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Aus- und Fortbildung - Handelswirt/-in

Die Ausbildung für Führungspositionen

Dem Fahrradfachhandel fehlen Fachkräfte auf allen Ebenen. Wer Führungspositionen besetzen möchte, sollte sich die Ausbildung und die Fortbildung zum/r Handelsfachwirt/-in genauer ansehen.

Handelsfachwirte und Handelsfachwirtinnen planen, koordinieren, steuern und kontrollieren handelsspezifische Geschäftsprozesse, vor allem in den betrieblichen Funktionsbereichen Ein- und Verkauf, Marketing und Vertrieb, Logistik oder Personal«, heißt es auf dem »Berufenet«-Portal, das der Agentur für Arbeit angeschlossen ist. Es sind also anspruchsvolle Aufgaben, die Handelsfachwirtinnen und -fachwirte übernehmen.
»Geprüfte/r Handelsfachwirt/-in« kann man über zwei Wege werden: Entweder über eine »doppelt qualifizierende Erstausbildung«, auch Abiturientenprogramm genannt, oder über eine Fortbildung nach Abschluss einer dreijährigen kaufmännischen Erstausbildung im Handel und einer einjährigen Praxisphase. Ausgebildete Verkäuferinnen und Verkäufer müssen eine zweijährige Berufspraxis vorweisen, bevor sie zur Fortbildung antreten können. Auch Studienabbrecherinnen und -abbrecher mit mindestens 90 ECTS-Punkten in einem betriebswirtschaftlichen Studium und einer zweijährigen Berufspraxis können sich fortbilden lassen. Alle anderen brauchen eine fünfjährige einschlägige Praxiserfahrung.

Abiturientenprogramm

Das Abiturientenprogramm richtet sich – wie der Name schon sagt – an Abiturientinnen und Abiturienten, aber auch an Bewerberinnen und Bewerber mit Fachabitur. Neben den formalen Zugangsbedingungen sind ein guter Gesamtnotendurchschnitt sowie sehr gute Noten in Deutsch, Englisch und Mathematik hilfreich, ebenso wie ein ausgeprägtes Organisations- und Kommunikationstalent, sorgfältiges Arbeiten und kaufmännisches Denken.
Das Abiturientenprogramm heißt auch »doppelt qualifizierende Erstausbildung«, weil es die Ausbildung »Kaufmann/-frau im Einzelhandel« mit der Fortbildung »Handels-fachwirt/-in« verknüpft. Sieht man genau hin, könnte das Programm auch »dreifach qualifizierende Erstausbildung« heißen, denn nach erfolgreichem Abschluss aller Prüfungen hat man auch den schriftlichen Teil des Ausbilderscheins (AdA-Schein) in der Tasche. Interessant ist auch: »Während der doppelt qualifizierenden Ausbildung erhält der Auszubildende seine tariflich geregelte Ausbildungsvergütung«, erklärt Uwe Neugebauer, der beim Bundesinstitut für berufliche Weiterbildung (BiBB) für kaufmännische Berufe zuständig ist.

Stefan Würdinger, einer der Geschäftsführer bei »Zweirad Würdinger« mit Filialen in den bayerischen Städten Vilshofen, Passau und Plattling, verfolgt in seinem Familienunternehmen seit über zehn Jahren das Abiturientenprogramm. Anfangs bewarben sich dafür ein bis drei Kandidatinnen oder Kandidaten, später wurden es sogar fünf bis sechs. »Seit zwei Jahren gingen leider keine Bewerbungen mehr bei uns ein, was sehr schade ist, da wir sehr gute Erfahrungen mit diesem Programm gemacht haben.« Auch Julia Maikranz, bei »Radhaus Ingolstadt« verantwortlich für die Personalabteilung, setzt auf diese Form der Nachwuchsförderung, die sie ebenfalls schon seit einigen Jahren anbieten: »Das Abiturientenprogramm ist bei uns im Betrieb nicht der Schwerpunkt im Bereich Ausbildung, aber dennoch sehr erfolgreich.«
»Die Dauer des Programms ist unterschiedlich geregelt«, erklärt Uwe Neugebauer vom BiBB. Im Regelfall werden drei Jahre dafür veranschlagt, manche schließen es aber auch schon nach zwei oder erst nach vier Jahren ab. Die einen absolvieren dabei die duale Ausbildung »Kaufmann/-frau im Einzelhandel« in der Berufsschule und im Ausbildungsbetrieb und erwerben die Zusatzqualifikation »Handelsfachwirt/-in« bei einer externen Bildungseinrichtung.
»Zweirad Würdinger« geht einen anderen Weg: Dort arbeitet man während des kompletten Programms mit der »Akademie Handel« in Regensburg zusammen. »Unsere angehenden Handelsfachwirtinnen und -fachwirte besuchen also keine Berufsschule, sondern ausschließlich die Akademie Handel. Die Prüfungen zu den drei Abschlüssen legen sie allerdings bei der Industrie- und Handelskammer ab.« Pro Jahr finden drei Theoriephasen im Blockunterricht über drei bis vier Wochen bei der Akademie statt. »Diese Vorlesungsphasen sind schon sehr kompakt und verlangen eine gute Organisation und ausgeprägte Disziplin«, hebt Würdinger hervor. Die restliche Zeit im Jahr verbringen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb. »Dort durchlaufen sie alle Abteilungen und nach einigen Monaten kristallisieren sich die Schwerpunktthemen heraus, in denen sie sich am wohlsten fühlen.«

