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Die Tour hinter der Tour
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Report - Grand Départ

Die Tour hinter der Tour

Wenn am 1. Juli in Düsseldorf der Startschuss zur Tour de France fällt, richten sich die Augen der Weltöffentlichkeit auf die Spitzenleistungen der 198 Fahrer in 22 Teams. Doch auch abseits der Strecke fordern Organisation, Logistik und Rahmenprogramm höchsten Einsatz von allen Beteiligten. Was geschieht hinter den Kulissen einer Etappe?

Die Tour hinter der TourDie Tour hinter der Tour

Drei Jahrzehnte ist es her, dass die Tour de France letztmals in Deutschland startete, zwölf Jahre liegt das letzte Gastspiel einer Etappe hierzulande zurück. Wenig ausgeprägt ist darum bei uns das allgemeine Bewusstsein dessen, wie groß die Veranstaltung ist – und was hinter den Kulissen abläuft. Jetzt hat Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel städtische Millionen für das Radrennen eingesetzt – weil er von dessen Strahlkraft überzeugt ist. Immerhin: Es ist das größte alljährlich organisierte Sportereignis der Welt und gilt – nach Olympia und Fußball-WM – als die Nummer drei der Events im Sportmarkt.
Die Vorbereitungen laufen seit fast zwei Jahren, und in den letzten Wochen vor dem Start mobilisieren die Beteiligten noch einmal alle Kräfte, damit alles perfekt läuft, wenn Millionen von Zuschauern am Streckenrand und weltweit im Fernsehen verfolgen, welcher der Fahrer sich auf der Strecke durchsetzt. Die Organisation, die dafür notwendig ist, gleicht einem Mosaik: Je näher der Starttermin rückt, desto kleinteiliger wird die Abstimmung.

Integration in die städtische Infrastruktur

Gute Kontakte zwischen Düsseldorf und dem Tour-de-France-Organisator Amaury Sport Organisation (A.S.O.) bestehen bereits seit mehr als zehn Jahren, als der inzwischen verstorbene Oberbürgermeister Joachim Erwin eine Bewerbung vorbereiten ließ. Dabei arbeitete der Düsseldorfer Ex-Weltklasseprofi Sven Teutenberg gemeinsam mit seiner Frau Suzan die Pläne aus – was ihn nach der erfolgreichen Bewerbung für die diesjährige Tour für die Rolle als »Event Director« prädestinierte. Die Beteiligten stehen seit der Vergabe im Dezember 2015 in ständigem Austausch: Für Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme ist der nach den Dopingskandalen bei T-Mobile eingebrochene deutsche Markt besonders interessant, weswegen er sich nun auch persönlich immer wieder am Niederrhein zeigte und gute Drähte zu Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel spannte.
Der gesamte Planungsstab umfasst etwa 300 Leute auf Seiten der A.S.O., über 100 Mitarbeiter der Ämter und Dezernate der Stadt und rund 25 Leute im Organisationsbüro, darunter auch zehn Experten der Agentur La Bici von Suzan und Sven Teutenberg. »Nicht zu vergessen die 2.200 freiwilligen Helfer, die sich bis jetzt bei uns gemeldet haben«, sagt Sven Teutenberg. Neben vielen anderen Aufgaben unterstützen die Volunteers bei der Absperrung der Strecke und versorgen die Besucher mit den notwendigen Informationen – die Organisatoren rechnen mit etwa einer Million Menschen, die zum Grand Départ kommen. »Am Ende werden alle Spezialisten bei der Stadt auf irgendeine Weise in die Planung involviert sein«, erläutert Teutenberg. Schließlich finde die Tour nicht in einer Halle oder auf einem abgegrenzten Gelände statt, sondern mitten in der städtischen Infrastruktur.

Enormer Platzbedarf, hohe Attraktivität

Auf dem Messegelände befinden sich Start und Ziel der ersten, 14 Kilometer langen Zeitfahretappe. »Im Grunde kam kein anderer Standort in Frage«, sagt Teutenberg. Schließlich benötigen die Mitarbeiter der A.S.O. gerade in den Tagen vor dem Grand Départ viel Platz: für die Wettkampfbüros, für das Branding der mitfahrenden Pkw, für das Pressezentrum, in dem zum Auftakt bis zu 1.000 Journalisten arbeiten werden.
Die Tour als Medienereignis erfordert gute Betreuung und Logistik: Fernseh- und Radioteams benötigen Platz für die Sendetechnik, die schreibenden und fotografierenden Kollegen brauchen Arbeitsflächen und Netzwerke. 15 Mitarbeiter der A.S.O. betreuen jeden Tag die Medienvertreter.

