Report - Fahrer Berlin
Die Upcycler
Das gab’s doch schon vor 100 Jahren – wenn auch nicht mit Klettverschluss: Schon immer haben Radfahrer ihr Hosenbein, so vorhanden, mit einem Band oder ähnlichem vor der Kette und ihrer Schmiere geschützt. Und mit so etwas kann man heute Erfolg haben? Man kann – wenn man es richtig macht. So sah das zumindest Joachim Leffler, als er sich 2005 Gedanken darüber machte. Ein auf den ersten Blick sehr einfaches, etwa Zentimeter breites Kunststoffband für die Hose. Auf dem zweiten Blick ist das Produkt ein gar nicht zufälliger Ausschnitt aus einer LKW-Plane, mit integriertem, hochwertigen Reflektor, einem extrem robusten, aufgenähtem Klettverschluss und einem kleinen separatem Logo-Etikett. Aufdruck: Fahrer.
Kostenpunkt: 14 Euro »im ausgewähltem Fachhandel«.
Upcycling nennt man das: gebrauchtes Material wiederverwerten und etwas mit mehr Funktion und besserem Image daraus machen. Wer kauft sowas? Geschäftsführer Leffler meint: Jeder, der Wert auf Qualität und Individualität legt. »Und darauf, dass etwas wirklich so funktioniert, wie es soll«. Wer sich im Fachhandeln ein »Band« kaufen will, kann aus einem Display-Karton aus recycelter Pappe wählen. Die auch auf Pappe gewickelten Modelle sind alles Einzelstücke: Per geübtem Auge ausgesucht und per Hand aus Lkw-Planen ausgeschnitten. Verkauft natürlich ohne Umverpackung. Und meist findet sich auf dem Stück Pappe, die als Produkthalter dient, ein Aufdruck der besagt, von welcher Spedition die Plane zu diesem Band stammt. Individueller geht es wohl kaum.
Der Standort macht die Marke hip
»Ich gehe immer von der Funktion aus«, betont Leffler schnell – vielleicht weil man auch beim ersten Blick in die Regale des Unternehmens in Berlin Prenzlauer Berg denken könnte, hier zähle vor allem die Optik. »Aber die muss natürlich auch passen«, meint Leffler. Der Chef der Fahrer ist gelernter Architekt, und daher auch stark auf Design konzentriert. »Ich hatte nie eine Packtasche, auch wenn das noch so praktisch gewesen wäre«, sagt er. »Mir hat einfach keine gefallen. Zu altbacken, zu wenig am Geschmack der Klientel orientiert. Und ich denke, dass ich damit nicht alleine stehe.« Deshalb gibt es mittlerweile auch verschiedenste Taschen bei Fahrer – mit so smarten Namen wie Schlingel, Komplize, Kurier oder Ganove. Und alle müssen irgendwas Besonderes haben. Schließlich will man in Berlin vor allem eines nicht machen: Me-Too-Produkte. »Die Gepäckträgertasche Kurier ist zum Beispiel faltbar – das kann keine andere auf dem Markt«.
Alle Fahrer-Produkte sollen sowohl funktional wie modisch sein – das fängt schon beim Hosenhalter an: »Das Band ist eben auch ein Lifestyle-Produkt. Das muss in diesem Bereich sein, sonst hat man keine Chancen«, erklärt Leffler. Und Fahrer sieht in seinem Firmensitz in Berlin einen besonderen Vorteil: »Berlin ist innovativ, gilt als trendy, und das ist ein absoluter Standort-Bonus, der auch ins Ausland wirkt. Wir brauchen keine Trendscouts; ich nehme schon Trends auf, wenn ich morgens zum Bäcker gehe,« lacht der Chef. Aber er weiß auch: »Man muss dran bleiben, den direkten Kontakt zum Radfahrer behalten, um zu verstehen, was er will.« Das funktioniert nicht nur beim Bäcker, sondern auch bei der schriftlichen Kommunikation: Alle Mails von Kunden und solche, die es vielleicht werden wollen, kommen auf den Schreibtisch des Chefs. »Es darf nicht unpersönlich werden«, erklärt er.
