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Hase sorgte für den Hingucker schlechthin - Foto: Georg Bleicher
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Spezialradmesse in Germersheim:

Die Monster der neuen Mobilität

Wie immer und doch anders: Die speziellste Radmesse Deutschlands bleibt sich treu – und liefert seriöse technische Weiterentwicklung wie wahrhaft gewaltiges Neues. Für Letzteres war am Wochenende der findige Entwickler und Chef des Unternehmens

Hase sorgte für den Hingucker schlechthin - Foto: Georg BleicherIrgendwie schnufflig - die Frontpartie des DijkerLinear-Antrieb - das besondere Innenleben des DijkerFahrradmobil auf vier Rädern - QuadveloMö weckt Emotionen mit dieser FrontpartieLiege-Taxi aus der Feder von Sergio Gomez von Zox BikesExtreme Kletterfähigkeiten verspricht das Ascendu aus Spanien.Wolf & Wolf stellten den Alpentourer AT2 vorDie Radkutsche von Stefan Rickmeyer

Hase Bikes zuständig: Seine Spezialradschmiede feiert 2019 ihren 25. Geburtstag und das war für ihn, sicher einer der kreativsten Köpfe der Branche, Grund genug, einmal was ganz anderes zu machen: Das „Beest“. Nichts weniger als die feingliedrige Mechanik von sechs roten Spinnenbeinen je Seite ersetzten die Laufräder. In der Mitte, zwischen den meterhohen Beinen des Monsters, sitzt der Fahrer auf einem Liegerad-Sitz und tritt ganz gewöhnlich in die Pedale eines Trikes. Das Beest kann fast im Stand drehen und schreitet tatsächlich geradezu majestätisch elegant die Reihen der begeisterten Zuschauer ab. Das Ganze wurde als skurrile Nervenkitzel-Show sehr publikumswirksam vom Hase Bikes-Team inszeniert. Den Beest-Bändiger mimte dabei der bekannte Schauspieler Waldemar Kobus, der um Punkt 12.00 Uhr das laut fauchende Beest aus seiner tatsächlich rauchenden Kiste holte. Zu ihn gesellte sich nach kurzem auch noch das Muttertier mit Marec Hase selbst als „Fahrer“: mit gut zwei Meter hohen Spinnenbeinen und Dank der Basis des Tandem Pino auch noch Mitfahrer-tauglich. Kein Gerät, das man irgendwann kaufen kann, aber eine grandiose Demonstration von auch heute noch faszinierender Ingenieurskunst aus 140 Metern Stahlrohr und 700 Kugellagern.

Von 12 Beinen auf drei Räder

Die Art, sich fortzubewegen erhielt aber auch im zahmen Bereich der Messe eine neue Variation: Es gibt einen kleinen Trend zu Vierrädern. Dabei geht es weniger um klassische Velomobile – davon war mit 30 verschiedenen Rädern ein Spezi-Rekord zu vermelden – sondern um praxisnähere Gefährte für die urbane Mittelstrecke wie das Dijker von Peter Paul van der Ven. Jahrzehntelang hat dieser an dem Konzept gearbeitet, das nächstes Jahr in Serie gehen soll. Der größte Unterschied zu allen Fahrrädern: Der Dijker hat einen Linear-Antrieb, der laut van der Ven eine deutlich effizientere Kraftübertragung erlaubt als ein normales Pedalsystem. Die „Pedale“ des Antriebs gleiten auf Schienen im dünnen Sandwich-Fahrzeugboden aus Carbon nach vorne und zurück. Beim Vordrücken treiben sie über Riemen im Boden und Riemenräder die beiden Hinterräder an, beim Zurückziehen werden diese Riemen wieder aufgewickelt. Je nach Winkelstellung des Pedals lässt sich die Übersetzung variieren, sodass auch kleine Gänge für Steigungen möglich sind. Dabei ist der Fahrer flexibel: Ob man die Trittbretter gleichzeitig oder abwechselnd wie beim Pedalieren nach vorn tritt, ist egal. Die beiden Vorderräder werden über ein kleines Lenkrad gesteuert. Das Ganze erhält eine schmale, niedrige Haube und ein Hinterteil mit Kofferraum. Durch die hohe Effizienz soll der Dijker auch ohne Unterstützung fast so schnell wie flotte Velomobile zu fahren sein. Die lange Entwicklungszeit und das teuer zu verarbeitende Material führen dazu, dass der Einstieg in die Dijker-Klasse bei etwa 16.000 Euro liegen soll – auch in einer Raritäten-Nische ein stolzer Preis.

