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Report - High-End-Produkte

Die Performance-Nische

Europäische Spezialisten bauen Carbon-Teile für die anspruchsvollsten Kunden im Markt. Was dahintersteckt und was diese Spezialisten für Radhändler spannend macht.

Es war ein Sonntagnachmittag in der Umkleidekabine der Radrennbahn im nordrhein-westfälischen Büttgen. »Komm mal mit«, sagte der gestandene Radrennfahrer und Material-Experte Lars Teutenberg, »mach mal die Augen zu!« Dann kramt er etwas aus einer Sporttasche hervor, drückt es dem Autor in die rechte Hand. Was das sein könnte, fragt Teutenberg. Beim Öffnen der Augen ist der Autor erstaunt: Er hat eine Rennradnabe in der Hand – aber sie ist so viel leichter, als er es für diese Art Teil in Erinnerung hat. Teutenberg fängt an zu schwärmen. Die Nabe, die er hier zeigt, ist Bestandteil eines neuen Laufrad-Satzes, für dessen Hersteller er seit Kurzem arbeitet. Als er diese kleine Demonstration macht, ist das fertige Produkt noch nicht auf dem Markt. Ein paar Monate später geht sein Arbeitgeber Scope mit dem Laufrad-Satz »Artech« an die Fachpresse. Weniger als ein Kilo wiegt die fertige Kombi aus Carbon, der Nabensatz etwas mehr als 200 Gramm, das Design wirkt spektakulär – und der Preis ebenfalls: Knapp 4000 Euro kostet das Performance-Produkt des niederländischen Nischenanbieters.
Das Business der sportlichen Räder ist von jeher ein Spielfeld der hochschießenden Versprechungen, des blühenden Marketings und auch der Ingenieurskunst, die sich in minimalen Änderungen, aber auch erheblichen Performance-Gewinnen niederschlägt. Klar kaufen die meisten Kundinnen und Kunden Fahrräder, wie sie von den großen Herstellern zusammengefügt wurden, klar dominiert das Thema OEM den Markt. Doch wenn es besonders sportlich wird, technisch anspruchsvoll und auch um den Imagegewinn der Kundschaft geht, bietet sich in der Nische noch einiges an Raum für Spezialisten. Das ist ein Thema, mit dem sich auch Händler schmücken können: mit Komponentenherstellern, über die sie mit Kunden philosophieren, mit Teilen, die Exklusivität demons­trieren.

Viel Leistung zu vernünftigen Preisen

Scope aus den Niederlanden ist eine solche Firma. Nieck Busser und Rik Kusters gründeten das Unternehmen 2013 als Spezialhersteller von handgefertigten Carbon-Laufrädern. »Durch Kontrolle von Entwicklung und Produktion haben wir es geschafft, ein qualitativ sehr hochwertiges Produkt mit sehr starker Performance zu einem sehr vernünftigen Preis auf den Markt zu bringen«, erklärt Nieck Busser. Die Rede ist hier nicht vom neuen Spitzen-Laufradsatz, sondern von den Produkten, die Scope bekannt machten: komplett handgefertigte, leichte und steife Carbon-Laufräder, die im Paar für unter 1000 Euro sehr erschwinglich sind. Das Ergebnis fiel auf.

Besonders edle, leichte, leistungsstarke Produkte beflügeln auf vielen Ebenen die begeisterungsfähige Klientel.

