Report - Datenlogistik
Die Schnittstelle sei mit dir!
Excel-Tabellen, die den Lagerbestand dokumentieren, per Handeingabe immer wieder ergänzt: Das ist zwar immerhin schon Datenverarbeitung auf Elektronisch, doch was vor 20 Jahren noch State of the Art war, ist heute finsterstes Computer-Mittelalter. Es geht um Geschwindigkeit, um Arbeitsersparnis und Zuverlässigkeit. Insbesondere moderne, auf konkrete Ansprüche hin entwickelte Software kann heute für den Händler wie die Lieferanten Bestellungen und das ganze Drumherum erleichtern. Der Bereich, in dem es papierlos und nahezu ohne Eingreifen der Geschäftspartner läuft, wird immer größer. Für viele Händler ist es heute gang und gäbe, dass in den Warenwirtschaftssystemen Mindestlagermengen festgelegt werden und das System aktiv wird, wenn diese unterschritten werden. Heißt: Sobald ein bestimmter Artikel durch Verkauf die vorher festgelegte Mindestzahl an vorrätigem Bestand unterschreitet, gibt die Software Zeichen, das Produkt nachzubestellen oder fragt direkt beim Lieferanten an. Solche Funktionen sind heute Zukunftsmusik für den einen, Standard für den anderen Händler. Der digitale Entwicklungsstand ist in der Branche derzeit breit. »Bei dieser digitalen Automation geht’s natürlich nicht nur um Zeit«, sagt Dirk Sexauer, Mit-Geschäftsführer der VSF Service GmbH. »Die Fehleranfälligkeit ist beim händischen Übertragen von Daten riesig.« Er hat selbst bis 2008 im Fahrrad-Fachhandel gearbeitet und weiß, wovon er spricht.
Das Ziel: Papierlos werden
Der Schlüssel der Fahrradbranche auf dem Weg zu Null Papier und viel Sicherheit hieß bisher Veloconnect. Ein Schnittstellen-Standard, der über Jahre entwickelt wurde. Zunächst von Ludwig Balke, einem Informatiker, der selbst für den Hersteller des Warenwirtschafts-Systems Veloport arbeitet. Er übernahm 2005 quasi den Auftrag zur Entwicklung einer Schnittstelle für die Kommunikation von Händler und Lieferant von einer Initiative des VSF. Dort hatte man schon 2003 begonnen, sich Gedanken zu machen über die Möglichkeiten, die Online-Bestellung zu erleichtern. Ein erster Schritt ermöglichte, Katalogdaten über Veloconnect zu übermitteln. Der papierlose Lieferschein, der schon 2013 umgesetzt werden sollte, kam damals allerdings noch nicht zustande. Bald wurde Veloconnect in die meisten in der Branche genutzten Warenwirtschaftssysteme integriert. Gleichzeitig sind weitere Schritte bei der Weiterentwicklung der Urversion von Veloconnect ausgeblieben.
Ein Runder Tisch Veloconnect, der von verschiedenen größeren Lieferanten gebildet worden war, sollte deshalb ab 2017 die Arbeit an den digitalen Kommunikationsmöglichkeiten wieder vorantreiben. Der VSF legte ein Konzept vor, das die Entwicklung definiert und die Finanzierung sichert. Schließlich wurden bei einem Treffen von Warenwirtschafts-Anbietern und Veloconnect-Dienstleistern sechs Experten zu einem Gremium gewählt, welche die Entwicklung vorantreiben sollten. Als Zwischenergebnis kündigte der Verbund Service und Fahrrad kürzlich in einer Pressemitteilung Veloconnect 1.3 an (velobiz.de berichtete). Die neue Version der Schnittstelle kann nun auch Belege übermitteln. Angebote, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine (plus Seriennummern auf Artikelebene) sowie Rechnungsdaten können somit über das Warenwirtschaftssystem verschickt werden. Das erleichtert dem Händler wie dem Lieferanten die Arbeit deutlich. »Der händische Abgleich mit dem Papierlieferschein kann vollständig entfallen«, so Sexauer. »Noch wichtiger als früher wird das im Fall von E-Bikes.« Rahmen-, Akku- und Motornummer können jetzt beispielsweise direkt von Veloconnect übertragen und in die Warenwirtschaft des Händlers aufgenommen werden. Anfang 2020 soll Veloconnect zudem um die Möglichkeit zum Dropshipping erweitert werden.