Aus drei mach vier

Vier Räder hat auch das Quadvelo, noch als Ecvelo gelabelt, das Peter Smets von Eurocircuits ( www.eurocircuits.com ) vorstellte. Das ist eigentlich ein Unternehmen, das Leiterplatten herstellt. Schon vor einigen Jahren stellte es das vollverkleidete, dreirädirge Ecvelo vor, das auf einem klassischen Trike-Rahmen von Azub basierte. Die jetzt gewählte Vierradbauweise bot sich aber für ein Alltagsgefährt vor allem für mehr Kippsicherheit an – zwei zweispurige Achsen bieten davon mehr als die Dreispur-Kombi beim Trike. Und „das klassische Velomobil hat auch ein Komfort-Problem“, sagt Smets, „es ist zu eng, der Einstieg unbequem.“ Das kann man dem Quadvelo nicht vorwerfen: In den irgendwie freundlich schauenden Prototyen steigen auf der Spezi auch ältere Menschen gern zum Testfahren ein. Die Karosserie in Monocoque-Bauweise ist seitlich offen, gelenkt wird das etwa 80 Zentimeter breite Gefährt wie ein klassisches Trike: Mit Untenlenker. Wichtig war den Machern auch ein großer Kofferraum – ins Quadvelo passt ein Familien-Einkauf hinter den Sitz. Es soll aber auch eine Version für den Kindertransport geben. Einzelheiten zur Ausstattung gibt es noch nicht.

Emotional auf drei Rädern

Das Mö von Evovelo ( www.evovelo.com ) versucht dasselbe mit drei Rädern und besticht auch mit emotionalem Design. Das zweisitzige Rad mit geschwungener Karosserie und abnehmbaren Türen kann als Pedelec bis 45 Stundenkilometer bestellt werden. Das Hinterrad wird per Pedalkraft und Heckmotor angetrieben, wahlweise können eine oder zwei Personen mitpedalieren. Drei Gänge und fünf Unterstützungsstufen sollen das 95 Kilogramm schwere Gefährt (220 Kilo Zuladung) zusammen mit dem Heckmotor von QS-Motor aus China haben. Der Clou: Auf dem Dach sorgt ein Solarmodul für automatisches Nachladen. Bei optimalen Verhältnissen muss bei einer täglichen (Arbeits-)Strecke von bis zu 20 Kilometern nicht an der Steckdose nachgeladen werden; bis zu 70 Kilometer Reichweite verspricht man mit 1,2 Kilowattstunden Kapazität.
Der Einstiegspreis des vollgefederten Unikums mit den freundlichen Frontleuchten soll bei 6.300 Euro liegen – als Bausatz gibt man um die 5.000 Euro aus.

Keep it simple!

Es geht aber auch eine Nummer kleiner und weniger komplex – das Gestaltungsprinzip, das Sergio Gomez von Zox-Bikes seit Jahren bevorzugt. Er stellte ein Liege-Taxi/Lastentrike mit seinem bekannten Vorderradantrieb vor. Der Hauptrahmen in seiner 20-Zoll-Variante wird verlängert, hinter dem Sitz beginnt ein etwa 50 Zentimeter breites und 90 Zentimeter langes Aluminium-Riffelblech, das Ladung oder einen zusätzlichen Zox-Liegesitz aufnehmen kann. Wahlweise kann das Rad auch mit Wanne ausgestattet werden. Durch die 20-Zöller ist der Schwerpunkt angenehm tief, das Rad damit – vor allem mit Passagier – recht kippsicher. Auch ohne Unterstützung lässt sich ein Kind ohne große Kraftanstrengung auf dem 22 Kilo schweren Lastenrad ohne große Anstrengung angenehm transportieren.

