13 Minuten Lesedauer
Die Werkstatt ist die große Chance
i

Report - Fahrradwerkstatt

Die Werkstatt ist die große Chance

Welche Bedeutung hat die Fahrradwerkstatt heute? Ist sie der heilige Mittelpunkt des Ladengeschäfts oder nur ein notwen­diger After-Sales-Service, auf den man leider nicht verzichten kann? Zumindest jene Händler, mit denen velobiz.de gesprochen hat, sind sich einig: Die Werkstatt war noch nie wichtiger als heute, auch wenn an der Ertragsschraube noch kräftig gedreht werden muss.

Eine Fahrradwerkstatt, die zum Ruhm des eigenen Radladens beiträgt, erstklassig arbeitet und dabei auch noch Geld verdient – das ist wohl der Traum eines jeden Händlers. Gerade der Teil mit dem Geld verdienen lässt aber oft zu wünschen übrig. Es ist jedenfalls nicht die Regel und erst recht keine Selbstverständlichkeit, dass sich die Werkstatt selbst trägt und Gewinne abwirft. Auch wenn die Auslastung meistens gegeben ist, fällt es schwer, ein positives Ergebnis zu erzielen. Als Rettungsanker für schlechte Jahre sieht sie jedenfalls kaum ein Fahrradhändler. »Die Frage ist eher, kriege ich die Werkstatt so hin, dass sie kostendeckend arbeitet«, ist Katharina Schleifenbaum, Geschäftsführerin und Mitgründerin von Die Radgeber in Mainz, überzeugt. »Ich weiß nicht, ob es viele Händler gibt, bei denen die Werkstatt wirklich einen großen Gewinn abwirft. Wir sind da seit zwei, drei Jahren auf einem guten Weg, aber es ist natürlich der lohnintensivste Bereich.«
Einer der Händler, der eine profitable Werkstatt vorweisen kann, ist Thorsten Larschow von Rad & Tour in Cuxhaven. Auch er glaubt nicht, dass eine Werkstatt dazu taugt, einen schwächelnden Verkauf auszugleichen. »Ich würde es eher umgekehrt sagen: Der Verkauf läuft, weil ich eine gute Werkstatt habe. Die Kunden sind aufgrund der deutlich gestiegenen Durchschnittspreise viel sensibler für eine gute Werkstattleistung geworden. Bei fast jedem Verkauf eines E-Bikes höre ich die Frage, ›ist denn Ihre Werkstatt wirklich gut?‹, und da kann ich als VSF-Allride-zertifizierte Werkstatt natürlich punkten.«
Allerdings hat er es nicht dabei belassen, einfach gute Arbeit zu liefern. »In den letzten acht Jahren haben wir unsere Werkstatt gewaltig entwickelt. Sie ist schon der entscheidende Faktor, um Kunden zu binden. Mehr als alles andere, was wir in unserem Laden machen, ist die Werkstatt das Kundenbindungsmittel Nummer Eins. Das war sie früher vermutlich auch schon, obwohl man sie etwas stiefmütterlich behandelt hat, aber wir haben sie nun auch zum Profit-Center ausgebaut.«
Als einen wesentlichen Faktor für eine erfolgreiche Werkstatt nennt er eine Zertifizierung, wie er als VSF-Vorstand nicht nur im eigenen Haus, sondern deutschlandweit beobachten kann. »Bei allen teilnehmenden Werkstätten funktioniert die VSF-Zertifizierung geradezu grandios. Von daher ist es erstaunlich, dass sich das verbandsintern noch nicht flächendeckend durchgesetzt hat. Aber wir arbeiten daran und konnten in den letzten Monaten enorme Zuwächse an teilnehmenden Werkstätten verzeichnen.«

Profitable Werkstatt – oder ­lieber nicht?