»Wir verstehen beide Varianten – Aus- und Forbildung – als Invest im Zeichen einer strategischen Nachwuchs-förderung.«

Stefan Würdinger, Geschäftsführer bei »Zweirad Würdinger«

Julia Maikranz vom »Radhaus Ingolstadt«, das als »Arbeitgeber der Zukunft 2025« ausgezeichnet wurde, setzt auch auf die Akademie Handel. »Allerdings müssen die Trainees auch viel Eigeninitiative für die Unterrichtsvorbereitung aufbringen und gegebenenfalls selbstständig eventuelle Wissenslücken schließen. Die Auswahl geeigneter Abiturienten ist hier enorm wichtig. Nicht alle erfüllen die notwendigen Voraussetzungen. Wir bieten jedem unserer Azubis an, sich bei Fragen an uns zu wenden, organisieren gegebenenfalls auch Nachhilfe.« Anderswo übernehmen die Bildungszentren der Industrie- und Handelskammer (IHK) oder freie Weiterbildungsträger die theoretische Unterweisung (vgl. bibb.de/ausbildungplus/de/index.php). »Doch ist die Teilnahme an den Lehrgängen nicht zwingend erforderlich. Die Prüfungen müssen allerdings durch eine IHK erfolgen«, informiert Uwe Neugebauer. Im europäischen und deutschen Qualifikationsrahmen (EQR/DQR) wird der Abschluss dann wie der Meisterabschluss der Stufe 6 zugeordnet und entspricht damit dem Kompetenzniveau eines Bachelorabschlusses.
Nach seinem Verbesserungswunsch bezüglich der Lehrgänge gefragt, sagt Stefan Würdinger: »Heute werden die Kurse leider zunehmend nur noch online angeboten. Das sollte nicht überhandnehmen, denn beispielsweise Rückfragen zum Lehrinhalt werden in Präsenzform viel leichter gestellt. Online lässt auch die Konzentration schneller nach. Zuletzt lebt ja der Handel vom Gespräch, dann sollte das auch in der Ausbildung Vorrang haben.«

Fortbildung

Neben dem Abiturientenprogramm bietet »Zweirad Würdinger« auch die zweite Variante an, die zum/r Handelsfachwirt/-in führt: die berufliche Fortbildung. »Diese Variante wird aber seltener genutzt, da sie sehr ambitioniert ist: Neben dem beruflichen Alltag folgt danach noch die Abendschule.« Manche lassen sich deshalb auch freistellen. »Der Vorteil dieser Variante ist, dass sie sich an alle – also nicht nur an Abiturientinnen und Abiturienten – richtet. Das bedeutet auch, dass meist alle Handelsfachwirtinnen und -wirte nach bestandener Prüfung unserem Unternehmen treu bleiben. Sie wandern nicht in die Universitäten ab, denn sie kommen aus dem Handel und möchten auch im Handel bleiben.« Zum Vergleich: Die Übernahmequote beim Abiturientenprogramm liegt bei »Zweirad Würdinger« bei 60 bis 70 Prozent, ist also niedriger als bei der Variante der beruflichen Fortbildung, »wobei die Abgänge dem geschuldet sind, dass einige nach dem Abiturientenprogramm doch noch studieren möchten oder in die Industrie gehen«, so Stefan Würdinger.
Die berufsbegleitende Version unterstützt auch das »Radhaus Ingolstadt«. Sie sei in der Regel mit einer Teilzeitregelung für die Mitarbeiter verbunden, erzählt Julia Maikranz aus ihrer Praxis. »Sie bietet eine gute Alternative zum Studium und bringt für künftige Team- und Abteilungsleiter oder ähnliche Positionen einen echten Mehrwert, zumindest für uns als stationärer Einzelhandel. Bei diesem Aspekt spielt es aber kaum eine Rolle, ob der Handelsfachwirt im Abiturientenprogramm oder im Nachgang gemacht wird. Die Ausgestaltung der Teilzeit ist relativ individuell und abhängig von der Kursform, die der Mitarbeiter wählt.« Uwe Neugebauer verweist hier auf die Studiengangsformen, die beispielsweise die Akademie Handel anbietet: Abend-, Frühaufsteher-, Intensiv-, Intervall-, Samstags-, Sonntags- und Vollzeitstudium.