Radkutsche

Für mehr Kinder – bis zu acht – braucht es dann etwas wie die Radkutsche: Der bekannte Schwerlast-Schmied baut seit 15 Jahren Lastenräder und zeigte auf der Spezi eines seiner Musketier-Räder mit Kindertransporter-Aufbau. Quasi eine Kiste mit schrägen Wänden (Sitzlehnen) und Sitzbänken für die kleinen. Acht Dreipunktgurte halten die junge Ladung sicher fest. Das Ganze wirkt in seinem hellgrünen/holzfarbenem Finish wie aus einem Guss. Im Vorderrad sitzt ein Isi-Motor zur Unterstützung, welche die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter der Kita sicher gern in Anspruch nimmt.
Immer interessanter werden öffentliche Auftraggeber für die Radkutsche, erzählt Geschäftsführer Stefan Rickmeyer. Bauhöfe und andere Stellen „rufen aus dem Nichts heraus an“, erzählt er „und bestellen zum Beispiel „Caretaker“, also Lastenräder mit Aufbauten für die Straßenreinigung. Sie setzen das Rad dann bis zu 25.000 Kilometer im Jahr ein – eine Strecke, die übrigens mit anderen Motoren meist nicht zu machen ist, meint Rickmeyer. „Die Leute wollen, dass ihre Mitarbeiter umsteigen auf das Rad“, erklärt er. Es gibt sie also doch, die vielbeschworene Verkehrswende?

Longtail auf small: „Geschickt“ und günstig

Man kann damit ja auch klein anfangen – zum Beispiel mit dem neuen Modell von Bicicapace – dem „geschickten Fahrrad“. Schon vor vier Jahren hat der Italiener Francesco Lombardi sein Classic vorgestellt: Ein Lastenrad ganz im Stil des Hollandrads – aber mit einem großen Gepäckträger und einer maßgeschneiderten Transportbox oder Korb. Dann kam die Langversion, und jetzt gibt es sie in der Sportversion: Ein Longtail, das dank Zwanzigzöller wenig länger ist als ein Normales 28-Zoll-Citybike und entsprechend wendig läuft, aber jede Menge Frachtgut aufnehmen kann – oder, wie auf der Spezi, zwei Kindersitze. Durch die eher sportlich gehaltene Geometrie und Sitzposition soll das auch den Vätern Lust machen, die Kinder von der Kita abzuholen. An den Kettenstreben sind Trittbretter befestigt, die Kids steigen darüber tatsächlich ohne Anweisung problemlos auf den Träger und in die Sitze. Der breite Ständer – vom italienischen Kollegen Vespa bezogen – hält das Rad im Stand sehr sicher. Basis des Rads ist ein Columbus-Stahlrohr, was laut Lombardi zusammen mit den 50 Millimeter breiten Schwalbe-Reifen zum Komfort beitragen soll. Der tiefe Schwerpunkt sorgt dafür, dass das Rad auch voll beladen leicht zu handeln bleibt. Mit 3-fach-Nabe von Shimano soll das Bicicapace Just Long Sport ab günstigen 1.500 Euro kosten.

Per Lieger über die Alpen

Es gibt sie auch noch nach der Paradigmenwende hin zum Mehrspurer: die einspurigen Liegeräder. Man muss sie allerdings suchen. In Halle Eins fand man – wie seit fünf Jahren – das Schweizer Unternehmen Wolf & Wolf ( www.wolfundwolf.ch ). Es baut den klassischen, sportlichen Kurzlieger mit modernen Features. Vorgestellt wurde der Alpentourer AT2 – eine umfangreiche Weiterentwicklung.
Auf den ersten Blick auffällig: Das Sitzgestell ist Teil des Rahmens. Das bringt einerseits sportliche Stabilität, andererseits aber die Notwendigkeit mit sich, das Rad in drei Größen zu bauen. Um die jeweils richtige zu finden, entwickelten die Wölfe gleich ein Maßliegerad mit, das auf der Spezi rege genutzt wurde. Federelemente hat das Rad nicht, deren Aufgaben übernehmen die Netzsitz-Elastizität und die breiten Reifen. Das Vorderrad sitzt in einer selbst entwickelten Einarm-Schwinge. Sie ist, wie auch der Rahmen, aus 25CroMo4-Stahl. Der grundlegende Unterschied zum Alu-Rahmen der ersten Ausgabe. Das Gewicht wird auch mit einem Carbonvorbau und -Auslieger gering gehalten: Mit der neuen 1x12 XTR-Schaltung von Shimano und Tubeless-Reifen soll das Rad um die 12,5 Kilogramm wiegen – 1,5 Kilogramm weniger als das Modell AT1. Schön machen das Rad auch die innen verlegten Züge. Die aufwendige Herstellung und die kleinen Stückzahlen heben den Preis auf 6.500 Euro.