Verkehrs- und Publikums­lenkung

Mehr als 1.000 Gitter sperren im Start- und Zielbereich die Strecke ab, in einer Länge von etwa vier Kilometern. Bis zum Start müssen die etwa 3.000 Verkehrsschilder angebracht sein, die den städtischen Verkehr umleiten oder blockieren. Auch für Fahrrad- und Zuschauerparkplätze müssen die Veranstalter sorgen – sie hoffen allerdings, dass möglichst viele Zuschauer mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen.
Die Lenkung des Verkehrs ist zentral für die Sicherheit. Auch das Crowd Management, also die Steuerung der Menschenströme, mit Zuschauer­brücken, Überwegen und Untertunnelungen gehört dazu. Ein umfassendes Sicherheitskonzept haben die Veranstalter gemeinsam mit Polizei, Feuerwehr, dem Ordnungsamt und den zuständigen Behörden der Stadt ­erarbeitet. Details nennen sie nicht, betonen aber, dass die Planungen fortlaufend angepasst werden.

Im Herzen der Altstadt

An acht Stellen in der Düsseldorfer Innenstadt errichten die Veranstalter LED-Wände, damit die Zuschauer den ersten Kampf um das Gelbe Trikot live verfolgen. Auf der zentralen Bühne am Burgplatz mit dem Schlossturm im Rücken schlägt vier Tage lang das Herz der Tour, denn neben der Live-Übertragung gibt es dort Gesprächsrunden und Informationen rund um den Grand Départ. Dort präsentieren sich am Donnerstag, also zwei Tage vor dem Start, die Teams. Hinzu kommen Bühnen für das Kinderprogramm und Mitmachaktionen entlang des Rheins, außerdem Gastronomieflächen und Sanitäranlagen für die Zuschauer und VIPs.
Auch für Hoteliers, Händler und Gastronomen ist die Tour ein großes Thema. Die Unterkünfte werden ausgebucht sein. Überhaupt ist die Frankreich-Rundfahrt ein attraktives Geschäft: Alles in allem sind etwa 4.500 Menschen mit der Tour-Organisation unterwegs, sie alle brauchen Übernachtungsplätze. »Wir buchen 40.000 Hotelübernachtungen pro Tour, aber viele Teilnehmer organisieren sich zudem privat ihre Zimmer«, sagt Tour-Pressesprecher Fabrice Tiano. Kein Wunder, dass viele Fans im Wohnmobil anreisen.
Aber auch in puncto Marketing dürfen sich Düsseldorf und andere Städte Impulse erhoffen. Das Tour-Logo selbst ist per Vertrag der Stadt und ihren Tochterfirmen vorbehalten. Aber natürlich kann man etwa die Farben der Trikots, gelb, grün, weiß, rot, kreativ nutzen. Der Tour-Organisator A.S.O. selbst macht gute Geschäfte am Rande der Strecke, betreibt auf jeder Etappe zwei Fanshops am Start, im Ziel und sechs mobile Verkaufspunkte entlang der Route. »Am besten verkaufen wir übrigens im Zielbereich, weil die Leute da mehr Zeit verbringen«, erklärt Tiano.

Mehr als 1.000 Techniker, Strom für eine Kleinstadt

Das Ereignis in Düsseldorf als Auftakt hat großen medialen Wert: »Der Grand Départ ist schon etwas Besonderes«, sagt Sven Teutenberg. Hier kommen alle Teams zusammen, auch die Medienvertreter müssen sich einschreiben, es gibt Pressekonferenzen mit allen Stars. Die Organisatoren haben derweil zum Auf- und Abbau von Start- und Zielbereich in Düsseldorf mehr Zeit als bei den folgenden Etappen.
Der Aufwand ist jedoch auch an normalen Renntagen sehr hoch: Mehr als 500 Techniker und andere Helfer sind im Einsatz, um auf einer Fläche von etwa sieben Hektar den Zielbereich nach detaillierten Plänen aufzubauen. Jeden Tag ab fünf Uhr morgens verlegen sie allein dort etwa 60 Kilometer Kabel. Durch sie fließt der Strom aus Generatoren, die eine 6.000-Einwohner-Gemeinde mit Energie versorgen könnten – Strom für das Sendezentrum, aus dem die Bilder in alle Welt gehen, aufgenommen von den fünf Motorrädern und zwei Hubschraubern im Rennen. Außerdem müssen an die 500 Werbetafeln am Zieleinlauf installiert werden.
Nach jeder Etappe gegen 18.30 Uhr verstauen die Mitarbeiter die gesamte technische Ausrüstung, die Bühnen und Gitter in 150 Lkw, die sich in der Nacht auf den Weg zum nächsten Etappenziel machen. Nach wenigen Stunden Schlaf beginnt der Rhythmus von Auf- und Abbau erneut.