Maximal digital – auf unterschiedlichen Wegen
Derzeit gibt es zwei Weiterentwicklungen von Veloconnect: die angesprochene Version Veloconnect 1.3 und eine des Warenwirtschafts-Herstellers Tridata mit Unterstützung des Einkaufsverbands Bike&Co namens Velo.api. »Bike&Co mit ihrem Streckenpartner Tridata sah sich gezwungen, selbst aktiv zu werden, da die Entwicklung beim VSF-Veloconnect-Gremium nur sehr langsam vor sich ging. Wir liefen sonst Gefahr, dass Lieferanten selbsttätig unterschiedliche Lösungen entwickeln«, erklärt Carsten Büttner von Bike&Co im Gespräch. Jetzt ist bei Tridata also Velo.api in die Warenwirtschaft für den Fachhandel integriert. Sie fußt auf Veloconnect 1.1. und bringt Mehrwerte wie etwa auch den elektronischen Lieferschein. Die Partner-Lieferanten wie Streckenpartner der Bike&Co bekommen die Velo.api-Implementierung über Tridata zu besonderen Konditionen. »Die Rechte zu Velo.api liegen bei Tridata, trotzdem unterstützen wir als Bike&Co die Weiterentwicklung«, erklärt Büttner, der bei Bike&Co auch für die Zusammenarbeit mit HIW, dem Hersteller einer verbandseigenen Warenwirtschaftslösung, zuständig ist. »Schließlich sind die Anforderungen bei allen unseren Streckenpartnern ähnlich, und wir können so bündeln und Lösungen integrieren, die allen nützen. Hat sich der Händler für Tridata entschieden, kann er Velo.api integrieren«, erklärt Büttner. Der Lieferant mit implementiertem Server wiederum kann steuern, wie und welche Daten er herausgeben will, um es dem Händler so einfach wie möglich zu machen.
Die Weiterentwicklung sei auch inhaltlich notwendig gewesen: »Veloconnect liefert im Moment ja immer noch eher eine Artikelbeschreibung«, so Büttner. »Doch die Warenwirtschaft beim Händler wird immer mehr auch für die Präsentation von Produkten genutzt, wenn es durch die Schnittstelle möglich gemacht wird. Als Lieferant kann ich mit Velo.api daher meinem Händler hochwertige Produktdaten zur Verfügung stellen. Wir verkaufen dem Lieferanten ein Veloconnect-Server-Paket. Dabei sind die Leistungen wie die Implementierungs-Unterstützung und Ähnliches wichtig.«
Auch Lars Röttger, Geschäftsführer von RIM und als Bidex-Gesellschafter und Veloconnect-Gremiumsmitglied mit der Entwicklung von Schnittstellen bestens vertraut, sieht Anlass zur Weiterentwicklung. »Es hat sich gezeigt, dass Verkaufsprozesse immer weiter in die digitale Welt verlagert werden, was bedeutet, dass man in der Lage sein muss, das eigene Warenwirtschaftsyssem so aufzusetzen, dass es einen Onlineshop mit Produktdaten versorgen kann.« Das könne nur gelingen, wenn Produkt- und umfassende Verkaufsdaten, einschließlich eventuell vorhandener Produkttests, zuverlässig, stabil und schnell zur Verfügung stehen und verarbeitet werden. Für ihn bedeutet das die Notwendigkeit eines starken Standards. »Wir haben ein Interesse daran, Veloconnect ganz breit zu machen, weil dann die Anbindung der Händler und die Anbindung an Produktdaten viel, viel einfacher durchzusetzen ist.«
In der Praxis selbstverständlich
Lothar Könekamp, Fachhändler und engagiertes VSF-Mitglied, arbeitet mit dem Wirtschaftssystem Radfak und seit es möglich ist »natürlich« auch mit Veloconnect-Server – »weil es blöd wäre, wenn nicht«, meint er lakonisch. »Es geht halt viel schneller und sicherer – ich weiß online schon sofort, was los ist. Die Bestellung wird mit dem Lagerbestand verglichen, dann kann ich den Bestellumfang bei Bedarf nochmals ändern, fertig. Wenn Ware beim Lieferanten mit Veloconnect bestellt wird, brauch ich das später gar nicht mehr zu kontrollieren.« Auf gesonderte Nachfrage meint der Kölner: »Wichtig ist, dass wir bei einem einheitlichen System in der Branche bleiben. Da muss man aufpassen.«
Gibt es ein Windows der Fahrradbranche?