Der Stoff, von dem die Hipster träumen
Mit Ideen, die aus dem eigenen Bedarf heraus entwickelt werden sowie trendiger Optik ist es aber noch nicht getan: Das Produkt muss gefertigt werden. Dazu braucht es das richtige Material und jemand, der es produziert. Ersteres ist bei den Berlinern meist LKW-Plane oder Werbebanner. Das bietet sich schon deshalb an, weil in diesem Bereich Umweltverträglichkeit, sprich Recycling, heute immer mehr in das Bewusstsein der Verbraucher rückt. Trotzdem sieht man das bei Fahrer kritisch: »Natürlich ist das recyceltes Material. Das bedeutet, die Lebensdauer wird verlängert. Aber genau genommen ist das ja noch keine Müllvermeidung«, so Leffler. Trotzdem: Die gebrauchte Plane bietet viele entscheidende Vorteile. Sie ist relativ günstig und ermöglicht – ganz wichtig – eine Individualisierung des Produkts. Beim Band sind beispielsweise kaum zwei Exemplare völlig gleich. Der dritte Vorteil des Materials, seine leichte Verfügbarkeit, ist nicht immer gegeben. »2009 beispielsweise war die Produktion von Taschen aus LKW-Plane bei Szene-Herstellern auf einem Höhepunkt. Die ›Lieferanten‹ andererseits, also vor allem Speditionen, zögerten in Anbetracht der damaligen weltweiten Wirtschaftskrise, im gewohnten Turnus nachzurüsten.« Der Effekt: Es gab viel zu wenige gebrauchte Planen auf dem Markt. Was macht ein Unternehmen, das sich gerade aufbaut und für das dieser Werkstoff unabdingbar ist? Man klappert am besten selbst Speditionen im Ausland ab. Leffler fuhr zusammen mit einem polnischen Freund nach Osteuropa und kaufte ein. Direkt vor Ort und mit dem polnisch sprechenden Jakub Kopinski war es deutlich leichter, Material aufzutreiben. Kopinski wurde übrigens der erste feste Mitarbeiter bei Fahrer und arbeitet heute als Head of Sales. Zudem im Sattel: Leffers Frau Jule als Angestellte neben freien Mitarbeitern in der Fahrer-Zentrale in der Lehderstraße.
Günstige wie nachhaltige Produktion
Zurück zum Produkt: Das Band produzierte Leffler anfangs noch selbst – nebenher. 2008 geht das neben seinem festen Job als Architekt zeitlich nicht mehr, und Leffler steigt richtig ein – auch in die professionelle Fertigung. Er sucht nach einem Partner. Geringe Kosten sind ein Faktor, aber auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz sollen nicht zu kurz kommen. Dabei stößt Fahrer auf NBW, die Nordberliner Werkgemeinschaft gGmbH. Diese Behindertenwerkstätte mit mehreren Niederlassungen in Berlin erweist sich als perfekte Partner: Von der Niederlassung an der Triftstraße im Norden von Pankow werden ein Großteil der Produktionsarbeiten übernommen: Das Fahrer Band wird hier hergestellt, die Klettstreifen werden dort aufgenäht, die Reflektorstreifen verschweißt …
»Wir mussten einiges aufrüsten dafür«, erklärt der Werkstattleiter Michael Ewerling, »zum Beispiel bei den Nähmaschinen und den Schweißgeräten. Aber es hat sich gelohnt. Unseren Mitarbeitern macht die Arbeit für Fahrer viel Spaß, denn hier wird zum Beispiel das Band vollständig produziert und versandfertig gemacht.« Häufig entstehen in solchen Werkstätten in einfachen Arbeitsgängen nur Halbfertigprodukte, zu denen die Arbeitskräfte nur wenig Bezug entwickeln könnten. Dazu ist das Band nicht nur ein einfacher Gebrauchsgegenstand, es hat auch für die Menschen mit Handikap einen Lifestyle-Aspekt. Und die Fahrer-Produkte sind andererseits durchaus ein Aushängeschild für die Werkstätten.
Heute sind pro Auftrag bis zu 30 Leute bei NBW beschäftigt, erzählt Leffler. Viele Mitarbeiter kennt er mittlerweile persönlich. Sie freuen sich offensichtlich ihn zu sehen, als wir die Näherei besuchen. Und für Leffler bringt es Vorteile mit sich: Die Kosten sind deutlich niedriger als bei einem typischen Produktionspartner. NBW ist vom Fahrer-Büro in der Lehderstraße gerade mal 14 Kilometer entfernt – und »es ist natürlich auch schön, einen solchen Betrieb unterstützen zu können«, freut sich der Fahrer-Chef. Dazu kommt: Anders als bei einer eigenen Fertigung werden hier die Beschäftigten Auftragsweise bezahlt. Der Nachteil: deutlich weniger Planungssicherheit, denn die Arbeit mit behinderten Menschen ist nicht immer termingerecht. Das muss man einfach im Hinterkopf haben.
Ausgewählt vom Chef
Bei NBW wird aber nicht nur genäht und geschweißt, auch die Konfektionierung von Band und Kicker – einer Art Fußballadapter fürs Oberrohr – passiert hier. Deshalb findet man im Raum neben der Näherei auch ganze Regalwände voll mit vertriebsbereiten Produkten.