Das Team aus Eindhoven bekam viele Anfragen aus dem Geschäft, entwickelte sogar zusammen mit dem Straßenprofi-Team DSM Laufräder für das technisch besonders anspruchsvolle Zeitfahren. Doch in der Branche hat sich zur gleichen Zeit etwas getan. »Vor etwa drei Jahren sahen wir, dass unsere Laufräder immer mehr zu einer üblichen Handelsware wurden«, erinnert sich Busser. »Also mussten wir uns steigern, um unseren Platz im Markt zu sichern.«
So ging das Team von Scope ins Risiko. Was heute als »Artech«-Serie auf dem Markt ist, begann als unsicheres Forschungsprojekt. »Man weiß nie, ob das, was man erreichen möchte, auch zu erreichen ist«, sagt Busser über das Engineering. Der Ansatz war, eine Kombination aus bestmöglichen Gewichts- und Aerodynamik-Eigenschaften bei Laufrädern zu erreichen. Scope kam an sein Ziel. Das Design der Laufräder ist ungewöhnlich, ein sogenanntes Skalen-Muster bildet das aerodynamische Profil, im Inneren halten die superleichten, bionisch-inspirierten Naben das Produkt zusammen. Nicht nur das Gewicht ist erstaunlich, auch die Art, wie Scope diese Naben baut, ist es: Mit einem Partner aus Deutschland hat man es geschafft, die Naben für die Serienproduktion im 3D-Drucker zu fertigen. »Es ist das erste Mal in der gesamten Fahrradindustrie, dass Massenproduktion im 3D-Drucker geschieht«, behauptet Nieck Busser. Die Laufräder wiederum entstehen mit ihrem auffälligen, aerodynamischen Design in einem sehr arbeitsaufwendigen Prozess. »Die Produktionskosten sind signifikant höher als bei dem, was unsere Konkurrenz macht«, analysiert Mitgründer Busser.
Mit »Artech« hat Scope nun eine Serie auf dem Markt, die den elitären Anspruch des Unternehmens verkörpert. »Das Produkt ist etwas für den reinen High-End-Markt, für kritische Kunden, die für etwas Einzigartiges auch bezahlen wollen«, sagt Busser. Um damit erfolgreich zu sein, sagt Busser, müsse auch der Rest des Unternehmens entwickelt werden: Service, Marketing, Kommunikation.

»Die Produktions-kosten sind signifikant höher als bei dem, was unsere Konkur-renz macht.«

Nieck Busser, Scope

Nieck Busser ist sicher, dass Händler im Differenzierungsmarkt Performance von seinen Produkten profitieren. »So können die Kunden ihre Hände an den heißen Sachen haben. Der Händler kann diese Produkte ausstellen und sein Spezialisten-Image pflegen«, sagt Busser. Mit einem besonders exklusiven Produkt wachse auch die Wahrnehmung der gesamten Firma, nicht zuletzt auch das Geschäft mit den eher auf Preis-Leistung optimierten Scope-Modellen. In Deutschland arbeitet Scope etwa mit dem Berliner Radanbieter Standert zusammen.

Beratungsintensiv und partnerschaftlich

Ein guter Partner für den Handel sein will auch Schmolke, der Traditionsanbieter von Carbon-Leichtbauteilen vom Bodensee. »Wir sind derzeit auf der Suche nach Händlern, zu denen unsere Produkte gut passen. Hier geht es um gute Beziehungen, bei denen wir herausfinden möchten, was die Händler genau brauchen«, sagt Unternehmensgründer Stefan Schmolke. Zielgruppen für den Handel sieht er in Kunden mit sehr spezifischen Anforderungen an Gewicht und Qualität. Die Produkte seien im Handel recht beratungsintensiv, weswegen sie sich gut für die Nische eignen. Der Carbon-Vordenker erkennt, wie der Aufschwung des Bike-Leasings auch die Bereitschaft bei Kunden befeuere, hochwertigere und individualisierte Räder zu bestellen. »Unsere Kunden wollen sich absetzen«, sagt Schmolke. Er bietet Händlern Ware auf Kommissionsbasis an. Doch er erlebt auch, dass diese Ware »weniger angeboten wird als die andere Ware im Bestand. Verständlich, denn die Händler müssen ja das gebundene Kapital freimachen. Deshalb dauert es für uns im Schnitt länger, bis unsere Produkte dort ihre Kunden gefunden haben.«
Schmolke pflegt seit Langem den Aspekt der Exklusivität. Gleichzeitig erwartet die Firma nicht, dass Händler parallel auf andere Firmen verzichten. Also arbeite man an der eigenen Profilierung. »Schmolke ist als Marke nach wie vor in Gründerhand. Mein Unternehmen steht für die bestmögliche Performance-Qualität. Ich möchte dafür als Gesicht stehen, das entwickele ich derzeit«, sagt Stefan Schmolke. Zugleich werde dies nicht reichen. Ein Aspekt, den Schmolke als zentral ansieht, ist mehr Automatisierung bei Carbon-Teilen. Dies diene der Standortsicherung in Europa ebenso wie der Preisgestaltung und der Qualitätssicherung. Allerdings hat das auch einen Haken: Optisch, sagt Schmolke, erkenne man kaum einen Unterschied zwischen seinen High-End-Laufrädern und denen, die sein Produktionspartner mit mehr Gewicht in anderen Serien fertige. Das erhöhe wiederum den Aufklärungsbedarf.