Extrembergsteiger

Der Spanier Gonzalo Garcia-Atance Fatjo stellte ein besonderes MTB vor: Das Ascendu ist ein Rad mit extremen Kletterfähigkeiten. Zum einen fördert die Länge des stattlichen Hinterbaus (Radstand um 1500 Millimeter – ein Rennrad hat etwa 1000 Millimeter) diese Eigenschaft, zum andern hat es zwei mit langhubigen Federgabeln bewehrte Vorderräder nebeneinander. Der Abstand zwischen ihnen beträgt etwa einen halben Meter. Das soll verhindern, dass man mit dem Rad bei sehr langsamer Fahrt am Berg die die Balance verliert. Damit das Rad auch auf schiefem Untergrund immer aufrecht stehen kann, müssen die beiden Gabeln aber auf unterschiedlichen Niveaus aufrecht stehen. Dazu verbindet eine aufwendige Parallelogramm-Konstruktion die beiden. So steht dann ein Laufrad tiefer, eines höher, das Fahrrad aber aufrecht.
Um mit aktivem Körpereinsatz die Balance zu halten, hat das Rad nun neben dem eigentlichen, sehr hoch angebrachten Lenker je einen Griff an den Außenholmen der Gabel: Mit etwas Krafteinsatz gelingt es, das Fahrrad sogar im Stehen ganz ohne Vorwärtsbewegung aufrecht zu halten, indem man an diesen Griffen steuert und dabei zieht bzw. drückt.

Das Gewicht von über 30 Kilogramm irritiert sicher auf der Straße; wer sich wer allerdings unter ascendubikes.com die Kletterfähigkeiten des Rads ansieht, ist durchaus beeindruckt. Ein mittlerer fünfstelliger Euro-Betrag wird für das Bike fällig.

Leicht angestaubt, aber guter Stimmung

Die Spezialradmesse, in ihrer 24. Ausgabe bei 130 Ausstellern angelangt, konnte auch sich auch dieses Jahr wieder über etwa 10.000 Besucher freuen. Eine Zahl, die, glaubt man den Machern, seit gut 10 Jahren in etwa gehalten wird. Das ist dieses Jahr insofern besonders erfreulich, da das Wetter so gar nicht mitspielen wollte – bei einem Event, bei dem für viele Besucher ein Fokus auf dem Testparcours liegt, keine gute Voraussetzung. Doch pünktlich Samstag um 10.00 Uhr waren die Hallen voll, und auch bei den das ganze Wochenende ständig wiederkehrenden Schauern und den kalten Temperaturen war der Außenbereich nie leer. Die Spezi hat eine eingeschworene, treue Fangemeinde, das weiß man auch beim Veranstalter zu schätzen. Hier ist man quasi zuhause unter Freunden. Wer neu dazukommt, ist erstaunt über die gelassene Atmosphäre und den immer noch recht familiären Charme der Messe, auch wenn sicher über die Jahre etwas vom ursprünglichen Elan der Aufbruchszeit verloren gegangen ist.

Die Besucher nutzten den kleinen Spezialrad-Testtrack rund um den zentralen Busbahnhof und testeten E-Bikes auf den Steigungsstrecken im Stadtpark, wo man auch ganz „normale“ E-Trekkingräder testfahren konnte. Ein besonderer Programmpunkt war der Wettbewerb um die zukunftsträchtigste Innovation, bei dem ein Wasserstoff-Antriebssystem für Pedelecs den zweiten Platz belegte (velobiz.de berichtete) . Auch damit wurde die Spezi wieder einmal ihrem Ruf als Ideenschmiede gerecht. Gefehlt hat höchstens ein Publikums- und Mitmachspektakel wie die früheren Trike- oder Cargobike-Rennen. Vielleicht zur Vierteljahrhundert-Jubiläumsmesse 2020?

30. April 2019 von Georg Bleicher

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