Mode - Urbane Bikewear
Die Radbekleidung für alles
Elf Prozent aller Wege werden in Deutschland derzeit mit dem Fahrrad zurückgelegt, meist zwischen 5 und 10 km pro Strecke, so das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wege, die man mit ganz normalen Alltagsklamotten zurücklegen könnte. Aber warum verschwitzt und mit klatschnass am Körper klebenden Shirt im Büro sitzen, wenn es auch anders geht? Urban Bikewear bietet sich an, die Brücke zwischen sportlicher Funktion und städtischer Optik zu schlagen und findet mit dieser Zielsetzung inzwischen einigen Zuspruch. Stephan Vidic, Geschäftsführer von TP Sports, einer Agentur für Sport- und Modeartikel, die unter anderem Radbekleider Triple2 vertritt, schätzt den Anteil von urbaner Radkleidung am Gesamtmarkt für Bikewear auf rund zehn Prozent, Tendenz steigend: »Zweifellos trägt das E-Bike dazu bei, dass Urban Bikewear für immer mehr Menschen interessant wird«, ist er überzeugt. Angesichts des weiter boomenden Pedelec-Marktes, laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) wurden im Jahr 2019 starke 1,36 Millionen E-Bikes verkauft, im Jahr zuvor waren es 980.000, wächst der Kundenkreis, der andere Ansprüche an Bikewear hat als der typische Radsportler. Auch Nico Thomas von Outdoor-Spezialist Globetrotter in Hamburg hat einen »ganz klaren Kundenbedarf« in puncto Urban Bikewear festgestellt. Insbesondere Fahrradpendler kaufen seiner Beobachtung nach ihre Radbekleidung nach dem Kriterium Optik, das heißt: »Der Anspruch an die Fahrradbekleidung ist inzwischen, dass sie sich nicht nur für das Fahren an sich eignet, sondern auch für den Büroalltag.«
Modisch mit Mehrwert
Genau diesen Anspruch soll Urban Bikewear erfüllen. Bei dieser Gattung handelt es sich per Definition um Radbekleidung, die so modisch und alltagstauglich aussieht, dass man sie auch ins Büro, ins Restaurant oder den Biergarten anziehen bzw. anlassen kann. Gleichzeitig ist sie so durchdacht und funktionell, dass sie beim Commuting, also dem Pendeln mit dem Fahrrad, einen Mehrwert gegenüber normaler Alltagskleidung hat. Features, die sich häufig bei Urban Bikewear finden, sind beispielsweise Reflektoren, Stretch oder zuverlässiger Wetterschutz. Allerdings verpackt in Schnitte und Designs, die ihre Träger nicht so aussehen lassen, als wollten sie damit gleich auf den nächsten Trail.
»Unsere City-Kollektion ist äußerlich sehr reduziert gestaltet, sodass man die Teile in unterschiedlichen Kontexten tragen kann. Die Schnitte sind zudem für den Alltagsgebrauch designt und unterscheiden sich deutlich von unserer Performance-Range«, erklärt zum Beispiel Dirk Kaufmann von Rapha. Das heißt, während im sportlichen Radbekleidungsbereich körpernaher, faltenfreier Sitz entscheidend ist, geht es bei der Urban Bikewear darum, dass das Material an Schultern und Rücken auch mal einen Rucksack verträgt, dass die Hose elastisch genug ist, um beim Treten an den Knien nicht zu spannen oder dass die Regenjacke zuverlässig vor Nässe schützt, aber so geschnitten ist, dass einen auch im Fußballstadion keiner blöd anschaut, weil die Front auf Nabelhöhe endet während sich der Rückenteil bis über den Hintern zieht.
Urban Bikewear ist also legerer geschnitten als sportliche Radbekleidung, weist aber immer noch radspezifische Details auf wie etwas längere und/oder schräg angesetzte Ärmel, einen höheren Hosenbund oder Reflektoren, die erst sichtbar werden, wenn man den Ärmel oder den Hosensaum umkrempelt. Oder, wie Dirk Kaufmann von Rapha es ausdrückt: »Bei Urban Bikewear geht es auch darum, das Lebensgefühl ›Ich bin Teil der Fahrradkultur‹ in den Alltag zu übertragen.«
Das geschieht neben Schnitten und cleveren Details über das Material. Auch hier müssen Kompromisse gefunden werden zwischen dem Alltagsshirt aus Baumwolle und dem hochfunktionellen Sportjersey aus atmungsaktiver Kunstfaser. Eine Option für diesen Kompromiss stellt Merino dar. Die feine Wolle isoliert, ist geruchsneutral und reguliert Temperatur und Feuchtigkeit. Ebenso kommen Mischgewebe zum Einsatz, Hauptsache »das Material verhält sich so, dass man sich auch dann noch wohlfühlt, wenn man ins Schwitzen kommt«, sagt Stephan Vidic von Triple2.