Die Herstellung von besonders leistungsfähigen Carbon-Produkten ist mit viel Aufwand verbunden, was naturgemäß zu entsprechenden Kosten führt.

Dennoch setzt Schmolke auf Automatisierung und 3D-Druck. Denn er sieht das Geschäft in der High-Performance-Nische unter Druck durch die Konkurrenz aus China. Um darauf vorbereitet zu sein, baut Schmolke nun beispielsweise mit einem koreanischen Partner auch Kompletträder. Und ebenso wie die von Schmolke erworbene Firma THM bietet das Unternehmen vom Bodensee bald Lenker-Vorbau-Einheiten an, um dem fortschreitenden Systemintegrationstrend bei Rennrädern etwas bieten zu können.

Absolute Qualität bei besten Arbeitsbedingungen

Diese Produktgruppe hat man auch in Dresden im Visier. Dort hat Mirko Filler sich mit der Marke Beast einen Namen im Radsport gemacht, nachdem er und seine Partner zuvor in der Entwicklung von Carbon-Teilen für Flugzeuge und Flugtaxis sowie mit ihrer anderen Firma für Medizintechnik wie etwa Rollstühle tätig waren. Mit Wurzeln im Leichtbau-Zentrum Sachsen sieht sich Beast als Vorreiter beim Carbon-Know-how. Bei Beast setzt man nicht auf Marketing. Ein Sponsoring im MTB-Sport hat man aus Kostengründen eingestellt, allerdings ermutigendes Feedback mitgenommen. Das Team sei über die Stabilität der Laufräder erstaunt gewesen, berichtet Filler. Bei den Felgen setze man auf optimiertes Gegenwind-Lenkmoment und halte nicht viel von anderen Aspekten, mit denen Hersteller teilweise ihre Räder vermarkten. Haltbarkeit ist zudem ein wichtiges Versprechen von Beast. »Eine Spezialität unseres Unternehmens sind die Verstärkungen der Carbon-Teile an den Klemmstellen. Dies macht unsere Lenker sehr viel weniger anfällig für Materialschäden. Bei Performance-Einsätzen, wo viel montiert und justiert wird, ist das ein großer Vorteil.«
Aktuell tüftelt man auch in Dresden an neuen Lenker-Vorbau-Einheiten. »Das macht uns auch für Werkstätten spannend«, sagt Filler. »Mit unseren Lenker-Vorbau-Einheiten schaffen wir für die Händler sehr leichte, sehr performante Teile, bei denen sich alle Winkel und Längen leicht anpassen lassen. Außerdem können die Techniker die Bremsleitungen in fünf Sekunden einziehen. Das ist wichtig, wenn es um den Einbau in fremden Rahmen geht.«
Beast ist ein Nischenanbieter, ein Produzent für den Exklusivbereich. »Unsere Händler müssen Kunden haben, die Gravel-Lenker für mehr als 430 Euro kaufen. Das funktioniert nur bei Kundschaft, die sich sehr individuell beraten lässt«, sagt der Gründer. Doch es geht ihm nicht nur um Luxus. Beast bleibt ein Anbieter von Produkten aus Handarbeit, von Ware aus heimischer Produktion. »Wir wollten ein Standbein schaffen, bei dem wir jeden Morgen mit reinem Gewissen aufstehen können. Wir wollten eine Firma, in der jeder der Manager auch für ein paar Tage die Jobs der Mitarbeiter übernehmen könnte, ohne das als Leid zu betrachten. Wir haben sehr viele Missstände in der Branche gesehen. Für mich ist es eine moralische Frage, ein Unternehmen auf andere Art aufzuziehen«, sagt Mirko Filler. Deshalb betont er, dass Beast ein »wirklich deutsches Unternehmen« ist, »das hierzulande produziert. Unsere Produktion folgt nicht dem Gebot der Bequemlichkeit, wir setzen nicht auf billigere Löhne, sondern auf absolute Qualität und sehr gute Arbeitsbedingungen bei uns im Unternehmen.« Es sei dieser Aspekt, der das Performance-Unternehmen Beast besonders macht. Auch wenn Mirko Filler nicht erwartet, dass die Kunden im Radgeschäft überhaupt nach diesen Details der Performance-Produkte fragen. //

21. Mai 2024 von Tim Farin

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