In der Halle neben dem Werkstattgebäude des Geländes ist eines der Fahrer-Materiallager. Hier warten Hunderte an LKW-Planen und Werbebanner auf den Fahrer-gerechten Zuschnitt. Ausgesucht werden die zu verwendenden Flächen direkt hier vor Ort von Leffler, der Zuschnitt der Planenteile findet dann in der Lehderstraße statt.
Ein Teil der komplexeren Produkte, wie die Taschen werden unter der Leitung der Designerin Katharina Bernstein auch dort genäht. Sie ist, neben dem Chef, auch verantwortlich für die Entwicklung von neuen Modellen. So stehen auch hier im riesigen ehemaligen Fabrik-Verwaltungsbau, den sich Fahrer mit vielen anderen, meist jungen Unternehmen teilt, unterschiedlichste Nähmaschinen. Im Management-Büro gibt es dagegen nur einen riesigen Schreibtisch, an dem derzeit Verkaufsleiter Jakub Kopinski und Kommunikationsleiter Boris Plücken zusammen mit Leffler am Rechner sitzen. Hier wird neues ausgeheckt, pfiffiges und schräges für Radler mit individuellem Anspruch. Genannter Kicker entstand wie fast alles im Haus aus einem Bedarf: Wie bringe ich meinen Fußball am Wochenende zum Bolzplatz – auf meinem hippen, gepäckträgerlosen Bike? Es entstand das »Wickeltuch für den Ball« mit Kletthalterung fürs Oberrohr oder die Sattelstütze. Oder die Herrenhandtasche zum Ankletten, der Schlingel. »Hier war die Vorgabe: Sie sollte das Wichtigste aufnehmen, sich gut in die Erscheinung des Rads einfügend, vor allem aber keinen Adapter oder ähnliches brauchen, der am Rahmen bleibt. Der Minimalismus des schicken Fahrrads sollte einfach erhalten bleiben«, erklärt Leffler. Also bekam diese Tasche fürs Portemonnaie und den Schlüsselbund ein Band, das ums Oberrohr schlingt, zugleich aber die Optik des Schlingels angenehm bestimmt. Kostenpunkt: 75 Euro. Viel Geld? Wer auf der Fahrer-Seite im Internet nachsieht, sieht schnell, wie weit die Individualisierung hier geht: Man kann sich seinen eigenen, unverwechselbaren Schlingel aussuchen.
Ein Kurier verschwindet
Beim Kurier, der puristischen Gepäcktasche, gibt es zwar nur vier farblich unterschiedene Basislinien im Netz. »Man kann aber unterschiedliche Cover-Kombinationen bestellen«, so Leffler. Wer also grüne Flächen und rote Seitenteile haben will, bitte. Gleich bleibt die Funktion: Die Tasche ist leer auf wenige Zentimeter Breite zusammenfaltbar und schmiegt sich so eng an die Radsilhouette an, nimmt aber ausgefaltet locker zwei große Leitz-Ordner auf. Der Kurier passt mit seinen Original Ortlieb-Haken auf den Standard-Träger, aber auch auf den »fast unsichtbaren« Fahrer Single Rack – einen einseitigen Träger für Gepäcktaschen. Auch für seine Entstehung war maßgeblich, dass die minimalistische Optik eines Urban Bikes ohne Träger weitgehend erhalten bleiben soll. So besteht der Single Rack lediglich aus einem Schutzblechhalter-ähnlichen Bogen über den Hinterrad und einem Bügel, der ihn mit dem Sitzrohr verbindet.
Auch in den E-Bike Bereich will der Fahrer weiter einsteigen – ein Bereich mit viel Potenzial, meint Leffler. Bislang gibt es das Akku-Cover für alle Bosch Akkus, deren Funktion neben einer gewissen Kälteisolierung vor allem im schicken Look liegt.
Derzeit arbeitet Fahrer mit etwa 300 Händlern zusammen. »Wir suchen uns die Handelspartner gezielt aus«, erklärt Leffler, »denn nicht an jedem Standort kann man unsere Produkte verkaufen.«
Ein auch noch so Fahrer-überzeugter Händler scheitert, wenn er nicht den Kundenkreis hat, der sich dafür begeistern lässt. Wegen der geringen Händlerzahl läuft ein Teil des Verkaufs auch Online.
Die Zielgruppe ist älter als mancher denkt: bei etwa 30 biss 55 Jahren setzt Leffler sie an. Menschen – vorwiegend wohl Männer – die auf Qualität in trendigem Outfit stehen und sie sich auch leisten wollen, die Dinge mit dem schlichten, aber eingängigem Logo: weißer Radler auf rotem Grund. Schlicht wie der Anspruch Lefflers auf klares Design. Auch zum Namen hat er eine Erklärung: »Ein Fahrer ist jemand, der bewusst und ganz aktiv unterwegs ist und dabei auch seine Umwelt wahrnimmt. Der ideale urbane Radler«, so der Ober-Fahrer.
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