Läuft die Branche Gefahr, derzeit zwei Systeme aufzubauen? »Die Systeme von Velo.api und Veloconnect sind kompatibel und Velo.api wird nicht so weiterentwickelt, dass dies irgendwann nicht mehr der Fall sein könnte«, erklärt Büttner. Velo.api setzt auf Veloconnect 1.1 auf. Wenn zum Beispiel das Warenwirtschaft-Unternehmen Veloport einen Veloconnect-Server 1.3 baut oder eine Schnittstelle eines Lieferanten zertifiziert, können diese mit Velo.api, aber auch mit der klassischen Veloconnect-Schnittstelle zu kommunizieren. So können sich innerhalb der Warenwirtschaften zwar unterschiedliche Standards entwickeln, aber die Zertifizierung verhindere unterschiedliche Veloconnect-Kommunikationsstandards – auch wenn die eine oder andere Warenwirtschaft wie Tridata mit Velo.api darüber hinaus unterschiedliche Features mit sich bringen kann. Doch in Sachen Veloconnect-Kommunikationsebene soll dies keinen Unterschied machen.
Beim VSF sieht man die Weiterentwicklung von Veloconnect als Garant für Chancengleichheit. »Da unser Gremium breit aufgestellt ist, ist das die beste Voraussetzung dafür, dass alle Seiten von einer gemeinsamen Weiterentwicklung profitieren. Wir gewinnen derzeit weitere Lieferanten, um das zu finanzieren, schließlich haben alle etwas davon, wenn der gleiche Standard die Kommunikation reibungsloser und effizienter macht.« Für Lieferanten hat der VSF ein Veloconnect-Entwicklungs-Abo inklusive Zertifikat entwickelt. Im Abo enthalten sind neben der Schnittstelle und der Implementierung auch Leistungen wie ein Vorschlags- und Mitspracherecht bei der Umsetzung zukünftiger Erweiterungen. Der Lieferant unterstützt also die weitere Entwicklung, erhält damit breiten Service und eine Zertifizierung, die »Wildwuchs« vorbeugen soll, wie Sexauer sagt. Derzeit ist man in der Akquise, es werden um die 20 Lieferanten zur Weiterentwicklung gebraucht. Wichtig ist für Sexauer festzustellen: »Veloconnect ist und bleibt ein offener Standard und nicht von irgendeiner Seite zu vereinnahmen. Daher kann man sicher sein, dass eine breite Interessenlage vertreten ist und das System ebenso breit einsetzbar bleibt.«
Wer als Lieferant andererseits Velo.api mit seinen speziellen Features wie zusätzlichen Produktdaten, Auftragsbestätigung direkt ins WWS des Händlers und Lieferschein nutzen will, der muss mit Tridata zusammenarbeiten. Wer bestimmte Funktionen haben will, muss sich auf den entsprechenden Anbieter festlegen. Doch beim gegenwärtigen Stand der logistischen Dinge in der Branche sei das nicht ganz so einfach, wie Dirk Sexauer erklärt, denn die Weiterentwicklung von Veloconnect 1.3 ist auch davon abhängig, dass möglichst viele Lieferanten das Abo buchen. »Wenn die Entscheidung für Velo.api und damit Tridata dazu führt, dass die Lieferanten nicht mehr auf Veloconnect setzen, ist die Weiterentwicklung gescheitert.« Das könnte bedeuten, dass es zumindest nach Veloconnect 1.3 keine offenen Schnittstellen mehr geben wird, die Kompatibilität also früher oder später notwendigerweise nur noch auf einem niedrigeren Leistungsniveau gewährleistet sein wird.
