Report - E-MTB-Markt
»Die Welt weiß, wie viele Vorteile das hat!«
Wer in diesem Herbst per Rad oder zu Fuß in den Bergen unterwegs ist, der sieht vielleicht so viele Bikes mit dicken Stollenreifen wie noch nie – ganz sicher darunter aber auch so viele E-Mountainbiker wie noch nie. »Der E-MTB-Markt kannibalisiert den Markt für Mountainbikes«, sagt der Mountainbiker der ersten Stunde und Erfinder des Transalp, Uli Stanciu, der auf der Eurobike 2016 den Eindruck hatte, »wir müssen die Messe in Euro-E-Bike umbenennen«. Seiner Meinung nach ist die enorme Dynamik des Marktes auch einer technologischen Entwicklung zu verdanken, die noch nie so schnell vorwärtsging wie heute. »Beim Mountainbike-Booom in den 80ern dauerte es Jahre, bis sich Innovationen wie Federgabeln durchgesetzt haben. Beim E-MTB wird heute direkt die technische Entwicklung umgesetzt und fast umgehend akzeptiert, sobald sie da ist.«
Auch der Must-Have-Effekt des motorisierten Bergrads ist enorm. Manch einer hat sich auf der Eurobike dabei erwischt, vor einem neuen MTB-Modell zu stehen, dann gewahr zu werden: »Ach, das hat ja keinen Motor!« – um dann schnell weiter zu gehen.
Modellwechsel für Anfänger
Wie schätzen das die Hersteller ein? Wie viel Aufwand treibt man für die Weiterentwicklung des E-MTB, wie viel für das rein körperlich vorangetriebene Mountainbike?
»Bei uns werden Mountainbikes immer noch in ihrer Gesamtheit betrachtet; allerdings gibt es dabei technische und optische Herausforderungen, die im E-Sektor besonders hoch sind. Beispiel: Ist ein Mountainbike drei Jahre alt, ist mit Modellpflege immer noch einiges zu machen; geht es aber um ein E-Mountainbike, ist daran gar nicht zu denken. Da ist die schnelle technische Entwicklung, vor allem aber die Optik enorm wichtig«, erklärt Christian Thill, Kommunikationsmanager beim Hamburger Hersteller Bergamont. Wird ein neuer Motor verbaut, stellt sich in St. Pauli die Frage: »Wird angepasst oder eröffnet man eine neue Plattform?« Denkt man dann über die Integration der Batterie nach, ist die komplette Neuentwicklung nicht zu vermeiden. »Da braucht man heute Industriedesigner – mit der Ingenieurskunst alleine kommt man da nicht mehr weit. Für einen kleineren Player ist das teilweise auch eine Herausforderung.«
Kaum ein Hersteller kann es sich leisten, alle ein oder zwei Jahre durchgehend neue Plattformen auf den Markt zu bringen. Dabei müsse man auch bedenken, dass die Entwicklung des E-Mountainbikes relativ gesehen deutlich mehr Kräfte bindet als das MTB. Bei Bergamont gibt es 2017 17 E-Mountainbikes, im MTB-Sektor stehen dem 60 Räder ohne Antrieb gegenüber. Doch dieses Verhältnis wird sich nach Einschätzung Thills auch bei Bergamont ändern: »Der Run auf das ›E‹ wird noch größer werden – das E-MTB ist die Zukunft – bald werden viele Einsteiger auch verstanden haben, dass man mit E-MTB sogar oft besser bergab fahren kann. Die Disziplinen, die es jetzt gibt, werden sich auch beim E-MTB spiegeln.«
»Das Stigma ist vorbei!«
Das sieht man bei Corratec zumindest zum Teil anders. Der Extremsportler wird nach wie vor auf dem klassischen MTB unterwegs sein, sagt man dort. »Für diese Leute wird es weiterhin eine Nische mit technischen Lösungen im analogen Sektor geben«, glaubt Günther Schoberth-Schwingenstein, Mitglied der Geschäftsführung. Trotzdem: »Viele hochwertige Mountainbikes werden Stück für Stück vom E-MTB abgelöst werden«, sagt er voraus. »Die Preise liegen einfach zu nah zusammen! Für bis zu 4.000 Euro bekommt man ja schon ein gutes E-MTB, fürs gute Fully ohne Antrieb legt man kaum viel weniger hin.« Natürlich werde es weiterhin analoge MTBs bei Corratec geben, gerade im sehr sportlichen Bereich, was er mit der Renn-Affinität seines Unternehmens begründet. Aber zu viele Gründe sprächen dafür, dass sich der Trend zur Motorisierung auch am Berg weiterhin durchsetzt, vom größeren Aktionsradius bis hin zum leichteren Bergauffahren. »Das Stigma der Unsportlichkeit ist aus dem Weg geräumt!« Corratec verweist auf das Allround-Segment bei den E-MTBs: »Der SUV für den Forstweg«, wie Schoberth-Schwingenstein sagt, ist begehrt. Das viel verkaufte Corratec-Modell für diesen Bereich hat tatsächlich einen Tiefeinsteiger-Rahmen und fährt enorme Stückzahlen. »Und im E-MTB-Bereich machen doch Plus-Reifen erst richtig Sinn, da das Gewicht eine untergeordnete Rolle spielt«, erklärt er weiter.