Urban Bikewear ist Radbekleidung, die nicht so aussieht, aber deren Funktion bietet.Stephan VidicTriple2
Komfort hat seinen Preis
Diesen Komfort lassen sich die Kunden auch etwas kosten. »Betrachtet man die Qualität, die nötig ist für Bekleidung, die täglich auf dem Rad im Einsatz ist, muss Urban Bikewear eigentlich hochwertiger und damit teurer sein als sportive Radbekleidung«, erklärt Stephan Vidic. Um konkurrenzfähig zu bleiben, zählt dennoch auch in diesem Segment »ein vernünftiger Preisaufbau«, hat Nico Thomas von Globetrotter festgestellt. Entsprechend gibt es zum Beispiel bei Rapha verschiedene Preissegmente. Für eine Regenjacke kann man hier 120 Euro ausgeben, aber auch über 200 Euro. Anna Rechtern von Vaude bemerkt große Unterschiede, was die Preissensibilität der Zielkunden betrifft, die beim Tettnanger Sportbekleider im Bereich Urban Bikewear sehr unterschiedlich sind. »Wir sprechen alle an. Vom Alltagsradler, der die kurze Strecke zum Sport fährt oder seinen Einkauf erledigt, bis zum Commuter, der mit dem E-Bike täglich Strecken bis zu 20 Kilometer zurücklegt, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen. Junge Menschen, die heutzutage sehr sensibilisiert sind in Bezug auf eine nachhaltige Lebensweise. Ältere Menschen, denen ein E-Bike wieder mehr Mobilität bringt. Allen gemeinsam ist der Wunsch nach komfortabler, funktioneller Bekleidung, die nicht wie sportive Radbekleidung aussieht«, fasst Rechtern zusammen. Das war nicht immer so. Vor zehn Jahren, als Vaude die erste urbane Radbekleidungskollektion entwickelt hat, fand diese nur mäßigen Anklang. Mit dem Umdenken der Menschen in puncto innerstädtischer Mobilität und angesichts fortschreitender Urbanisierung hat sich das jedoch grundlegend geändert.
Glaubwürdigkeit schlägt Smart Clothing
Kein Wunder, dass dieses Segment immer wieder einmal auch branchenfremde Anbieter anlockt. So launchte Jeansexperte Levi’s zum Beispiel 2012 eine »Commuter Series«, die es auf der Firmenwebseite aber bereits nicht mehr gibt. Ein Grund dafür, warum sich klassische Modelabel im Urban-Bikewear-Bereich schwertun, könnte laut Anna Rechtern sein, dass »die Konsumenten Radfahren nicht mit klassischen Modelabels in Verbindung bringen und funktionelle Produkte für das urbane Radfahren nicht dort suchen.« Eine Vermutung, die Dirk Kaufmann teilt. Bei Rapha sind die Hauptabnehmer der Urban-Kollektion Bestandskunden, die die Marke über den Sport kennen- und schätzen gelernt haben und sich auch im Alltag mit ihr identifizieren. »Man braucht in diesem Bereich eine gewisse Kredibilität«, ist Dirk Kaufmann überzeugt. Was man (noch) nicht braucht, sind dagegen smarte Technologien wie Touchpads am Ärmel oder eingebaute Sensoren, die die Vitalfunktionen des Urban Bikers überwachen. »Smart Clothing hört man immer wieder. Wir sehen das auf dem gegenwärtigen Forschungsstand noch nicht, da einfache technische externe Tools so easy und günstig zu tragen sind, dass das (noch) nicht in Bekleidung integrierbar ist«, beschreibt Triple2-Agent Stephan Vidic den Status quo. Vaude-Pressesprecherin Rechtern ergänzt: »Was derzeit gefragt ist, ist Alltagsbekleidung, die nicht in erster Linie wie Radbekleidung aussieht, aber deren Vorzüge bietet.« Und wer nicht ganz auf »smarte Technologien« verzichten mag, kann ja immer noch sein Handy auf den Lenker schnallen und sich zum nächsten Café lotsen lassen. Dank Urban Bikewear ist er dafür schick genug angezogen.
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