Trotz mancher Erfolgsgeschichte haben die meisten Händler aber damit zu kämpfen, auch nur eine schwarze Null in der Werkstatt zu erwirtschaften. Grund dafür ist die mancherorts auch zahlreich vorhandene Konkurrenz. Seine Werkstattleistung ganz genau im Blick hat Stefan Neitzel, Geschäftsführer des Filialisten Fahrradstation in Berlin. In den insgesamt neun Läden, die zur Kette gehören, wurden in diesem Jahr bereits über 13000 Reparaturen durchgeführt. Als jemand, der den dabei erzielten Lohnumsatz auf zwei Kommastellen genau sagen kann, macht er sich intensiv Gedanken, wie er seine Werkstatt aufstellen muss, damit sie im wettbewerbsintensiven Berlin wirtschaftlich und leistungsmäßig bestehen kann. »Die Werkstatt ist gerade für die Händler, die nicht die große Fläche haben und darüber Kunden anziehen könnten, eines der wichtigsten Differenzierungsmerkmale«, ist er überzeugt. So wichtig die Werkstatt damit sein mag, »ein Geschäft ist das nicht.« Nicht zuletzt Schrauber, die zum Dumpingpreis arbeiten, drückten auf die Preise. »Aufgrund der Wettbewerbsdichte ist Berlin einer der schwersten Märkte in Deutschland. Berlin ist eine der wenigen Städte, wo es noch eine richtige Subsistenzwirtschaft gibt«, und meint dabei Mechaniker, die aus ihrem Keller oder Schuppen heraus und ohne besonderen Kostenapparat Reparaturen durchführen. »Das wirkt sich auf das Preisniveau aus. In Berlin findet sich alles zwischen 10 und 80 Euro Standardstundensatz. Da kann man sich schon ausmalen, dass der Markt nicht ganz so einfach ist.« Das allein ist aus seiner Beobachtung aber noch nicht entscheidend. »Die Wirtschaftlichkeit der Werkstatt ist massiv davon abhängig, wie die Reparaturannahme erledigt wird.« Deswegen werden strukturiertes Vorgehen, das Hinweisen des Kunden auf notwendige Arbeiten und vieles mehr geschult.
Etwas andere Herausforderungen gibt es in Ludwigshafen am Rhein bei Fahrrad-XXL Kalker, wo man mehr oder weniger freiwillig auf Werkstattprofite verzichtet, wie Martin Steiger erklärt. »Die Werkstatt war uns schon immer wichtig, aber die Kunden sind natürlich anspruchsvoller geworden. Gerade bei einem großen Fachmarkt ist die größte Angst der Kunden, dass man nur verkaufen wolle und nicht den Service bieten könnte wie der kleine Schrauber um die Ecke. Deswegen müssen wir das Gegenteil beweisen. Ich bin überzeugt, dass wir deutlich besser sind, sei es bei der Reparaturannahme, der Abwicklung oder dem Zeitrahmen.« Entsprechend groß ist der Aufwand, der mit der Werkstatt betrieben wird. »Wir sehen, dass wir in Werkstatt und Neumontage mehr Personal beschäftigen als im Verkauf«, sagt Steiger. »Dann wird natürlich kein Geld verdient in der Werkstatt, aber wir müssen es trotzdem so machen.«
Höhere Werkstattpreise lassen sich in der Vorderpfalz seiner Überzeugung nach derzeit nicht durchsetzen. »Wir möchten mit den Stundensätzen nicht höher gehen, weil wir merken, dass die Leute da doch sehr sensibel sind.« Gerade bei Kunden, die Räder in Einstiegspreislagen gekauft haben, wären Diskussionen vorprogrammiert. Die wolle man mit moderaten Werkstattpreisen und kulanten Lösungen bei Reklamationen vermeiden. Das wiederum führt dazu, dass nicht jeder Arbeitswert so abgerechnet wird, wie er abgerechnet werden sollte.