Der große Tag

Am 1. Juli beginnt der große Tag für die Organisatoren lange vor dem Startschuss: Medienauftritte, letzte Aufbauten, Ablauf-Koordination. Am Vormittag startet der Petit Départ, sechs Radveranstaltungen für Kinder – schließlich erhoffen sich die Vereine durch die Tour in Deutschland neue Mitglieder.
Gegen Viertel vor zwei kommt ein wenig Rosenmontags-Atmosphäre in die rheinische Karnevalshochburg. Dann nämlich rollt die Werbekarawane über die Strecke, was ein wenig anachronistisch anmutet und tatsächlich eine Marketing-Maßnahme ist, die der damalige Tour-Chef Henri Desgrange bereits 1930 erfand. Farbenfroh dekorierte Lastwagen mit den Schriftzügen und Erkennungszeichen der Tour-Sponsoren fahren vorbei an der Menge, die auf die Athleten wartet, mit lauter Musik und lächelnden Hostessen an Bord »Die Werbekarawane ist jedes Jahr neben dem Sport eines der Highlights«, sagt Sven Teutenberg. »Viele Menschen kommen erfahrungsgemäß nur deswegen zur Tour.« Um die 35 Hersteller bestücken die mehr als 150 Fahrzeuge. Auf ihrem bis zu 12 Kilometer langgezogenen Umzug werfen ca. 600 Mitarbeiter im Laufe der drei Wochen 14 Millionen Goodies in die Menge – die Karawane absolviert die gesamte Strecke der Tour de France, fährt jeden Tag im Vorprogramm des Rennens und bestückt die Menschen mit übergroßen aufblasbaren Händen, Rasseln, Comicheften und Produktproben.
15.15 Uhr am 1. Juli ist der Zeitpunkt, auf den die Organisatoren seit Monaten hinwirken – und an dem die Fahrer auf ihre 3.521 Kilometer lange Tortur starten. Wenn dann der letzte Fahrer im Ziel ist, beginnt für die etwa 70 Mitarbeiter der A.S.O. das große Schrauben, Schleppen und Verstauen. Sie verladen das gesamte »Village Départ« in Lkw und fahren damit weiter ans Rheinufer, unweit des Burgplatzes. Denn hier beginnt am 2. Juli die zweite Etappe. In diesem »Village Départ« treffen sich jeden Vormittag während der Tour Ehrengäste und Partner, Sportler, Mitarbeiter der Teams und Journalisten. Gleich nebenan parken die Teambusse und Begleitfahrzeuge der Équipes, wo die Mechaniker die Gefährte aufstellen und die Fahrer sich vorbereiten, ehe sie unter dem Jubel der Menge zum Einschreiben auf die Bühne rollen. Jedes Team hat übrigens eine Menge Leute dabei – Fahrer, Chefs, sportliche Leitung, Trainer, Mechaniker, Köche, Physiotherapeuten, Ärzte, Pressesprecher und Busfahrer. Schon allein für diesen gewaltigen Wanderzirkus von knapp 1.000 Personen braucht man Platz.
Die zweite Etappe startet am Sonntag, 2. Juli, um 12 Uhr. Es geht in einer Schleife hinaus und wieder durch Düsseldorf, nach Neuss, Korschenbroich und Mönchengladbach – und weiter bis ins belgische Lüttich. Die Resonanz in Städten und Gemeinden auf dem Weg dorthin sei sehr positiv, sagt Sven Teutenberg. Auch sie wollen von der Tour profitieren, es wird Festzelte, Musik und Unterhaltung geben. Doch auch wenn der Tross nur kurz vorbeirast: Vorausgegangen ist eine mehrmonatige Planung. Event-Direktor Teutenberg musste detailliert mit den Ämtern aller beteiligten Kommunen die Durchfahrt regeln. Denn damit das Spektakel steigen kann, mussten erst eine Menge Bürokratie geklärt – und auch eine Vielzahl Schlaglöcher im Asphalt ausgebessert werden.

10. April 2017 von Tim Farin und David Korsten
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