Die nächsten Jahre sollen jedenfalls den Trend beschleunigen. Gourmet-Biking und neue Berg-Events werden auch mit dem E-MTB zum beliebten Urlaubsprogramm werden. Mallorca sieht man hierbei als Vorbild. Eine Diversifikation sieht man auch entsprechend im touristischen Bereich. Die Integration von Akkus mit noch mehr Reichweite speziell für touristisch orientierte Bikes sei ein großes zukünftiges Thema.
Der Hauptfokus liegt auf dem E-MTB
»In verschiedenen Preissegmenten stagniert der klassische MTB-Markt, in manchen ist er sogar rückläufig«, stellt Susanne Puello, Geschäftsführerin der Winora-Gruppe, fest. Für die Schweinfurter war E-MTB von Anfang an »ein eigener Markt mit neuen Zielgruppen und anderen Entwicklungszyklen«. Das schlägt sich auch im Verhältnis von Investition und Aufwand in die einzelnen Bereichen nieder: 70:30 fürs E-Mountainbike sei das in etwa gesplittet gewesen. »Bei uns liegt ganz klar der Hauptfokus auf dem E-Mountainbike.« Und die Aussichten werden durchaus positiv gesehen – weiteres Wachstum, »natürlich durch die Erschließung neuer Märkte und Zielgruppen«. Wobei der sportliche Anspruch, so sieht man es auch hier, nicht zurückgehen wird: »Unsere Testimonials wie Guido Tschugg oder Andi Wittmann zeigen ja ganz deutlich, dass das Thema E-Performance nichts mit Unsportlichkeit zu tun hat!«
Räder für jede Menge Schotter
»In Relation zu den anderen E-Bike-Gruppen wird der Sektor der E-Mountainbikes deutlich stärker anwachsen«, glaubt auch Ivica Durdevic, CTO beim E-Bike-Pionier Flyer. Die Diversifikation der Modellpaletten sehe man dabei schon heute recht weit fortgeschritten; sie wird noch weiter ausgefeilt werden. Für jeden Einsatzbereich, aber auch für jede beim »analogen MTB« existierende Modellgattung könne es eine E-MTB-Entsprechung geben. Apropos Diversifikation: Eine interessante Entwicklung glauben die Schweizer besonders in einem zukünftigen E-Gravelbike erkennen zu können.
Was die sportliche Intensität anbelangt, sieht man keinen Rückgang – eher im Gegenteil: »Der Mensch passt sein Verhalten an neue Gegebenheiten oder Möglichkeiten an«, meint Durdevic. Für den Freizeitsportler hieße das, an neue Grenzen zu gehen: »Längere Touren mit mehr Höhenmetern werden möglich. Steile Trails, auf denen man vorher schieben musste, können jetzt mit E-Mountainbikes gefahren werden. Und Strecken, die man vorher nur abwärts fahren konnte, fährt man jetzt auch aufwärts mit Spaß.« Und nicht nur das: Die geringere Belastung auf dem motorisierten Bike führe dazu, dass man nach Verletzungen schneller wieder aufs Rad beziehungsweise ins Gelände kommt, so der CTO.
Mehr Höhenmeter, mehr Reichweite
Der Entwicklungsleiter von KTM, Thomas Pressl, rät zu kritischerer Betrachtung, was die Vorherrschaft des E-MTBs angeht: Auch wenn im zentraleuropäischen Raum heute das MTB im Schatten der elektrifizierten Schwester stehe – »südeuropäische Märkte mit einem sportlicheren, Race-orientierten Zugang zum Thema Mountainbike haben einen noch sehr ausgeprägt unmotorisierten MTB-Markt«. Im Gegensatz zu manch anderem Hersteller will man bei KTM noch nicht so stark zwischen den beiden Sektoren unterscheiden: »Bei KTM greift die Entwicklung von beiden Gattungen noch stark ineinander«, so Pressl, »eine Abgrenzung, wie viel Entwicklungsarbeit in die jeweilige Sparte gesteckt wird, kann man gar nicht strikt vornehmen.«
Mengenmäßig hat bei KTM das Mountainbike ohne »E« übrigens noch klares Übergewicht. Eine Verteilung, die allerdings stark am breiten Angebot in der Mittel- und Einstiegsklasse hänge. Im hochwertigen Bereich kommen dann die Stückzahlen der E-MTBs doch schon sehr nahe an die der unmotorisierten Räder heran. Wie schätzt man bei den Österreichern den Markt in naher Zukunft ein? »Es ist jedenfalls recht unklar, wann eine Marktsättigung eintritt«, so Pressl. »Klar ist, dass das Produktsortiment noch breiter werden wird – man will ja für unterschiedlichste Einsatzgebiete und in allen Preisklassen entsprechende Produkte anbieten können.« Allerdings erwartet man bei KTM, dass mit der verstärkten Nutzung des E-MTBs eine Verschiebung vom Extremsport zum Spaß-Segment stattfinden wird. »Insgesamt wird dabei noch mehr der Gesundheitsaspekt forciert«, da die Spitzenbelastungen, zum Beispiel bei Anstiegen, vom Antrieb abgemildert werden.