E-Bikes verändern die ­Werkstattarbeit

Der Siegeszug des E-Bikes hat natürlich ebenfalls Auswirkungen auf die Fahrradwerkstatt. Stefan Kiermaier, der bei Radlbauer in München als Filialleiter tätig ist, erkennt klare Chancen für das Werkstattgeschäft. »Durch das E-Bike ist das Inspektionsthema stärker dazugekommen, das etwas teurer ist als bei einem normalen Fahrrad, weil auch der Aufwand größer ist.« Mit entsprechenden Angeboten lasse sich ein Zusatzumsatz erzielen. »Wenn man einen Wartungsservice anbieten kann, hilft das, die Profitabilität zu erhöhen.«
Einig ist man sich, dass man für die E-Bike-Wartung auf gut ausgebildetes Personal angewiesen ist, wie Martin Steiger aufzeigt. »Für E-Bikes sind höher qualifizierte Mitarbeiter notwendig, die auch sämtliche Schulungen mitmachen, damit die anfallenden Arbeiten schnell, korrekt und genau gemacht werden und die Kunden unsere Kompetenz spüren.« Einen Unterschied sieht der Händler Lothar Könekamp von Radlager Nirala in Köln bei den Schwerpunkten der Arbeit mit und an E-Bikes. »Das Fachliche ist dabei gar nicht so das Problem, aber das ganze Beziehungsgeflecht, das man dann aufbauen muss. Sei es bei Reklamationen oder bei der Kundenkommunikation, das ist ganz anders als bei einem Kunden, der mit einem platten Hinterrad reinkommt.«

Schwierige Mitarbeitersuche

Bei der Suche nach geeignetem Personal für die Werkstatt zeigen sich massive Unterschiede in den verschiedenen Regionen Deutschlands. Larschow in Cuxhaven sieht sich einmal mehr durch die Zertifizierung der Werkstatt im Vorteil. »Das wirkt schon enorm. Nicht nur auf die Kunden, sondern auch auf die Mitarbeiter. Dadurch, dass die Werkstatt so geordnet abläuft, haben wir ziemlich guten Zulauf. Ich kann mir jedes Jahr aussuchen, wen ich für die Ausbildungsplätze nehme. Es kommen auch zunehmend höher qualifizierte Bewerbungen dazu, wie etwa Abiturienten.«
Dazu kontrastiert deutlich die Situation in Ingolstadt, mit der sich Fritz Reischl für sein Radhaus auseinandersetzen muss. »Einen qualifizierten Fahrradmechaniker zu finden, das ist schon sehr, sehr ungewöhnlich. Im Regelfall ist niemand frei am Markt. Der Beruf ist zwar ein kleines Stück attraktiver geworden, aber es ist im Moment so, dass nicht genügend Interessenten da sind. In Ingolstadt, wo die Arbeitslosigkeit bei knapp über einem Prozent liegt, wird es ganz eng, Personal zu finden.« Daher ist für ihn die Ausbildung im eigenen Haus sehr wichtig, neue Mitarbeiter werden über deutschlandweit ausgeschriebene Stellenanzeigen gesucht. »Im Moment ist die Situation ok, aber wir würden gerne noch zwei bis drei Leute einstellen, wenn wir qualifizierte Mitarbeiter finden würden.«
Auch bei den meisten anderen Händlern überwiegen die Herausforderungen bei der Suche. So beobachtet etwa Lothar Könekamp, Geschäftsführer von Radlager Nirala, dass sich die meisten Mechaniker zunächst einmal in anderen Berufen versuchen. »Es sind in den wenigsten Fällen Jungs, die direkt von der Schule kommen, sondern fast immer Leute, die das auf einem zweiten Bildungsweg machen. Fahrradwerkstatt ist nicht die erste Wahl«, bemerkt Könekamp, der das aber nicht als branchenspezifisches Problem ansieht, sondern als eines, mit dem das gesamte Handwerk konfrontiert ist. Dank der vielfältigen Lebensläufe kommt es dann auch zu zusätzlichen Hürden bei der Bewer‑
berauswahl. »Die Kandidaten sind oft entweder über- oder unterqualifiziert. Die goldene Mitte gibt’s kaum noch. Wir haben hier Leute wie Schülerpraktikanten, wo Du denkst ‚wow, das wäre super, wenn die hier wären‘, aber die studieren dann Jura und werden Anwalt. Und dann gibt’s Leute, mit denen kannst du echt nichts anfangen.« Wenn dann die Arbeitsleistung nicht ausreicht, wird ein wirtschaftliches Arbeiten unmöglich, wie Fahrradstation-Chef Neitzel beobachtet. »Wir haben durchaus immer wieder Mechaniker, die nicht einmal ihren eigenen Lohn im Lohnumsatz erwirtschaften.«
Der Berliner Neitzel sieht die Fahrradbranche jedoch auch in der glücklichen Situation, dass das Produkt und der Fahrrad-Lifestyle auf einer emotionalen Ebene anziehend sind. »Das Interesse von guten Leuten am Thema ist durchaus gegeben. Zum Glück ist unsere Branche so attraktiv, wenn auch nicht unbedingt von den Arbeitsbedingungen oder dem Gehalt, dass immer noch genügend gute Leute angezogen werden und dort arbeiten möchten.«

