetzung der Radpolitik auf viele Schultern verteilt.

Was sind aus Ihrer Erfahrung die wichtigsten Elemente einer erfolgreichen
Radpolitik?

Ganz wichtig ist zunächst die Information. Die Menschen müssen über das Angebot für Radfahrer Bescheid wissen, beispielsweise durch gute Wegweisung. Gute neue Anlagen nutzen nichts, wenn keiner sie kennt. Weiter braucht Radverkehr ausreichende Ressourcen, zunächst Ideen und Konzepte, natürlich Geld und geeignetes Personal. Der letzte Punkt ist in letzter Zeit zunehmend ein Problem geworden. Wir bekommen durchaus mehr finanzielle Mittel - auch wenn wir hier und da mehr wollten - was uns aber fehlt ist qualifiziertes Personal, dass Planung, Ausschreibung und Umsetzung leitet. Der Bau von Radanlagen ist personalaufwändig. Im FahrRat schlagen wir daher vor, dass in jedem Berliner Bezirk zumindest eine Ingenieurin/Ingenieur für die Umsetzung von Radverkehrsmaßnahmen zuständig sein sollte.

Die finanzielle Ausstattung ist dennoch sehr gering - wenige Euro pro Kopf im Jahr - hemmt das die Förderung nicht? Könnte nicht Berlin als moderne weltoffenen Stadt das drei oder vierfache in die Hand nehmen – das wäre im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln immer noch wenig Geld?

Investitionen in den Radverkehr haben verkehrspolitisch eine hohe Effizienz, bei keinem Verkehrsmittel kann man mit so wenig Geld eine so deutliche Veränderung bei der Verkehrsmittelwahl erreichen. Eine Steigerung des Radhaushalts von etwa drei auf fünf Euro pro Kopf im Jahr 2017 ist daher in der Radstrategie empfohlen. Aber wie bereits angesprochen: Im Moment könnten wir bedeutend mehr Geld gar nicht umsetzen. Personalwirtschaft ist in Berlin ein extrem schwieriges Thema. Wir müssen in dieser Legislaturperiode in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt beim Personal gut 15% einsparen. De Facto bedeutet das: Jede Stelle, die frei wird, wird erst einmal gestrichen.

In welchen Bereichen sind derzeit am dringendsten Verbesserungen notwendig?

Wir müssen intensiv an der Infrastruktur arbeiten, das Netz muss dort, wo es stark belegt ist, in seiner Kapazität erweitert werden. Zum Beispiel auf Busspuren, die für den Radverkehr frei gegeben sind. Wenn es da nicht mehr zusammen geht und der ÖPNV behindert wird, muss der Platz erweitert werden. Das Thema Sicherheit muss ebenfalls intensiver angegangen werden. Auch wenn die Unfallzahlen nicht so stark gestiegen sind, wie der Radverkehr selbst, es gibt zu viele schwer Verletzte und Tote im Berliner Verkehr.

Und wo sehen Sie noch Potenziale für die Steigerung des Radverkehrs?

Ich denke, für Arbeitswege könnte das Fahrrad mehr genutzt werden. Das könnte den Berufsverkehr mit dem Pkw entlasten. Man müsste dafür besonders längere Wege durch die Stadt besser ausbauen und kennzeichnen. Wenn Radfahren verstärkt auch für längere Wege - der Durchschnitt liegt heute bei 3,5 km pro Weg - in Frage kommt, würde auch die Verkehrsleistung des Fahrrads in Kilometern deutlich steigen und die Entlastungswirkung wäre größer.
Auch beim Einkaufsverkehr ist der Radanteil gering. Das Vorurteil »Mit dem Fahrrad kann man nicht genug transportieren« ist weit verbreitet. In Städten wie Kopenhagen dagegen hat bereits jeder zehnte Haushalt ein Lastenrad, das kann den Anteil am Einkaufsverkehr deutlich erhöhen.

Apropos Vorurteile, wären da nicht große öffentliche Kampagnen geeignet, um über die Vorteile und Flexibilität des Fahrrads zu informieren, ich denke da etwa an die »Radlhauptstadt München« Kampagne?

Auch in Berlin ist eine Kampagne in Vorbereitung, sie hat aber das Sicherheitsthema und die teils zurück gehende Akzeptanz des Radverkehrs im Fokus. Akzeptanz hat viel mit Regelverstößen zu tun. Das Stichwort »Rüpelradler«, das von der Presse sicherlich zu generalisierend verwendet wird, hat auch einen wahren Kern. Es ist in der Tat so, dass Radfahrer sich oft nicht an Regeln halten, bzw. diese bestenfalls als Empfehlungen sehen. Das spiegelt sich auch in der Verkehrsunfallstatistik wider. Wir bekommen viel Rückmeldung besonders von Fußgängern, die sich in ihrem Raum und ihrer Sicherheit eingeschränkt fühlen. Daher fördern und fordern wir vor allem die gegenseitige Rücksichtnahme.

Auch für Autofahrer scheint Tempo 50 oft nur eine Empfehlung zu sein, wer 50 fährt wird angehupt. Ist es nicht zu einseitig, sich auf das Fehlverhalten der Radfahrenden zu fokussierten? Wie wäre es statt dessen, wie in Paris an Kreuzungen für den Radverkehr versuchsweise das Fahren bei Rot zu erlauben?

Nun, solche Versuche lässt die STVO eindeutig nicht zu, zudem wurden mit dem Rechtsabbiegen bei Rot (mit grünem Blechpfeil) in Berlin teilweise schlechte Erfahrungen gemacht. Aber wir wollen an anderen Stellen beispielsweise mit der »Grünen Welle« für den Radverkehr experimentieren. Wir konzentrieren uns auch nicht nur auf die Radfahrenden. In der Kampagne ist ein wichtiger Aspekt, dass die meisten Radverkehrsanlagen neben der Fahrbahn nicht mehr benutzungspflichtig sind. Autofahrer kennen diese wichtige Weiterentwicklung häufig nicht. Dadurch dass Radler normalerweise auf der Fahrbahn sind, werden sie sichtbarer und dadurch sicherer und es wird klar, dass sie vollwertige Verkehrsteilnehmer sind.

Sie haben es mehrfach angedeutet: Man muss in Zukunft damit rechnen, dass es zunehmend Konflikte um Platz geben wird. Wer sind diesbezüglich die klassischen Gegner des Radverkehrs?

Das sind die klassischen Automobilverbände, die kurz gefasst sagen »Der Straßenraum ist gut, so wie er ist.« Denn es ist ja in Berlin und auch in anderen Großstädten so: Der Autoverkehr leistet etwa ein Drittel des Verkehrs, braucht aber zwei Drittel des öffentlichen Verkehrsraums. Das passt nicht zusammen und zeigt das Problem. Man muss die Verteilung von Straßenraum schrittweise dem Modal Split annähern. Das führt zu weniger Parkflächen und Fahrspuren und zu mehr Platz für Bus und Fahrrad. Diese Veränderungen schaffen mittlerweile erheblichen Unmut bei den Interessenvertretern, die nur das Verkehrsmittel Auto im Auge haben. In Berlin sind sehr viele und zunehmend mehr Menschen »multimodal« unterwegs. Diese Menschen erwarten eine hohe Stadtqualität mit einer ausgewogenen Verkehrsmittel-Mischung.//

31. März 2012 von Wasilis von Rauch
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