Der E-Tourist
Spricht man über den E-Mountainbike-Markt, muss der Tourismus und damit der Fahrradverleih als wichtiger Faktor mit einbezogen werden. In Süddeutschland ist das vor allem Movelo, der Marktführer im touristischen E-Bike-Verleih, der mit seinem Partner Derby Cycle verleihtechnisch die Alpen beherrscht. Trotz des gehörigen Anstiegs des E-Bike-Verleihs in den letzten Jahren ist man bei Movelo sicher, dass man den Peak noch nicht erreicht habe. Derzeit sind 3.500 Räder im Verleih. Und der Trend zum E-Mountainbike steigt weiter an. Dabei gibt es keine Umnutzung: »Wir haben über breite Regionen immer noch das Verhältnis zwei Drittel E-Bike, ein Drittel Mountainbike«, erklärt Andreas Senger, Co-Geschäftsführer von Movelo. Die Radtouristen steigen also nicht vom Touren- auf das Mountainbike um, letzteres wächst unabhängig. »Natürlich gibt es auch Bereiche, in denen Komforträder weniger gefragt sind und E-MTBs vorherrschen«, erklärt er, »aber andererseits sind in den Talregionen Komfort-E-Bikes nach wie vor sehr gefragt.«
Mit dem E-MTB wird also eine neue Zielgruppe angesprochen. Seien es Menschen, die es einfach ausprobieren oder Wege fahren wollen, die sie sonst nicht erreichen, oder Paare, bei denen ein Partner nicht die Leistungsfähigkeit fürs Mountainbiking ohne Unterstützung hat. Bislang sind bei Movelo etwa 1.000 E-Bikes fürs Gelände im Einsatz. Besonders stark wird der Run auf diese Räder laut Senger auch in Österreich und Italien. Derzeit kann man bei Movelo fürs Gelände ein Cross-Country-Hardtail leihen. Auch das deutet auf ein Einsatzgebiet im vorerst eher gemäßigtem Gelände hin – aber natürlich muss man auch die hohen (Wartungs-)Kosten und den höheren Verschleiß in Betracht ziehen, die bei einem Fully anfielen.
Handlungsbedarf für Tourismusregionen
»Wir haben in Vorarlberg genau die Zielgruppe, die gern die Berglandschaft genießen und sich in der Natur bewegen wollen. Ob man das zu Fuß macht oder jetzt mit dem E-Mountainbike, das ist für die Gäste ein Riesenunterschied«, erklärt auch Christina Meusburger vom Vorarlberg Tourismus. Auch sie sieht kaum Umsteiger vom E-Bike auf das E-Mountainbike in ihrer Region, doch genaue Zahlen von den Gäste-Umfragen lassen noch auf sich warten. Viel eher schon registriert man hier die Umsteiger vom Mountainbike ohne Motor auf die elektrifizierte Version. Geführte Touren und gekennzeichnete Erlebnis-Routen tragen dazu bei, das E-Mountainbiking am Urlaubsort noch interessanter zu machen. In die Zukunftsplanung wird man in Vorarlberg das E-MTB ganz klar mit hineinrechnen müssen. Das bedeutet zum Beispiel auch: Neue Routen zu den bereits schon 1.500 Kilometern reinen Mountainbike-Wegen schaffen, die Ladeinfrastruktur und Service-Struktur deutlich aufbessern, auch mithilfe von Hotels und Sportfachgeschäften.
Und die Kollegin von der Tirol Werbung, Manuela Mörtenbeck, ergänzt, dass mit E-Hike ein besonderes Programm angedacht sei: Überdachte Stellplätze und Hütten für E-MTBer, die ihre Räder abstellen um die letzten Meter zum Gipfel etc. zu Fuß zurück zu legen. Auch die Ladeinfrastruktur wird ausgebaut werde müssen – eine Herausforderung für die Industrie, schon aufgrund immer noch fehlender Standards.
Im touristischen Bereich denken also viele wie Ulrich Stanciu: »Das E-MTB und das E-Bike werden nahezu alle anderen Fahrräder ablösen!«
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