Derzeit nutzen laut VSF etwa 90 Lieferanten Veloconnect. Auch der digitale Lieferschein trat hier bereits als Weiterentwicklung einzelner Lieferanten in Aktion. Die Sorge vor digitalem Wildwuchs scheint also nicht unberechtigt zu sein.
Hintergrund zur Erklärung: Schnittstelle und Kommunikation
Veloconnect ist keine Software, sondern eine Schnittstelle oder Datensprache, die die Kommunikation von Warenwirtschaftssystem einerseits und ERP-System (Enterprise Resource Planning) des Lieferanten andererseits vereinfacht. Sie ermöglicht den Austausch von Sortiments- und Bestelldaten. Man spricht auch von einem Veloconnect-Server, der in die ERP implementiert werden muss. Das bedeutet: Die Schnittstelle wird nicht einfach »installiert«, sondern sie wird an die jeweilige vorhandene ERP-Umgebung angepasst. Das kann entweder der Software-Spezialist des jeweiligen Lieferanten oder Servicedienstleister des Vertreibers wie Tridata oder Veloport leisten. Oft wird diese Implementierung mit bestimmten Zusatzleistungen (meist im Abo) kombiniert, die den jeweiligen Service-Anbietern auch bestimmte Alleinstellungsmerkmale ermögliche.
Veloconnect wurde als ein offenes System auf Grundlage des Dateiformats Oasis entwickelt. Niemand hat die Rechte daran, daher kann Veloconnect selbst auch nicht ver- oder gekauft werden.
Die heute verfügbaren Warenwirtschaftssysteme wie Tridata, Velodata oder Veloport integrieren Veloconnect bereits. Damit ermöglichen sie beispielsweise die automatisierte Bestellanfrage aus der Warenwirtschaft heraus bei Lieferanten sofern dieser Veloconnect implementiert hat.
Tribike, die speziell für den Fahrradhandel abgestimmte Warenwirtschaft von Tridata, arbeitet derzeit bereits mit einer eigenen Weiterentwicklung von Veloconnect, die Velo.api genannt wird. Tridata spricht vom »neuen digitalen Standard in Europa für die Kommunikation zwischen Händlern und Lieferanten in der Radbranche.« Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Einkaufs- und Marketingverband Bike&Co entwickelt. Velo.api setzt auf Veloconnect auf und ist rückwärtskompatibel. Da Bike&Co ihren Streckenpartnern Partnern Tridata empfiehlt, könnte sich Velo.api zu einer der Standard-Schnittstellen für Bike&Co-Lieferanten entwickeln. Dies muss aber nicht notwendig heißen, dass damit in Sachen logistischer Kommunikation eine Alleinstellung geschaffen wird. Dies lässt sich mit zertifizierten Schnittstellen verhindern. Die Weiterentwicklung von Veloconnect 1.3 soll mit einem Entwicklungs-Abonnement für Lieferanten finanziell abgesichert werden.
Auf der Seite
http://www.veloconnect.de/implementierung/
kann man einsehen, welche Warenwirtschaften und welche Lieferanten bisher mit Veloconnect arbeiten.
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