Online und Werkstatt müssen erst noch zusammenwachsen

Wenn mit einem eigenen Online-Angebot der Werkstattservice verbessert werden kann, dann setzt auch der stationäre Handel das natürlich gerne um. So gehört die Online-Terminvergabe bei vielen Händlern zu einer gern genutzten Maßnahme. Allerdings ist die Resonanz der Kunden auf solche Angebote zumindest aktuell noch nicht besonders stark, wie Larschow beobachtet: »Die Online-Terminabsprache wird bei uns schon lange angeboten, sie wird aber so gut wie gar nicht genutzt. Die Kunden suchen einfach das persönliche Gespräch.« Und es ist nicht nur der Kunde, dem der direkte Kontakt lieber ist. »Wesentlich bei der Terminvergabe ist die Abschätzung, wie viel Zeit für die Reparatur benötigt wird. Und das geht eigentlich nur, wenn das Rad dasteht«, ist Könekamp überzeugt.
Für ihn eröffnet der direkte Kundenkontakt eine weitere Chance: »In der Werkstatt besteht noch viel Potential für Zusatzverkäufe, ohne die Kunden übers Ohr zu hauen, sondern ihnen etwas Gutes zu tun. Das kann man nur machen, wenn man den Menschen und das Rad vor sich hat.«
Fährt ein stationärer Händler also besser, wenn er Online-Tools aus der Werkstatt heraushält? Zumindest Sebastian Kellner, Mitgründer des jungen Hamburger Start-ups Veloyo, sieht noch ganz andere Ansatzpunkte, um die Werkstatt mit Online-Werkzeug schlagkräftiger zu gestalten. Die eigene Mobile-App ist seit diesem Jahr in Hamburg, Amsterdam und London verfügbar und vermittelt Fahrrad-Reparaturen zwischen Kunde und Mechaniker. Damit der Kunde einen Mehrwert durch die Nutzung der App hat, ist entweder ein Abhol- und Bring-Service des zu wartenden Fahrrads vorgesehen oder die Reparatur direkt vor Ort.
»Wir sehen, dass Online im Fahrradbereich noch nicht so sehr angenommen wurde. Das liegt auch daran, dass die Materie nicht besonders nah bei den Händlern liegt. Die konzentrieren sich auf die Professionalisierung ihres Geschäfts, auf guten Kundenservice, die Kapazitäten richtig auszulasten und den Einkauf. Dann fällt natürlich Online meistens hinten runter.« Angesichts des umfassenden Tagesgeschäfts fehlen oft die Kapazitäten für mehr. »Je kleiner ein Geschäft ist, umso schwieriger wird es, über so etwas zu reden. Genau da knüpfen wir mit Veloyo an.«

Herausforderungen werden nicht kleiner

Angesichts der vielen Herausforderungen, die die Werkstatt an den Fachhandel stellt, wird sie den Händler naturgemäß auch weiterhin auf Trab halten. Als starkes Differenzierungsmerkmal und Anker des stationären Handels ist sie aber gleichzeitig ein wesentlicher Faktor dafür, dass die Fahrradbranche nicht den gleichen Weg geht, wie er für andere Branchen durch die Onlinekonkurrenz vorgezeichnet wurde.
»Im Prinzip ist die Werkstatt ja einfach die große Chance«, sagt der Ingolstädter Händler Reischl. »Wenn man hier gut arbeitet, wenn man hier gutes Personal hat, dann kann man enorme Werbung machen für den eigenen Betrieb. Das ist eine Riesenherausforderung, aber auch eine Riesenchance.«

20. Dezember 2015 von Daniel Hrkac
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login