Finanzierung

Bei der Finanzierung der Aus- oder Fortbildung kommen manche an ihre Grenzen. Glück haben die, die bei »Zweirad Würdinger« arbeiten. Dort werden die Kosten für das Abiturientenprogamm und für die berufliche Fortbildung zu 100 Prozent übernommen. Alle anderen sollten sich mit den Aufstiegs-BAföG-Bedingungen befassen, das vom Bund und den Ländern unterstützt wird. 50 Prozent der Fortbildungskosten, des Materials und der Prüfungsgebühren werden damit gefördert. Es ist alters-, einkommens- und vermögensunabhängig und muss nicht zurückgezahlt werden. Bei Vollzeitfortbildungen kann zudem eine einkommensabhängige Förderung des Unterhalts beantragt werden. Ein zinsgünstiges Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schließt teilweise die Lücke zwischen Aufstiegs-BAföG und tatsächlichen Kosten. Nach erfolgreichem Abschluss ist ein Darlehenserlass in Höhe von 50 Prozent möglich, sodass insgesamt eine Bezuschussung von rund 75 Prozent möglich ist.
»Radhaus Ingolstadt« setzt auf die Aufstiegs-BAföG-Möglichkeiten, »weshalb eine finanzielle Förderung durch uns meist nicht notwendig ist. Falls doch, hat die Geschäftsführung auch hier eine für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter passende Lösung. Wir helfen im Rahmen unserer Möglichkeiten auch bei Fragen im Zusammenhang mit der Beantragung des Aufstiegs-BAföGs, zu Auswirkungen auf die Sozialversicherungen oder das Kindergeld. Wir holen Infos ein, füllen entsprechende Anträge aus und weisen gerade die Mitarbeiter am Ende der Ausbildung zum Beispiel auf die bayerische Begabtenförderung hin. Wir versuchen also aktiv, unsere Mitarbeiter zum Vorwärtsgehen zu motivieren. So haben unsere Handelsfachwirte wie all unsere Azubis die Möglichkeit, sich für gute Zwischenergebnisse Zeugnisgeld zu sichern. Eine bestandene Prüfung – auch eine Zwischenprüfung wie zum Beispiel für den AdA-Schein – bringt bei entsprechender Note bis zu 1000 Euro extra ein. Ein kleiner Anreiz, um motiviert zu bleiben.«

Und nach dem Abschluss?

Nach Abschluss des Abiturientenprogramms oder der beruflichen Fortbildung steigen die Absolventinnen und Absolventen in aller Regel auf der Karriereleiter nach oben und übernehmen Leitungs- beziehungsweise Führungsaufgaben. Stefan Würdinger schätzt diese Vorteile des Abschlusses sehr: »Die Schlüsselpositionen in unseren Betrieben – wie zum Beispiel die E-Commerce-, Verkaufs- und Filialleitung – sind alle mit ehemaligen Teilnehmenden des Abiturientenprogramms besetzt.« Julia Maikranz aus Ingolstadt möchte Händlerinnen und Händler aber auch folgenden Rat mit auf den Weg geben, bevor sie eine entsprechende Stellenanzeige lancieren: »Auch wenn die Befähigung da ist, ist es nicht immer sinnvoll, einen Handelsfachwirt anzubieten. Es muss im Anschluss an die Aus- oder Fortbildung im Betrieb eine Perspektive vorhanden sein, sonst verliert man diesen Mitarbeiter relativ schnell wieder. Der Absolvent ist durch die gute schulische und – in unserem Fall – vielseitige betriebliche Bildung auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt.«
Trotz dieser berechtigten Bedenken setzen Julia Maikranz und Stefan Würdinger auf das Berufsbild Handelsfachwirt/-in. Stefan Würdinger, der es sehr bedauert, dass derzeit keine Bewerbungen dafür mehr bei ihm eingehen, plant deshalb auch, »es auf Jobmessen oder bei Projekttagen zur Berufsorientierung in Schulen wieder bekannter zu machen.« //

3. September 2024 von Dorothea Weniger
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